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Titel: Die Tabubrecher ziehen die Reißleine und richten dennoch großen Schaden an
Datum: 6. Februar 2020 um 15:49 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Rechte Gefahr, Strategien der Meinungsmache, Wahlen
Verantwortlich: Jens Berger
Thomas Kemmerich wird nicht nur als der erste von der AfD ins Amt gewählte Ministerpräsident, sondern auch als der Ministerpräsident mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte eingehen. 25 Stunden nach seiner skandalösen Wahl verkündete er heute seinen Rücktritt. Man wolle den Landtag nun auflösen und Neuwahlen anstreben. Warum das? Wenn es CDU und FDP mit ihrem – von den jeweiligen Bundesparteien angeordneten – Katzenjammer ernst meinten, müssten sie doch jetzt erst recht ein Zeichen setzen und gemeinsam mit Linken, SPD und Grünen gegen die Stimmen der AfD Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten wählen. So heißt der einzige Gewinner dieses skandalösen Tages Björn Höcke. Derweil versucht Christian Lindner, aus dem Totalversagen seiner Partei mit Hilfe der Medien persönlichen Profit zu schlagen. Das ist widerlich. Von Jens Berger.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Welche Rolle Christian Lindner bei der ganzen Sache spielt, ist dabei vollkommen offen. Zunächst berichtete das Springer-Medium „Business Insider“ heute Vormittag exklusiv, Lindner habe bereits im Vorfeld mit seinen Thüringer Parteifreunden erörtert, wie Kemmerich mit einer möglichen Wahl zum Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD umgehen sollte. Wenn das stimmt, war das gesamte Manöver von langer Hand geplant. Dies legt auch ein ebenfalls heute veröffentlichter Brief nahe, in dem Björn Höcke Kemmerich bereits im November anbot, eine FDP-Minderheitsregierung zu unterstützen. Warum sonst hätte Kemmerich auch im dritten Wahlgang als Kandidat als „Überraschungskandidat“ antreten sollen? Dass die FDP und auch die CDU von der AfD „überrumpelt“ worden, ist doch sehr unwahrscheinlich.
Wahrscheinlich hatte man jedoch nicht mit den harschen Reaktionen gerechnet, die gestern über CDU und FDP hereinbrachen und man wollte mit dem Tabubruch nur schon einmal testen, wie eine offene Zusammenarbeit mit der AfD in der Öffentlichkeit aufgenommen wird. Im schlimmsten Fall könnte man ja immer noch die Reißleine ziehen und öffentlichkeitswirksam seine Landesverbände zurückpfeifen. Sicher, das ist Spekulation. Aber wenn man sich einmal anschaut, wie vor allem Christian Lindner („Ich schäme mich“) die mutmaßlich von ihm zuvor selbst gebilligte Zusammenarbeit mit der AfD nun offensiv inklusive Vertrauensfrage zur eigenen Imagepflege nutzt und sich dafür feiern lässt, seinen Parteifreund Kemmerich zum Rücktritt bewegt zu haben, ist wirklich aalglatt. Gestern noch lässt man seinen Parteifreund von Rechtsextremen ins Amt wählen und heute präsentiert man sich als aufrechter Vertreter der Mitte? Wer´s glaubt, wird selig. Würde die FDP es mit ihrer Ablehnung der AfD auch nur im Ansatz ernst nehmen, hätte Kemmerich gestern die Wahl gar nicht annehmen dürfen. Aber warum sollte er dies tun, wenn die Zusammenarbeit von langer Hand geplant war?
Verlogen wirkt auch die Krisen-PR der CDU. Auch hier ist es unwahrscheinlich, dass der Landesverband das eingetretene Szenario zuvor nicht mit der Parteispitze besprochen hat. Man wollte auf Teufel komm raus keine rot-rot-grüne Minderheitsregierung Ramelow tolerieren, lässt sich selbst aber unter einem FDP-Ministerpräsidenten auf eine schwarz-gelbe Minderheitsregierung unter AfD-Duldung ein. So was entscheidet der Thüringer Landesverband doch nicht alleine. Sämtliche Dementis und Mahnungen der Parteispitze sind daher auch alles andere als überzeugend. Auch Mike Mohring hatte Höckes Angebot auf Unterstützung einer Minderheitsregierung bekommen.
Würden FDP und CDU es mit ihrer „Entfernung des Makels“ (O-Ton Kemmerich) ernst meinen, könnten sie jetzt jederzeit eine Minderheitsregierung des amtierenden Ministerpräsidenten Ramelow dulden und Thüringen hätte schon morgen eine arbeitsfähige Regierung. Das liegt FDP und CDU aber fern. Bereits in seiner Rücktrittserklärung verkündete Kemmerich einmal mehr in grotesker Art und Weise, man lehne jede Zusammenarbeit mit der extremen Rechten und(!) der extremen Linken ab – damit meint er offenbar den gemäßigt linken Bodo Ramelow. Und auch Christian Lindner betonte in seiner heutigen Pressekonferenz zum Vorfall einmal mehr, dass er jede Zusammenarbeit mit „Linksextremen“ kategorisch ausschließe. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Man lässt sich vom „Faschisten“ Björn Höcke ins Amt wählen und zur Wahl mit einem Handschlag gratulieren, lehnt aber jede Zusammenarbeit mit dem eher sozialdemokratisch orientierten Linken-Politiker Bodo Ramelow ab. Hauptsache nicht links! Es ist unglaublich.
Der einzige Gewinner dieser Posse ist die AfD und allen voran deren Rechtsaußen Björn Höcke. Der hat nun gezeigt, dass er es vermag, die – wie er es nennt – „bürgerlichen Parteien“ zu umgarnen und zu einer Zusammenarbeit zu bewegen. Und wenn es zu Neuwahlen kommt, dürfte die AfD noch stärker werden und die CDU wird sich dann einmal mehr die Frage stellen müssen, ob sie Ramelow aktiv oder passiv unterstützt oder selbst zusammen mit der AfD die Regierung stellt. Den Bürger so lange wählen zu lassen, bis einem das Ergebnis passt, ist ein denkbar schlechter Dienst an der Demokratie. Wie Albrecht Müller bereits gestern feststellte, wächst nun zusammen, was zusammen gehört. Es ist anzunehmen, dass dieser Tabubruch nicht der letzte war. Der Schaden ist kaum messbar.
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