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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: „Aufgeblähtes Wachstum“
Datum: 22. Juni 2010 um 7:27 Uhr
Rubrik: Denkfehler Wirtschaftsdebatte, Finanzkrise, Neoliberalismus und Monetarismus, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
„Unsere gemeinsame Haltung ist: Wenn wir nicht zu einem nachhaltigen Wachstumspfad kommen, sondern wieder aufgeblähtes Wachstum generieren, werden wir das durch eine nächste Krise bezahlen. Das ist unsere tiefe Überzeugung.“ So fasst Angela Merkel das Ergebnis des Gesprächs er Bundesregierung mit der Expertengruppen „Neue Finanzmarktarchitektur“ zusammen. Hätte es noch eines Belegs bedurft, dass Deutschland von dogmatischen ökonomischen Irrlehren beherrscht wird, wie das Albrecht Müller gestern dargestellt hat, dann wird er mit dem Pressestatement von Bundeskanzlerin Merkel, vom Leiter der „Expertengruppe“ Otmar Issing und von Finanzminister Schäuble schwarz auf weiß nachgeliefert. Wolfgang Lieb
Da hatten wir 2009 einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts von fünf Prozent, da stieg die Wirtschaftsleistung im 1. Quartal gegenüber dem Vorjahr gerade mal um 1,7 Prozent und das vor allem weil die deutschen Ausfuhren um 7,5 Prozent anstiegen und da spricht die Kanzlerin von „aufgeblähtem Wachstum“. Was blähte da denn auf?
Da sind die öffentlichen Investitionen seit den 70er Jahren im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt rückläufig und betragen in Deutschland gerade noch 1,5 Prozent des BIP (Durchschnitt Eurozone 2,5 %, Schweden 3,3%, Frankreich 3,2). Sie haben sich seit den 90er Jahre nahezu halbiert. Und dadurch soll Wachstum aufgebläht worden sein?
Da erklärt der Finanzminister nicht etwa die Finanzkrise sondern die zu hohe öffentliche Verschuldung als „eine der Hauptursache der Krise“ und sieht deshalb in der Begrenzung der Verschuldung einen „wichtigen Anreiz für nachhaltiges Wachstum“. Er will sich „der internationalen Debatte“ selbstbewusst stellen. Das ist Selbstbewusstsein, das an Ignoranz grenzt, denn er weiß, dass er international mit dieser Umkehrung von Voraussetzung und Folge weitgehend allein steht (siehe den Appell Obamas).
Nach den viel zu klein angelegten Konjunkturprogrammen, die dennoch immerhin ein Stück weit zur wirtschaftlichen Stabilisierung beigetragen haben, wird jetzt schon wieder auf eine „Exit-Strategie“ gesetzt und wie in der Vergangenheit auf „strukturelle Schwächen“ verwiesen, das heißt auf „Anreize für mehr Beschäftigung“: „Wir versuchen, unser System sozialer Hilfen daraufhin überprüfen, dass es Anreize für mehr Beschäftigung fördert“, sagt Schäuble und meint damit die Streichung der Übergangsgelder vom Alg I auf Hartz IV, die Streichung des Elterngelds und der Heizungskostenpauschale für Hartz-IV-Empfänger. „Anreize“ als zusätzlicher Druck auf Arbeitslose, auf die Annahme von Arbeit zu noch niedrigeren Löhnen und weiter verschlechterten Arbeitsbedingungen.
Das ist die Fortsetzung des bisherigen wirtschaftspolitischen Umverteilungs-Kurses, der ausschließlich auf Export setzt und egal ob die Bevölkerung im Inland noch konsumieren und auf dem Binnenmarkt nachfragen kann. Die Kürzungen von 30 Milliarden im Sozialbereich bedeuten – nebenbei bemerkt – ganz unmittelbar eine entsprechende Reduzierung der Kaufkraft und damit der Nachfrage im Inland.
Der „Finanzarchitekt“ Otmar Issing sieht in der Exportorientierung und der dadurch verursachten ökonomischen Ungleichgewichte nicht etwa ein Niederkonkurrieren unserer Nachbarn durch Lohndumping und Steuersenkungswahn: „Wir sehen diese Ungleichgewichte nicht als Folge unterschiedliche Nachfrageentwicklungen in den einzelnen Ländern, sondern wir sehen dahinter tiefe strukturelle Unterschiede bzw. Schwächen.“ Für ihn liegt also die Ursache der Ungleichgewichte darin, dass in den anderen Länder eben nicht gleichfalls die Löhne und die Steuern für die Unternehmen gesenkt worden sind. Die Frage, wer dann aber unsere schönen Produkte hätte noch abkaufen können und damit unsere Volkswirtschaft am laufen hielt, kommt in diesem in der Unternehmerlogik gefangenen Denken nicht vor.
Es sei „die ökonomische Vernunft, die dagegen spricht, die Defizite weiter zu erhöhen“ flankiert Otmar Issing das „Sparpaket“ der Bundesregierung und stellt sich damit einmal mehr gegen die Vernunft der meisten internationalen Ökonomen, die in der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Situation in staatlichen Sparprogrammen eine Gefährdung der sich zaghaft erholenden Konjunktur sehen.
Nach Issings „ökonomischer Vernunft“ liegt die Lösung der „gegenwärtigen Ungleichgewichte“ nicht darin, dass bei uns im Lande die Nachfrage steigt und ergänzend der Staat aktiv ins Wirtschaftsgeschehen eingreift und durch staatliche Nachfrage die Konjunktur stabilisiert und ankurbelt. Das würde nach Issings Auffassung nur „das Vertrauen in die Märkte schwächen“. Da ruft ein ertappter Casino-Spekulant „haltet den Dieb“. Issing tut gerade so, als habe nicht gerade das Vertrauen in die Märkte zur jetzigen Finanz- und Wirtschaftskatastrophe geführt, sondern der durch die Banken- und Euro-Rettung Anstieg der öffentlichen Verschuldung.
Issing wird ja nicht ohne Grund als „Europas hoher Priester der monetaristischen Orthodoxie“ genannt. Seit Jahrzehnten ist Issing einer der radikalsten Kämpfer für staatliche Einsparpolitiken und für die Zurückdrängung der staatlicher Stabilisierung labiler Märkte. Wenn er jetzt die Verschuldung der Staaten beklagt, so steht er vor dem Scherbenhaufen seines bornierten ökonomischen Dogmas.
Seit den 90er Jahren hat ein Finanzminister nach dem anderen gespart und ständig wurden neue Schulden aufgehäuft. Der Kern des Übels liegt in der Leugnung der Tatsache, dass in einer Volkswirtschaft Sparabsicht und Sparerfolg zwei paar Schuhe sind. Seit mehreren Dekaden lebt Deutschland wegen einer falschen Wirtschaftspolitik unter seinen Verhältnissen. Das Ergebnis ist bekannt: Das Wachstum war vergleichsweise schwach, die Arbeitslosigkeit vergleichsweise hoch, der private Konsum und die Binnennachfrage gering und die Sozialausgaben stiegen und die Verschuldung wuchs.
Die deutsche Politik bleibt weiter im Bann dieses Teufelskreises. Das ist eigentlich nichts Neues.
Das wirklich Erschreckende ist, dass es bei dem gestrigen Gespräch offenbar vor allem um Wirtschafts- und Finanzpolitik und nur am Rande um das eigentliche Thema, nämlich der „Neuen Finanzarchitektur“ging. Dazu sollte eigentlich die Expertengruppe für die bevorstehenden Gipfeltreffen der G-8 und G-20-Staaten Ende Juni im kanadischen Toronto ihre Vorschläge machen.
Es ist bezeichnend, dass dabei offenbar nicht die Regulierung des Bankensektors oder der Finanzmärkte im Vordergrund standen, sondern die öffentliche Verschuldung und die Abwehr der internationalen Kritik an der ausschließlich auf Export orientierten deutschen Politik.
Von der Expertengruppe kam zu einer neuen Finanzmarktarchitektur offenbar nicht viel.
Es ging in dem Gespräch – laut Kanzlerin – vielmehr um die Vorschläge der Bundesregierung zum Thema Bankenabgabe und zur Finanztransaktionssteuer. Dazu hätten die Experten der Regierung „bestimmte Restriktionen genannt, auf die man achten müsste, wenn man so etwas überhaupt (!) in Betracht zieht“, sagte Merkel.
Die Begeisterung der Experten für die Vorschläge der Bundesregierung schien sich also sehr in Grenzen zu halten und alles was dazu angeraten wurde, ist, dass man „gemeinsam vorgehen“ müsse. Es ist das Schieben der Problemlösungen auf die lange Bank der internationalen Ebene und damit das Verschieben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.
Zur Finanztransaktionssteuer hat sich Issing gar nicht geäußert und bei der Bankenabgabe mahnt er eine Orientierung an der Risikostruktur von Bankaktivitäten an.
Ihm schweben Wandelschuldverschreibungen vor, die nicht in einen Sicherungsfonds gehen, sondern unmittelbar an die Banken zurückgeleitet werden sollen. Die Dinge seien noch im Einzelnen zu klären, meinte Issing.
Derart schwammig sind also die Vorschläge zur künftigen „Finanzmarktarchitektur“ fast zwei Jahre nach dem Ausbruch der tiefgreifendsten Finanzkrise seit 80 Jahren. Es geht um Verschleppen und Hinhalten und zwischenzeitlich um die Schuldverlagerung auf die öffentliche Finanz- und Wirtschaftspolitik.
Anderes war von Otmar Issing auch nie zu erwarten. Nach einer Karriere bei der deutschen Bundesbank wechselte er zur Europäischen Zentralbank (EZB) und wurde einer der Hauptarchitekten des Euro. Issing sitzt im Aufsichtsgremium der deutschen Friedrich August von Hayek Stiftung, die eine neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung fördert. 2003 wurde Issing neben Margaret Thatcher der International Price der Friedrich Hayek Stiftung verliehen. Des Weiteren ist Issing Präsident des „Center for Financial Studies“ an der Universität Frankfurt, das von der Gesellschaft für Kapitalmarktforschung getragen wird, die aus über 80 Banken, Versicherungen, Beraterfirmen und Wirtschaftsverbänden besteht. Issing schied im Juni 2006 aus der EZB aus und war vier Monate später als Berater der Investmentbank Goldman Sachs tätig. Für gewöhnlich untersagt die EZB eine solche Tätigkeit innerhalb der ersten 12 Monaten nach dem Ausscheiden. Im Fall Issings wurde eine Ausnahme gemacht, da diese Tätigkeit nichts mit dem Tagesgeschäft des Finanzdienstleisters zu tun habe. Finanzexperte Klaus C. Engelen bezeichnet Issings Ernennung zur Larosière-Kommission als „strategisches Coup“ für Goldman Sachs, da Issings Rolle als Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Finanzkrise, der Wall-Street Gigant in den wichtigsten neuen Expertengremien Europas sitze.
Und dementsprechend sehen die Ratschläge der Expertengruppe „Neue Finanzarchitektur“ auch aus. Die „Experten“ aus der Bankenlobby haben sich wieder einmal durchgesetzt und die Politik tanzt nach ihrer Pfeife.
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