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Titel: Ukraine erfüllt eine Forderung des IWF und gibt ihr Ackerland zum Ausverkauf frei

Datum: 3. April 2020 um 16:30 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Länderberichte, Schulden - Sparen
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Während in westlichen Ländern Bürger über den Entzug von demokratischen Rechten im Zuge der Corona-Krise klagen, geht es in der Ukraine um nicht weniger als den Verlust der letzten noch verbliebenen Errungenschaft, dem landwirtschaftlichen Boden, der sieben Millionen Kleinbauern und dem Staat gehört. Präsident Wolodymir Selenski nutzte die Bestimmungen der Corona-Quarantäne, unter denen Demonstrationen verboten sind, um ein Bodengesetz in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament, durchzupeitschen, das den Interessen der großen ukrainischen Agrar-Holdings entspricht und nach einem Referendum auch den Verkauf von landwirtschaftlicher Fläche an ausländische Banken ermöglicht. Von Ulrich Heyden, Moskau.

259 von 450 Rada-Abgeordneten stimmten auf einer außerordentlichen Sitzung des Parlaments in der Nacht auf Dienstag für das neue Bodengesetz. Selenski hatte auf die Verabschiedung des Gesetzes gedrungen. Er folgt damit einer Forderung des IWF, der die Zahlung der nächsten Kredite in Höhe von acht Milliarden Euro von der Verabschiedung eines neuen Bodengesetzes abhängig machte. In der Nacht auf Dienstag wurde die Abstimmung in einer außerordentlichen Sitzung vollzogen, nachdem man ein Jahr lang über das Gesetz debattiert hatte. Die Bevölkerung wurde in die Debatte nicht mit einbezogen. Proteste von verschiedenen gesellschaftlichen Organisationen und auch von Nationalisten wurden überhört. Selenski hatte die Verabschiedung des Bodengesetzes damit begründet, dass der Ukraine der Staatsbankrott drohe, wenn der Kredit des IWF nicht kommt.

Kleinbauern werden übergangen

Nach dem nun verabschiedeten Bodengesetz wird das 2001 eingeführte Moratorium über den Verkauf von landwirtschaftlichem Boden im Juni 2021 aufgehoben. Bis zum Jahr 2024 dürfen nicht mehr als hundert Hektar an eine Person mit ukrainischer Staatsbürgerschaft verkauft werden. Ab 2024 können dann an eine Person oder Firma 10.000 Hektar verkauft werden.

Der größte Skandal an dem neuen Gesetz ist die schleichende Enteignung von sieben Millionen Kleinbauern. Dabei handelt es sich um ehemalige Arbeiter von Kolchosen, denen bei der Privatisierung der Kolchosen vier Hektar Land zugeteilt wurden.

Die Ukraine hat eine Fläche von mehr als 60 Millionen Hektar. 28 Million Hektar gehören den ehemaligen Kolchos-Arbeitern oder ihren Kindern. [1] Zehn Millionen Hektar gehören dem Staat. Bei diesen Zahlen sind die Krim und der Donbass mitgerechnet.

75 Prozent der ehemaligen Kolchos-Arbeiter haben ihre Flächen an große Agro-Holdings verpachtet. Nach dem neuen Bodengesetz haben die Pächter – meist große Agrarholdings, Beamte und auch Mafia-Strukturen – ein Vorrecht auf den Kauf des gepachteten Bodens. Wenn der Pächter den Boden nicht kaufen will, kann er sein Recht auf den Kauf einem anderen Interessenten übergeben. Der eigentliche Besitzer des Bodens hat dagegen kein Einspruchsrecht.

Die Agro-Holdings zahlen den Kleinbauern zurzeit jämmerlich geringe Pachtgebühren von nur 47 Dollar pro Hektar. In Polen beträgt die Pachtgebühr für einen Hektar 235 Euro.

Bei einer 2017 vom Institut für Agrarwirtschaft durchgeführten Befragung waren nur zehn Prozent der Kleinbauern bereit, ihre Flächen zu verkaufen. Der Grund ist einfach. Der Boden sichert das Überleben seiner Besitzer gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.

Wegen der faktischen Macht der Pächter sei absehbar, dass es beim Verkauf der Böden keine Auktionen geben werde, meint das ukrainische Internetportal Strana.ua. Und mit der Bezahlung des gekauften Bodens würden sich die neuen Land-Barone Zeit lassen.

Vom Diener zum Verräter des Volkes

Wieviele Abgeordnete der Partei „Diener des Volkes“ für das Bodengesetz stimmen würden, war nicht klar. Denn Selenski hat in den letzten Monaten in seiner Partei an Unterstützung verloren.

226 Stimmen waren für die Verabschiedung des Gesetzes nötig. Doch nur 206 Abgeordnete von „Diener des Volkes“ stimmten für das Gesetz. Zwei stimmten dagegen. 35 „Diener des Volkes“ blieben der Abstimmung fern.

Doch der geschwächten Selenski-Partei kamen Abgeordnete prowestlicher Fraktionen und Abgeordnetengruppen zu Hilfe, 23 Abgeordnete der Partei „Europäische Solidarität“ von Ex-Präsident Petro Poroschenko, 13 Abgeordnete der Partei „Golos“ des Rocksängers Swjatoslaw Wakartschuk, zwölf Parlamentarier von der Abgeordnetengruppe „Vertrauen“ und fünf fraktionslose Abgeordnete.

Gegen das Gesetz stimmten die „Oppositionsplattform – für das Leben“ und die Partei „Vaterland“ von Julia Timoschenko. Beide Parteien wollen das neue Bodengesetz vor dem Verfassungsgericht anfechten. Die Oppositionsplattform erklärte, die Geschäftsordnung des Parlaments sei verletzt worden. An der Debatte des Gesetzes hätten sich mindestens 226 Abgeordnete von insgesamt 450 beteiligen müssen. Es seien aber nur 126 Abgeordnete im Plenarsaal gewesen. Außerdem sei nicht zulässig gewesen, dass das Gesetz während einer außerordentlichen Sitzung verabschiedet wurde.

Igor Kolomoiski bekommt nichts zurück

Der IWF hatte für die Auszahlungen eines neuen Kredites noch eine weitere Bedingung gestellt. Der Währungsfonds forderte ein Gesetz zur Bankensanierung, welches es dem Oligarchen und Selenski-Förderer Igor Kolomoiski unmöglich macht, seine 2016 verstaatlichte Priwat-Bank zurückzubekommen. Auch dieses Gesetz wurde von der Rada verabschiedet.

Die Verstaatlichung der Priwat-Bank hatte der damalige Präsident Petro Poroschenko betrieben, der in Kolomoiski einen wirtschaftlichen und politischen Konkurrenten sah. Die Verstaatlichung der Priwat-Bank wurde damit begründet, dass Kolomoiski zusammen mit einem Geschäftspartner fünf Milliarden Dollar der Priwat-Bank an selbst gegründete Scheinfirmen in Steueroasen überwiesen habe.

Ob Selenski seinen Durchmarsch im ukrainischen Parlament politisch überlebt, ist nicht sicher. Denn seine Wähler hat Selenski, der im Wahlkampf als Kämpfer gegen Korruption und Oligarchen auftrat, verraten. Nach dem Ende der Quarantäne-Zeit könnte es zu außerparlamentarischen Protesten kommen. Bei so einer Entwicklung würde die Regierungspartei „Diener des Volkes“ weiter an Zusammenhalt verlieren, womit Parlaments-Neuwahlen möglich würden.

Ulrich Heyden, Moskau

Titelbild: Artem Grebenyuk/shutterstock.com



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