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Titel: Ergänzung zu Gabriels Aufrüstungsidee für Osteuropa. NDS-Leser Lang stellt diese in den Kontext einer EU-Militarisierungsstrategie
Datum: 19. Februar 2020 um 8:58 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Aufrüstung, Europäische Union, Leserbriefe
Verantwortlich: Redaktion
Der gestrige Beitrag “Gabriel und Rürup offenbaren sich als Förderer des neuen und gefährlichen West-Ostkonflikts” veranlasste einen Leser der NachDenkSeiten zu einer Einordnung unserer Beobachtung in den größeren Kontext des rechtlichen Grundsteins einer parallelen Militarisierung der EU zur NATO. Das sei ein Zusammenhang, der üblicherweise in den öffentlichen Debatten unseres Landes nicht aufgezeigt werde. Hier läuft eine Militarisierung, die nicht einmal andeutungsweise demokratisch legitimiert ist. Der Leserbriefschreiber stellt auch den notwendigen Zusammenhang zwischen diesen Hintergründen, dem Wirken des französischen Präsidenten und der rätselhaft glatten Personalentscheidung für Frau von der Leyen her. Da haben höhere Kräfte gewirkt und keinesfalls im Konflikt mit den USA.
Hier der Leserbrief – eine Analyse von Reinhold Lang:
Sehr geehrter Herr Müller,
diese Information muss in einen erweiterten Zusammenhang gestellt werden, der natürlich in den sog. Qualitätsmedien nicht aufgezeigt wird. Deshalb hier meine ergänzenden Hinweise:
Die „kluge Idee“ Rürup-Gabriels, statt 2% des deutschen Brutto-Inlands-Produkts (BIP) von ca.80 Mrd. Euro jährlich allein in den deutschen Militärhaushalt (offiziell apologetisch Verteidigungshaushalt genannt) zu stecken, nur 1,5% des BIP in die Bundeswehr und zugleich 0,5% des BIP „in die Fähigkeiten Osteuropas, sich zu verteidigen“ zu „investieren“, könnte z.B. über den Vertrag von Lissabon“ erfolgen, also innerhalb des Titels V „Allgemeine Bestimmungen über das auswärtige Handeln der Union und besondere Bestimmungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ des EUV („Vertrag über die Europäische Union“ von 2009), der trickreich eine Europäische Verfassung ersetzte. (Zu diesem Aspekt gab es schon zahlreiche NDS-Hinweise).
Leider kennen nur EU-Insider die dort niedergelegten verbindlichen Zielsetzungen für alle EU-Mitgliedsstaaten, weil auch die sog „Qualitätsmedien“ kein Interesse daran haben, diese militaristisch eindeutigen Bestimmungen den EU-Bürgern zu erläutern, da es offenbar für „klüger gehalten wird, vollendete Tatsachen zu schaffen“ und mittels „kluger Ideen“ a la Rürup-Gabriel den Weg dorthin zu ebnen.
Ich darf den Wortlaut von Art.24 (1) aus dem Kapitel 2, Besondere Bestimmungen über die Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik des EVU zitieren:
„Die Zuständigkeit der Union in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik erstreckt sich auf alle Bereiche der Außenpolitik sowie auf sämtliche Fragen im Zusammenhang mit der Sicherheit der Union, einschließlich der schrittweisen (!Lg) Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen kann.“
Hier ist der rechtliche Grundstein einer parallelen Militarisierung der EU zur NATO gelegt, was von den USA-Regierungen seit 2009, dem Jahr des Inkrafttretens des EVU, abgelehnt und vom Vereinigten Königreich bislang ausgebremst wurde innerhalb der EU-Apparate (EP, Kommission,EU-Ministerrat, Europäischer Rat). Nach dem Brexit aber hat jetzt Frankreich mit Macron die Initiative ergriffen, auf dieser EU-Rechtsgrundlage endlich voran zu kommen (siehe Vortrag Macrons auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2020) und hat dabei in der von ihm zur EU-Kommissionspräsidentin durchgesetzten deutschen ex-Verteidigungsministerin Ursula Mc von derLeyen sicherlich eine glühende Mitstreiterin und zugleich in der kläglich als CDU-Bundesvorsitzende gescheiterten AKK aber ebenfalls als noch amtierende Bundesverteidigungsministerin auf der Münchner Konferenz eine aktive Propagandistin gefunden. Jetzt fehlten nur noch die SPD-Stimmen und siehe da, der neue Atlantik-Vorsitzende und Merz-Nachfolger, ein gewisser Gabriel, hat sich eilfertig gemeldet.
Er könnte sich dabei auf den Wortlaut von Art. 26 (1) des bereits zitierten EVU berufen:
„Der Europäische Rat (höchstes Exekutiv- und zugleich quasi LegislativOrgan der EU, Lg.) bestimmt die strategischen Interessen der Union und legt die Ziele und die allgemeinen Leitlinien der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik fest, und zwar auch bei Fragen mit verteidigungspolitischen Bezügen. Er erlässt die erforderlichen Beschlüsse.“
Also nicht die EU- Volksvertretung, das gewählte EU-Parlament! Das wird gemäß Art. 36 EVU lediglich „ gehört“ und „kann Anfragen oder Empfehlungen an den Rat… richten.“ Empfehlungen sind für den EU-Rat unverbindlich und Anfragen dito! Soviel an dieser Stelle zum durchgängigen DEMOKRATIE-DEFIZIT in den EU-Verträgen!
Im Abschnitt 2 des Kapitels V EVU aber kommt es noch deutlicher, was die wirklichen Absichten der EU-Militarisierung sind. In Art.42 EVU sichert die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik „der Union eine auf zivile und militärische Mittel gestützte Operationsfähigkeit. Auf diese kann die Union bei Missionen (sprich Militäreinsätzen, Lg) außerhalb( sic!) der Union … zurückgreifen.“ Absatz 2 von Art. 42 präzisiert: Diese Politik „umfasst die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union“, u.a. den Aufbau von EU-Streitkräften. Absatz 3 ermächtigt hierzu wörtlich: „Die Mitgliedstaaten stellen der Union für die Umsetzung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zivile und militärische Fähigkeiten als Beitrag zur Verwirklichung der vom Rat festgelegten Ziele zur Verfügung. Die Mitgliedstaaten, die zusammen multinationale Streitkräfte aufstellen, können diese auch für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zur Verfügung stellen. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise (sic!) zu verbessern. Die Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung (im Folgenden ‚Europäische Verteidigungsagentur‘) ermittelt den operativen Bedarf und fördert Maßnahmen zur Bedarfsdeckung …“ etc. Die weiteren Absätze 5 bis 7 sowie Art 43 ergänzen diese EU-Militarisierungs-Strategie noch um das Missionsziel „zur Bekämpfung des Terrorismus,… unter anderem auch durch die Unterstützung für Drittländer bei der Bekämpfung des Terrorismus in ihrem Hoheitsgebiet.“ Weitere Präzisierungen folgen dann in den Art. 44 bis 46.
Wenn Sie jetzt noch, lieber Herr Müller oder ein NDS- Leser am wahren Charakter der rüstungslobby- gesteuerten und in den EU-Verträgen juristisch abgesicherten realen EU-Militarisierungsstrategie zweifeln, dann zeigt das Tandem Rürup-Gabriel immerhin bereits den vom deutschen Steuerzahler zu erbringenden Finanzierungspfad, ob als NATO- oder im Rahmen einer EVU-Verpflichtung, also zusätzliche 30 Mrd. Euro jährlich, auf.
Mit leider total desillusionierten Hoffnungen hinsichtlich einer gemeinsamen und speziell deutschen ,echten Friedens- und Verständigungspolitik vom Atlantik bis zum Ural, um an die Vision von General de Gaulle zu erinnern,
grüße ich Sie mit vorzüglicher Hochachtung,
Reinhold Lang
Karlsruhe
Nachtrag: Sigmar Gabriel hat den gestern im Disput mit Bert Rürup gemachten Vorschlag, 1,5% vom BIP für Aufrüstung in Deutschland und 0,5% BIP in die Aufrüstung Osteuropas zu stecken, bereits am 6. Juni 2019 geäußert. Damals ist das nicht richtig wahrgenommen worden. Über die Umstände dieser damaligen Äußerung Gabriels im Zusammenhang mit der Kandidatur zum Vorsitz der Atlantikbrücke und die weitere PR für diesen Vorschlag wäre nochmals gesondert zu berichten.
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