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Titel: Propaganda-Motiv „Leere Regale“: Deutschland – der gescheiterte Hungerstaat

Datum: 15. April 2020 um 10:33 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Bilder leerer Regale in Supermärkten waren ein zentrales Motiv der Medienkampagnen gegen Venezuela und andere Länder. Diese Bilder gibt es nun auch aus Deutschland. Sie werden natürlich ganz anders kommentiert als jene aus Venezuela, die von großen westlichen Medien für Aufrufe zum Putsch genutzt wurden. Diese Erfahrung kann gegen zukünftige Bilder-Kampagnen wappnen. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Sie illustrierten in den letzten Jahren zahlreiche verzerrende Medienberichte: Bilder von leeren Regalen in den Supermärkten in Venezuela. Eine Auswahl kann man etwa in der Google-Bilder-Suche finden. Für die Inszenierung vom „Hungerstaat Venezuela“, der trotz seines Ölreichtums sein Volk nicht versorgen könne, waren diese Bilder essenziell. Oft wurde dazu händeringend die nur scheinbar unschuldige Frage gestellt, wie „es denn sein könne“, dass das gesegnete Land in Armut verfällt. Die Antwort: Eine „autokratische“ Regierung bereichert sich und lässt dabei „das eigene Volk verhungern“. Der Hinweis auf radikale und illegale Wirtschaftssanktionen unterbleibt oft: Westliche Medien prangern dann das von westlicher Seite forcierte Elend an, ohne die Ursachen zu nennen. Bei den Ursachen handelt es sich vor allem um jene Sanktionen, die viele Journalisten selber medial abgesichert haben. Weitere Medienbeispiele für diese Verkürzungen folgen weiter unten.

Ein Putsch gegen den „Hunger“

Selbstverständlich können nicht alle Missstände in Venezuela dem umfangreichen Sanktionsregime angelastet werden, das das westliche Ausland gegen die sozialistische Regierung des Landes richtet. Verhältnisse in Deutschland und in Venezuela können auch nicht auf eine Stufe gestellt werden. Defizite sollten nicht untereinander relativiert werden, „Corona-Engpässe“ müssen möglicherweise getrennt betrachtet werden. Aber: Zum einen werden die Missstände in dem lateinamerikanischen Land in vielen großen westlichen Medien aus politischen Gründen massiv übertrieben, um einen Grund zu Intervention (bis hin zum Umsturz) zu schaffen. Wie sich die Lage zwischen Venezuela und den USA ganz aktuell zuspitzt, das haben die NachDenkSeiten kürzlich in diesem Artikel beschrieben. Zum anderen sind die realen Versorgungsengpässe zumindest zu einem großen Teil tatsächlich Folge entweder der westlichen Sanktionen oder der Sabotage durch inländische, privatwirtschaftliche Gegner der Regierung.

Die großen geopolitischen Medienkampagnen (etwa gegen Venezuela) orientieren sich nicht an der Realität, sondern am zu erreichenden Ziel. Wegen dieser durch die Macht der Bilder und die verkürzende Berichterstattung möglich gemachten Entkopplung vom realen Geschehen hätte man eine ganz ähnliche polemische Kampagne wie jene gegen die Regierung Venezuelas nun auch gegen die deutsche Bundesregierung entfalten können – oder auch gegen die Regierung der USA, wo es nun ähnliche Bilder des Mangels gibt. Man hätte händeringend fragen können: „Wie kann es sein, dass dem reichsten Land Europas das Mehl und das Klopapier ausgehen?“. Darauf hätte man Korruptionsvorwürfe und Rücktrittsforderungen bis hin zu Aufrufen zum Putsch aufbauen können, wie sie unter vielen anderen großen Medien im „Stern“ zu finden sind, der (auch wenn das Magazin später im Artikel relativiert) anlässlich der Versorgungslage in Venezuela titelte:

„Ist ein Militäreinsatz die letzte Hoffnung?“

Schließlich gab es nun wochenlang die Möglichkeit, in Deutschlands Supermärkten leere Regale zu dokumentieren. So zeigt unser oben stehendes Titelbild eine Szene aus Berlin am 14. März. Und noch am 14. April bot sich in München das hier folgende Bild – eine interessierte Seite hätte also vier Wochen Zeit gehabt, die Fotos aus dem Zusammenhang zu reißen, sie auszuschlachten und Deutschland damit im Ausland als Mangelstaat und die Bundesregierung als Versager darzustellen, die ersetzt werden müsse, um „das Volk“ vor dem Hungertod zu retten:

Quelle: Martin Helgemeir / Shutterstock

Noch ein Wort zu den diffamierten „Hamsterkäufen“: Ich finde, man darf nicht den Menschen zuerst Angst einjagen und sich dann über ihre Vorratskäufe lustig machen. Zumal diese Arroganz immer mit mutmaßlicher Heuchelei verbunden ist – welcher Journalist hat in den letzten Wochen wohl selber darauf verzichtet, Mehl und Nudeln vorzuhalten? Wen die deutsche mediale Überheblichkeit gegenüber der Selbstversorgung mit Toilettenpapier (und die unseriöse mediale Zuspitzung auf dieses Produkt) nun bereits abgestoßen hat, der stelle sich vor, so eine Kampagne würde seit 2013 gegen Deutschland und seine Regierung laufen. Seit diesem Zeitpunkt nämlich wird nochmals verstärkt mit großer Häme von großen westlichen Medien der auch vom Westen hergestellte Mangel in Venezuela ausgeschlachtet. Und wegen des großen Diffamierungspotenzials geht es dabei wohl nicht zufällig oft um ein ganz bestimmtes Produkt. So forderte bereits 2013 die „FAZ“:

„Klopapier für die Revolution“

Der Deutschlandfunk stellte 2017 fest:

„Reiches Land ohne Mehl, Medizin und Toilettenpapier“

Und das Portal web.de titelte noch 2019:

„Venezuela: Klopapier und der Ruin des Karibik-Sozialismus“

Als aktuelles Beispiel einer verzerrenden und verkürzten Berichterstattung zum „Krisenstaat Venezuela“ erwähnten die NachDenkSeiten kürzlich etwa diesen Beitrag der „Tagesschau“: Der Artikel zählte einmal mehr die Folgen der Sanktionen auf, ohne die Sanktionen selbst mit einem Wort zu erwähnen – oder die in der Corona-Krise vom IWF verweigerte Hilfe. So wurden die westlich initiierten Sanktions-Verwerfungen indirekt der Regierung Venezuelas angelastet. Weitere Beispiele aus deutschen Medien für eine fragwürdige Berichterstattung über Venezuela finden sich etwa hier, hier, hier oder hier.

Rüstzeug gegen Bilder-Kampagnen

Die Version vom selbstverschuldeten Status eines gescheiterten Hungerstaates erzählen auch internationale westliche Medien, etwa der britische „Independent“ in diesem Artikel oder das US-Medium Bloomberg in diesem Beitrag.

Dass Bilder von leeren Regalen allein aber noch keine Hunger-Epidemie beweisen, das haben auf der anderen Seite der Journalist Max Blumenthal in dieser RT-Reportage oder Abby Martin in dieser Telesur-Reportage über die Versorgung von Supermärkten in Venezuela demonstriert. Diese Erfahrung machen nun auch viele Deutsche: Ein leeres Regal (allein) bedeutet noch keine Staatskrise. Diese Erfahrung kann zukünftigen Bilder-Kampagnen westlicher Medien gegen widerspenstige Regierungen einiges an Wirkung nehmen.


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Titelbild: Tim K. von End / Shutterstock


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