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Titel: “Weder links noch rechts!” – also nirgendwo
Datum: 19. Mai 2020 um 14:57 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Ideologiekritik, Wertedebatte
Verantwortlich: Albrecht Müller
Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder hat, als er seine sogenannte Reform Hartz IV einer breiten Öffentlichkeit andienen wollte, dem Sinne nach behauptet, es gebe weder linke noch rechte Wirtschaftspolitik. Er hat ehrenwerte Nachfolger. Die herausragende Person der neuen Parteigründung “Widerstand 2020”, Dr. Bodo Schiffmann, hat in einer aktuellen Rückbetrachtung auf die Parteigründung angemerkt, die neue Partei sei weder links noch rechts. Sicher sind solche Sprüche populär – bei Leuten vor allem, die sich mit der Richtung der Politik nicht auseinandersetzen und sich damit auf keinen Fall identifizieren wollen. So zu reden, kommt bei Menschen an, die orientierungslos sind, und auch bei solchen, die sich nicht entscheiden wollen, und auch wohl bei solchen, die sich noch keinerlei Gedanken darüber gemacht haben, welche verschiedenen grundlegenden Anschauungen vom Menschen und von der Welt es bei politisch tätigen Menschen geben kann – man könnte auch sagen: welche Werte die Programme und die praktische Politik bestimmen sollen. Albrecht Müller.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Es ist eigentlich sonnenklar, was links ist und was rechts ist.
Zum Beispiel:
Es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen solchen Politikerinnen und Politikern, die glauben, jeder sei seines Glückes Schmied, also jenen, die glauben, es komme nicht auf die Solidarität anderer Menschen und der Gesellschaft als Ganzer an, es sei nicht nötig, mit gesetzlichen Regeln und insbesondere mit Steuergesetzen mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Auf der anderen Seite gibt es jene Menschen und Politiker, die für eine zupackende Vermögenssteuer, für eine umverteilende Erbschaftssteuer, für eine progressive Einkommensteuer eintreten.
Die Frage, wie Politik und Gesellschaft die Einzelnen vor den Risiken des Lebens abzusichern versucht, also bei Krankheit, Arbeitslosigkeit, Pflegebedürftigkeit und im Alter, beantworten Rechte und Linke sehr verschieden. Und die Antwort ist sehr entscheidend für das Glück der Menschen.
Es gibt Menschen, Politiker, sogar Wissenschaftler und viele davon, die glauben, der Markt werde schon für Arbeitsplätze sorgen, wenn er frei genug ist. Dann sorge der Markt von alleine dafür, dass genügend Arbeitsplätze angeboten werden und jeder Mensch einen Arbeitsplatz entsprechend seinen Möglichkeiten findet. Dann gibt es andere Menschen, die aus Erfahrung wissen, dass der Markt das Arbeitslosenproblem nicht befriedigend regelt und dass deshalb eine staatliche aktive Beschäftigungspolitik notwendig sei. Unter dem Einfluss der Angebotsökonomen – so heißen sie – und beifällig abgenickt auch von sogenannten linken Ökonomen und Soziologen, hat man in den siebziger Jahren aufgehört, aktive Beschäftigungspolitik zu betreiben. Darunter leiden wir bis heute; vor allem war die durch Nichtstun zugelassene Arbeitslosigkeit der Auslöser für die sogenannten Reformen der neunziger und nuller Jahre.
Aktive Beschäftigungspolitik ist links, Angebotsökonomie ist rechts. Ist das so schwer zu verstehen?
Man kann einerseits die Meinung vertreten, die Produktion eines Gutes oder die Bereitstellung einer Dienstleistung privat zu organisieren, sei allen anderen Formen überlegen. Und man kann andererseits die Vorstellung haben, dass Güter des ökonomischen Grundbedarfs sinnvollerweise öffentlich organisiert und produziert werden sollen. Und es gibt sogar die Meinung, dass es gut wäre, Dienstleistungen, die heute von Monopolen oder Oligopolen bereitgestellt werden, in staatliche Regie zu übernehmen. Es wäre links gewesen – so diese Position – die Telekom, die Post, alle Wasserversorger und die Energieversorgung in öffentlicher Regie zu behalten. Es war selbstverständlich links, 2007 die Entscheidung zu treffen, die Deutsche Bahn nicht zu privatisieren. Es wäre richtig, sie, stärker als es heute geschieht, auch wirklich in öffentlicher Verantwortung zu führen, also nicht zuzulassen, dass Aufsichtsrat und Vorstand im Wesentlichen von privaten Interessen bestimmt sind.
Man kann die Betriebsverfassung und die Arbeitsgesetze so gestalten, dass man die Rechte der Abhängigarbeitenden stärkt – durch Mitbestimmung und durch eine entsprechende Betriebsverfassungsgesetzgebung und vor allem durch eine aktive Beschäftigungspolitik (siehe oben) – und man kann der Vorstellung huldigen, dass alle Marktteilnehmer gleich seien und dass deshalb ein kollektives Auftreten der Lohnabhängigen nicht nötig sei und keinesfalls staatlich gestärkt werden sollte. Man kann Leiharbeit untersagen oder möglich machen. In allen diesen Fällen ist die Zuschreibung von links und rechts erstaunlich einfach.
Es gibt Politiker und Menschen, die haben jahrelang, ja jahrzehntelang geglaubt, der Markt sorge auch für unsere Zukunft, er bewahre uns vor ökologischen Lasten und der Zerstörung der Zukunft. Wer das glaubt, und das waren viele, ist naiv. Gute Ökonomen wussten schon immer, dass es Marktversagen gibt und dass deshalb Rahmen gesetzt werden müssen, Gebote und Verbote erlassen werden müssen und/oder Steuern so gestaltet werden müssen, dass sie die Marktteilnehmer zwingen und anreizen, das Richtige zugunsten der Umwelt und auch der Zukunft zu tun.
Auch diese Einsicht würde ich links nennen. Es ist kein Wunder, dass in Deutschland der Sozialdemokrat Willy Brandt zum ersten Mal im Jahre 1961 das Thema Umweltschutz zum politischen Thema gemacht hat. Lange vor der Veröffentlichung des Club of Rome. Und es ist auch kein Zufall, dass der wahrlich nicht rechte Gewerkschafter Otto Brenner 1972 eine große Konferenz zum Thema Lebensqualität arrangiert hat – in Oberhausen an der Ruhr.
Eines der wichtigsten Charakteristika von links oder rechts ist das Verhältnis zu Krieg und Frieden, das Verhältnis zum Militär und die Entscheidung zur Frage, ob man politische Probleme mit militärischen Interventionen lösen kann. Hier gibt es wirklich fundamentale Unterschiede zwischen links und rechts; es ist leichtfertig so zu tun, als gäbe es das nicht.
Der Frieden ist der Ernstfall, hat der frühere Bundespräsident Gustav Heinemann gesagt. Das war einer, der schon 1950 gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland antrat und deshalb auch politische und persönliche Konsequenzen zog. Er trat aus dem Kabinett Adenauer, wo er Innenminister war, und aus der CDU aus. Sein Versuch, die Mehrheit der Deutschen davon zu überzeugen, dass Deutschland neutral bleiben könne, ohne Militär und ohne Einbindung in ein militärisches Bündnis, und dass auf diese Weise schon damals anfangs der Fünfzigerjahre die Wiedervereinigung hätte geschafft werden können, scheiterte. Sie scheiterte im Trommelfeuer einer Propaganda der Kalten Krieger.
1969 wurde Heinemann Bundespräsident und sein Wort über den Frieden, der der Ernstfall sei, begleitete die Entspannungspolitik der sozialliberalen Koalition. Diese Friedenspolitik gipfelte – nach einer Achterbahn von Erfolgen und kritischen Entwicklungen – im Fall der Konfrontation zwischen Ost und West und im Konzept Gemeinsamer Sicherheit ohne Bündnisse und mit Abrüstung in Europa. Das war eine eindeutig linke, fortschrittliche, der Mehrheit der Menschen zugewandte Politik.
Sie wurde dann überlagert und abgelöst von der Wiederbelebung des imperialen oder imperialistischen Anspruchs der USA und des Westens. Sie wurde überlagert von einer Unzahl von Kriegen des Westens, die Millionen Opfer kosteten. Die Vorstellung, mit Kriegen könne man politische Probleme lösen, die Vorstellung, Aufrüstung stehe auf der Tagesordnung, sind eindeutig rechte Positionen. Sie umfassen übrigens bei uns in Deutschland die Mehrheit der CDU/CSU wie auch die AfD und inzwischen auch die Grünen und wahrscheinlich auch die FDP, und nicht mal bei der SPD und der Linkspartei kann man sich dessen sicher sein, dass sie in der Friedensfrage links sind.
Das waren einige wichtige Beispiele und Belege für die Beobachtung, dass es wirklich Sinn macht, von links oder von rechts zu reden.
In allen diesen Fällen ist die Zurechnung von links und rechts ziemlich eindeutig. Wer sagt, es gäbe weder links noch rechts, der beschönigt die realen Verhältnisse oder hat keine Ahnung.
Das Fazit im Blick auf die neue Partei: Wenn Herr Dr. Schiffmann wirklich einen sachlichen Beitrag zur Debatte leisten will, wenn er nicht nur Erfolg durch schöne Sprüche haben will, dann muss er seine Position in Sachen links/rechts überdenken.
Titelbild: jamesteohart / Shutterstock
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