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Titel: „Kulturzeit“ in 3sat: Instrument neoliberaler Meinungsmache

Datum: 12. Februar 2020 um 10:44 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Auch Berichte über Kultur sind wichtige Transportmittel der Meinungsmache. Zusätzlich zur Verbreitung verzerrender Darstellungen ist dabei zu kritisieren, dass die propagandistische Intention teils hinter „unschuldigen“ Themen versteckt werden soll. Beispiele für mutmaßliche Manipulationen  lieferte wohl auch das Format „Kulturzeit“ des Senders 3sat. Frank Blenz hat „Kulturzeit“-Produktionen zu den Themen „Russland“ und „Julian Assange“ untersucht – wir drucken seinen Beitrag hier ab. Von Redaktion.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Kulturzeit – Instrument einer neoliberalen Meinungsmache – Zwei Beispiele

Wer eine ausgewogene, interessante, vielfältige Fernsehsendung in Sachen Kultur, Kunst, Politik und Gesellschaft sehen will, findet sie, so die naive Annahme, in der „Kulturzeit“, länderübergreifend von 3sat in Deutschland, der Schweiz und Österreich produziert. Dass die Sendung indes als Instrument von Meinungsmache und Deutungshoheit neoliberaler Ideologie und Lebensart benutzt wird, ist wiederkehrend zu beobachten, kürzlich in zwei Fällen, Stichworte „Russland“ und „Assange“. Von Frank Blenz.

Russland. Die Sendung „Kulturzeit“ von 3sat vom 4. Februar geriet zu einem antirussischen Schmierenstück. Der Tenor lautete, dass 1. Russland aktuell ein Land mit großer Armut in der Welt der Globalisierung sei, dass 2. die Sowjetunion auseinanderbrach und schwere Verwerfungen erzeugte (und das aus sich heraus) – und dass das bis heute so sei, was 3. eine weißrussische Nobelpreisträgerin für Literatur dann im folgenden Interview entsprechend mit ihren Aussagen bestätigen sollte.

Die Redaktion brachte es fertig, ein Konstrukt mittels des Themas Armut zusammenzuzimmern, welches schlicht dazu gebraucht wurde, das heutige Russland anzuschwärzen. Die Autoren der Sendung boten einen Beitrag über die Armutsforscher Esther Duflo und Abhijit Banarjee, beide Träger des Nobelpreises für Wirtschaft 2019, zum Thema Armut. Danach leitete der Moderator zu zwei Beiträgen über: Die Oper “Boris Godunow” und der Zerfall der Sowjetunion wurden in einen Kontext gebracht. Das wurde besprochen mit Swetlana Alexandrowna Alexijewitsch, einer Schriftstellerin aus Weißrussland. 2015 erhielt sie den Nobelpreis für Literatur. Vor allem die An-Moderation nach dem Beitrag über Duflo und Banarjee ließ einen den Kopf schütteln (ab 1:15 min.).:

„Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auseinander – besonders krass ist der Unterschied in Russland, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion1991 haben die meisten Menschen nicht mehr genug zum Leben gehabt und bis heute ist die Armut hoch.“

Die Kulturzeitredaktion unterließ es, die Ursachen für die sozialen, politischen und ökonomischen Verwerfungen in der Sowjetunion und im nachfolgenden Russland zu besprechen. Sie unterließ es, die Veränderungen und Anstrengungen des Landes zu besprechen, die Menschen in Russland seit 1991 in eine bessere Lage zu bringen. Es steht außer Frage, das ist statistisch zu belegen, dass dies gelang. Das Interview mit der Schriftstellerin war eine Abrechnung mit Russland (wieder einmal), visuell platt und geradezu propagandistisch: In der Mitte stand der Moderator, links im zugeschalteten Bild war die Schriftstellerin zu sehen, dann erschien mit einem Mal rechts auf dem zweiten Bildschirm ein großes Foto, bedrohlich wirkend. Wer war zu sehen? Klar: Wladimir Putin.

Warum gab es den „Zerfall der Sowjetunion“, warum hat Russland nach diesem „Zerfall“ eine solche Krise erlebt? Keine Antwort. Die Sowjetunion wird vom Sprecher des Beitrages ein Mal gar süffisant-zynisch „der erste Arbeiter- und Bauernstaat“ genannt. Nichts ist zu hören über Boris Jelzin. Nichts vom gierigen Hufescharren aus dem Westen, den großen Kuchen Russland unter sich aufzuteilen. Kein Wort, wie dann Putin gegensteuerte und den Ausverkauf Russlands verhinderte. Im Folgenden wird davon gesprochen, was danach geschah. Im Beitrag, im Anreißer vor dem Interview hört sich das so an:

„Statt Wirtschaftswunder folgt eine der schlimmsten postsowjetischen Wirtschaftskrisen. Sozialleistungen sinken unter das Existenzminimum.“

Es wird seitens Kulturzeit gehöhnt: Für Putin sei der Verlust der Sowjetunion ein Trauma. 69 Jahre nach Ende der Sowjetunion würde nun das Scheitern alter imperialer Ansprüche erfolgen. Dass das heutige Russland aber solche imperialen Ansprüche aus der Sowjetunion abgeleitet haben soll – dafür wird kein Beweis geliefert und es gibt auch keinen O-Ton einer Opposition zu solch einer drastischen Aussage.

Kulturzeit bietet summa summarum eine „Meisterleistung“ eines Russland-Bashings an. Im Beitrag spricht der Moderator die Weißrussin darauf an, dass Russland ihrer Heimat den Ölhahn zugedreht hat… Doch genug: Die Sendung ist ein Desaster.

Diese Arbeit ist keine Einzelleistung, kein Einzelfall, kann ich als Stammseher sagen. Es gibt zahlreiche Beiträge, die Putin, Russland, die Menschen dort und die Kultur in dem Land beschädigen.

Die Macht interessengebundener Medien

Julian Assange. Die Kulturzeit sagt in der Sendung vom 6. Februar: „Wir haben in den vergangenen Jahren häufig über Julian Assange berichtet.“ Und weiter: „Jetzt stellt sich heraus, die Vorwürfe gegen ihn sind konstruiert gewesen.“ Es folgt ein reißerischer Beitrag, der dem Zuschauer den Atem stocken lässt – viele Fakten, alle für Julian Assange sprechend. Man schaut es an, man sitzt danach da und es bleibt einem die Spucke weg, in einem steigt die Wut hoch. Und es kommen Fragen auf: Ist dem so, dass so „oft berichtet“ wurde, vor allem in den für Assange so bedrohlichen vergangenen Wochen und Monaten? (Anwort: Nein.) Warum, wenn „Kulturzeit“ so oft von „Assange in den vergangenen Jahren berichtet hat“, fehlte es an derlei Fakten oder wenigstens Fragen? Und warum kommt “Kulturzeit” nicht der Aufgabe nach, die der Redaktion als Teil der so genannten „Vierten Gewalt“ im Staat obliegt? Man bedenke: Die TV-Sendung Kulturzeit auf 3sat gilt als seriöse, anerkannte kulturpolitische Produktion, die montags bis freitags ab 19.20 Uhr zu sehen ist, darüber hinaus „jederzeit im Internet via Mediathek“.

An meiner Universität wurde einst gelehrt, dass die öffentlich-rechtlichen Medien, der Rundfunk, das Fernsehen sowie die Privatmedien eine so genannte „Vierte Gewalt“ ausüben sollen. „Vierte Gewalt“ bedeutet in dieser Wortwahl, dass es in dem gesellschaftlichen System der „Gewaltenteilung“ im Land eine vierte, virtuelle Säule gibt. Neben Exekutive, Legislative und Judikative gibt es also die Medien, die durch ihre Arbeit, die Berichterstattung, die Meinungsäußerung und die öffentliche Diskussion das politische Geschehen beeinflussen können und sollen.

Wohl haben Medien eigentlich (offiziell und theoretisch) nicht die Macht wie Exekutive, Legislative und Judikative, eine Änderung der Politik oder eine Ahndung von Machtmissbrauch per Beschluss zu erwirken – mächtig ist die Vierte Gewalt indes schon. Und tagtäglich erleben Mediennutzer diese Macht, weil diese Gewalt in der Mehrheit eben nicht unabhängig und frei agiert, sondern interessengebunden. Wie anders ist zu erklären, dass es scheint, als würde eine TV-Sendung wie Kulturzeit – selbsternannt und verstehend, vielfältig und unabhängig – doch immer wiederkehrend als Sprachrohr für gewisse Strömungen auftreten, die helfen, den Status Quo gegenwärtiger Verhältnisse inklusive der Pflege derer Feindbilder aufrechtzuerhalten?

Die Beispiele “Armut Russland”, “Assange” zeigen, dass Kulturzeit kein Bestandteil der Vierten Gewalt darstellt.

Titelbild: Mopic / Shutterstock


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