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Titel: Das Handelsblatt feiert den Sozialstaat und eine gute nationale Infrastruktur. Das hätte denen auch früher einfallen können

Datum: 3. April 2020 um 8:50 Uhr
Rubrik: Medienkritik, Sozialstaat
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Vom Handelsblatt gibt es ja jeden Morgen ein sogenanntes Morning Briefing. Manchmal ist unerträglich, was dort zu lesen steht. Manchmal gibt es gute Hinweise. So auch heute. Mit Blick auf die USA wirbt das Handelsblatt für ein gutes Sozialsystem, für Lohnfortzahlung und Kurzarbeitergeld, für eine gute nationale Infrastruktur, für “kollektive Güter”, gegen wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich usw. usw. Warum eigentlich nur im Blick auf die USA? Und warum eigentlich nicht schon früher hier bei uns? Das Handelsblatt selbst hat die Agenda 2010 und das Sparen gefeiert, und sein “Chefökonom” Rürup war maßgeblich beteiligt an der Erosion der Leistungsfähigkeit der Gesetzlichen Rente, usw. Kann man sich so viel Widersprüchlichkeit wirklich leisten, ohne Glaubwürdigkeit zu verlieren? Im Folgenden zitieren wir die wichtigsten relevanten Aussagen von heute. Albrecht Müller.

Auszug aus dem Handelsblatt Morning Briefing vom 3.4.2020:

“Sieben Lehren aus dem Crash:

3. Eine gute nationale Infrastruktur zählt so viel wie eine gute Konzernbilanz. Privater Reichtum und öffentliche Armut, das war schon bei John Kenneth Galbraith keine Glücksformel. Im globalen Wettbewerb fallen jene Nationen zurück, die zum Beispiel nicht einmal Material und Personal organisieren können, um Covid-19 wirksam zu bekämpfen. Im Central Park von New York stehen Feldkrankenhäuser, Russland liefert Beatmungsgeräte. Kollektive Güter wie „Gesundheit“ dürfen, anders als in der Vergangenheit, keine Mauerblümchen der Politik sein.

5. Ein schütteres Sozialsystem verschärft jede Krise. Die aktuell hohe Zahl von 6,6 Millionen arbeitslos gemeldeten Amerikanern ist Reflex auf ein fehlendes Sozialsystem, das den Einzelnen allein lässt. Eine Gesellschaft braucht aber Airbags wie Kurzarbeitergeld oder Lohnfortzahlung bei Krankheit – als Daseinsvorsorge, die in den USA jetzt kurzzeitig herbeiimprovisiert wird. 

6. Wachsende Ungleichheiten zwischen Arm und Reich sind das Krebsgeschwür moderner Gesellschaften. Das reichste Prozent der US-Bevölkerung hält mittlerweile 22 Prozent am Gesamteinkommen und mehr als die Hälfte aller Aktien – was die Herausforderung Corona in dieser Schicht als wirtschaftliches, nicht als medizinisches Problem erscheinen lässt. Vor dem Virus geht man am Strand der Hamptons oder auf einer Superjacht in der Karibik in Quarantäne, wie jüngst Film- und Musikproduzent David Geffen. In bestimmten Vierteln von New York, Detroit oder Chicago jedoch steigt das Lebensrisiko.

7. Exzellenz in der Wirtschaft und in der Politik bedingen einander. Dass das Weiße Haus neuerdings mit 240.000 Corona-Toten rechnet, hat seine Ursache eben auch im wochenlangen Herunterspielen des „China-Virus“ durch just den amerikanischen Präsidenten. Gute Politik ist Vorleistung für Wachstum, schlechte Politik ein negativer Rezessions-Multiplikator. In unserem großen Wochenendreport („Die verwundete Nation“) inspizieren wir das amerikanische System im Detail. Es erscheint irgendwie wie ein alter Cadillac, der schöne Heckflossen hat, aber nicht mehr richtig beschleunigt.


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