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Titel: Deutschlands Exportfixierung droht zum Krisenbeschleuniger zu werden
Datum: 3. Juni 2020 um 13:59 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Audio-Podcast, Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Globalisierung, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Jens Berger
Europa beendet den Lockdown und fährt seine Wirtschaft wieder hoch. Die Folgen der weltweiten Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sind jedoch massiv und tiefgreifend. Die WTO geht mittlerweile von einem Rückgang des Welthandels um bis zu 32 Prozent in diesem Jahr aus, der IWF spricht von der „vermutlich schlimmsten Rezession seit der Großen Depression in den 1930er Jahren“. Vor allem Volkswirtschaften, die ihre Binnenkonjunktur zugunsten der Exportwirtschaft vernachlässigt haben, werden noch lange die Auswirkungen der „Coronakrise“ spüren – allen voran der Exportüberschussweltmeister Deutschland. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Auch im letzten Jahr verteidigte Deutschland einmal mehr seinen traurigen Spitzenplatz beim Leistungsbilanzüberschuss. Deutschland ist Exportüberschussweltmeister. 2019 betrug die Summe rund 293 Milliarden Dollar. So hoch ist hierzulande die jährliche Differenz zwischen den Exporten und den Importen von Waren und Dienstleistungen. Zu den Hintergründen dazu werden die NachDenkSeiten in den nächsten Tagen ein Papier zu unseren „Grundpositionen“ veröffentlichen.
Worum geht es bei den Exportüberschüssen? Die Erfahrung zeigt, dass Exportüberschüsse immer dann entstehen, wenn die Löhne – in Relation zu den Handelspartnern – einerseits zu niedrig und andererseits ungleich verteilt sind. Beides trifft auf Deutschland zu. Steigen die Löhne und sinkt die Ungleichverteilung der Einkommen, steigt auch der Konsum der Bevölkerung und somit die Menge der Importe. Gleichzeitig sinkt durch steigende Löhne auch tendenziell der Lohnstückkostenvorteil, wodurch die Exporte sinken. Vereinfacht könnte man unterstellen, dass sich ein Land, in dem sich Importe und Exporte die Waage halten, volkswirtschaftlich auf dem richtigen Weg ist. Dies trifft innerhalb der Eurozone zum Beispiel mit Abstrichen auf Frankreich zu, dessen Handelsbilanz fast ausgeglichen ist. Deutschland weist jedoch sowohl relativ als auch absolut die höchsten Exportüberschüsse auf. Ein anderer Begriff für Exportüberschüsse ist übrigens Importdefizite. Dies sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Eine Volkswirtschaft, die davon lebt, anderen Volkswirtschaften ihre Güter und Dienstleistungen zu verkaufen, ist darauf angewiesen, dass eine stetige Nachfrage besteht. Der Welthandel muss brummen. Genau dieser Grundpfeiler gerät jedoch durch die weltweite Wirtschaftskrise in Folge der „Corona-Maßnahmen“ nun ins Wanken. Wenn die Weltwirtschaft hustet, droht der deutschen Volkswirtschaft eine Lungenentzündung; wobei der Begriff „Husten“ für die sich zur Zeit entwickelnde Weltwirtschaftskrise ein sehr verniedlichender Begriff ist. Welche Auswirkung hat die Krise für Deutschland? Wie stehen die Chancen, dass die künftige Nachfrage zumindest stabil bleibt? Schauen wir uns doch einmal die zehn Volkswirtschaften an, in die Deutschland 2019 die meisten Güter und Dienstleistungen exportiert hat…
Im letzten Jahr gingen die meisten Exporte deutscher Unternehmen in die USA. In diesem Jahr dürfte diese Zahl merklich zurückgehen. Von Februar bis April stieg die Arbeitslosenquote in den USA von 3,5% auf 14,7%. Alleine in der Woche zwischen dem 21. und dem 28. März registrierten die Behörden 6,9 Millionen Neuanträge auf Arbeitslosengeld – damit haben binnen einer einzigen Woche mehr Menschen Arbeitslosengeld beantragt, als im langjährigen Schnitt überhaupt arbeitslos waren. Ein absurder Rekord. Mitte Mai waren offiziell 35,5 Millionen US-Amerikaner als arbeitslos gemeldet. Die „Corona-Maßnahmen“ haben in den USA mehr Menschen in die Arbeitslosigkeit geschickt, als es die Ölkrise und sämtliche Finanzkrisen der jüngeren Vergangenheit vermocht haben. Höhere Arbeitslosenzahlen haben die USA bislang nur zum Höhepunkt der „Großen Depression“ in den 1930ern gesehen.
Arbeitslosenzahlen USA
Die Konsumausgaben gingen im gleichen Zeitraum um 17% zurück – einzelne Sektoren, wie der für deutsche Exporteure so wichtige Automobilverkauf (-49%), implodierten förmlich. Im ersten Quartal schrumpfte die amerikanische Volkswirtschaft bereits um 5,0%, für das zweite Quartal geht man zur Zeit von einem weiteren Rückgang in Höhe von 11,2% aus. Am Ende des Jahres soll nach Schätzungen des IWF ein Minus von 5,9% stehen bleiben, was anlässlich der aktuellen Zahlen jedoch ziemlich zweckoptimistisch wirkt.
Offen ist noch, wie andere Märkte auf die Entwicklungen reagieren. Parallel zur Arbeitslosigkeit und zum Kaufkraftverlust kommt noch ein massiver Rückgang des Ölpreises (die USA sind mittlerweile Ölexporteur) und ein deutlicher Rückgang bei der Immobiliennachfrage hinzu. Wie die Finanzmärkte mit ihren strukturierten Spekulationsprodukten darauf und auch die drohende Pleitewelle reagieren werden, ist eine weitere offene Frage. Das Kartenhaus wackelt und es ist nicht davon auszugehen, dass die US-Volkswirtschaft – anders als die Börsenkurse – so bald wieder das „Vorkrisenniveau“ erreicht. Deutsche Exporteure müssen künftig den Gürtel enger schnallen.
Schwer absehbar sind die realwirtschaftlichen Folgen der Coronakrise für unser Nachbarland Frankreich. Verglichen mit anderen Ländern war der französische Lockdown besonders restriktiv und die besonders betroffenen Branchen wie der Tourismus, die Gastronomie und der Einzelhandel sind traditionell wichtige Standbeine der französischen Volkswirtschaft. Für die künftige Entwicklung dürfte es daher ausschlaggebend sein, wie schnell und gut diese Sektoren wieder in Gang kommen und ob die französische Regierung die fiskalischen Freiheiten hat, genügend Geld in die Hand zu nehmen, um die heimische Wirtschaft anzukurbeln. Bei dieser Frage haben jedoch auch die EZB, die Eurozone und allen voran die fiskalischen Falken aus den Niederlanden und Deutschland mitzureden. Die Prognose dürfte daher eher düster ausfallen. Für das laufende Jahr geht der IWF von einem Rückgang der französischen Wirtschaftsleistung um 7,2% aus. Auch hier werden die deutschen Exporte massiv sinken.
Wenn man nur den Zahlen von IWF, Weltbank und Co. folgt, dürfte China die Weltwirtschaftskrise wohl von allen großen Volkswirtschaften am besten meistern. Ungeschoren kommt jedoch auch das Reich der Mitte nicht aus der Krise. Nachdem Ministerpräsident Li Keqiang für das erste Quartal sogar einen Rückgang des BIP in Höhe von 6,8% verkünden musste, hat China sich – zum ersten Mal in seiner Geschichte – dazu entschlossen, kein Wachstumsziel mehr festzulegen. Die Zeiten seien „unvorhersehbar“. Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt derzeit mit rund 6% um ganze 50% höher als der langjährige Schnitt von 4%. Die besonders vom Lockdown betroffene Region Hubei musste übrigens für das erste Quartal des Jahres einen Rückgang des BIP um 39,2% vermelden. Aktuell gehen IWF und Weltbank für China von einem Wachstum von 0,1% bis 2,3% aus – dies wäre das geringste Wachstum seit dem „großen Sprung“ in den 1980er Jahren.
All diese Zahlen haben jedoch einen großen Unsicherheitsfaktor. Zwar ist die chinesische Binnenwirtschaft in den letzten Jahren massiv gewachsen; der Export – vor allem nach Europa und Nordamerika – ist jedoch immer noch der Motor der chinesischen Ökonomie. Und hier sitzt China mit Deutschland in einem Boot. Wenn der Welthandel einbricht, leidet auch China ganz besonders unter den Folgen. Und dies setzt sich indirekt auch auf Deutschland fort, da Deutschland vor allem Güter nach China exportiert, die dort vom zur Zeit besonders fragilen industriellen Sektor nachgefragt werden. Auch hier dürften die deutschen Exporte merklich sinken.
Auch die Niederlande sind keine Insel der Glückseligen in einem Meer der Depression.
Zwar hat sich die niederländische Volkswirtschaft dank der vergleichsweise lockeren „Maßnahmen“ mit nur 1,7% in den ersten drei Monaten recht stabil gehalten; dafür sind den Niederländern jedoch ebenfalls die Absatzmärkte weggebrochen. Für das laufende Jahr geht der IWF daher auch von einem Rückgang des BIPs in Höhe von 7,5% aus. Und dieser Rückgang wird auch die niederländische Volkswirtschaft negativ beeinträchtigen und den Absatz deutscher Importe schmälern. Vereinfacht gesagt: Wer den Gürtel enger schnallen muss, kauft sich keinen Audi, BMW oder Mercedes.
Der größte europäische Risikofaktor ist sicherlich Großbritannien. Kein anderes europäisches Land ist so stark von den epidemiologischen und ökonomischen Folgen der Krise betroffen und gleichzeitig schwebt über dem Land immer noch das Damoklesschwert eines harten Brexits. Daher ist es auch besonders schwer, hier Prognosen zu erstellen. Während der IWF Großbritannien mit einem Minus von „nur“ 6,5% eine vergleichsweise milde Rezession vorhersagt, prognostiziert die Bank of England sogar einen Rückgang von 14% für das laufende Jahr – dies wäre dann die tiefste Rezession seit 300 Jahren. Im schlimmsten Fall addieren sich zu den Folgen des Lockdowns auch noch die Folgen eines immer wahrscheinlicher werdenden harten Brexits. So oder so werden die deutschen Exporte auf die Insel zurückgehen.
Auch in Italien sind die Sektoren Tourismus und Gastronomie besonders stark von der Krise betroffen. Der IWF geht für Italien sogar von einem Einbruch der Wirtschaftsleistung im laufenden Jahr von 9,1% aus. Dies ist ähnlich wie für Frankreich und Spanien vor allem deshalb ein Problem, da Italien nicht frei über Konjunkturmaßnahmen entscheiden kann, sondern wegen der Neuverschuldungsproblematik dafür in Brüssel, Frankfurt und Berlin um Zustimmung werben muss. Und selbst wenn Italien die Mittel dafür bereitgestellt bekäme, dürften die massiven Einbußen bei den betroffenen Haushalten mittel- bis langfristig dazu führen, dass weniger Güter aus Deutschland importiert werden.
Bis Mitte April meldeten sich in Österreich rund 590.000 Menschen als arbeitssuchend. Weitere 1,2 Millionen Arbeitnehmer mussten in Kurzarbeit gehen. Auch hier sind vor allem der Tourismus und die Gastronomie betroffen. Nach IWF-Schätzung wird die österreichische Volkswirtschaft heuer um 7% schrumpfen. Auch aus Österreich wird daher mit Sicherheit kein Wachstumsimpuls für die deutsche Volkswirtschaft ausgehen.
Polen ist wohl der Nachbarstaat Deutschlands, der von den Maßnahmen noch am geringsten betroffen ist. Der IWF prognostiziert für unseren östlichen Nachbarn lediglich einen Rückgang des BIPs von 4,6%. Polen ist jedoch eine – wie es immer so schön heißt – sehr dynamische Volkswirtschaft, die im letzten Jahr mit einem Wachstum von 4,1% hinter Estland die zweitgrößten Wachstumsraten in der EU vermelden konnte. Damit ist jetzt erst einmal Schluss und die deutschen Exporte dürften ebenfalls zurückgehen.
Die Schweiz vermeldete kürzlich 1,5 Millionen Gesuche auf Kurzarbeit – dies entspricht rund 30 Prozent der Erwerbstätigen. In besonders betroffenen Regionen wie dem Tessin beträgt der Anteil sogar 45 Prozent. Die Schweizer Regierung prognostiziert einen Rückgang des BIP in Höhe von 6,7% für das laufende Jahr. Die damit verbundenen Lohneinbußen dürften vor allem in einem Land mit derart hohen Lebenshaltungskosten wie der Schweiz zu einem deutlichen Rückgang beim Konsum führen. Hinzu kommt, dass auch die Schweizer Volkswirtschaft stark vom Weltmarkt abhängt. Beide Facetten sprechen für einen Rückgang der deutschen Exporte.
Auch das von Covid-19 besonders betroffene Belgien gehört mit einem für das laufende Jahr geschätzten Rückgang der Wirtschaftskraft von 6,9% zu den Verlierern der Wirtschaftskrise. Wie alle anderen Kunden Deutschlands auch wird Belgien mindestens im laufenden Jahr, aber wahrscheinlich auch in den kommenden Jahren deutlich weniger Güter und Dienstleistungen einführen. Darunter leidet allen voran der Handelspartner Nummer Eins: Deutschland.
IWF-Prognose Wirtschaftsentwicklung 2020
Düstere Prognosen
Deutschlands wichtigste Kunden fallen also kurz-, mittel- und womöglich sogar langfristig als Wachstumsmotor aus. Diese zehn Staaten stehen für 794 Milliarden Euro deutscher Exporte. Dies sind fast zwei Drittel des gesamten Exportvolumens von 1.328 Milliarden Euro. Die Prognosen sind düster, die Zukunft ungewiss.
Wenn sich diese Prognosen erfüllen, dürfte sich ausgerechnet die angeblich so überlegene deutsche Volkswirtschaft besonders schwer damit tun, aus der Krise zu kommen. Es fehlen schlicht die Wachstumsimpulse. Wenn die Welt den Gürtel enger schnallen muss, verkaufen deutsche Premiummarken weniger Autos. Wenn die Welt weniger produziert, verkaufen deutsche Maschinenbauer weniger Produkte. Deutschlands ökonomisches Rückgrat ist auf eine stabile Weltwirtschaft und eine stabile Nachfrage angewiesen und nicht krisenfest. Nicht trotz, sondern durch unsere „Exportstärke“ droht der deutschen Volkswirtschaft nun ein tiefes Tal der Tränen.
Doch jede Krise geht auch immer mit einer Chance einher. Für Deutschland bietet sich nun die hervorragende Gelegenheit, sich vom Exportwahn zu verabschieden und die Binnenkonjunktur zu stärken. Dies würde Europas stärkste Volkswirtschaft ganz nebenbei auch zum Wirtschaftsmotor für die Eurozone und womöglich sogar für die gesamte Welt machen. Denn eins sollte klar sein: Um die Weltwirtschaftskrise zu bändigen, muss Nachfrage generiert werden. Früher haben die USA und China diese Funktion übernommen. Nun wäre Deutschland an der Reihe und könnte sogar grüne und nachhaltige Akzente setzen. Dafür wäre jedoch ein Umdenken nötig. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
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