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Titel: American Hero – Eine Rezension
Datum: 13. April 2020 um 10:00 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Rezensionen, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Redaktion
Politik ist den meisten Menschen viel zu dröge, als dass sie sich damit überhaupt noch beschäftigen möchten. Doch was, wenn Politik zu einer Geschichte wird, die fesselnd erzählt wird und die Leser in ihren Bann zieht? Eine Geschichte, in der Realität und Fiktion, durchwoben mit real existierenden Personen der Zeitgeschichte, zu einer Einheit verschwimmen. Die zwar nicht real, aber realistischer als die öffentlich vermittelte Realität daherkommt. Larry Beinhart ist dies mit seinem Roman „American Hero“ meisterhaft gelungen, den der Westend Verlag nun in einer Neuauflage herausbringt. Eine Rezension von Lutz Hausstein.
Zugegeben. Ich war enorm neugierig auf diesen Roman. Gehört doch der Film „Wag the Dog – Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt“, der sehr frei nach dem Buch von Larry Beinhart im Jahr 1997 gedreht wurde, zu den Filmen, die bei mir einen besonders bleibenden Eindruck hinterlassen haben. So viel vorweg: Auch wenn Buch und Film außer der Grundidee eines inszenierten Krieges nichts weiter gemein haben, sind sie beide für sich äußerst sehens- bzw. lesenswert.
Der Leser des Buches wird von Beginn an in eine Geschichte geworfen, der er erst einmal nur schwer folgen kann. Mehrere voneinander völlig unabhängige Plots mit fiktiven, mit kaum bekannten (aber realen) und mit „echten“, bekannten Personen in ihrem jeweiligen Umfeld wechseln sich bis zu Mitte des Romans immer wieder ab. Gelegentlich wird in der Ich-Person geschrieben, die anfangs nicht sofort erkennen lässt, wer dieser „Ich“ nun ist. Hinzu kommt, dass die Erzählung notwendigerweise stark entlang US-amerikanischen Interna geschrieben ist, die es einem Leser, der diese Verhältnisse nicht kennt, schwer machen, dem ohne unterbrechende Recherche zu folgen. Die große Anzahl von teilweise erheblich umfangreichen Fußnoten am Ende des Buches stören das Eintauchen des Lesers in die Atmosphäre daher auch nicht unmaßgeblich. Was für ein wissenschaftliches Werk Standard und notwendig ist, mutet für einen Roman eher störend an. Selbst wenn das für das inhaltliche Verständnis zuträglich ist.
Dennoch. Larry Beinhart eröffnet seinen Roman mit einem Paukenschlag, der den Leser fesselt und ihn animiert, weiterzulesen. Der (reale) US-Präsident George H. W. Bush erhält über seinen (realen) Außenminister James Baker ein geheimes Memo seines (kaum bekannten, aber realen) versterbenden Politikberaters Lee Atwater. Und der Inhalt dieses Memos ist ein Schlachtplan, wie der um seine Wiederwahl kämpfende Bush diese Wahl retten kann. Über den Plan selbst erfährt der Leser lange jedoch nichts. Nur so viel, was Atwater zu Anfang des Romans auf dem Sterbebett (angeblich) zu Baker sagt:
„Weil Du“ – Atwater holte tief Luft – „es für verrückt halten wirst. Und es wird dich erschrecken. Gleichzeitig ist die Sache aber so vernünftig und logisch, dass du gar nicht widerstehen kannst und es viel zu früh ausprobieren wirst …“
Um diesen Plan dreht sich, wenn auch größtenteils nur indirekt, der gesamte Inhalt des Romans. Da stolpert die – wie sich erst später herausstellt – Hauptfigur, der fiktive Mitarbeiter Joe Broz einer fiktiven Groß-Detektei, gemeinsam mit der überaus attraktiven fiktiven Schauspielerin Magdalena Lazlo, die ihn für einen Fall anheuert, mitten in den Dunstkreis der Geschichte rund um das geheimnisvolle Memo hinein. Sie wiederum ist der Angelpunkt, um den herum sich die Story auch in die Filmwelt von Hollywood hineinzieht. Bekannte und unbekannte Größen wechseln sich munter ab. Dabei verliert der Leser vollkommen das Gefühl, was real und was erfunden ist. Nicht ganz ungewollt.
Die drei verschiedenen Storylines – die involvierten Politiker, der Detektiv samt seiner Mandantin und die Filmindustrie – laufen bis Mitte des Buches fast vollständig getrennt nebeneinander her. So bemerkt der Protagonist, dass seine Agentur mit seiner Mandantin ein doppeltes Spiel treibt, ohne zu verstehen, warum. Und beide, Detektiv wie Schauspielerin, spielen dieses Spiel auf ihre ganz eigene Art mit. Immerhin ist Joe Broz einer der besten Mitarbeiter seiner Detektei, er weiß, wie man dieses Spiel spielt. Und Präsident Bush … er tut das, was ein Präsident so tut. Er schüttelt viele fremde Hände und spricht viel mit seinen Beratern, in diesem speziellen Fall mit Baker. Vor allem über das Memo, welches eine solche Brisanz hat, dass es eigentlich vernichtet werden sollte. Wurde es aber nicht. Und aufgrund der Explosivität des Inhaltes beginnt das Memo eine Gefährlichkeit zu entwickeln, die den Roman maßgeblich vorantreibt. Denn wenn das Memo in die falschen Hände fällt …
Ein Filmregisseur müht sich quälend, für den Film, den er zur Rettung der Präsidentschaft George Bushs drehen soll, ein wirkungsvolles Drehbuch samt der dafür noch viel entscheidenderen, wirkmächtigen symbolhaften Bilder zu entwickeln. Und er wühlt sich dabei durch eine Unzahl heroischer Kriegsepen, die in Hollywood oder anderswo jemals gedreht wurden, um dabei Inspiration zu finden. Leni Riefenstahls Triumph des Willens, Michael Curtiz‘ Casablanca, Nicholas Rays Stählerne Schwingen mit John Wayne, Anthony Manns Kennwort „Schweres Wasser“ mit Kirk Douglas, John Sturges‘ Gesprengte Ketten mit Steve McQueen, Francis Ford Coppolas Apocalypse Now, Michael Ciminos Die durch die Hölle gehen, Oliver Stones Geboren am 4. Juli und Platoon, Stanley Kubricks Full Metal Jacket, Brian De Palmas Die Verdammten des Krieges und was sonst noch alles jemals das Licht der (Film-)Welt erblickte. Einzig und allein, um dadurch die Inspiration für den perfekten Film zu erhalten.
Denn inzwischen ist dem Leser deutlich geworden, dass der Rettungsversuch für Bushs Präsidentschaft ein perfekt inszenierter Film sein soll. Ein Film über einen Krieg. Ein Film als Medienereignis, als Medieninszenierung. Und in diesem Punkt besteht die einzige Verbindung zu dem eingangs erwähnten Film Wag the Dog, der einen nie stattgefundenen Krieg gegen Albanien medial inszeniert, um damit den um seine Wiederwahl kämpfenden (Film-)US-Präsidenten, der wegen massiver Vorwürfe der sexuellen Belästigung einer Minderjährigen in der medialen Schusslinie steht, die nötigen Wählerstimmen zu sichern. Ansonsten sind Charaktere und Storys von Buch und Film völlig verschieden. Das Buch beschränkt sich darauf, die Planung eines solchen Krieges samt der diversen Verwicklungen zu skizzieren. Die Matrize dafür soll laut Atwaters Memo der Falklandkrieg der „Eisernen Lady“, Margaret Thatcher, sein:
„KRIEG war seit jeher eine mögliche politische Option, in allen Gesellschaften, zu allen Zeiten. Wir, die wir im Süden aufgewachsen sind, wissen um die Verehrung unserer Kämpfer und Kriegshelden.
[…]
Nach Vietnam und im Schatten der atomaren Bedrohung galt Krieg nicht länger als politische Option. Er wurde als politischer Selbstmord betrachtet, und die Option eines Krieges wäre es wohl auch gewesen.
Dann zeigte uns Maggie Thatcher den Weg.
Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass Thatchers politische Karriere vorbei zu sein schien. Dass sie in den Umfragen auf dem Tiefpunkt angelangt war.
[…]
Dann führte sie den Falklandkrieg. Sie rüttelte ihr Land auf. Sie gewann. Für sie war der Krieg keine Bürde – er war ihre politische Rettung. Sie wurde zur Nationalheldin. Sie gewann die Wiederwahl.
[…]
Noch haben wir nichts vorzuweisen, was dem Erfolg der Eisernen Lady mit ihrem „prächtigen kleinen Krieg“ nahekäme. Libyen, Libanon, Grenada und Panama haben zwar keinen Schaden angerichtet, aber auch wenig Gutes gebracht.
Warum?
Weil wir uns der Tatsache, dass der moderne Krieg ein Medienereignis ist, noch nicht wirklich bewusst sind.
[…]
Das Militär hat nur die Hälfte der Idee verstanden. Dabei springt einem das gesamte Konzept geradezu ins Auge: Es ist nicht nötig, den Krieg auf dem Schlachtfeld UND in den Medien zu gewinnen, man braucht ihn nur in den Medien zu gewinnen. Es ist möglich, auf dem Schlachtfeld zu unterliegen, aber im Fernsehen die Oberhand zu behalten und zu gewinnen. Krieg ist nicht zum Teil ein Medienereignis. Er ist ein reines Medienereignis.
[…]
Krieg ist John Rambo, Randolph Scott und Victory at Sea. Krieg ist Rambo, Krieg der Sterne, Apocalypse Now, Leichensäcke auf CBS. Krieg ist Combat, The Rat Patrol, Patton. Das Antlitz des Krieges ist nicht die Wirklichkeit. Es ist Fernsehen und Kino. Selbst für jene, die im Krieg waren. Welche Erinnerungen auch immer sie hatten, diese sind ersetzt worden durch das, was sie im Nachhinein im Fernsehen gesehen haben.
[…]
Wenn alles verloren zu sein scheint und es keine anderen Optionen mehr gibt: Zieh in den Krieg. Das ist die klassische Antwort auf unlösbare Probleme im Inland.“
Vor diesem Hintergrund, dass nun also ein Krieg medial inszeniert werden soll, nur um die Wiederwahl des Präsidenten zu sichern, ist auch klar, dass alles, aber auch wirklich alles getan wird, um zu verhindern, dass dies publik wird. Ab diesem Punkt gewinnt der bis dahin recht gemächliche Roman schlagartig an Fahrt. Die verschiedenen Storylines fließen ineinander und das Buch endet, so viel sei verraten, dramatisch.
„American Hero“ ist ein Roman – richtig. Aber niemand vermag zu sagen, was an ihm Dichtung und was Wahrheit ist. Denn dass gezielt außenpolitische Aktivitäten initiiert werden, um innenpolitisch Boden gutzumachen, ist eine Binsenweisheit. So wie zum Beispiel die von mehreren Indizien gestützte Annahme, dass Ronald Reagan 1979-1981 auf eine Verzögerung der Freilassung der amerikanischen Geiseln in der iranischen US-Botschaft hinwirkte, um dadurch einen Vorteil im Wahlkampf 1980 gegen den Amtsinhaber Jimmy Carter zu erringen. Was ihm letzten Endes auch gelang. Er wurde neuer US-Präsident. 20 Minuten nach Regans Amtseinführung verkündete die iranische Regierung die Freilassung der Geiseln. Und so lässt auch der Zweite Golfkrieg die Möglichkeit offen, dass Präsident Bush diesen begonnen haben könnte, um somit seine Chancen der Wiederwahl 1992 zu steigern. Erfolg ist ihm damit allerdings nicht beschieden gewesen. Neuer US-Präsident wurde bekanntlich Bill Clinton. Ist also Larry Beinharts Roman Realität oder Fiktion, fiktionale Realität oder reale Fiktion? Jeder entscheide für sich selbst. Lesenswert ist er allemal.
Titelbild: © Westend Verlag
Larry Beinhart, American Hero, Westend Verlag, 320 Seiten, Klappenbroschur 17,95 Euro, E-Book 12,49 Euro
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