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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 9. Juni 2010 um 9:12 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Heute unter anderem zu folgenden Themen: Nachklapp zum Sparpaket; konservative Presse macht mobil; gedämpfte Wut bei Arbeitslosen; EU: Die schwachen sollen`s stemmen; Inflationsängste unbegründet; US-Kongress ignoriert Job-Krise; Statistik-Schmu der Amerikaner; deutsche Ausfuhren; Nachspiel für die Deutsche Bank; Ratingagenturen: Risiko lässt sich nicht messen; die Ampel in NRW blinkt; zur Wahl des Bundespräsidenten; Gen-Mais: der Staat macht sich vom Acker; Gewalt von rechts; jetzt in Bildung investieren; Bildungsrepublik als Fata Morgana; zu guter Letzt: schwarz wie Milch. (MB/WL)
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
von der Leyen: Ja, das ist genau ein Beispiel, wo man es noch mal zeigen kann. Erst mal, das Elterngeld, das bekommen junge Familien, die haben typischerweise kleine Einkommen, das muss man deutlich auch sagen. Sie kennen alle, jeder weiß aus der Erfahrung, diejenigen, die kleine Kinder haben, die sind weiß Gott nicht auf Rosen gebettet.
Das sind die Familien, die aus eigener Kraft ihr Einkommen verdienen, und die nehmen sich Zeit für Kinder. Und deshalb gibt es in der Zeit, wo sie aus dem Beruf aussteigen, für ein Neugeborenes das Elterngeld. Bei den Langzeitarbeitslosen zahlt der Staat das gesamte Einkommen, auch übrigens dann für das neugeborene Kind den Lebensunterhalt. Es ist richtig, wir nehmen da was weg, das stimmt.
Schwarz: Eine ganze Menge.
von der Leyen: … Elterngeld, aber der Lebensunterhalt ist gedeckt vom Staat durchgehend. Auf der anderen Seite – und das war mir wichtig – geben wir für meine Begriffe auch gezielter eine noch sehr viel größere Summe genau da wieder hin, nämlich dass bei dem ganzen Sparpaket, bei den 80 Milliarden, ein Bereich ausgenommen ist, nämlich Bildung, Bildung insbesondere für Kinder aus Hartz-IV-Familien.
Da werden Milliarden reinfließen, das wird in diesem Jahr umgesetzt. Wir sagen nur, wir möchten direkt, dass die Leistung zum Kind kommt. Also gerade bei diesem Punkt: Wir nehmen an einer Seite was weg, aber an der anderen Seite kommt etwas gezielt wieder, eine Investition in die Bildung dieser Kinder. Und ich glaube, das ist das beste Startpaket fürs Leben, das sie haben können.
Quelle: DLF
Anmerkung: Auszug aus Randnummer 180 (Urteil des BVerfG vom 09.02.2010):
cc) Schließlich ist weder aus der Begründung zur Regelsatzverordnung 2005 noch aus anderen Erläuterungen ersichtlich, warum die in der Abteilung 10 (Bildungswesen) in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998 erfassten Ausgaben bei der Bildung des regelleistungsrelevanten Verbrauchs vollständig unberücksichtigt blieben…..
Quelle: bundesverfassungsgericht.de
Wo ist vorgesehen, dass mehr Geld in die Bildung insbesondere für Kinder aus Hartz-IV-Familien „reinfließen“ wird? Frau von der Leyen redet mal wieder die Welt schön oder sie weiß nicht, wovon sie redet. Wenn Sie etwa an Kita-Plätze denkt, dann kommen die keineswegs insbesondere solchen Kindern zugute. Wenn es, angesichts der Finanzsituation der Kommunen, überhaupt zu mehr Kita-Plätzen kommen wird.
Anmerkung WL: Um die Kürzungen im Sozialbereich zu legitimieren, weist die Bundesregierung suggestiv darauf hingewiesen, dass „im laufenden Jahr … die Sozialausgaben mehr als die Hälfte der veranschlagten Bundesausgaben“ ausmachten:
Der Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ist 2010 auf 153 Milliarden angesetzt. Eine Steigerung um 20 Milliarden ergab sich aus Unterstützung der Bundesagentur für Arbeit, insbesondere durch die konjunkturbedingt höhere Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Die Ausgaben aus dem Gesamthaushalt 2010 sind auf 327,7 Milliarden Milliarden angesetzt. Der Sozialbereich macht also deutlich weniger als die Hälfte aus.
Zur Kostenentwicklung im bei den Sozialausgaben merkt unser Leser P.B. an: Die Kostenentwicklung der Sozialsysteme – die aber wiederum Einnahmen Anderer sind – ist seit Jahren entgegen anderslautender Meldungen zum guten Teil schon extrem rückläufig. Während die gesamtwirtschaftliche Leistung zwischen 1995 und 2006 um 25,6% stieg, fielen die Ausgaben für Wohngeld um 60,4%, die Kosten für Arbeitslosigkeit um 34,8% und die Ausgaben für Sozialhilfe um 23,2%. Wenn man bedenkt, dass alleine 2009 die Bundesregierung zur Stützung der Banken sich 98,2 Milliarden geliehen hat (bei den Banken!), sieht man klar, wer die Zeche einer verfehlten Steuer- und Wirtschaftspolitik zahlt. Und man sieht auch deutlich, dass wir seit Jahren kein Ausgaben-, sondern ein massives Einnahmeproblem haben.
Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung
Anmerkung WL: Ein bemerkenswerter Brief aus der ARD Tagesschau-Redaktion
Anmerkung unseres Lesers G.K.: Augenfällig ist: Die schwarz-gelbe Regierungskoalition versucht der Öffentlichkeit weiszumachen, auch die Wirtschaft habe einen deutlichen Konsolidierungsbeitrag zu leisten. vor diesem Hintergrund weist Jens Berger zu Recht auf folgende Aspekte hin:
Die Energieversorger sollen mit einer “Kernelementeabgabe” als Gegenleistung für die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke jährlich mit 2,3 Milliarden Euro belastet werden. Das klingt erst einmal gut, doch da der deutsche Energiemarkt immer noch von den Strommonopolisten beherrscht wird, ist es naiv anzunehmen, dass diese Abgabe nicht 1:1 auf die Stromkunden umgelegt wird. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass diese Abgabe lediglich einen kleinen Teil der Zusatzgewinne der Engergiekonzerne abschöpft, die aus der Verlängerung der AKW-Laufzeiten resultieren. Auch das aus der Verlängerung der Laufzeiten erwachsende zusätzliche Risiko von Atomunfällen (bis hin zum “Supergau”) sowie die zusätzlichen Kosten und Risiken der Atommüllentsorgung werden von der Bundesregierung ausgeblendet.
Eine simple Umverteilung von der linken in die rechte Tasche stellt auch die ökologische Luftverkehrsabgabe dar, die ab nächstem Jahr eine Milliarde Euro einbringen soll. Diese Abgabe gilt für alle Flüge von deutschen Flughäfen und wird ebenfalls 1:1 auf die Verbraucher abgewälzt.
Der Bürger wird auch letzten Endes die Dividendenerhöhung für den Bund bei der Deutschen Bahn AG auf 500 Millionen Euro pro Jahr über höhere Ticketpreise bezahlen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die Bahn einen Schuldenstand in Höhe von 15 Milliarden Euro aufweist.
Das Geld, das 2011 zusätzlich von “den Unternehmen” eingenommen werden soll, wird also im Endeffekt nahezu ausschließlich vom Verbraucher aufgebracht. Die Beteiligung des Bankensektors an der Finanzmarktkrise, die ab 2012 jährlich zwei Milliarden Euro einbringen soll, ist eine glatte Luftbuchung. Das Geld der Bankenabgabe geht schließlich nicht in den Bundeshaushalt, sondern in einen speziellen Fonds. Angesichts des enormen finanziellen Schadens, den der Bankensektor zu Lasten des Staatshaushaltes und damit der Steuerzahler angerichtet hat, fällt die Bankenabgabe mit jährlich zwei Milliarden Euro ohnehin lächerlich niedrig aus.
Auf einen weiteren Aspekt weist Jens Berger hin: “Stattdessen will der Bund auch in der zivilen Verwaltung 10.000 Stellen einsparen. Wahrscheinlich wird dieser Stellenabbau auch dazu führen, dass künftig vermehrt teure britische Anwaltskanzleien die Gesetzentwürfe für die Regierung und den Bundestag schreiben und nicht mehr die eigenen Beamten. Dabei könnte man mit einem Stellenaufbau bei den Finanzämtern und -direktionen das gesamte Sparpaket ad absurdum führen. Die Deutsche Steuergewerkschaft schätzt, dass der Staat jedes Jahr 30 Milliarden Euro mehr einnehmen könnte, wenn er den Personalmangel in den Finanzämtern beseitigen würde. Aber das würde ja die Leistungsträger treffen und die dürfen heute erwartungsgemäß die Champagnerkorken knallen lassen, da sie mit keinem Cent zum Sparprogramm beitragen müssen.” Man kann Jens Berger nur zustimmen: Unter dem Strich zahlt die Wirtschaft nahezu nichts für die Schuldenkrise, die vor allem durch die Geschehnisse auf den Finanzmärkten forciert wurde. Noch schlimmer: Die Spitzenverdiener und die Besitzer großer Privatvermögen bleiben fast vollständig ungeschoren. Das “Sparprogramm” entpuppt sich zum ganz überwiegenden Teil als Abzocke vor allem zu Lasten der sozial schwachen Teile der Gesellschaft. Zumindest in einem Punkt muss man der Kanzlerin zustimmen: “Jetzt wird die Handschrift der Koalition sichtbar.”
Anmerkung unseres Lesers S.P.: Ich habe mich gefreut mal einen vernünftigen Menschen (MB: Stefan Schulmeister) im TV zu sehen. Schade das solche Aussagen in Österreich gemacht werden müssen, damit wir sie hier in Deutschland ins Programm bekommen.
Anmerkung G.K.: Die schwarz-gelbe Streichorgie zu Lasten der sozial Schwachen ist infam, denn die Regierungsparteien spekulieren darauf, dass die seit Jahren mit tatkräftiger Unterstützung durch die “Leitmedien” betriebene Stimmungsmache insbesondere gegen die Arbeitslosen in der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Schwarz-Gelb setzt kaltherzig auf die Zugkraft der Methode “Teile und herrsche”.
Zu dieser Anmerkung passt:
Anmerkung WL: Bild wirft sich mal wieder für die Bundesregierung und für soziale Einschnitte ins Gefecht. Interessant ist, dass bei der Bild-Umfrage immerhin 61 Prozent (00.54 Uhr) das Sparpaket für ungerecht halten, obwohl sie vom Kommentator als lächerlich beschimpft werden.
Zur Stimmungsmache in der sog. Qualitätspresse:
Anmerkung MB: Es lohnt sich ja manchmal, Informationen zur/m Autoren/in zu suchen, um dann festzustellen, dass es sich um einen Gastautor mit Interessenverflechtungen zu Lobbykreisen oder einen zum Journalisten umgeschulten Ex-Unternehmerberater handelt. Manfred Schäfers ist offensichtlich ein echter FAZ-Redakteur. Nur, wem steht er nahe, dass er so genau zu wissen glaubt, was von der Bundesregierung erwartet wird?
Anmerkung Orlando Pascheit: In der Tat werden nicht die Arbeitslosen und Hartz-Empfänger an vorderster Front einer Demonstrationswelle zu sehen sein. Merkel und Co. wissen genau, dass diese keine Lobby haben und auch schon längst den Gang zur Wahlurne aufgegeben haben. Gesellschaftlich ist diese Gruppe schon längst von Clement über Koch bis Westerwelle in das Aus gesellschaftlicher Wahrnehmung befördert worden. Und dennoch, was hier Angela Merkel abgesegnet hat, beraubt die Union ihrer letzten Legitimation. In einem beispiellosen Mix von billigsten Kalkül und fast pathologischer Kälte hat die Union sich in die FDP verabschiedet und dort zu “sparen” begonnen, wo sie keinen Widerstand erwartet. Wohlgemerkt, wir sprechen hier nicht von einer einzelnen Person, die im Trüben fischt, wie Koch u.a., sondern von Parteien, die das C in Ihrem Namen tragen. Das können sie sich jetzt mit Matthäus, Kapitel 25, endgültig abschminken: “Wahrlich, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Und sie werden hingehen in die ewige Pein, die Gerechten aber in das ewige Leben”.
Und die SPD sollte nicht allzu selbstgerecht tun. Dieses Sparpaket atmet den Geist der Agendapolitik Schröders in reinster Form. Und den Anlass für dieses Sparen, dieses Vernichten jeglicher Solidarität, die Schuldenbremse, hat die SPD mit verantwortet.
Anmerkung Orlando Pascheit: Wie schön, dass auch das Handelsblatt endlich die Trickserei in den der US-Statisken entdeckt. Die NDS berichteten hier unter 5
Anmerkung OP: Das Statistische Bundesamt titelt, wie es Ihm paßt. Die entscheidende Auskunft ist, dass die deutschen Exporteure im April 5,9 Prozent weniger ins Ausland verkauft haben als im Vormonat. Keine besonders gute Aussichten für die Auftragslage bei der Industrie. Auch der Vergleich zum zum Vorjahr beschönigt das Exportwachstum, da im Vorjahr die Exporte um fast 30 Prozent eingebrochen waren.
Anmerkung WL: Wie wollten SPD und Grüne ihren Wählern ein Koalition mit einer Partei vermitteln, die bei den Verhandlungen über das „Sparpaket“ bewiesen hat, dass sie radikal gegen jeden sozialen Ausgleich kämpft. Wie sollte das Land NRW vergleichbaren Sparoperationen entgehen, wenn sich durch den unerbittlichen Kurs der FDP gegen jede Verbesserung der Einnahmeseite die Einnahmeseite eher weiter verschlechtern wird. Wie sollte beispielsweise eine Bundesratsinitiative für die von der Bundes-SPD geforderte Vermögenssteuer gestartet werden?
Anmerkung WL: Vielleicht passt Merz und den anderen prominenten Vorstandsmitgliedern dieses erzkonservativen Clubs einfach die Politik des Demokraten Obama nicht mehr in ihr deutsch-amerikanisches Freundschaftskonzept.
Anmerkung WL: Folgt man dieser Logik, dann müsste Christoph Schwennicke die gleichen Maßstäbe zumindest an die Ost-CDU inklusive der Kanzlerin oder des sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich anlegen. Könnten die früheren Mitglieder der Ost-CDU nicht gleichfalls eine „Läuterung zelebrieren“? Warum ist es für die CDU-Mitglieder der Bundesversammlung mit einer SED-Vergangenheit eigentlich keine „Schönfärberei der eigenen fiesen Vergangenheit“, wenn sie aus parteitaktischen Motiven Wulff und nicht Gauck wählen? Hat DIE LINKE ihre Vergangenheit nicht etwa intensiver aufgearbeitet, als viele ehemaligen „Blockflöten“ der Ost-CDU oder frühere Mitglieder der LDPD und der NDPD, die sich der FDP angeschlossen haben?
Anmerkung MB: Kontrolle ist hier und nicht nur hier (Parallelen zum Bereich Finanz- und Steuerprüfung sind unübersehbar) politisch nicht gewollt. Da ist es ja wichtiger, in den nächsten Jahren über zehntausend Stellen im Öffentlichen Dienst zu sparen.
Anmerkung Orlando Pascheit: Damit dürfte sich die Befürchtung nicht bewahrheiten, dass Peter Sawicki ein Lobbyist der Pharmaindustrie folgt. Windeler hat die Entwicklung und Weiterentwicklung der evidenzbasierten Medizin in Deutschland geprägt, die auch unter Peter Sawicki das Grundlage der Arbeit des IQWiG bildete.
Anmerkung MB: Wie meinte Innenminister Thomas de Maizière noch im März dieses Jahres: “Ich sehe mit Sorge, dass man sich in der öffentlichen Wahrnehmung zu sehr auf die unerträgliche politische Gewalt von Rechtsextremisten konzentriert hat.”
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