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Titel: Sterbehilfe: Ein sehr gutes Urteil

Datum: 27. Februar 2020 um 12:10 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Bundesverfassungsgericht, Verfassungsgerichtshof, Gesundheitspolitik, Wertedebatte
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Das Bundesverfassungsgericht hat in einem überraschend klaren Urteil das Verbot der „geschäftsmäßigen Sterbehilfe“ wieder gekippt – endlich. Die Entscheidung gibt den Menschen ihr Recht zurück, dem Tod in würdiger Weise zu begegnen. Die Politik darf diese gute Weisung nicht wieder selbstherrlich ignorieren. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat das Verbot der „geschäftsmäßigen Sterbehilfe“ für nichtig erklärt, wie das Gericht auf seiner Internetseite mitteilt. Das bisherige Verbot verletze den Einzelnen im Recht auf selbstbestimmtes Sterben, urteilten die Richter am Mittwoch, geklagt hatten Schwerkranke, Sterbehelfer und Ärzte. Dieses Recht schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei auch auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Damit hat das Bundesverfassungsgericht den Strafrechtsparagrafen 217, der seit Dezember 2015 „geschäftsmäßige Sterbehilfe“ verbietet, gekippt.

Die bemerkenswerte Klarheit des Verfassungsgericht: Alle Menschen dürfen selbstbestimmt sterben

Bemerkenswert ist, wie klar und weitgehend das Urteil formuliert ist: Das Urteil gilt ausdrücklich für alle Menschen – und nicht nur für unheilbar Kranke. Das Urteil im Wortlaut findet sich unter diesem Link. Warum alle Menschen (auch ohne tödliche Krankheit) ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, auf einen Tod ohne lange Phasen der Schmerzen und auf ein Lebensende ohne Apparate-Medizin haben, das haben die NachDenkSeiten etwa in diesem Artikel kürzlich beschrieben. Wie anmaßend sich Teile der Politik über dieses Recht hinwegsetzen, wurde kürzlich in diesem Artikel der NachDenkSeiten thematisiert.

Das Urteil ist in jeder Beziehung zu begrüßen: in Bezug auf die neuen Freiheiten, aber auch in den mahnenden Worten zur praktischen Einschränkung, auf die weiter unten eingegangen wird. Hier folgen zunächst Passagen des Urteils, die die Selbstbestimmung verteidigen:

„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen.“

Den anmaßenden Versuchen der Politik und anderer gesellschaftlicher Akteure, selbstdefinierte Vorbedingungen für eine „Erlaubnis“ der Nutzung der Sterbehilfe zu installieren, erteilt das Gericht eine wohltuend eindeutige Absage:

„Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist nicht auf fremddefinierte Situationen wie schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt. Es besteht in jeder Phase menschlicher Existenz. Eine Einengung des Schutzbereichs auf bestimmte Ursachen und Motive liefe auf eine Bewertung der Beweggründe des zur Selbsttötung Entschlossenen und auf eine inhaltliche Vorbestimmung hinaus, die dem Freiheitsgedanken des Grundgesetzes fremd ist.“

Werden die Gegner das Urteil sabotieren?

Diese Passage ist darum wichtig, weil etwa Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) – zumindest laut diesem Medienbericht – in der Vergangenheit die Abgabe von Medikamenten an Sterbewillige mutmaßlich verweigert hat, entgegen einem anderslautenden Urteil. Aus dieser Erfahrung erwächst Misstrauen, ob der gute Richterspruch nun auch zeitnah praktisch umgesetzt wird – oder ob sich einflussreiche Gegner der Sterbehilfe dem selbstherrlich entgegenstellen. So beschrieb einer der Kläger, der krebskranke Horst L., gegenüber der Nachrichtenagentur dpa seine große Erleichterung über das Urteil. Gleichzeitig hat er Bedenken: „Ich hoffe, dass dieser Grundton bei der sich nun anschließenden Umsetzung genauso klar erhalten bleibt.“

Auch wegen dieser begründeten Bedenken fordert die SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas gegenüber dpa: „Jens Spahn muss jetzt seinen Widerstand gegen die Abgabe der dazu notwendigen Medikamente aufgeben.“ Bisher verhindere Spahn, dass das zuständige Bundesinstitut Schwerkranken auf Antrag Zugang zu Betäubungsmitteln in tödlicher Dosis ermöglicht – obwohl ihn ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 2017 dazu verpflichten würde.

Sterbehilfe ist auch mit ernsten gesellschaftlichen Risiken verbunden

Dass Sterbehilfe auch mit ernsten gesellschaftlichen Risiken verbunden ist, ignoriert das Gericht nicht. Der Gesetzgeber habe aber ein breites Spektrum an Möglichkeiten, die Suizidhilfe einschränkend zu regulieren – etwa um die Entscheidungsfähigkeit der Sterbewilligen, die Konsistenz des Sterbewunsches und die gesicherte Freiwilligkeit des Entschlusses festzustellen. Das Urteil nennt als Beispiele festgeschriebene Aufklärungs- und Wartepflichten.

Die dpa und Medienberichte skizzieren weitere Hintergründe des Richterspruchs: Im Sinne des Urteils habe „geschäftsmäßig“ nichts mit Geld zu tun, sondern bedeute „auf Wiederholung angelegt“. Aktive Sterbehilfe – also eine Tötung auf Verlangen, etwa durch eine Spritze – bleibe verboten. Bei der assistierten Sterbehilfe werde das tödliche Medikament nur zur Verfügung gestellt, der Patient nehme es selbst ein. Bisher böten vor allem Sterbehilfe-Vereine zahlenden Mitgliedern so etwas an. Sie hätten ihre Aktivitäten in Deutschland aber ab 2015 weitgehend eingestellt. Ärzte seien nach Eindruck der Richter nur selten dazu bereit. Das Urteil verpflichte keinen Mediziner, gegen seine Überzeugung Sterbehilfe zu leisten.

Reaktionen aus Medien und Kirchen

Kritik am Urteil des Bundesverfassungsgerichts kommt von den Kirchen und etwa von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin und von der Stiftung Patientenschutz. Einige Reaktionen in großen Medien sind verhalten positiv, zum Teil sind sie widersprüchlich, wie etwa die Positionen der Süddeutschen Zeitung, die einerseits zutreffend schreibt:

„Das Bundesverfassungsgericht hat dem Staat damit spektakulär die Herrschaft über den Tod entwunden, die er sich mit dem Sterbehilfegesetz angemaßt hat. Und es hat sie dem Individuum zurückgegeben. Karlsruhe mutet dem Gesetzgeber einen fundamentalen Rollenwandel zu, den Wandel vom Verhinderer zum Ermöglicher des Suizids. Er muss dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, “hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung” geben, heißt es. Wenn ein Mensch den Weg ins Jenseits antreten will, darf der Staat dorthin keine Steine legen. Er muss sie vielmehr wegräumen – und ihm vielleicht sogar ein Geländer bauen.“

Andererseits bedauert die Zeitung in dem tendenziell richtigen Artikel, dass nun organisierte Sterbehilfe zugelassen werden müsse, obwohl man dieser organisierten Form doch „aus guten Gründen“ das Handwerk habe legen wollen:

„Das Urteil dürfte das Parlament, das Sterbehilfevereinen eigentlich mit guten Gründen das Handwerk legen wollte, vor eine heikle Aufgabe stellen. Denn wenn sich die Situation für die Patienten nicht grundlegend ändert, wird der Gesetzgeber bei einer nun anstehenden Reform kaum anders können, als irgendeine Form organisierter Sterbehilfe zuzulassen.“

Reaktionen aus der Politik

Die Reaktionen aus der Politik protokollierte etwa der Deutschlandfunk (DLF) am Mittwoch in seinen „Informationen am Abend“. Demnach kritisiert die Grünen-Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther das Urteil als einen „Dammbruch“, der sie „erschüttern“ würde, und die SPD begrüßt es teilweise. Fragwürdig äußert sich Michael Brandt (CDU), der das Urteil eine „schwere Niederlage für die Menschlichkeit“ nennt.

In „Kultur Heute“ des DLF wurde am Mittwoch ein interessantes Interview mit dem Philosophen Dieter Birnbacher gesendet. Bedenklich war dagegen etwa die Aussage eines Moderatoren des Senders, dass das Verbot von 2015 durch den Bundestag eine „Sternstunde“ des Parlaments gewesen sei. Das Gegenteil ist der Fall: Die Abstimmung war ein Beispiel dafür, wie sich die Abgeordneten über einen klaren Bürgerwillen hinwegsetzen und dafür, wie eine Debatte durch emotionale Elemente ins Irrationale gelenkt werden kann. Es ist gut, dass das Gericht dieser Haltung wieder Vernunft entgegengesetzt hat. Dem wird sich das Parlament nun beugen müssen – ebenso wie die Bundesärztekammer, die laut Medienberichten schon seit 2011 ein entsprechendes (nun nicht mehr haltbares) Verbot in ihrer Musterberufsordnung vermerkt hat.

Schikanen verhindern keine Todessehnsucht

Zu den Warnungen vor einem „Dammbruch“ sei festgestellt: Diese Sichtweise suggeriert, Sterbewillige hätten sich vor allem von den bislang bestehenden Schikanen von einem Suizid abhalten lassen. Dementsprechend würde nun auf die richterliche „Erlaubnis“ eine Welle an (teils durch Verwandte erzwungenen) Suiziden folgen. Aber zum einen werden Sterbewillige wohl weniger durch Vorschriften des Bundestags angetrieben als durch eine auf körperlichen oder seelischen Schmerzen basierenden Verzweiflung – die Frage ist eher, ob sie auf diesem Weg moralisch angefeindet und praktisch behindert werden oder ob der Gesetzgeber dabei eine begleitende Hand reicht. Missbrauch der Sterbehilfe kann durch die vom Gericht vorgeschlagenen Maßnahmen weitgehend verhindert werden.

Zum anderen: Den Lebenswillen erhält man sicher nicht durch Verbote und Gesetze, sondern durch ein würdiges Leben im Alter – durch diese Sicht wird eine umfangreiche Debatte angestoßen, die das gesamte neoliberale Gesellschaftsmodell und seine Defizite (unter vielen anderen Aspekten Vereinzelung, Pflegenotstand und Altersarmut) betrifft.


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