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Titel: Heuchler, Profiteure und andere Menschenfreunde – „Corona“ als Anlass für kollektive demokratische Selbstorganisation
Datum: 19. März 2020 um 14:42 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Audio-Podcast, Banken, Börse, Spekulation, Gesundheitspolitik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Redaktion
Die westlichen Regierungen, die EU und Investoren haben die Gesundheitssysteme auf Profite getrimmt, privatisiert, verknappt, zulasten des überforderten Personals und zulasten der Patienten selbst. Schon der „Normal“betrieb ist eine Katastrophe. Zudem machen heute nicht nur prekäre, sondern auch „normale“ Arbeitsverhältnisse zusätzlich krank – von Arbeitslosigkeit ganz abgesehen. Die seelische und körperliche Gesundheit der Mehrheitsbevölkerung ist für Bundeskanzlerin Merkel, Gesundheitsminister Spahn, Bayerns Ministerpräsident Söder und die Unternehmerlobby kein verbindlicher Wert: Ihr System lebt von und mit der Krankheit. Von Werner Rügemer.
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Merkel & Co rufen die Bürger auf: Wartet ab, verkriecht euch in eure Privatheit! Keine Versammlungen! (Während in den Unternehmen hart und teilweise noch mehr gearbeitet werden soll) Doch das Gegenteil ist notwendig: Die Corona-Pandemie sollte Anlass sein für eine vielfältige kollektive Selbstorganisation.
Keine Reserven
Eigentlich ist klar: Vor allem mit der neoliberalen Fleisch- und Agrarindustrie, mit auch weiteren globalen Produktions- und Lieferketten, mit dem häufigen Wechsel zwischen traditionell verfestigten ökologischen Räumen (Fauna, Flora, Wetter, Tiere, Ernährung, Medikamente) und dem Wechsel in andere ökologische Räume, gar auf anderen Kontinenten, nehmen Allergien und Epidemien zu. Das ist alles seit langem bekannt.
Trotzdem trifft der neue SARS-Virus CoV-2/Covid-19 im Westen auf kranke Gesundheitssysteme. Sie haben nicht die notwendigen Reserven. Das System ist auf profitable Großkrankheiten und Operationen mit möglichst kurzen Krankenhausaufenthalten getrimmt. Schon für wiederkehrende Grippewellen, für Geburten – keine Reserven. So fehlt es auch für wiederkehrende Epidemien – oder solche, die es werden könnten – am Einfachsten, selbst am Billigsten: Atemmasken, Schutzkleidung und Test-Kits, die nur ein paar Euro kosten. Es stehen in den Krankenhäusern durchaus Intensivbetten herum mit Atemhilfen und einigen extrakorporalen Atemmaschinen. Aber das Personal, das auch qualifiziert und belastbar sein muss, ist zu knapp.
Schon der „Normal“betrieb ist eine gesundheitliche Katastrophe
Die Investoren-Lobby treibt die Schließung und Privatisierung von Krankenhäusern voran. Die immer größeren Häuser, zusammengefasst in immer größeren Konzernen wie Asklepios, Ameos, Rhön-Kliniken, Fresenius mit FMC und Helios werden technologisch aufgerüstet und personell abgerüstet.
Da passiert vieles, was Technologie- und Privatisierungsfreund Spahn wohl kennt, aber öffentlich nicht darüber spricht: Auch Testlabors, Altenheime, Rehakliniken werden von Heuschrecken-Investoren auf Privatgewinne zugerichtet. Zum Beispiel der Londoner Private-Equity-Investor Bridgepoint hat 340 Dialyse-Zentren mit 10.000 Beschäftigten in 20 Staaten aufgekauft und in der Luxemburger Holding Diaverum S.a.r.l. zusammengefasst. Zum Beispiel der niederländische Private-Equity-Investor Waterland hat seit 2011 120 Reha-Kliniken zusammengekauft und daraus die größte private Reha-Kette unter dem Namen Median gebildet. Der von McKinsey inspirierten Managern geführte Konzern lässt sich Billigpfleger aus Albanien, Montenegro, Serbien und der Ukraine heranschaffen. Für das Jahr 2020 ist der Heuschrecken-übliche exit geplant: Börsengang oder Weiterverkauf an den nächsten Investor.[1]
Auch in den „normalen“ Krankenhäusern werden möglichst viele Tätigkeiten ausgelagert: Reinigung, Catering, Labortests, Bettentransport, Fahrdienste, Medikamentenversorgung, Wäscherei usw. Subunternehmerketten übernehmen das mit Billiglöhnern, holen sich Personal von der Leiharbeitsfirma. Das ist zudem keine Gewähr für konsequente Hygiene, im Gegenteil.
Dabei werden die Ungleichheiten zwischen Arm und Reich, zwischen Krank weiter verschärft.
Tote und Verletzte durch Autoverkehr
Die Bundesregierung mit Kanzlerin und CSU-Verkehrsministern agieren als Lobbyisten einer nicht nur betrügerischen, sondern auch extrem gesundheitsschädlichen Branche, der Autokonzerne und ihres hyperindividualisierten Mobilitätsystems. Es ist zudem eine wichtige Stütze der fossilen Energie.
Krank durch Arbeit
Alle wissen es: Hetzige, stressige, auch gut bezahlte und auch sinnlose Arbeit machen krank. Bauarbeiter wie Krankenpfleger leiden unter Skelettkrankheiten und arbeiten trotzdem weiter. Besonders Teilzeit-Frauen werden rumkommandiert, gemobbt und ausgebeutet, sie müssen besonders viele nicht dokumentierte und nicht bezahlte Überstunden leisten. Millionenfach zahlen Unternehmer den ohnehin zu niedrigen Mindestlohn nicht, straflos. Von Union-Busting-Kanzleien im Auftrag der Geschäftsführer bekämpfte Betriebsräte brechen nach der siebten Kettenkündigung zermürbt zusammen. Burnout wurde zur Massenerscheinung.
Die Krankenkassen dokumentieren seit Jahren, scheinbar ungehört: Die Zahl der psychischen Erkrankungen nimmt zu. Die Zahl der abhängig Beschäftigten, die sich krank und ansteckend in die Arbeit quälen, hat zugenommen. Die Zahl der tödlichen Unfälle – zumindest beim Bau werden sie noch dokumentiert, zumindest dann, wenn die Toten ordentlich versichert waren. Bauarbeiter vom Straßenstrich sind nicht versichert, werden nicht gezählt, werden irgendwohin weggeschafft.[4]
Als Olaf Scholz (SPD) und Ursula von der Leyen (CDU) ArbeitsministerIn waren, haben sie der staatlichen Aufsicht über die Berufskrankheiten den letzten Stoß gegeben. Die Gewerbe- und Veterinäraufsichten sind ausgedünnt, wie nicht vorhanden. Mit hochdotierten Gutachtern drücken die von den Unternehmern bezahlten Berufsgenossenschaften die Zahl der anerkannten Berufskrankheiten unter 10 Prozent der Anträge.[5]
Der Zoll ist unterbesetzt. Bei den Fleischzerlegern mit Werkvertragsstatus aus Rumänien und Bulgarien hat er noch nie vorbeigeschaut. So wurde Deutschland, auch mit EU-Beihilfen, zum zentralen Schweineschlacht-Standort Europas ausgebaut, auch wegen der von der EU geförderten, billigen, ausgebeuteten Wanderarbeit. 16-Stunden-Schichten – keine Seltenheit. Nach zwei oder drei Jahren krank zurückgeschickt in die arme, von EU und westlichen Investoren verarmte Heimat.[6]
Die Heuchler zerstören die Gesundheitssysteme armer EU-Staaten
Die fürsorglichen Gesundheits-HeuchlerInnen auch der Europäischen Kommission fördern die Billig-Wanderarbeit auch im Gesundheitssystem. Die EU fördert mit Beihilfen einerseits die Auslagerung gerade für Auto-, Logistik- und Pharmakonzerne, die EU-Mitgliedsstaaten legen noch Steuervorteile drauf. Deshalb bleiben die staatlichen Gesundheitssysteme der osteuropäischen, baltischen und ex-jugoslawischen Staaten extrem unterfinanziert – oder sie sind privatisiert, verteuert, für die Mehrheit nicht zugänglich, sondern nur für die Besserverdiener im Umkreis der heimischen, von der EU geförderten Oligarchen und des Managements der ausländischen Investoren.
Minister Spahn lügt, wenn er behauptet, die Bundesregierung hole nicht gezielt Personal etwa aus dem Gesundheitssystem des Kosovo. Richtig ist: Der noch verbliebene Rest des Fachpersonals der Krankenhäuser dort ist so schlecht bezahlt und knapp, noch viel mehr als in der Bundesrepublik, dass immer mehr den Versprechungen der deutschen Werber folgen. Das deutsche Gesundheitsministerium ist mit einer Werbeagentur vor Ort.[7]
In Polen, in Kroatien – überall streiken immer wieder Ärzte und Krankenpfleger gegen ihre schlechte Bezahlung und die Unterfinanzierung des staatlichen Gesundheitssystems. Ihre Streiks versickern, ungehört von der EU, der Europäischen Kommission, der Bundesregierung und ihren Laut-Sprechern. Headhunter suchen schlecht bezahlte Billigärzte in Polen, Kroatien, Rumänien, Spanien und Griechenland für die privatisierten Klinikkonzerne in den reichen EU-Staaten wie Deutschland.
Die regierenden Gesundheits-Heuchler in Deutschland und der EU machen nicht nur das Gesundheitssystem in Deutschland krank, sondern die katastrophischen Gesundheitssysteme armer Staaten noch kränker, in der EU und auch weit darüber hinaus – Mexiko, Philippinen zum Beispiel.
Vorsorge in Südkorea, Taiwan, China – und Zusatz-Kapazitäten
Im Unterschied zu den westlichen Staaten haben Staaten Südostasiens aus den SARS- und MERS-Epidemien der Jahre 2003 und 2015 gelernt. Die Regierungen dort haben Krisenpläne entwickelt und Kapazitäten für Tests und Fiebermessungen vorgehalten. Lager für Atemmasken, mit Auto aufsuchbare Test-Zentren wurden eingerichtet. In Bussen und an Straßenlaternen hängen Desinfektionsgeräte.
China hat in kurzer Zeit neue Krankenhäuser errichtet, zusätzliche Test- und Behandlungskapazitäten aufgebaut. Nach dem Abschwellen der Epidemie kann China jetzt anderen Staaten helfen. Der Staat und die Stiftung des Alibaba-Gründers Jack Ma schickt Experten, Schutz- und Testmaterial vor allem in das am härtesten betroffene Italien – ein Staat und sein Gesundheitssystem, das von der EU unter deutscher Führung besonders kaputtgespart wurde.
Verheimlichte Rezession: Jetzt greifen die Mitnahme-Routiniers zu
Wenn Bürger und Kommunen immer wieder verlangt haben, dass die Schuldenbremse ausgesetzt werden muss, damit die für die Mehrheitsbevölkerung notwendige Infrastruktur repariert und erneuert und erweitert werden kann – Krankenhäuser, Schulen, Kanalisationen und Trinkwasserbeschaffung, Leitungssysteme, Nahverkehr – da haben Merkel, Schäuble, Scholz und Unternehmerlobby sofort gebremst.
Aber jetzt ist die Schuldenbremse plötzlich weg. Weil die Unternehmer nach Rettung betteln, breitet die Bundesregierung sofort einen gigantischen Schutzschirm über ihre Lieblinge aus: Kurzarbeitergeld, zinslose Steuerstundungen, Kürzung von Steuervorauszahlungen, Bürgschaften, Kredite, Notfallfonds – alles ohne Grenze nach oben.
Aber: Der Abbau von Arbeitsplätzen ist schon seit zwei Jahren im Gang, besonders in der Autoindustrie. Wegen der Umstellung auf die Elektro-Autos wurden zehntausende Arbeitsplätze bei Zulieferern still und leise abgebaut, noch weitere werden nach Osteuropa umgeschichtet oder bei anspruchsvollen Neuentwicklungen nach China verlagert. Jetzt mit „Corona“-Begründung kündigen VW, Ford in Köln und Daimler die Schließung ihrer Werke in Deutschland und der EU sofort öffentlich an.
Wegen der Gefolgschaft für US-Sanktionen gegen Russland (Zulieferer in der Ukraine) und den Iran sind Aufträge und zehntausende Arbeitsplätze verloren gegangen.
Der seit der „Entflechtung der Deutschland AG“ mit der Bundesregierung Schröder angeschobene Ausverkauf seit dem Jahr 2000 von bisher etwa 10.000 Mittelstandsfirmen und deren profitable Verwertung, der Stellenabbau durch BlackRock & Co bei Fusionen wie Bayer und Monsanto: Da wurden und werden Arbeitsplätze abgebaut oder in die verarmten Staaten der EU ausgelagert.[8]
„Corona“ dient als willkommene Begründung für Jammern und routinierte Mitnahmeeffekte.
Rettungsgelder zurückzahlen?
Die Unternehmen – und auch drei Millionen Mittel- und Kleinstbetriebe sollen jetzt profitieren – stellen ihre Hilfsanträge über Landesregierungen und Banken bei der staatlichen Bank KfW. Da ist aber gar nicht das ausreichende Personal, um die vielen Anträge schnell und „unbürokratisch“ auf ihre sachliche Begründetheit zu prüfen. Da wird mit der Gießkanne und mithilfe der besten Beziehungen ausgeteilt – Mitgliedschaft im CDU-Wirtschaftsrat und in der CDU-Mittelstandsvereinigung sind sicher nützlich, wie damals beim Geldsegen der Treuhand-Anstalt.
Und wie ist es dann nach der Krise? Dann wird weiter routiniert gejammert? Aber auch harte Realität: Wenn die Insolvenz für Café- und Restaurantpächter nicht schon in den nächsten Wochen eintritt, irgendwann nach der Krise wird es wohl für viele endgültig sein. Aber vor allem für die größeren Unternehmen: Krisenverluste – die stehen schnell auf dem Papier, auch ein bisschen aufgebauscht. Und wer prüft das dann? Selbst im Unternehmer-Propaganda-Blättchen Handelsblatt weiß man schon jetzt: „Ein Problem haben die verkündeten Liquiditätshilfen: Unternehmer könnten später in Schwierigkeiten geraten, die Kredite zurückzuzahlen.“
Diese Art grenzen- und quasi bedingungslose Hilfe demonstriert die schon bisher verwirtschaftete Gestaltungsschwäche des Staates.
Nach Merkels und Steinbrücks Versprechen bei der Spekulationspleite der systemrelevanten Banken, dass „die Sparer sicher sind“, kam die Rechnung später: Die Sparvermögen blieben zwar, freilich unverzinst, erhalten. Aber: Da wurden die Sparer in ihrer anderen Eigenschaft als Steuerzahler noch viel mehr geschädigt.
Damals mussten aber nur ein Dutzend „systemrelevanter“ Banken gerettet werden. Das jetzige Versprechen an eine ungleich größere Zahl der nun irgendwie „systemrelevanten“ Unternehmen würde die weitere Übernahme der Gestaltungsmacht durch die privaten Investoren bedeuten: Antrag stellen, Staat verschuldet sich unbegrenzt, abkassieren.
„Corona“-Krise an den Börsen?
Die EZB will – nach dem Vorbild der US-Zentralbank Fed und des IWF – die Krisen-Kreditaufnahme verstärken durch den noch erweiterten Aufkauf von Staats- und Unternehmensanleihen. Das heißt in Wirklichkeit: BlackRock&Co werden noch mehr zinslose Kredite gewährt. Dann können deren große Wohnungskonzerne noch mehr Wohnungen aufkaufen, deren Mieten dann erhöht werden, zum Beispiel. Oder die zinslosen EZB-Kredite werden, wie jetzt geplant, dafür verwandt, dass die Nr. 4 und 6 der Wohnungskonzerne Ado Properties, Adler Real Estate fusionieren und den Projektentwickler Consus zukaufen.[9]
Wegen Produktions- und Auftragsrückgängen einzelner Unternehmen verkaufen vor allem aufgeregte Kleinaktionäre ihre paar Aktien. Wunderbar! sagen da die Großaktionäre wie BlackRock, Vanguard und die Hedgefonds wie Elliott und EQT: Diesen Absturz verstärken wir! Bei Wertpapieren und Aktien ist das Verstärken durch schnelles Hin- und Her-Verkaufen eigener Aktien, und verstärkt durch Leihaktien, das bevorzugte Geschäftsfeld der großen Kapitalorganisatoren. So werden an den Börsen heute Aktienkurse auch nach unten getrieben und Gewinne gemacht.
Da ist schnell das Logo „Corona“-Krise draufgepappt. Mithilfe von Leihaktien und gezielt dosierten Käufen und Verkäufen können gerade die großen Insider wie BlackRock und Vanguard als gleichzeitige Vielfacheigentümer von Banken und Unternehmen mit ihren automatisierten, roboterisierten Datenverarbeitungs-Kapazitäten – größer als die jeder staatlichen Finanzaufsicht wie der Bafin in Deutschland – die Kursentwicklung beeinflussen, ob nach unten oder oben, egal. Jede noch so kleine Differenz im Hochfrequenzhandel wird ausgenutzt. Und mit EZB-Krediten geht das nochmal im größeren Stil. BlackRock berät die Europäische Kommission und die EZB – wie praktisch, oder?[10]
„Corona hat die Wirtschaft erfasst“: Börsennachrichten in der ARD – ein komplizenhaftes Verdummungsinstrument.
Alternativen und kollektive Selbstorganisation
Die autoritären Maßnahmen zugunsten der Privatunternehmen sind nichts prinzipiell Neues, sondern die Zuspitzung der Praktiken, die schon bisher im Gange waren. Nicht zufällig erweist sich die korrupteste der Regierungsparteien, die CSU, jetzt mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Söder als aufsteigender Krisenmanager mit den rabiatesten Maßnahmen (Falls jemand fragt: Wieso ist die CSU noch korrupter als FDP und CDU? Pro Mitglied wird die CSU am intensivsten und dauerhaftesten von den zudem immergleichen Unternehmen bespendet, gucken Sie mal nach).
Der System-Krankheitsfall „Corona“ sollte Anlass sein, dass die schon lange angestaute Betroffenheit, Unzufriedenheit, Schädigung in der Bevölkerungsmehrheit jetzt zum Anlass genommen wird: Wir organisieren jetzt auf neuer Stufe unsere Alternativen. Kollektive Selbstorganisation der abhängig Beschäftigten aller Stufen ist das Motto. Zugegeben: Wir sind erstmal verdammt in der Defensive.
Risse im Gebälk
Aber das neoliberale Dogma zeigt deutlicher als bisher seine Risse, seine Brüchigkeit, auch ganz oben. Der französische Staatspräsident Macron, der Ex-Banker, der den Neoliberalismus modernisiert und weiter radikalisiert hat, flötete jetzt vor den Kommunalwahlen: „Wir dürfen unser Gesundheitssystem nicht dem Markt überlassen!“
„Noch wichtiger ist es“, flötet es in Deutschland, „direkt gegen die Seuche vorzugehen, wie China es tat. Dabei darf es an Geld nicht fehlen. Die Kapazität der Intensivstationen der Krankenhäuser muss dramatisch erweitert werden. Neue Behelfskrankenhäuser müssen aus dem Boden gestampft werden. Beatmungsgeräte, Schutzanzüge und Masken müssen unter großem Einsatz sofort produziert werden“, darf Prof. Sinn nun plötzlich im Handelsblatt verbreiten. Gegen die testlose Verbannung der Bevölkerung in ihre Privatheit fordert Sinn sinnvollerweise: „Großflächige Virustests sind einzuführen, die wesentliche Teile der Bevölkerung erfassen und noch möglichst viele der Infizierten identifizieren. Jede einzelne Identifikation kann viele Menschenleben retten.“
Man muss aber nicht glauben, dass solche Einsichten bei solchen Leuten zu wirklichen Konsequenzen führen. Beim Krisenmanagement der Bundesregierung ist davon nichts angekommen.
Kollektive Maßnahmen, Forderungen, Konzepte
„Corona“, wenn es nach diesem Muster läuft, macht die Abhängigen und Schwachen noch abhängiger und schwächer. Deshalb sind auch ganz neue Hilfen nötig.
Zum Beispiel, vieles läuft ja schon ganz spontan:
Nachbarschaftshilfe, Betreuung von Kindern, Einkaufen.
Kleingewerbe, Selbständige, Schein-Selbständige
Kleine Selbständige, Schein-Selbständige, Teilzeitbeschäftigte tun sich zusammen und fordern vom Staat ebenfalls Hilfen.
Krankenhaus-Reserven nur bei der Bundeswehr?
Übrigens taucht da die Frage auf: Wieso kann nur die Bundeswehr in ihren Krankenhäusern so viele freie Betten-Kapazitäten vorhalten? Gar nicht zu reden vom riesigen US-Militärkrankenhaus in Rheinland-Pfalz?
Prekär und befristet Beschäftigte
Sie trifft es besonders hart, sie profitieren gar nicht oder nur kurz vom Kurzarbeitergeld.
Unterstützung für die, die weiterarbeiten müssen oder können
Unterstützung und Solidarität gilt denen, die jetzt weiterarbeiten müssen oder dürfen, zum Teil, wie in den Krankenhäusern, mit noch mehr Stress und Zeitaufwand.
Längerfristige Alternativen in der Wirtschaft
Die mit „Corona“ auch zugedeckte Krise der Arbeitsverhältnisse und der Unternehmen muss auch Anlass sein für die Entwicklung langfristiger Alternativen:
Gesundheit ist ein Menschenrecht!
Wohnen ist ein Menschenrecht! Siehe die Erklärung der Universellen Menschenrechte der UNO. Das musste den Regierenden jetzt wegen des von ihnen und ihrem Klientel ebenfalls verursachten Wohnungs-Notstands auch erstmal eingebleut werden.
Und eben auch: Gesundheit ist ein Menschenrecht!
Deshalb: Wenn man die Anfälligkeit gegen „Corona“ und andere Gefährdungen bekämpfen will, muss das ganze Gesundheitssystem demokratisiert werden. Auch Gesundheit und Gesundheitsversicherung sind Menschenrechte.
Grundgesetz Artikel 14 und 15: Die Verpflichtung des Privateigentums auf das Gemeinwohl musste beim Wohnungsnotstand den jetzt katastrophisch Regierenden auch erstmal in Erinnerung gerufen werden.
Das ist so aktuell wie nie. Das wurde nach dem letzten Krieg als eine Konsequenz gefolgert. Wie sagte doch unsere ein letztes Mal aus der Neoliberalisierungs-Asche aufsteigende Bundeskanzlerin jetzt bei ihrer Corona-Ansprache am 18. März 2020: Die Situation ist so ernst wie nach dem Krieg! Ich glaube nicht, dass sie was kapiert hat, aber auf sie kommt es auch nicht an.
Titelbild: sutadimage/shutterstock.com
[«1] Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. 2. Auflage Köln 2020, S. 98ff.
[«2] Höchstes Sterberisiko für Arme und Arbeitslose, Pressemitteilung des Max Planck-Instituts für Demografie 8.10.2019
[«3] Dvr.de/unfallstatistik, aberufen 18.3.2020
[«4] Wanderarbeiter und Stundenlöhner werden in der Baubranche besonders ausgebeutet – Kontrollen gibt es kaum, gewerkschaftsforum-do.de 25.9.2018
[«5] Das Schattenreich: Arbeitsmedizin und gesetzliche Unfallversicherung, anstageslicht.de
[«6] Werner Rügemer: Das System Tönnies stoppen! Arbeitsunrecht.de 12.9.2019
[«7] Exodus von Pflegekräften: Wie Deutschland Osteuropa ausbluten lässt, DasErste, monitor 12.3.2020
[«8] Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts S. 66ff.
[«9] Milliardenfusion mit Hindernissen, Handelsblatt 19.2.2020
[«10] Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts S. 64ff.
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