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Titel: Wie der Krieg des Imperiums Hikmatullah „den Glücklichen“ reich machte
Datum: 12. April 2020 um 10:00 Uhr
Rubrik: Länderberichte, Militäreinsätze/Kriege, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Redaktion
In Afghanistan ist weiterhin vieles nicht gut. Doch gerade in diesen Tagen lohnt sich ein Blick in ältere Berichte und Recherchen. Diese offenbaren nämlich nur allzu deutlich, was am Hindukusch alles schiefgelaufen ist. Ein gutes Beispiel hierfür ist etwa die amerikanische Kriegsindustrie, die dazu geführt hat, dass viele Hampelmänner plötzlich zu Millionären wurden, während die absolute Mehrheit der Afghanen am Hungertuch nagte. Von Emran Feroz.
Vor rund einem Monat unterzeichnete die US-Regierung mit den afghanischen Taliban einen Abzugsdeal im Golfemirat Katar. Seitdem steht ein vollständiger Abzug der US-Truppen tatsächlich im Raum. Wie die Situation nach einer möglichen Wiederwahl Trumps oder mit einem Präsident Joe Biden aussehen wird, ist unklar. Doch gegenwärtig wird am Hindukusch abgebaut. Troops are coming home. Nach der Unterzeichnung des Abkommens verkündete das US-Militär in Afghanistan, innerhalb von 135 Tagen das Truppenkontingent auf insgesamt 8.600 Soldaten verringern zu wollen.
Dies ist vor allem beachtenswert, wenn man in Betracht zieht, was einst im Land los war. Als die USA und ihre Verbündeten Ende 2001 in Afghanistan einmarschierten, errichteten sie eine gigantische Kriegsindustrie, die alle möglichen Sektoren einschloss. Milliarden von Dollar wurden in verschiedensten Formen ins Land gepumpt. Man verteilte das Geld an korrupte Warlords, Politiker und Drogenbarone oder an NGOs, vermeintliche Menschen- und Frauenrechtler oder anderweitige Akteure, die angereist waren, um vom Krieg – oder wie es damals hieß: von der „Demokratie“ – zu profitieren. Währenddessen wurde der plötzliche Geldfluss von vielen kriegsmüden Afghanen fälschlicherweise als gesunder Wirtschaftsaufschwung betrachtet. In gewissen Kreisen galt schnell Folgendes: Wer in diesen Tagen kein Geld macht, ist dumm – vor allem wenn er der englischen Sprache mächtig ist. Schnell entwickelte sich eine Raubtiermentalität, und das meiste Geld lag natürlich beim US-Militär.
In vielen Regionen entwickelten sich regelrecht kleine Städte, die sich um die Militärbasen entwickelten und die von den Amerikanern betrieben wurden. Es gab Krankenhäuser, Freizeitzentren und Fastfoodrestaurants. Hinzu kamen Duschen mit Warmwasser, Klimaanlagen und Internetcafés. Der Energieverbrauch war enorm, und dementsprechend war man auf zahlreiche Güter und Rohstoffe angewiesen.
Doch gleichzeitig herrschte weiterhin Krieg. Die USA hatten den Feind, sprich, die Taliban, nur aus den Städten vertrieben oder in Foltergefängnisse in Bagram oder Guantanamo verfrachtet. In den ländlichen Regionen – oft Schauplätze westlicher Kriegsverbrechen – gedieh Extremismus und Militanz. Der Aufstand wuchs und US-Soldaten wurden zum Ziel. Um den Schaden in den eigenen Reihen zu minimieren, begann das Pentagon mit dem Auslagern von zahlreichen Tätigkeiten. Im Fokus standen vor allem logistische Aufträge, etwa Waffen- und Rohstofftransporte. Genau an dieser Stelle kamen Männer wie Hikmatullah „der Glückliche“ ins Spiel. Derartige Aufträge wurden nämlich nicht von Amerikanern ausgeführt, sondern von lokalen Afghanen, die im Laufe der Zeit gute Beziehungen zu den Soldaten entwickelt hatten. Oft kam das mittels einer Tätigkeit auf einer US-Basis zustande. In vielen Fällen wurde aus einem anfangs für afghanische Verhältnisse gut bezahlten Brotjob eine privilegierte Dolmetschertätigkeit. Junge Afghanen wie Hikmatullah gingen plötzlich mit US-Spezialeinheiten auf „Terroristenjagd“ – dank ihrer Englischkenntnisse. Hik, wie Hikmatullah von seinen amerikanischen Kollegen genannt wurde, war einer von ihnen. Arm, vaterlos und gerade mal volljährig. Als ältester Sohn war er gezwungen, seine gesamte Familie zu ernähren. In Afghanistan gab es nichts – nur die Kriegsindustrie, und in der gab es vielleicht nicht für jeden, aber zumindest für viele etwas.
Doch Hikmatullah wollte mehr. Er wusste, dass das große Geld woanders lag. Dies war auch der Grund für die Gründung seiner Transportfirma. Mit seinen Lastern wollte er Aufträge für das US-Militär durchführen. In Afghanistan und Pakistan ist die Transportmafia ein eigener, massiver Wirtschaftszweig. Federführend sind vor allem mächtige Männer. Warlords und Drogenbarone. Die meisten Aufträge wurden ihnen zugeschanzt. Hik passte nicht in diese Kategorie. Er galt als ambitionierter junger Mann, der gute Beziehungen zu den Special Forces pflegte. Dank ihnen bekam er seine Aufträge und wurde so innerhalb kürzester Zeit zum Millionär. In seiner Heimatstadt Kandahar wurde Hikmatullah irgendwann nur „Shadmand“, „der Glückliche, bezeichnet. Er lebte in Saus und Braus, doch er war auch großzügig und verteilte Geld an die Armen.
2014 lebte und arbeitete Hikmatullah in einem Kabuler Haus, das einst dem berühmten afghanischen Popsänger Ahmad Zahir gehörte, wie in dieser empfehlenswerten Reportage im New Yorker beschrieben wird. Doch bereits zum damaligen Zeitpunkt hatte der junge Unternehmer ein Problem. Ein Großteil seines Vermögens in Dubai und Kabul – mehr als 150 Millionen Dollar – wurde auf Druck der US-Regierung eingefroren. Der Grund: Über Hikmatullahs Transportfirma ging amerikanisches Geld an die Taliban.
Wie ist das möglich? Ganz einfach: Zahlreiche Transportrouten werden bis heute von den Taliban (und anderweitigen Gangs und Gruppierungen) kontrolliert. Wer passieren will, muss schmieren. Natürlich hat dies wohl auch der mittlerweile eher unglückliche Hik getan, auch wenn er die Anschuldigungen vehement zurückweist und von mächtigen Konkurrenten spricht, die ihn als Gefahr für ihr Geschäft betrachteten und ihn deshalb anschwärzten. Seit einigen Jahren kämpft Hikmatullah, der weiterhin zwischen Kabul und Dubai verweilt, mit seinen US-Anwälten um die Rückzahlung seiner Millionen. Unterstützt wird er dabei auch von einigen Freunden, die er seit seinen Zeiten bei den Special Forces kennt. Sie sind davon überzeugt, dass der Afghane nichts falsch gemacht hat.
Womöglich haben sie damit sogar in gewisser Weise recht. Hikmatullah Shadmand ist nämlich in erster Linie als Produkt eines Systems zu betrachten, was von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Die Amerikaner überfielen ohne jegliche rechtliche Basis Afghanistan – und sie hatten keinen Plan für das Land. Fast zwei Jahrzehnte Krieg und der jüngste Deal mit den Taliban machen dies mehr als nur deutlich. Bereits früh bemerkte man, dass man nicht alles machen könne. Deshalb wurde in vielen Bereichen die „Drecksarbeit“ verlagert und von Afghanen ausgeführt. Hikmatullah war einer von ihnen. Er war einer von vielen, sprich, kein Einzelfall. Sobald derartige Profite und Summen im Raum stehen, ist korruptes Handeln der nächste Schritt. Dass Hikmatullah Taliban, Gangster und anderweitige Akteure höchstwahrscheinlich geschmiert hat, um gewisse Routen problemlos passieren zu können, sollte niemanden überraschen – vor allem nicht die Amerikaner.
Es waren in erster Linie nämlich nicht Afghanen, die vom Krieg profitieren, sondern heimische US-Waffenfirmen, die eng mit dem militärisch-industriellen Komplex verbunden sind. Doch auch in der Heimat gab es den ein oder anderen verrückten Fall, der bekannt wurde. Eine Empfehlung für all jene, die in diesen Tagen gelangweilt Zuhause verweilen, ist der Film „War Dogs“, der von zwei jungen Amerikanern handelt, die ins Waffengeschäft einsteigen, sich auf zweit- oder drittrangige Pentagon-Aufträge fokussieren (auch hier spielt Outsourcing eine wichtige Rolle) und dadurch zu Millionären werden. Die beiden Männer fliegen allerdings auf, nachdem sie dem Pentagon chinesische AK-47-Munition, ebenfalls für den Afghanistan-Krieg, unterjubeln wollten. Der Film beruht auf einer wahren Begebenheit, nämlich auf folgender Recherche des US-Magazins Rolling Stone. Eine wichtige Rolle spielte auch der Schweizer Waffenmogul Heinrich Thomet, auf dem einer der Protagonisten beruht. Im Großen und Ganzen: Eine verrückte Story, die dank der Kriegspolitik des Imperiums leider zum Alltag geworden ist.
Titelbild: Teguh Jati Prasetyo/shutterstock.com
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