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Titel: Links blinken, rechts regieren – Geißler demonstriert seine strategischen Fähigkeiten (Von wegen Sozialdemokratisierung der Union IV)

Datum: 10. Juni 2010 um 9:20 Uhr
Rubrik: Schulden - Sparen, Sozialstaat, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich:

Ich bewundere den früheren Generalsekretär der Union als großen politischen Strategen, und ich wundere mich immer wieder über jene, die auf seine Strategie hereinfallen. Dazu gehören viele vermeintlich progressiven Zeitgenossinnen/en. Deshalb muss man dankbar dafür sein, wenn dieser große Politikstratege seine Strategie – einschließlich beachtlicher Mängel in der Sache – selbst offen legt. Zur Demonstration reichen einige wenige Absätze eines Interviews mit Focus vom 9. Juni. Siehe dazu hier und Auszüge in Anlage A. Albrecht Müller

Dazu einige Anmerkungen:

  1. Geißler macht radikale Sprüche („Arbeitslose werden zum Kostenfaktor degradiert“), aber er lehnt selbst dieses ungerechte und zugleich ökonomisch falsche Sparpaket nicht ab, im Gegenteil, er wirbt dafür.
  2. Er übt immanente Kritik und wirbt dann sogar dafür, mit Verbesserungsversuchen Schwarz-Gelb, also die politische Machtbasis der neoliberalen Bewegung in Deutschland, nicht zu gefährden. Wörtlich: „Man darf die Koalition deswegen jetzt nicht gefährden, aber muss im Laufe der Gesetzgebungsarbeit versuchen, die Liberalen zum Einlenken zu bewegen.“
  3. Er benutzt den üblichen Trick, um Kritik abzubiegen: Die sachliche Linie sei richtig, aber sie werde schlecht verkauft. Wörtlich; „Zwei Punkte hätten von der Bundesregierung deutlicher herausgestellt werden müssen“.
  4. Geißlers Vorstellungen von der Sache, von dem was ist, und von dem, was notwendig wäre, sind geradezu abenteuerlich:
    • Geißler hält Sparen auch zum jetzigen Zeitpunkt für die richtige Therapie. Er glaubt wirklich, dass man jetzt sparen müsse und dass mit dieser Sparabsicht auch ein Sparerfolg verbunden wäre; er glaubt, dass man zum jetzigen Zeitpunkt – also bei hoher Arbeitslosigkeit und schlechter Konjunktur – die Staatsschulden abbauen könne, wenn der Staat zu sparen versucht.
    • Geißler sieht die Gefahr einer Inflation und sieht nicht, dass uns die deutsche und die von Deutschland initiierte europäische Sparorgie an den Rand einer gefährlichen Deflation bringt.
    • Er will uns glauben machen, man könne den Euro mit Sparprogrammen stabilisieren, noch dazu mit solchen in Deutschland. Von der Notwendigkeit einer gemeinsamen Wirtschafts- und Sozialpolitik und von der Notwendigkeit, die Lohnentwicklung zu koordinieren, was heißt, in Deutschland die Löhne angemessen steigen zu lassen, keine Spur.

    Er hat offensichtlich von der Diskussion um die wirtschaftlichen Zusammenhänge nichts mitbekommen. Oder er ignoriert die Analysen von Flassbeck, Horn, Bofinger, Heusinger, der NachDenkSeiten und anderer mehr. Soviel Ignoranz kann man ernsthaft nicht unterstellen. Das heißt dann im Umkehrschluss, dass Geißler bewusst und als Parteisoldat den makroökonomischen Wahnsinn seiner Parteifreunde nachbetet.

  5. Geißler macht uns wirklich glauben, diese im Grundsatz falsch angelegte Politik ließe sich im parlamentarischen Prozess verbessern. Wörtlich: „Das Sparpaket ist verbesserungswürdig. Darüber muss jetzt im Bundestag debattiert werden. Die Parlamentarier werden nachbessern, denn sie sind näher am Volk.“

Wenn man das Focus-Interview von Heiner Geißler gelesen hat, dann versteht man auch besser, warum die Talkshow-Redaktionen ihn so gerne mögen: er bringt soziale Farbe in die Runden, er kritisiert den Kapitalismus mit radikalen Worten. Aber man kann sich darauf verlassen, dass er die politische Basis der neoliberalen Linie schont und verlässlich für diese Basis, für Angela Merkel und Schwarz-Gelb, wirbt. Deshalb ist er eine wunderbare Ergänzung zur üblichen rechtskonservativen Talkshow-Besetzung mit Henkel, Berger, Dohnanyi, Baring, usw. … . Es sieht nach Pluralität aus, ist es aber nicht.

In Anlage B finden Sie die Links zu einigen bisherigen Beiträgen der Serie zur angeblichen Sozialdemokratisierung von Angela Merkel und der Union. Die Kenntnis dieser Beiträge erleichtert die Einordnung dieses aktuellen Textes, den wir als Teil IV dieser Serie verstehen.

Eigentlich müsste das Sparpaket der Regierung Merkel dem Glauben an den sozialen Charakter der Merkel-CDU endgültig den Garaus machen. Aber ob das wirklich geschieht, wenn Interviews wie das Focus-Interview von Heiner Geißler ohne Nachdenken über die Bühne gehen, ist fraglich.

Anlage A:
Auszüge aus dem Focus Interview mit Heiner Geißler vom 9.6.2010

Heiner Geißler
„Arbeitslose werden zum Kostenfaktor degradiert“

Durch das Sparpaket sieht Ex-CDU-Generalsekretär Geißler Hartz-IV-Empfänger in ihrer Menschenwürde verletzt. Im Interview erläutert er, warum.

FOCUS Online: Das Sparpaket der Bundesregierung wird auf breiter Front kritisiert. Finden Sie darin positive Ansätze?

Heiner Geißler: Zwei Punkte hätten von der Bundesregierung deutlicher herausgestellt werden müssen: Erstens, es ist ein Anliegen aller Bürger, ob arm oder reich, dass die Staatsverschuldung gestoppt wird. Zweitens geht es darum, den Euro zu stabilisieren und eine Inflation zu verhindern. Darum ist das Sparpaket dringend erforderlich. Ich bezweifle allerdings, dass das Paket in seiner jetzigen Ausführung den Anforderungen entspricht, die in einer Demokratie erforderlich sind, um ein so weitreichendes Programm konsensfähig zu machen.

(…)

FOCUS Online: Mittlerweile gibt es auch in der Union Stimmen, die für Steuererhöhungen plädieren. Das würde die FDP in ihren Grundsätzen berühren. Welche Konsequenz muss die Kanzlerin aus der strikten Absage der FDP an Steuererhöhungen ziehen?

Geißler: Man darf die Koalition deswegen jetzt nicht gefährden, aber muss im Laufe der Gesetzgebungsarbeit versuchen, die Liberalen zum Einlenken zu bewegen.

(…)

FOCUS Online: Also kommt es jetzt auf die Bundestagsfraktionen an?

Geißler: Das Sparpaket ist verbesserungswürdig. Darüber muss jetzt im Bundestag debattiert werden. Die Parlamentarier werden nachbessern, denn sie sind näher am Volk. Ich sehe in der Unionsfraktion, aber auch in Teilen der FDP, durchaus die Bereitschaft, diese soziale Schieflage zu beseitigen.

Quelle: Focus

Anhang B
Eine Auswahl bisheriger Beiträge zur angeblichen Sozialdemokratisierung der Union:


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