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Titel: „Für Sama“ – Kitsch und Kriegsverlängerung für Syrien

Datum: 5. März 2020 um 13:23 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik, Militäreinsätze/Kriege, Strategien der Meinungsmache
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Eine neue Kino-„Dokumentation“ zu Syrien reißt die „Schlacht um Aleppo“ aus dem Zusammenhang: Sie kreiert – durchaus gekonnt – eine isolierte Gegenwart des Schreckens ohne Vergangenheit. Dadurch werden die Verantwortlichen des Kriegs gegen Syrien aus dem Blick genommen. Dadurch hilft die Produktion, den Krieg zu verlängern. Für dieses Ziel wird auch skrupellos Kinderleid instrumentalisiert. Die internationale (westliche) Kritik ist begeistert. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Den neuen Kino-Film „Für Sama“ über den Krieg gegen Syrien (weitere Infos des Verleihs) muss man auf zwei Ebenen betrachten: Die eine Ebene widmet sich dem abstrakten und akuten Kriegsleid in einer isolierten Gegenwart in der syrischen Großstadt Aleppo um 2016. In dieser schrecklichen Gegenwart fallen (auch russische) Bomben und werden Zivilisten getötet – die Überlebenden müssen ihren Alltag so gut und so würdig es geht in der Apokalypse einrichten. Diese Ebene fragt nicht nach den Wurzeln des Konflikts. Hier werden auch nicht die Verantwortlichen benannt für eine Situation, in der Islamisten Großstädte besetzen und dafür Unterstützung aus dem Westen erhalten. Dieser Aspekt des Films – also die Illustrierung eines nach Lesart des Films ohne äußere Einmischung „entstandenen“ Kriegs „zwischen syrischen Bürgern“ – wird gekonnt umgesetzt: Die Bilder sind teils kaum auszuhalten, sie sind von einer grausamen Direktheit. In diesem Sinne wirkt „Für Sama“ also durchaus „kriegskritisch“: Ein abstrakter „Schrecken des Krieges“ (ohne Herkunft) wird sehr wirkungsvoll dargestellt. Diese Darstellung rüttelt auf und stärkt bei den Zuschauern eine emotionale und prinzipielle Abwehr gegen „den Krieg“. So weit, so verdienstvoll.

Wie kam die Gewalt nach Aleppo? Der Film verweigert alle wichtigen Fragen

Will sie aber nicht als anti-syrische Propaganda dienen, muss eine Dokumentation über den westlich unterstützten Krieg gegen Syrien erheblich mehr leisten, als eine allgemeine Abscheu gegen Gewalt zu schüren. Sie müsste aufzeigen, woher diese Gewalt kommt und wer die Waffen geliefert hat, mit denen Al-Kaida-Terroristen Aleppo so lange halten konnten. Sie müsste benennen, wer durch jahrelange und kontinuierliche finanzielle, militärische und propagandistische Unterstützung der islamistischen „Oppositionellen“ den Krieg gegen Syrien in eine unerträgliche Länge gezogen hat. Sie müsste auch jene Journalisten in die Pflicht nehmen, die über Jahre die inzwischen enttarnte Geschichte vom „Volksaufstand“ in Syrien verstärkt und abgesichert haben. Sie müsste die Islamisten als Aggressoren zeichnen und sie auffordern, ihre Waffen niederzulegen. Der Film verweigert all das – von Szenen des „Arabischen Frühlings“ wird übergangslos in die „Hölle von Aleppo“ geschnitten.

Die grundfalsche indirekte Botschaft des Films lautet also: Der syrische Diktator antwortet auf fröhliche und bunte Demos der Zivilgesellschaft von 2011 mit der Bombardierung von Krankenhäusern und der Ermordung von Kindern, Fassbomben und Giftgas inklusive. Gegen so ein Monster darf man – nach Lesart der westlichen Propaganda – auch zu den Waffen greifen, sogar eine Unterstützung von terroristischen Gotteskriegern durch das Ausland scheint vor diesem Hintergrund gerechtfertigt. Eine seit 2011 offen auf der Hand liegende Frage wird darum bis heute nicht beantwortet: Warum werden die Islamisten von all den besorgten internationalen Beobachtern nicht aufgefordert, endlich ihre Waffen niederzulegen, und das Leid damit zu beenden?

„Für Sama“ beutet Kinderleid aus und stützt die aktuelle Meinungsmache zu Idlib

Mit ihrer isolierten Darstellung einer blutigen Gegenwart in Aleppo passt sich die „Dokumentation“ perfekt in die aktuelle Meinungsmache zur Befreiung von Idlib ein: Auch hier soll der (unleugbare und akute) Schrecken des Krieges von seinen Wurzeln getrennt werden: Auch hier wird mit großer Mühe eine isolierte Gegenwart geschaffen, in der Russen und Syrer „Krankenhäuser bombardieren“. Die Motivation der Russen und Syrer wird verschwiegen, nämlich die verteidigende Rückeroberung des eigenen Staatsgebiets aus den Händen islamistischer Kämpfer. So bleibt als Motivation für den „Vormarsch“ bei Idlib nur der irre Blutdurst zweier „Machthaber“. Und so werden durch Verkürzung die Verteidiger zu Angreifern umgedeutet.

Zur Stärkung dieser Legende sind die Filmemacher bereit, zahlreiche Standards mit Füßen zu treten: Skrupellos wird Kinderleid ausgeschlachtet, Kitsch wird zur relevanten Botschaft erhoben, manche Bilder erscheinen unangemessen stilisiert, die Auswahl an Opfern und Sympathieträgern ist radikal einseitig, die Opfer der Gewalt werden ungefragt zu Statisten für die eigene Meinungsmache degradiert.

Große Nachsicht für Propaganda-Techniken

Verstörend ist weniger die Produktion selber – man ist mittlerweile einiges gewöhnt im Zusammenhang mit der medialen Syrien-Kampagne, wie die NachDenkSeiten gerade unter dem Titel „Syrien – Die unendliche (Lügen-)Geschichte“ oder unter dem Titel „Blutsverwandt: Kriegswille und Rassismus“ beschrieben haben. Bedenklich ist einmal mehr, wie der Film international gefeiert und ausgezeichnet wird. In all den Lobreden und begeisterten Rezensionen gibt es so gut wie keine Kritik – weder am Film selber noch an der Rolle des Westens im Krieg gegen Syrien. Selbst offensichtliche formale Mängel werden in diesem Fall verteidigt, schließlich geht es ja um die gute Sache, wie die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt und mit dieser Aussage ihrerseits journalistische Standards verletzt:

„Waad al-Kateab überschreitet ständig solche Grenzen des Privaten. Die akademische Frage, ob das ‚erlaubt‘ sei, zerbröselt aber angesichts der Dringlichkeit, der Welt von der humanitären Katastrophe in Syrien zu erzählen.“

Die neuen seriösen Quellen: „Weißhelme“, „Stelle für Menschenrechte“, „Bana aus Aleppo“

Diese Nachsicht gegenüber aus dem Zusammenhang gerissenen Darstellungen von Kriegsleid in Syrien kann nicht überraschen: Bei dieser seit 2011 laufenden Medien-Kampagne wurden schon lange zahlreiche Presse-Standards entsorgt und zusätzlich höchst verdächtige Quellen als seriös eingeführt – man denke nur an die „Weißhelme“ oder die „Syrische Stelle für Menschenrechte“. Auch die Instrumentalisierung unschuldiger Kinder für Kitsch-Propaganda ist aus der Syrien-Kampagne bereits wohlbekannt, ein bekanntes und bizarres Beispiel war die Inszenierung und die mediale Hysterie um das „Twitter-Mädchen“ Bana.

Und auch die Form des (angeblichen) „Dokumentarfilms“ ist vertraut, so wurden auch etwa die hoch umstrittenen und unter schwerem Propaganda-Verdacht stehenden „Weißhelme“ mit ähnlichen Filmen bedacht. Jene „Weißhelme“ haben mit ihren eigenen Produktionen eine dominante Ästhetik in Syrien-Berichten ausgelöst: die Bilder von Rettern, die mit blutenden Kindern im Arm auf Kameras zulaufen. Diese Ästhetik wird auch in „Für Sama“ genutzt – sie ist schockierend, aber ohne Kontext aussagelos.

Kollektive Kapitulation vor dem Kitsch

Ein Merkmal dieser westlichen Produktionen zu Syrien ist, dass sie international von Kritik abgeschirmt werden. So produziert der (sich im Syrienkrieg mit Recht verteidigende) syrische Staat mutmaßlich ebenfalls verkürzte Kitsch-Propaganda zum Krieg – doch diese Produktionen werden dann nicht von unzähligen „seriösen“ Kritikern und Institutionen in den Himmel gelobt. Bei der Rezeption von „Für Sama“ muss eine kollektive Verweigerung der Realität festgestellt werden: Die internationale (westliche) Kritik wirft sich in den Staub vor diesem Film.

So wurde er für einen Oscar nominiert, die „Bild“-Zeitung liebt ihn ebenso wie das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“, der „Tagesspiegel“, oder die „Süddeutsche Zeitung“. Die Deutsche Filmbewertung gibt das Prädikat „besonders wertvoll“, bei der Internet Movie Data Base hat der Film eine hohe Bewertung. Die internationalen Reaktionen der (westlichen) Medienkritik kann man etwa auf der Seite „Rotten Tomatoes“ sehen: Demnach sind 99 Prozent der Kritiken positiv, viele sind geradezu hymnisch.

Der Krieg wird verlängert

Durch diese kollektive Akzeptanz einer westlichen Propaganda-Erzählung werden zentrale Fragen zu Syrien verschüttet, ohne deren Lösung der Krieg nicht beendet werden kann: Wer hat die Gewalt nach Syrien getragen? Wie kann der Krieg nun schnellstmöglich innerhalb der Vorkriegsgrenzen beendet werden? Wie kann der Vorkriegszustand wieder hergestellt werden? Warum fordert niemand die Entwaffnung der „Rebellen“ und die Beendigung der illegalen westlichen Sanktionen gegen Syrien?

Zur Ablenkung von solchen wesentlichen Fragen leistet nun auch „Für Sama“ seinen Beitrag – dadurch wirkt er potenziell kriegsverlängernd. Wie eingangs gesagt: Der Film kann einen (herkunftslosen) Schrecken des Kriegs sehr wirkungsvoll beschwören und dadurch (prinzipiell begrüßenswert) eine generelle Abneigung gegen Gewalt stützen. Als Beitrag zum Verständnis des westlich initiierten Kriegs gegen den syrischen Staat muss er aber als Propaganda eingeordnet werden.

Titelbild: Melih Cevdet Teksen / Shutterstock

Anmerkung: Im 11. Absatz wurde ein Link entfernt.


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