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Titel: Was lernen wir aus der Krise? Wenig. Dafür sorgt schon allein die Doppelstrategie der Union.

Datum: 27. April 2020 um 10:21 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, CDU/CSU, Demoskopie/Umfragen, Innen- und Gesellschaftspolitik, Strategien der Meinungsmache
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Die jetzige Krise hat uns gezeigt, dass vieles nicht stimmt in unserem Land und dass – um ein Wort der Neoliberalen aus der Schröder-Zeit zu benutzen – „Strukturreformen“ nötig und fällig wären. Aber die sich abzeichnende parteipolitische Konstellation lässt Schlimmes erahnen. Wie so oft in der 71-jährigen Geschichte der BRD fährt die Union aus CDU/CSU eine geschickte Doppelstrategie. Hier Söder, der Mahner, dort Laschet, der Lockerer, hier Merkel mit einem harten Angriff auf die Lockerer, dort Schäuble im Tagesspiegel mit sorgenvollem Blick auf die Folgen des Shutdown. Die Doppelstrategie wird dazu führen, dass wir es dann, wenn die Konsequenzen aus der Krise gezogen werden müssen und können, mit einer wenig reformfreudigen und noch weniger am Sozialen orientierten parteipolitischen Konstellation zu tun haben werden. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Umfrageergebnisse sind mit Sorgfalt und Skepsis zu begegnen. Umfrageergebnisse können in heutigen Zeiten gesteuert werden. Aber eben nicht bei allen Instituten und nicht ganz. Außerdem verstärken Umfrageergebnisse nach aller Erfahrung die dort erkennbare Mehrheitsmeinung. Deshalb macht ein Blick auf die Ergebnisse der Sonntagsfrage Sinn. Hier ist die aktuelle Übersicht:

(Quelle: wahlrecht.de/umfragen/)

Forschungsgruppe Wahlen halte ich persönlich noch für einigermaßen verlässlich. Auch dort erreicht die Union einen Traumwert von 39 %. Schwarz-Grün wäre möglich, Schwarz-Rot (SPD) auch, in einem Jahr könnte es möglicherweise auch zu Schwarz-Gelb reichen. Die Linkspartei nimmt ab.

Die Umfragen zu den Personen zeigen, dass Merkel und danach folgend Söder Spitzenwerte erzielen. Die Krise führt auch dazu, dass innerhalb der SPD die Kanzlerkandidaten-Frage de facto schon entschieden ist. Scholz gewinnt an Sympathie. Die neuen Vorsitzenden verschwinden hinter den Regierenden. Das hatten wir übrigens vorhergesagt und dringend empfohlen, der Vorsitzende Walter-Borjans solle das Amt des Bundesfinanzministers übernehmen. Wollte er nicht. Das Ergebnis ist aber gemessen an der Gesamtkonstellation eine Nebensache.

Wichtig ist, dass die Strategie der Union, getrennt zu marschieren und vereint zu schlagen, aufgeht. Zur Bestätigung zitiere ich als Beispiel und Beleg aus dem Handelsblatt Morning Briefing von heute:

„Ein Lob von Mister Microsoft persönlich bekommt Angela Merkel für ihre Corona-Politik. Die Kanzlerin versuche, „eine Führungsfigur und eine klare Stimme“ in Deutschland zu sein, flötet Bill Gates bei einem Interview mit der „FAZ“ und basht im gleichen Atemzug US-Präsidenten Donald Trump. Während Merkel so Unterstützung für den deutschen Lockdown findet, stellt Parteikollege Armin Laschet ganz andere Fragen: „Welche Schäden richten wir an, wenn wir so weitermachen?“ Er ist sozusagen der Anführer der „Stockholm-Fraktion“ (in Schweden ist man bei Restriktionen sehr liberal), als deren Philosoph wiederum Wolfgang Schäuble auftritt. „Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig“, sagte der Bundestagspräsident dem „Tagesspiegel“. Die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde schließe „nicht aus, dass wir sterben müssen“. Schließt sie aber nicht ein, dass wir leben sollen?“

Was lernen wir aus der Krise? Strukturreformen? Grundlegende Veränderung unseres Verhaltens?

Spielen wir mal kurz verschiedene notwendige und mögliche Veränderungen durch:

  1. Veränderung der Vermögens- und Einkommensverteilung? Umverteilung?
    Nötig wäre eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes und eine entsprechende Anpassung der Steuertabelle. Nötig wäre eine wirksame Erbschaftssteuer. Nötig wäre die Besteuerung von Spekulationsgewinnen. Nötig wäre eine Vermögensteuer. Aber schon bei dieser kleinen Veränderung, schon beim Thema Wiedereinführung der Vermögensteuer, wird Widerstand aufgebaut.
  2. Bessere Bezahlung der Pflegekräfte?
    Gut, da sind die Tarife etwas angehoben worden. Aber an eine nachhaltige Verbesserung glaube ich nicht.
  3. Re-Kommunalisierung von Krankenhäusern?
    Da wird man schon unter dem Eindruck der mit der Krise gewachsenen Schuldenlast einknicken. Und dies, obwohl das Verschwinden des Renditedenkens und der maßlosen Renditen gerade im Gesundheitswesen geboten wären.
  4. Regionalisierung des Wirtschaftens statt Forcierung des Welthandels?
    Sowohl ökonomische Gründe als auch ökologische Gründe sprechen für Verkehrsvermeidung, wo es überhaupt geht, und damit für eine stärkere Regionalisierung. Sollen wir, können wir einer Regierungskoalition unter Führung einer gestärkten CDU/CSU zutrauen, diese wichtige Arbeit zu leisten?
  5. Blauer Himmel – wo bleibst du? Was tut man, um diese neue alte Erfahrung zu erhalten? Kerosinsteuer?
    Die Union will noch nicht einmal die Mitsprache des Staates bei der Lufthansa verlangen und einführen, wenn die Lufthansa Hunderte von Millionen, ja Milliarden von Hilfen bekommt. Nicht einmal das. An eine grundlegende Veränderung denkt man wohl überhaupt nicht. Die Anzahl der Flugzeuge wird reduziert, o. k., aber ansonsten gehts weiter wie bisher, einschließlich der Förderung unserer Urlaubsgewohnheit, auf weit entfernte Kontinente zu fliegen.
    Ist es zu emotional, wenn man für den blauen Himmel ohne Wolken aus Kondensstreifen eintritt? Ist das im wahren Sinne des Wortes blauäugig? Ja, es wird bei dieser politischen Machtkonzentration auf die Union blauäugig bleiben.
  6. Weniger Geschäftsreisen? Home-Office möglich machen? Das könnte man ja mal versuchen. Aber die ersten Bedenken gegen ein Recht auf Home-Office gibt es schon.
  7. Weniger Stress auf den Straßen? Mehr Sorge um das Klima? Die Sorge um die Autoindustrie verbunden mit der vorgeschobenen Sorge um die Arbeitsplätze bei der Autoindustrie wird mit einer CDU/CSU, deren Potenz durch die Krise gestärkt worden ist, dominant sein.
  8. Endlich die Einsicht, dass aktive Konjunktur- und Beschäftigungspolitik notwendig ist und sinnvoll ist? Mit der Krise wurde das dumme Gerede über die Schwarze Null vorübergehend an den Nagel gehängt. Politikerinnen und Politiker, die seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts behaupten, Keynes sei „out“, haben plötzlich eingesehen, dass das eine falsche, von den Neoliberalen forcierte Behauptung ist. Plötzlich war, wie schon einmal erlebt bei der Finanzkrise, aktive Konjunkturpolitik gefragt. Weil diese Einsicht auch nach der Finanzkrise wieder vergessen wurde und weil die Hauptmatadore der falschen Politik jetzt wieder gestärkt werden, namentlich Schäuble und Merkel, glaube ich nicht an eine nachhaltige Einsicht.
  9. Stopp des Ausverkaufs von Unternehmen an die gefräßigen Heuschrecken? Auch das ist nicht zu erwarten, unter anderem deshalb, weil die Union insgesamt offensichtlich so sehr unter dem Einfluss jener steht, die diesen Ausverkauf schon bisher forciert haben. Eine Partei, die möglicherweise einen Politiker zum Vorsitzenden wählt, der sein Brot bei der größten Heuschrecke – BlackRock – verdient hat und erst mit der Kandidatur seinen Job aufgegeben hat, Friedrich Merz, wird die notwendige Einsicht nicht haben. Und die Gelegenheiten werden riesig groß werden. Durch die Krise werden Unternehmen in Schwierigkeiten geraten, die wunderbare Schnäppchen für die großen Kapitalsammelstellen sind. CDU und CSU werden gegen diesen Ausverkauf nicht intervenieren. Wichtige Vertreter der Union werden nach wie vor besonders gut am Ausverkauf verdienen.
  10. Internationale Zusammenarbeit? Abbau der Konfrontation mit Russland und China? Nicht einmal diese schlüssige Konsequenz wird gezogen. Im Gegenteil. Die Polemik gegen Russland und Putin läuft weiter. Siehe hier zum Beispiel ein Artikel auf der Basis einer dpa-Meldung: EU wirft Russland und China Fake-News-Kampagnen vor.

Das mag alles etwas pessimistisch klingen. Ist es auch. Und dass die Erwartungen, aus der Krise wirklich Sinnvolles zu lernen, so gering sind, hat eben damit etwas zu tun, dass die Union aus CDU und CSU eine clevere Strategie verfolgt und die Gegenseite auf der Linken keine ähnliche Strategie hat und es zusätzlich versäumt, die Strategie der Union zu stören. Im Gegenteil. Die SPD macht prinzipiell mit. Das ist ja bekannt. Die Grünen letztlich auch, sie setzen ja mehrheitlich auf Schwarz-Grün. Und die Linken? Mehr Unterstützung für die Bundeskanzlerin Merkel als das Gegenteil.

Das gilt auch für einen Teil des linken Milieus. Beispielhaft war und ist der Disput um den auf den NachDenkSeiten veröffentlichten Artikel von Arno Luik und die Replik von Winfried Wolf auf „Kontext“ „Die Argumente der Coronaleugner – Ausgabe 473 – KONTEXT ….

Übrigens: Winfried Wolf bat darum, auf eine von ihm herausgebrachte Zeitung hinzuweisen, die man heute noch bestellen kann, um sie am 1. Mai zu verteilen. Die Information darüber und die Einladung zur Bestellung ist unten angefügt. Ich informiere Sie über diese Möglichkeit, obwohl sein Text am Anfang dieser Zeitung wie auch schon in „Kontext“ aus meiner Sicht wegen des dramatisierenden Elements im Kern auf Angela Merkel und ihre Mehrheitsbeschaffung auszahlt. Das gilt nicht für eine Reihe anderer interessanter Beiträge:


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