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Titel: Die NachDenkSeiten haben großartige, differenziert urteilende Leserinnen und Leser.

Datum: 20. Mai 2020 um 10:53 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Gesundheitspolitik, Innen- und Gesellschaftspolitik, Leserbriefe
Verantwortlich:

Bitte lesen Sie den folgenden Brief. Sie werden vermutlich vieles darin finden, was auch Ihre Fragen anspricht.

Betreff: Halten Sie durch und machen Sie weiter wie bisher!

Lieber Herr Müller und Team, bitte halten Sie durch und machen Sie sich nicht zu viele Sorgen um den Ruf der Nachdenkseiten. Machen Sie einfach weiter wie bisher, denn Sie machen das gut. Ich werde Ihnen weder die Leserschaft noch die Spende aufkündigen, nur weil ich mal einen Artikel lese, mit dem ich nicht übereinstimme oder weil Sie oder einer vom Team sich trotz aller Mühen mal nicht sensibel genug ausgedrückt haben. Ich denke Sie sind im Moment auf Grund der Situation, speziell auf Grund der äußerst unbefriedigenden Informationslage, was das Virus und seine direkten/indirekten Folgen angeht, in einer fast unmöglichen Position. Egal was Sie schreiben, es wird vielen Leuten nicht passen und sie werden harsche Kritik ernten.

Ich bin selbst im Moment quasi völlig verwirrt. Ich weiß nicht, was ich über die aktuelle Lage denken und glauben soll. Und verstehe rückblickend teilweise meine eigenen Meinungen und Reaktionen von vor einigen Wochen nicht mehr. Wenn es Ihnen also genauso oder ähnlich ergeht (und sie entsprechende Probleme haben zu entscheiden, was Sie auf den Nachdenkseiten schreiben oder veröffentlichen sollen), haben Sie mein vollstes Verständnis, sie sind auch nur Menschen.

Als das Virus noch in China wütete, war ich sauer auf unsere Regierung und Medien, weil man (so hab ich das jedenfalls empfunden) hochmütig auf China und seine Maßnahmen herabblickte und so tat, als könne so etwas bei uns nie passieren. Als das Virus wie von mir erwartet auch in Europa ankam und unsere Regierung noch nicht handelte, war ich sauer, dass man die Lage nicht ernst nahm und nicht handelte wie China oder zumindest Südkorea. Ich war nach den Berichten aus China (und später den Bildern aus Italien) der Meinung, dass ein Lockdown um die Infektionsketten zu stoppen bzw. durch ihre geringere Menge verfolgbar zu machen, das richtige und einzige Mittel sei, besonders weil man es ja scheinbar nicht schaffte Testmöglichkeiten für eine größere Anzahl an Bürger zu organisieren.

Als die Regierung dann den Lockdown brachte, war ich froh, dass endlich gehandelt wurde. Auch wenn es meiner Meinung nach zu spät war (weil sich die Infektionsketten ja schon über das ganze Land verbreitet hatten) und zu inkonsequent im Gegensatz zu China, weil die ganzen Firmen (sofern sie nicht mit Freizeitangelegenheiten bzw. mit von der Regierugn als ‘jetzt nicht mehr wichtig’ eingestuften Tätigkeiten wie Kunst oder Lernen zu tun hatten) ja weiter arbeiten durften, die Menschen also weiter auf die Arbeit gehen mussten und in Bus, Bahn und Büro viele andere Menschen trafen. Ich dachte dieser halbherzige Lockdown, der mal wieder zeigte, dass es für unsere oberen nichts Wichtigeres als das Geld derjenigen, die ohnehin schon viel haben, gibt, würde sich in Bezug auf das Virus bitter rächen.

Aber das passierte nicht. Was das Virus angeht verlief und verläuft alles (zumindest nach meinem Kenntnisstand) hier bei uns erstaunlich harmlos. Aber der Lockdown, das wurde mir im Laufe der Wochen klar, der wurde und wird furchtbar dilletantisch und rücksichtslos durchgeführt, in anderen Ländern noch schlimmer als bei uns (was man z.B. aus Indien hört, ich mag gar nicht genauer darüber nachdenken). Kleine Existenzen werden rücksichtslos zerstört (Gastronomie, freiberufliche Dozenten und viele viele mehr…), man tut zwar von Staatsseite so, als wollte man helfen, aber man scheint es nicht hinzubekommen. Man bekommt das komischerweise immer nur bei den ‘großen Systemrelevanten’ hin. Die Familien im Stich gelassen: ‘Ja, Schule und Kindergarten sind auf unbestimmte Zeit geschlossen, aber arbeiten gehen müsst ihr trotzdem, weil die Firmen sind ja nicht geschlossen, weil Kapitalismus. Nein Rechtssicherheit gegenüber eurem Arbeitgeber geben wir euch nicht, weil Kapitalismus, seht halt zu wie ihr das Unmögliche irgendwie möglich macht, man kann ja miteinander reden. Wie ihr seid dabei in der schwächeren Position? Interessiert uns doch nicht.’

Wenig verständliche, schädliche Maßnahmen werden beschlossen. Warum sind die Grenzen noch mal dicht, wenn doch sowieso auf beiden Seiten Kontaktverbote und Abstandsverpflichtungen bestehen? Sind Franzosen nun ansteckender als Deutsche? Warum darf ein Wandermarathon nicht stattfinden, in der frischen Luft mit einigen Dutzend Teilnehmern bald auf viele Kilometer Wald verteilt? Wie ist das jetzt mit den Masken, wieso kann man nicht sicher herausfinden, ob die was bringen oder nicht und bringen sie noch was, wenn man davon ausgehen kann, dass die meisten Leute sich nicht Empfehlungen wie z.B. jede Maske nur einmal tragen und dann waschen halten werden bzw. halten können? Und wie kann es sein, dass man Mitte Mai über ein Virus aus Dezember in der Wissenschaft immer noch so wenig Konkretes weiß? Warum geht das so langsam? Sind da auch Dilletanten am Werk oder erzählt man uns einfach nicht alles? Ich könnte noch weiter machen, mit dem Klimaschutz der nun quasi gestoppt wurde, den geplanten Immunitäts-/Impfausweisen, usw. – aber ich hab ohnehin schon zu viel geschrieben.

… als ich das alles beobachtete, die Folgen sah, die Rücksichtslosigkeit weltweit, verbunden damit, dass das Virus bei uns bisher recht harmlos verlaufen ist, da begann ich mich zu fragen, ob ich mit meiner damaligen Einschätzung nicht völlig unrecht hatte. Mit meiner Meinung, dass man einen Lockdown bräuchte, um das Schlimmste zu verhindern. Ob ich mich hatte manipulieren lassen und nun quasi (weil ich ja auch dafür war) mit Schuld bin an den schlimmen Folgen des Lockdowns. Wie gefährlich ist das Virus wirklich? Warum scheint man einfach nicht herausfinden zu können, wie gefährlich es wirklich ist?! Warum hat es in Deutschland nicht gewütet wie in China und Italien? Hätte man den Lockdown nicht auf eine Art durchführen können, dass alle ihn hätten gut überstehen können? Wäre das nicht möglich gewesen? Warum sind unsere Politiker nur immer so unfähig. Warum sind nun alle Leute, die zu Demonstrationen gehen plötzlich Rechte und ‘Spinner’. So ein Quatsch. Wer hat hier eigentlich noch recht und sagt die Wahrheit? So viele verschiedene Ansichten und Meinungen… irgendwo muss doch die Wahrheit sein. Ich kann sie nicht finden. Früher konnte ich nach dem Lesen vieler Medien (inklusive der Nachdenkseiten) zumindest öfter noch mit gutem Gefühl sagen ‘ok so ungefähr wird es wohl tatsächlich sein’. Jetzt? Jetzt geht das nicht mehr. Da ist nur noch Unwissenheit und Verwirrung. Und dann Schweigen. Wie kann man über etwas reden, das man nicht durchschaut? Das geht schlecht. Und wenn man es trotzdem versucht, weil es die eigene Berufung ist (so wie Sie mit den Nachdenkseiten), dann ist es nicht verwunderlich, dass das teilweise holprig wird, dass man trotz aller Mühen heftig angefeindet wird. Daher… wie ich zu Anfang dieser langen Mail sagte: Halten Sie durch, machen Sie weiter, ich bin überzeugt Sie tun Ihr Bestes! Und mehr geht eben nicht.

Freundlicher Gruß von einem sich hilflos fühlenden Mitmenschen,
L. N.

(Info in eigener Sache: Ich denke nicht, dass meine E-Mail in einer der Leserbriefveröffentlichungen landet, da ich ja nicht zu einem konkreten Artikel geschrieben habe. )

Anmerkung der Redaktion: Das macht nichts. Im Gegenteil. Dieser Leserinnenbrief ist so gut und tut wegen seiner Differenziertheit so gut, dass wir ihn mit Freuden veröffentlichen und unsere Leserinnen und Leser darum bitten, ihn weiter zu verbreiten.


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