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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Die Maske ist gefallen
Datum: 8. Juni 2010 um 9:10 Uhr
Rubrik: Hartz-Gesetze/Bürgergeld, Schulden - Sparen, Ungleichheit, Armut, Reichtum
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Es ist so gekommen, wie es vorher zu sehen war: Drastische Einsparungen bei den Ärmsten der Armen, vage Ankündigungen über Belastungen von Banken und der Wirtschaft, das ist das Ergebnis der Sparklausur von Schwarz-Gelb. Wer je das Märchen geglaubt haben sollte, Merkel vertrete sozialdemokratische Ansichten, der sieht sich nach dem gestern vorgestellten Sparpaket eines besseren belehrt. Hartz IV wird verschärft, das Fördern vollends abgeschafft, Altersarmut für Arbeitslose programmiert, die Streichung des Elterngelds für Hartz-IV-Empfänger kann man nur noch als als soziale Eugenik bezeichnen.
Mit der sog. Brennelementesteuer wird ein winziger Bruchteil der Gewinne für die Laufzeitverlängerung der abgeschriebenen Atomkraftwerke abgeschöpft. Die Heranziehung der Banken wird auf die lange Bank einer internationalen Verständigung verschoben. Wolfgang Lieb
Das „Sparpaket“ mit einem Volumen von 11,1 Milliarden im Jahre 2011 und von insgesamt über 80 Milliarden in den Folgejahren beinhalte eine „Beteiligung der Wirtschaft als auch eine Beteiligung der Sozialgesetze“, so stellte die Kanzlerin den „fairen Ausgleich“ zwischen Sozialkürzungen und Belastungen der Wirtschaft dar.
Schon diese Gegenüberstellung von Sozialbereich und Wirtschaft ist abstrus. Wenn überhaupt müsste es um einen fairen Ausgleich zwischen Arm und Reich gehen, also zwischen denjenigen, die unter der Finanz- und Wirtschaftskrise am meisten zu leiden haben und den Krisengewinnlern.
Doch selbst die „Beteiligung der Wirtschaft“ ist eher eine Luftbuchung, oder genauer ein Lügengebäude:
So sieht also die faire Beteiligung „der Wirtschaft“ aus. Von einer Rücknahme der Steuerbefreiung für die Veräußerung von Betrieben oder Betriebsanteile oder von einer Anhebung der auf 25 % gesenkten Zinsabschlagssteuer oder von einer höheren Besteuerung von Bankenboni oder gar von einer Anhebung der Vermögenssteuer ist keine Rede. Allein mit der Rücknahme der unsinnigen Steuersenkungen durch das „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ also auch etwa mit dem Kassieren der Steuersubvention für die Hoteliers, könnte so viel Geld in die öffentlichen Kassen kommen, wie durch die gesamten Kürzungen im Sozialbereich nunmehr „eingespart“ werden sollen.
Mit langfristig 10 Milliarden Euro jährlich soll bei den Leistungen für Arbeitslose am stärksten gekürzt werden.
Zusammengenommen bedeuten diese Entscheidungen eine weitere Erhöhung des ökonomischen Drucks auf die Arbeitslosen bei gleichzeitiger Senkung der Förderung. Westerwelles Hetze gegen die „spätrömische Dekadenz“ bei der Hilfe für Arbeitslose ist zur bitteren Wirklichkeit geworden. Und Merkel verkauft das noch als „fairen Ausgleich“.
Geradezu skandalös ist die Streichung der monatlichen Pauschale von 40,80 Euro, die die Bundesagentur pro Monat an die Rentenversicherung bezahlt. Dadurch erhöhte sich bisher die Rente der Betroffenen um den „stolzen“ Betrag von 2,09 Euro. Schon dieser Betrag hat bei weitem nicht ausgereicht, um bei länger andauernder Arbeitslosigkeit Altersarmut zu verhindern. Jetzt wird Altersarmut geradezu programmiert. Im Übrigen spart der Bund dabei auf Kosten der Kommunen, denn sie müssen für die Grundsicherung im Alter aufkommen.
Nur zynisch kann man die Streichung des Heizkostenzuschusses beim Wohngeld für Geringverdiener nennen. Angesichts der ständig steigenden Energiepreise ist die Begründung für diese Streichung, nämlich dass sich die Situation „erfreulicherweise entspannt“ habe, geradezu boshaft. Sarrazins Empfehlung, statt einer beheizten Wohnung einen dickeren Pullover anzuziehen, ist bittere Wirklichkeit geworden.
Dass für Hartz-IV-Empfänger das Elterngeld von ohnehin nur 300 Euro im Monat komplett gestrichen werden soll, und damit 400 Millionen Euro eingespart werden sollen, muss man – mit Verlaub – als einen schrecklichen Rückfall in eine Art soziale „Rassenhygiene“ bezeichnen. Darüber kann nicht hinwegtäuschen, dass diejenigen, die im Monat mehr als 1240 Euro verdienen statt bisher 67 nur noch 65 Prozent, also moderate zwei Prozent weniger ersetzt bekommen. Das Elterngeld war ohnehin eher ein – untaugliches – Geburtenförderungsprogramm für Mittelschichtenfamilien. Schon bei seiner Einführung ging das Elterngeld zu Lasten der Hartz-IV-Empfänger. Sie bekamen vorher über zwei Jahre hinweg insgesamt 7.200 Euro und danach monatlich 300 Euro für nur noch ein Jahr.
Mit der kompletten Streichung des Elterngelds für Hartz-IV-Familien, wird noch klarer, dass solche Eltern geradezu sanktioniert werden sollen, wenn sie Kinder erzeugen. Das kann kann man nur noch negative Eugenik bezeichnen, in dem Sinne, dass man damit das Ziel verfolgt, die Zahl solcher „Unterschichten“-Kinder mit ökonomischem Druck zu verringern.
Die Streichung das Weihnachtsgeldes für Bundesbeamte heißt nicht mehr und nicht weniger als eine Kürzung der Bezüge um 2,5 Prozent durch die Hintertür. Die Streichung von 15.000 Stellen, also jede zwanzigste Stelle bis 2014, ist ein Signal für eine weitere Stellenstreichungsorgie im gesamten Öffentlichen Dienst. Schon vom Jahr 2000 bis 2008 ging die Beschäftigungszahl im öffentlichen Dienst des Bundes von 315.460 auf 278.602 zurück und bei Länder und Kommunen sank die Zahl der Beschäftigten in diesem Zeitraum von 3,8 auf rund 3,2 Millionen.
Deutschland hat mit ca. 13,4 Prozent ohnehin schon einen relativ geringen Anteil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Selbst im wirtschaftsliberalen Großbritannien sind es 14,1 und in den USA gar 15,4 Prozent. Dieser Personalabbau wird einem weiteren Outsourcing (also der Privatisierung) öffentlicher Dienstleistungen Vorschub leisten. Damit wird die Grundlage für die Beschäftigung von Ein-Euro-Jobbern bei der Straßenreinigung oder bei anderen Leistungen der Daseinsvorsorge geschaffen.
Statt als wirkungsvolle Maßnahme zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit die öffentliche Beschäftigung auszubauen, wird durch das sog. „Sparpaket“ die Arbeitslosigkeit erhöht und der Weg in die Niedriglöhne und in die Schaffung von „Arbeitsgelegenheiten“ fortgesetzt.
Nur noch um der Vollständigkeit willen:
Wie ab 2013 zwei Milliarden bei der Bundeswehr gekürzt werden sollen, bleibt völlig unkonkret. Da ist nicht von einer Einsparung bei unsinnigen Rüstungsprojekten die Rede, sondern ausschließlich von einer Verkleinerung der Bundeswehr. Den Mut zur Einführung einer Berufsarmee, als Staat im Staate, hatte man wohl noch nicht. Das wurde bis zum Herbst vertagt.
Die gesetzlichen Krankenkassen sollen 2011 einen Steuerzuschuss gedeckelt auf 2 Milliarden bekommen um ihr Defizit von 11 Milliarden abzumildern. Wie die Bundesregierung die Ausgaben im Gesundheitssystem in Höhe von 4 Milliarden einsparen will, ist völlig offen. Sicher ist nur, dass die verbleibenden Defizite durch Zusatzbeiträge der Versicherten aufgebracht werden müssen.
Das Schlimme ist, mit dieser „Sparpolitik” wird die Binnennachfrage weiter schrumpfen und da auch alle anderen europäischen Länder „sparen“, wird auch die Wirtschaft weiter schrumpfen. Die nächste Sparklausur ist deshalb abzusehen. Die Spirale nach unten beschleunigt sich.
“Jetzt wird die Handschrift der Koalition sichtbar”, sagt die Kanzlerin über die geplanten Einsparungen. Die Frage ist, ob der deutsche Michel noch in der Lage ist, diese Handschrift zu lesen. Wenn das der Fall wäre, dann dürfte diese Regierung nicht mehr lange an der Macht sein.
Aber jetzt kommt ja die Fußball-Weltmeisterschaft und danach ist alles wieder vergessen.
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