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Titel: Meinungsmache beim Fleischskandal – bei 3sat bleiben die wichtigsten Fragen offen
Datum: 27. Mai 2020 um 9:00 Uhr
Rubrik: Medienkritik, Strategien der Meinungsmache, Wertedebatte
Verantwortlich: Redaktion
Die jüngsten Covid-19-Fälle unter Schlachthof-Mitarbeitern haben dazu geführt, dass das Thema „Fleischskandal“ wieder in den Medien auftaucht. Auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen stehen das Schnitzel und dessen Preis im Blickfeld der Redaktionen. Leider sind viele dieser Sendungen jedoch von Meinungsmache durchsetzt, da die verantwortlichen Redaktionen immer wieder versuchen, die Deutungshoheit über Inhalt, Fragen und Antworten zu behalten. Ein Beispiel dafür ist die auf 3sat ausgestrahlte Wissenschaftsfernsehsendung „Nano“, die am 20. Mai das Thema „Mindestpreis Fleisch“ behandelte. Wichtige Fragen wurden nicht gestellt, also brauchte es auch nicht entsprechende Antworten. Warum wohl? Von Frank Blenz.
Der Nano-Beitrag war meisterlich in Sachen Verschweigen des eigentlichen Grundes, warum Fleisch so viel oder besser so wenig kostet, wie es in den Supermärkten angeboten wird. Nano-Moderatorin Yve Fehring formulierte eloquent ihre Ansage zum ersten Beitrag der Sendung, „Mindestpreis Fleisch“. Ein alter Skandal werde durch Corona wieder in den Mittelpunkt gerückt, so Fehring. Sie hatte Begriffe wie „Die Fleischsklaven“ (Arbeitnehmer in der Fleischindustrie) und „Arbeitsbedingungen sind prekär“ im „Billigfleischsystem“ parat. Und fragte: „Braucht es womöglich einen Mindestpreis? Denn wenn Schnitzel billiger sind als Spargel, kann die Rechnung nicht aufgehen.“
Ist das wirklich so? Ist dies überhaupt eine wichtige Frage? Das fragte sich der aufmerksame Zuschauer. Im Sendebeitrag wurde das „Billigfleischsystem“ beschrieben und eine Ursache für die unverändert bestehenden Verhältnisse in den Produktionsstätten genannt: Zwischen 2008 und 2018 seien die Kontrollen um 50 Prozent heruntergefahren worden. 17 Jahre Kontrollmangel wegen fehlenden Personals bei den Behörden. Der Beitrag beschrieb, dass das Problem mit dem Billigfleisch tiefer läge:
„Deutschland produziert weit mehr Fleisch, als im Land verbraucht wird.“
Konkret: Deutschland sei beim Schweinefleisch der größte Exporteur weltweit. Das Zitat folgte:
„Viel und billig, das ist Devise und die Produzenten wollen viel Rendite.“
Nach dem TV-Beitrag interviewte Moderatorin Fehring die Agrar-Referentin vom BUND Katrin Wenz, die anmerkte, dass die beschriebenen Missstände lange bekannt seien und nun nicht mehr weggesehen werden könne. Eine wichtige Maßnahme gäbe es schon, so Wenz: Werksverträge in der Fleischindustrie würden verboten (ab 2021).
Fehring fragte:
„Heißt das, Fleisch muss endlich teurer werden?“
Wenz antwortete, es sei nur billig, weil es unter Missachtung der Umwelt produziert, viele Verstöße im Arbeitsrecht begangen und Bauern nicht ausreichend bezahlt würden. Discounter bestimmten den Preis, ALDI habe das auch gefordert, so Wenz.
Zum Finale schloss Fehring mit: „Wir müssen uns alle fragen, wie viel ist uns das Schnitzel tatsächlich wert?“ Der aufmerksame, hinterfragende Zuschauer überlegte: Was fehlte in dem Beitrag? Was besprach da Fehring und Co. tatsächlich?
Es fehlten wichtige Fragen wie „Warum hat Aldi niedrigere Preise gefordert?“, „Warum ist der Preis für Fleisch so „niedrig“?“, „Wie kann es sein, dass dennoch viel Geld verdient wird im Billigfleischsystem?“, „Was passiert, wenn es einen Mindestpreis gäbe?“, „Würden die Ausgaben der Verbraucher an der Theke anschließend an die Arbeiter in den Fabriken, an die Bauern weitergegeben?“.
Die Meinungsmache von Nano nahm den Bürger, den Verbraucher ins Boot. „Wir müssen uns alle fragen, wie viel ist uns das Schnitzel tatsächlich wert?“
Wir alle? Es stimmt, Menschen gehen Fleisch einkaufen. Froh sind gerade diejenigen über günstige Preise, die nicht viel in der Geldbörse haben. Dass sie dabei dennoch ein Recht haben, Qualität zu kaufen, steht schon als Versprechen und Verpflichtung über den Läden, die sie besuchen: „Lebensmittel“. Das bedeutet, dass es in diesen Läden keinen Dreck gibt, oder? Der Spruch dazu „wer billig kauft, darf nicht erwarten, gute Ware zu bekommen“, ist zynisch. Das Gegenteil ist richtig: Wer Lebensmittel kauft, dem darf kein Dreck angeboten werden.
Nano fragte nicht: Warum bestimmen Discounter den Preis, warum hat das ALDI gerade wieder beim Fleisch gefordert? Fest steht, dass die großen Lebensmittelanbieter trotz „billig“ massiv viel Geld verdienen. Und der „Preiskampf“ von ALDI mit den Anbietern ist kein Fremdwort, er ist Ausdruck eines Wettbewerbes, der nicht fair ist, der darauf angelegt ist, den Konkurrenten im besten Fall in die Knie zu zwingen. Die Zeche zahlen die Arbeiter, die Bauern, nicht die Konzerneigentümer.
Und der Kunde? Der ist unfreiwillig Teil des Systems, er wird mit „Tiefpreisen“ gelockt. Er will das ja so. Wir alle eben. Der Kunde aber fordert diese Tiefpreise nicht, wie oft behauptet wird, und er akzeptiert auch keinen Dreck, schlechte Arbeitsbedingungen, Leiharbeit, Skandale. Oder? Die Verpflichtung für gute Ware und gute Rahmenbedingungen liegt beim Anbieter. Fakt ist indes: In den Läden sieht das billigste Fleisch gut ausgeleuchtet schön und frisch aus. Ins Innere der Fabriken dürfen Kunden und Öffentlichkeit nicht schauen (Betriebsgeheimnis), die Politik schaut weg oder nicht so genau hin und hält seit vielen Jahren dazu eben kein funktionierendes Kontrollsystem vor, damit die Kasse der Konzerne klingelt.
Und wenn dann die Marktmacht errungen ist, ist es auch vorbei mit billig. Wie sieht es aus mit der Forderung des Bürgers, des „mächtigen Kunden“, nach bezahlbaren Wohnungen? Fest steht: Sobald es eine Marktmacht, eine Konzentration, wenig bis keine Regulierung gibt – wird die Ware teurer statt billig. ALDI verkauft nicht aus Nächstenliebe „billig“ Fleisch und alles andere im Sortiment. Und wenn ein Mindestpreis kommt, dann wird der „Mehrwert“ auf den Konzernkonten landen. All das berichtete Nano – nicht.
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