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Titel: Unternehmens-Lobbyist als Hüter des Grundgesetzes?
Datum: 9. März 2020 um 11:36 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Bundesverfassungsgericht, Verfassungsgerichtshof, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Erosion der Demokratie, Lobbyismus und politische Korruption, Steuerhinterziehung/Steueroasen/Steuerflucht
Verantwortlich: Redaktion
Stephan Harbarth soll nach dem Willen von Groko, FDP und Grünen jetzt zum Präsidenten des Bundesverfassungs-Gerichts gewählt werden. Das kann, es muss verhindert werden. Von Werner Rügemer.
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Am 6. Mai 2020 endet die Amtsperiode des jetzigen Präsidenten Andreas Voßkuhle. Sein Nachfolger soll Stephan Harbarth werden. So haben es für die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat die Große Koalition mit FDP und auch Grünen schon 2018 eingefädelt. Damals wählten sie Harbarth zum Vizepräsidenten des Gerichts. Jetzt steht im Bundesrat die routinemäßige Wahl zum Präsidenten an.
Zwei bekannte Anwälte haben Beschwerde beim Bundesverfassungs-Gericht eingelegt, also bei dem Gericht, dessen Präsident Harbarth ab Mai 2020 sein soll. Die Beschwerde von Claus Schmitz aus der Kanzlei HMS hat das Verfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen: Schmitz sei von Harbarths Ernennung nicht betroffen, so die kümmerliche Begründung. Über die Beschwerde von Ralph Sauer aus der Kanzlei Dr. Stoll & Sauer ist noch nicht entschieden. Sauer hat angekündigt, zum Europäischen Gerichtshof zu gehen, wenn Karlsruhe negativ entscheidet.
Gründe gegen Harbarth:
Anhang: Ein neu überarbeiteter und aktualisierter Text von Werner Rügemer zur Personalie Stephan Harbarth aus dem Dezember 2018:
Unternehmens-Lobbyist als Hüter der Verfassung?
Stephan Harbarth, professioneller Unternehmens-Lobbyist und mutmaßlicher Gesetzesbrecher, könnte jetzt mit Unterstützung der Groko, FDP und Grünen Präsident des Bundesverfassungs-Gerichts werden.
Am 22. und 23. November 2018 wählten Bundestag und Bundesrat den CDU-Abgeordneten Stephan Harbarth zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungs-Gerichts. Dazu hatten sich die Fraktionen der regierenden CDU und SPD auch mit der FDP und den Grünen zu der nötigen Zweidrittel-Mehrheit geeinigt. Harbarth sollte dann 2020 auch Präsident werden. Es gab noch keinen, der so direkt aus der Welt der größten Unternehmen käme. BlackRock & Merz lassen grüßen.
Der unscheinbare katholische Aufsteiger
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Harbarth war ein unauffälliger öffentlich unbekannter Politiker. Er inszenierte sich als biederer Familienvater, katholisch verheiratet, drei Kinder. Heimatverbunden wohne er „im schönen Kraichgau“, teilte der immer bescheiden Lächelnde mit. Das Handelsblatt bescheinigte ihm 2018 zur Wahl als Vizepräsident des Verfassungsgerichts, „ein besonnener Typ“ zu sein, mit angenehmer, unauffälliger, aber immer korrekter Erscheinung. „Er ist schmal, trägt in Berlin stets dunkle Anzüge mit Krawatte und Einstecktuch, und sein Haar liegt wie eine silberne Haube auf seinem Kopf.“ Das Unternehmerblatt berichtete über weitere tolle Eigenschaften: „Bei aller Zurückhaltung zeigt er immer inhaltliche Stärke und Führungskraft.“ Zudem sei er „im guten altmodischen Sinne höflich und nobel.“[1]
Als 22Jähriger hatte der unscheinbare, aber prinzipienfeste Katholik begonnen, sich in der CDU hochzuarbeiten, von den Vorständen des Wahlkreises Rhein-Neckar über die CDU Nordbaden, über die CDU Baden-Württemberg, bis er zum stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag und zum Mitglied im CDU-Bundesvorstand aufstieg, immer geräuschlos und effektiv. Auch gegen die Ehe für alle sprach er sich gottesfürchtig aus, wie sein seelenverwandter Ex-Polit- und Anwalts-Kollege Friedrich Merz.
Nummer 3 der Top-Verdiener im Bundestag
Unauffällig, bescheiden – aber nur nach außen. So gehörte der korrekt „business-like“ Bekleidete mit dem dezenten Einstecktuch im grauen Anzug zu den Top-Nebenverdienern unter den 630 Abgeordneten. Nach der großzügigen Regelung für die Veröffentlichung von Nebeneinkünften rangierte er in der obersten Kategorie 10: Sie besagt lediglich, dass der und die Betreffende mindestens 250.000 Euro verdient, jährlich, neben seinen kleinen Abgeordnetendiäten. Die Skala der Kategorie 10 ist aber nach oben offen: Das können Millionen sein. Bei Harbarth waren es solche.
Die Nebeneinkünfte waren seine Haupteinkünfte. Die nach oben offene Bereicherungs-Skala soll bei Harbarth um etwa eine Million Euro gependelt haben, wie einschlägige Kenner vorsichtig vermuten, so der „SPIEGEL“. Seine „Nebeneinkünfte“, die in Wirklichkeit seine Haupteinkünfte waren, bekam er als Partner, also Miteigentümer der Mannheimer Kanzlei Schilling Zutt & Anschütz SZA.
Das bedeutete ein Mehrfacheinkommen: Erstens war er an den jährlichen Gewinnausschüttungen beteiligt. Zweitens war er bei SZA noch Geschäftsführer. Und drittens war er noch Mitglied im Vorstand von SZA, die als Aktiengesellschaft organisiert ist, und der Vorstand wird auch entlohnt. Und viertens vor allem: Der unternehmerische Anwalts-Abgeordnete übernahm Mandate für große Unternehmen und wurde dafür noch etwas mehr entlohnt.
Harbarth verletzte das Abgeordneten-Gesetz
Und weil der skandallose Neben- und Hauptverdiener das alles schon länger machte, hatte er daneben, wie Ex-Kollege Merz, noch Einkommen aus Vermögen: Das musste er aber nach den barmherzigen Publizitätspflichten des Deutschen Bundestages nicht als Nebeneinkünfte angeben. Kapital in Immobilien, Aktien, Wertpapieren vermehrt sich bekanntlich irgendwie von selbst, findet aber zielsicher zurück auf das Konto des leistungslosen Vermögenden.
Jedenfalls betätigte sich der in Aussicht genommene oberste Hüter des Grundgesetzes nach allen bisherigen Kenntnissen nachhaltig und routinemäßig als Rechtsbrecher: Laut den Geschäftsberichten seiner Kanzlei war er dort „hauptamtlich“ tätig. Das Abgeordneten-Gesetz besagt aber: Das Mandat im Bundestag „steht im Mittelpunkt der Tätigkeit“. Erlaubt sind nur „Nebentätigkeiten“ und Nebeneinkünfte.
Einstieg in die „Entflechtung der Deutschland AG“
Seine Kanzlei SZA mit 65 Anwälten, davon 20 Partnern wie Harbarth selbst, als Aktiengesellschaft organisiert, war nach US-Vorbild eine law firm: Recht als Ware, mit deren Verkauf möglichst hoher Gewinn gemacht wird.
Vom Jahr 2000 an war SZA die deutsche Niederlassung der US-Großkanzlei Shearman & Stirling. Die hat 13-mal soviele Anwälte wie SZA, hat Niederlassungen u.a. in London, Paris, Dubai und Hongkong. Sie brachte ab 1993 deutsche Konzerne an die New Yorker Börse, zuerst Daimler. Seit 2000 winkte mit Kanzler Schröders „Entflechtung der Deutschland AG“ das neue Geschäft: steuerbegünstigter Aufkauf von Unternehmen in Deutschland. Shearman & Stirling beriet über SZA dann „Heuschrecken“-Investoren.
Seit 2000 war auch Harbarth Anwalt bei SZA und damit bei Shearman & Stirling. Wie das damals auch sein CDU-Bundestags-Kollege Merz machte: Der stieg damals in die deutsche Niederlassung der US-Kanzlei Mayer Brown ein und beriet lukrativ ebenfalls US-„Heuschrecken“.
Internationale Private Schiedsgerichte
Seit Jahrzehnten dominiert Shearman & Stirling die Besetzung internationaler privater Schiedsgerichte.[2] Zwei Jahre lang von 2006 bis 2008 war Harbarth sogar Miteigentümer von Shearman & Stirling.
Die hochdotierte Aktivität in der privaten Parallel-Gerichtsbarkeit, in der nur Unternehmer und Investoren, aber keine Arbeitnehmer, Gewerkschaften, Kommunen u.ä. klageberechtigt sind – keine gute Qualifikation für einen Hüter des Grundgesetzes, also für eine nationale und staatliche Verfassung, nicht wahr?
2008 machte sich SZA als eigene Aktiengesellschaft wieder selbständig, trennte sich formal vom Großen Bruder. Der aufsteigende Anwalt Harbarth bereitete sich aussichtsreich auf eine nützliche Zusatzqualifikation vor: Ab 2009 war er CDU-Abgeordneter im Bundestag. Da hätte die Eigentümerschaft in der US-Kanzlei nicht so gut ausgesehen.
„Zu uns kommen Konzerne“
Die teure Ware „Recht für Unternehmer“ verkauft SZA an Unternehmen, und zwar möglichst große. Die Kanzlei hat ausschließlich private Unternehmen als Mandanten. Auf der website wirbt SZA: „Zu uns kommen Konzerne“ – „constantly involved in high value deals“ (ständig befasst mit Hochwert-Deals) – „Größe kann ein Problem sein. Aber nur wenn man vorher nicht bei uns war“.
So hatte Namensgeber Wolfgang Schilling seit den 1950er Jahren etwa Friedrich Flick, Ciba Geigy, die Deutsche Bank und Daimler-Benz und weitere Komplizen und Profiteure des NS-Regimes als Mandanten.
Über den CDU-Wirtschaftsrat bekam SZA Mandate der Treuhand für die staatlich hochsubventionierte Ausplünderung von DDR-Betrieben. Im Jahre 2012 gehörten 12 der 30 DAX-Konzerne gleichzeitig zur Kundschaft der Kanzlei.[3] Sie beriet auch etwa Daimler bei der Milliarden-Übernahme von Chrysler.
Davon bekam Miteigentümer, Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Harbarth auch einiges ab. Besonders wenn er selbst Mandate übernahm, zum Beispiel für Daimler, für Allianz sowie die Pharmakonzerne Sanofi-Aventis und Merck – Mandate für Milliardendeals. Weiter auf der Liste der Harbarth-Mandate: Südzucker, Springer Science, Perfect Vision, Woellner-Gruppe, MVV Energie, Gruner & Jahr, Klett, Crop Energies, der Augsburger Roboterhersteller Kuka… Da ging es um Fusionen und Übernahmen, Verkauf von Unternehmensteilen, Joint Ventures und Platzierung von Anleihe-Paketen.
Im Bundestag: Harbarth als VW-Lobbyist
Ein besonders großer Mandant, bei dem es um zweistellige Milliardenbeträge geht, ist der VW-Konzern. Seit dem Bekanntwerden seiner systemischen Abgas-Betrügereien lässt er sich von SZA vertreten. In diesem Fall hatte nicht Harbarth das Mandat übernommen, sondern ein Kollege. Aber als Geschäftsführer und Vorstandschef der Kanzlei hatte Harbarth auch in diesem Fall einiges zu sagen.
Deshalb konnte Harbarth in seiner nützlichen (Neben)Rolle als Abgeordneter im Bundestagsausschuss für Recht und Verbraucherschutz – hier war Harbarth Obmann der CDU-Fraktion – dafür eintreten, dass ein für VW unangenehmes Thema von der Tagesordnung gestrichen wurde, mit Harbarths Stimme. Der Tagesordnungspunkt lautete: „Verbraucherrechtliche Auswirkungen, zivilrechtliche Ansprüche und rechtliche Konsequenzen des aktuellen VW-Skandals“.[4]
Nicht Schutz von geschädigten Verbrauchern ist Harbarths Multi-tasking-Anliegen, sondern Schutz von Unternehmern, und seien sie kriminell.
Wenn Unternehmer nicht einmal einen Bierdeckel brauchen: Steuer-“Gestaltung“ für Unternehmer
Zu den für Kanzlei wie Mandanten einschlägigen Maßnahmen der Gewinnsteigerung gehört die Steuerhinterziehung, pardon: Steuer-“Gestaltung“. Der dafür werbende Slogan auf der SZA-webite lautet: „Steuerrecht gleicht einem Dschungel. Wir führen Sie kompetent hindurch“.
Hier wird der Bierdeckel des seelenverwandten Unternehmer-Anwalts und Steuerspezialisten Merz gar nicht gebraucht. Die optimale Lösung besteht ja darin, dass man nicht einmal einen Bierdeckel braucht – wenn man nämlich gar keine Steuererklärung abgibt. Für abhängig Beschäftigte ist das schwer, für Unternehmer aber umso leichter.
Denn die einschlägigen Wirtschafts“prüfer“, Unternehmensberater und Wirtschaftskanzleien gestalten ja selbst den Steuer-Dschungel weltweit in vier Dutzend Finanzoasen zwischen Delaware, Luxemburg, Amsterdam und Hongkong. Deshalb ist die kompetente Führung durch den selbst mitgeschaffenen Dschungel ein schöner Geschäftsbereich. Auch für SZA. Zu den Mandanten, mit denen die Kanzlei hier wirbt, gehört etwa auch die Uniwheels Holding mit Sitz in der Finanzoase Malta.
SZA: „Zuverlässiger Schutz vor persönlicher Haftung“
Auch der Brexit schuf neue Möglichkeiten für Steuer“gestaltung“ im Steuer-Dschungel. Auf der website informierte SZA, dass in der Vergangenheit 8.000 bis 10.000 Unternehmer in Deutschland sich die britische Unternehmens-Rechtsform einer UK-Limited oder Limited & Co KG bei den einschlägigen Beratern gekauft haben. Die war von britischen Anwälten für Unternehmen auf dem Kontinent angeboten und von deutschen Anwälten vermittelt worden.
Das nutzten Unternehmer wie Eric Schweitzer, heute Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK): Als er sein Müll-Unternehmen ALBA mit dem Müll-Unternehmen Interseroh fusionierte (das von der Wirtschaftskanzlei Mayer Brown beraten wurde und dessen Anwalt Merz in den Aufsichtsrat aufnahm), gründete Schweitzer in London unter anderen die beiden Briefkastenfirmen Alpsee Limited und Eibsee Limited: Darin versteckte Schweitzer seine eigenen 50.000 Aktien, gerecht aufgeteilt auf jeweils 25.000.
In eine solche Firma musste keine noch so kleine Haftungssumme von 25.000 Euro wie in eine deutsche GmbH eingezahlt werden. Darüber hinaus ist eine UK-Limited „ein kostengünstiger und zuverlässiger Schutz vor persönlicher Haftung“, bestätigt SZA. Diese vorteilhafte Lösung der rechtlich abgesicherten Verantwortungslosigkeit sei mit dem Brexit allerdings vorbei: Diese Rechtsform wird dann in Deutschland nicht mehr anerkannt. Was tun?
SZA: Beratung für „vermögende Privatpersonen“
SZA weiß Rat: Nun müssten diese 8.000 bis 10.000 Unternehmen eben umgegründet werden. Leider bringen die deutschen Rechtsformen OHG, GbR usw. „erhebliche Haftungsrisiken und steuerliche Belastungen“ mit sich, so SZA. Aber es bleibe noch eine Übergangszeit. Die Kanzlei helfe bei der Konstruktion „haftungsbeschränkter Rechtsformen“ auch in Deutschland, zum Beispiel mithilfe der Verschmelzung einer UG & Co KG mit einer GmbH.
Haftungsbeschränkte Rechtsformen: Eine gute Qualifikation für den Hüter der Verfassung?
Das führt zwanglos zu einem damit eng verwandten Geschäftsbereich. Denn die Unternehmer wollen ja nicht nur ihre Unternehmensgewinne verstecken. Sie wollen auch die Gewinne steuergünstig anlegen. So gehört zur Kanzlei schon länger die Praxisgruppe „Beratung von vermögenden Privatpersonen“ und für die „steuerrechtliche Beratung bei der Verwaltung größerer Vermögen“. Auch das eine gute Qualifikation für den Hüter einer demokratischen Verfassung?
Harbarths Kanzlei: Erfinder des Cum-Ex-Betrugs
Wir müssen nochmal auf Harbarths ehemalige Kanzlei Shearman & Stirling zurückkommen. Gleichzeitig mit Harbarth war dort als sein Kollege ein gewisser Hanno Berger tätig, von 1999 bis 2004.[5]
Berger brachte als Leiter der Steuerabteilung der Kanzlei die hochprofessionell auf Kante genähte Konstruktion des Cum-Ex-Betrugs zur juristischen Reife. Die Praxis dieses Betrugs reicht in die 1990er Jahre zurück, stand aber auf etwas wackeligen juristischen Beinen. Bei Shearman & Stirling wurde das geändert, auch durch die Einbeziehung von Fondsbetreibern in London und New York. Damit konnten sich nun Vermögende bekanntlich jahrelang und in neuen Dimensionen insgesamt viele Milliarden an Steuern rückerstatten lassen, die sie nie bezahlt hatten. Dazu brauchte man sich nur z.B. von BlackRock & Co für ein paar Tage oder Wochen gegen eine Gebühr ein dickes Paket Leihaktien übertragen lassen. Damit konnte man sich gegenüber dem Finanzamt als Aktionär ausgeben, dem angeblich die Quellensteuer schon automatisch abgezogen worden sei.
Der schwäbische Kollege Wolfgang Schäuble hat als Bundesfinanzminister die Betrügereien seines CDU-Klientels jahrelang gedeckt. Dem Ministerium war der Betrug seit 2005 bekannt: Eine Mitarbeiterin der Finanzverwaltung Essen hatte den Betrug erkannt und weitergemeldet,[6] ebenso eine Mitarbeiterin des Bundesamtes für Finanzen in Bonn.[7]
Erfinder Berger, inzwischen standesgemäß in die Schweiz geflüchtet, ist nun vor deutschen Gerichten einer der mehreren Angeklagten aus diesem christlich geschützten, hochgestellten Betrügermilieu. Wenn er vom Gericht in Wiesbaden verurteilt wird, geht er dagegen, so können wir mal als Möglichkeit annehmen, vor das Bundesverfassungs-Gericht. Er kann sich ja auf jahrelange Duldung durch den Finanzminister berufen. Auch der professionell mit Steuer“gestaltung“ befasste Abgeordnete Harbarth hat nie was dazu gesagt: Diesen größten Fall von organisierter Steuerkriminalität in der Geschichte der Bundesrepublik hat der hochrangige Fachmann immer gedeckt – natürlich kann es sich auch um professionelle Selbsterblindung handeln: Dann kann man sich auf subjektives Nichtwissen zurückziehen. Eine beliebte Kunstfigur.
Ist ein solches rechtsblindes Huhn als Hüter der Verfassung geeignet? Und wie würde der ehemalige Kanzlei-Kollege Harbarth, dann Präsident des Verfassungsgerichts, entscheiden, wenn ihm die Beschwerde des ehemaligen Kanzlei-Kollegen Berger vorgelegt wird?
Harbarth standesgemäß: Honorarprofessur
Neben seinen Funktionen als Abgeordneter, in seinem Wahlkreis Rhein-Neckar, im Fraktionsvorstand, im CDU-Bundesvorstand, im Kanzlei-Vorstand, als Kanzlei-Geschäftsführer und neben seinen Anwaltsmandaten für große Unternehmen fand der öffentlich routiniert Unauffällige noch genügend Zeit für Tätigkeiten, die einen Anwalt seines Milieus nebenbei standesgemäß auch zieren müssen: Seit 2004 ist er Lehrbeauftragter und seit 2018 Honorarprofessor an der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg.
Der Korrektheit halber sei angemerkt: „Honorarprofessor“ – da darf man zwar den irgendwie angesehenen Titel Professor tragen. Aber das bedeutet gerade nicht, dass man dafür ein Honorar bekommt. Nein, man bekommt gar nix, außer dass man mit einem solchen Titel – im eigenen Milieu wie auch bei Unkundigen – das Image aufpolieren kann. Gerade ein Konzernlobbyist, der als einseitig erscheinen mag, braucht was Wissenschaftliches oder was jedenfalls so klingt.
Allerdings: Man muss auch eine gewisse Lehrtätigkeit absolvieren, sonst verliert man den Titel. Der Nebentätigkeits-Routinier und bereits inthronisierte Vizepräsident des Bundesverfassungs-Gerichts behandelte in seiner Lehrveranstaltung im Wintersemester 2018/19 Themen aus dem aufblühenden After-Brexit-Steuer-Beratungs-Geschäft seiner Kanzlei: Wie sieht eine passende GbR, OHG, KG, GmbH&Co KG aus?
Stolze Tradition: Schon rechtliche Hilfe für die IG Farben
Die Kanzlei SZA rühmt ihre 100-jährige Tradition im Einsatz für modernste Unternehmensformen: So haben die Kanzleigründer Heinrich Kronstein und Wilhelm Zutt während der 1920er Jahre in der Weimarer Republik am Verkauf von Opel an General Motors mitgewirkt.
Besonders wichtig war die rechtliche Konstruktion bei der Gründung der IG Farben. In diesem Kartell wurden die damals größten deutschen Chemiekonzerne Bayer, BASF, Höchst und andere zusammengefasst. Sie bildeten ein machtvolles Monopol und dann die Grundlage für die lukrative Kriegsplanung der Nazis im Vier-Jahres-Plan. Dazu gehörten – ganz modern – Briefkastenfirmen in der Schweiz und globale, marktaufteilende Kartellverträge mit US-Energie- und Rüstungskonzernen wie Standard Oil und Dupont.
Kanzlei-Gründer Kronstein beriet bis 1935 in Nazideutschland bei der Arisierung jüdischer Unternehmen, wie Wikipedia berichtet.[8] Dann musste er selbst ins Exil, wegen der dorthin aufgebauten Beziehungen ging er in die USA. Er bekam die US-Staatsbürgerschaft und arbeitete während des Weltkriegs als Kenner der deutschen Wirtschaft für die US-Regierung. Hier gestand er 1940 ein, dass die von ihm selbst beförderte kartellierte Wirtschaftsstruktur Deutschlands die Machtergreifung Hitlers erleichtert habe.[9]
Vorbild US-Unternehmensrecht
Die Kanzlei orientiert sich weiter global am US-Unternehmensrecht, insbesondere am Steuer-, Fusions-, Arbeits- und Kartellrecht. Der zeitweilige Shearman&Stirling-Teilhaber Harbarth ist wie Kollege Merz ein prinzipieller Transatlantiker. Das konzernnahe Milieu der USA ist sein zweites Zuhause.
So referierte der Yale-Absolvent im Oktober 2018 an der anderen Eliteuniversität Harvard bei der jährlichen German-American Conference über den „Schutz der Meinungsfreiheit“, gesponsert u.a. von Boston Consulting Group, Bayer und Siemens. Harbarths Büroleiter Jakob Schrot ist Gründer und Ehrenvorsitzender der „Initiative junger Transatlantiker“.
Der „Wirtschaftsexperte“ wird von der Finanzkrise „überrascht“
Harbarth wurde ebenfalls vom größten Finanz- und Wirtschaftsereignis der letzten Zeit, das von den USA-Freunden ausging, der Finanzkrise von 2007, „überrascht“. Diese besonders „Wirtschaftskundigen“ erweisen sich in den wirtschaftlichen Hauptfragen als dumme Jungs. Oder so: Ihre profitgierige Selbsterblindung erkennt nur den Vorteil für ihr privilegiertes Milieu, auch wenn die Volkswirtschaft mit ihrer Hilfe ansonsten zu Bruch geht und die Steuerzahler blechen müssen.
Gegen Arbeitnehmerrechte
SZA und auch Harbarth äußern sich nicht, im Unterschied zu Merz, als Hetzer gegen Gewerkschaften, gegen Mindestlohn und für die Abschaffung des Kündigungsschutzes. Aber unauffällig und effektiv arbeiten sie am selben Ziel. Die SZA-Praxisgruppe Arbeitsrecht ist spezialisiert für dezentrale, unternehmensinterne Tarifverträge.
Als Abgeordneter, Mitglied im CDU-Fraktionsvorstand und im CDU-Parteivorstand verzögerte Harbarth den gesetzlichen Mindestlohn so lange wie nur möglich. Und dass Unternehmer diesen Armutslohn dann millionenfach straflos gar nicht bezahlen – der hoffentlich noch verhinderte Präsident des obersten Gerichts hat das nie kritisiert.
Kapitale Lösung mit Merz und BlackRock?
Das Handelsblatt überschlug sich 2018 in seinen Erwartungen an Harbarth als zukünftigem Präsidenten des höchsten Gerichts. „Es könne doch sein“, so himmelte die Autorin Heike Anger den Lobbyisten mit dem hübschen Einstecktuch im grauen Anzug an, „dass Harbarth als Präsident des Bundesverfassungsgerichts dereinst ein Anker der Stabilität werden muss – sollten die politischen Verhältnisse in Berlin mit einer weiteren Erosion der Volksparteien zunehmend instabil werden.“[10]
„Dereinst ein Anker der Stabilität“? Harbarth hat als Politiker selbst zur Erosion der angemaßten „Volks“parteien beigetragen. Und er hat als Unternehmens-Lobbyist eines demonstriert: Mit ihm gibt es für das private Eigentum keine Verpflichtung auf das Gemeinwohl, im Gegenteil.
Die von den Laut-SprecherInnen des privaten Kapitals auch mit einem Präsidenten Harbarth ersehnte „Stabilität“ wäre etwa diese, wie von BlackRock &Co beim diesjährigen Welt-Wirtschafts-Forum in Davos nochmal bekräftigt: Ob Umwelt oder Renten, die Regierungen und ihre bisherigen Parteien können es nicht. Wir, die Unternehmen und Investoren, müssen nun „die Verantwortung übernehmen“!
BlackRock als inzwischen größter Eigentümer der wichtigsten Unternehmen in Deutschland und dann auch noch als Organisator der privaten Rente, wie vom anderen Konzern-Lobbyisten Merz vorgeschlagen: Der Konzern-Lobbyist Harbarth als Präsident des obersten Gerichts gäbe keine Gewähr, dass die Verfassung geschützt wird. Wir stehen an einem Scheidepunkt der Demokratie. Die Verhinderung Harbarths muss ein Zeichen in die notwendige andere Richtung sein.
Titelbild: Screenshot CDU/CSU-Bundestagsfraktion/YouTube
Von Werner Rügemer erschien zuletzt: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts. Gemeinverständlicher Abriss zum Aufstieg der neuen Finanzakteure. 2. aktualisierte Auflage Köln 2020, 361 Seiten, 19,90 Euro
[«1] Gerichtspräsident im Wartestand, Handelsblatt 23.11.2018
[«2] Werner Rügemer: Das jüngste Weltgericht. Hintergrund 14.1.2015
[«3] Wirtschaftswoche 8.5.2012
[«4] Mandat vs. Mandant, Süddeutsche Zeitung 19.10.2015
[«5] Prominenter Zuwachs: Shearman-Steuerpartner Berger geht zu Deweg Ballantine, juve 6.5.2004
[«6] „Cum-Ex“-Geschäfte: Die Finanzbeamtin und der Milliardentrick, Frankfurter Allgemeine Zeitung 13.6.2016
[«7] Cum-Ex: Der größte Steuerraub in der deutschen Geschichte, Die Zeit 8.7.2017
[«8] Wikipedia deutsch: Heinrich Kronstein, abgerufen 25.11.2018
[«9] Tony Allen Freyer: Antitrust and Global Capitalism 1930 – 2004, Cambridge 2008, S. 28, zitiert in Wikipedia
[«10] Gerichtspräsident im Wartestand, Handelsblatt 23.11.2018
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=59130