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Titel: Rentenreform in Frankreich: der Widerstand bleibt ungebrochen – Teil I
Datum: 3. Februar 2020 um 14:16 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Audio-Podcast, Gewerkschaften, Länderberichte, Neoliberalismus und Monetarismus, Rente
Verantwortlich: Redaktion
Auslöser der Protestbewegung in Frankreich war die geplante Rentenreform. Es war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Aber es gärte schon lange. Die Gelbwesten hatten das Terrain vorbereitet. Macron will das umlagefinanzierte Rentensystem madig machen und die Leistungen auf ein Niveau herunterdrücken, das kaum noch ein würdiges Leben in der Rente zulässt. Jedenfalls nicht, wenn man nicht privat vorgesorgt hat. Es ist die übliche neoliberale Leier: Die Menschen werden immer älter, die Kosten steigen, Beitragserhöhungen gefährden die Wettbewerbsfähigkeit, das umlagefinanzierte System kann die Last nicht mehr alleine tragen. Deshalb müssen die Franzosen in Zukunft entweder länger arbeiten oder privat vorsorgen. Von Marco Wenzel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Längst haben die Menschen in Frankreich das Spiel der Regierung Macron durchschaut. Längst geht es nicht mehr nur um die Rentenreform allein, sondern um das neoliberale System im Allgemeinen, um das System Macron. Es geht auch um die Gesundheitsvorsorge und um die Pflege, um die Bildung und die Wohnungspolitik, die man alle nicht länger „dem Markt“ und seinen unabwägbaren Launen überlassen will.
Chronik der Ereignisse seit Mitte Dezember
Nachdem am 18. Dezember Frankreichs Premierminister Philippe den Gewerkschaftsvertretern die Einzelheiten des geplanten Gesetzentwurfs vorgelegt hatte, reagierten diese erst einmal empört. Den Chef der CFDT, Laurent Berger, ärgerte vor allem, dass die Regierung ab 2022 bis zum Jahre 2027 das Alter von 64 Jahren als „Schlüsselalter“ für den Renteneintritt festlegen wollte. Dadurch sollten die Defizite der Rentenkassen ausgeglichen werden. Für die beiden nächsten Tage waren weitere Treffen zwischen der Regierung und den Gewerkschaftsvertretern vereinbart worden. Am 19. Januar erst einzeln und am 20. Januar dann wieder gemeinsam. Insbesondere versuchte die Regierung auch die Gewerkschaften zu einem „Waffenstillstand“, sprich zur Aussetzung der Streiks über die Feiertage zum Jahresende zu bewegen.
Obwohl Philippe keine weiteren Konzessionen machen wollte, rief der Chef der Gewerkschaft UNSA nach den Gesprächen mit Philippe seine Mitglieder dazu auf, die Arbeit wieder aufzunehmen, was die meisten Mitglieder aber ablehnten und weiter streikten. Und so verabschiedeten sich dann Regierung und Gewerkschaftsbosse ohne „Waffenstillstand“ in die Ferien und vereinbarten eine nächste Verhandlungsrunde erst für den 7. Januar. Der nächste Streik- und Aktionstag der Gewerkschaftsfront Intersyndicale wurde auf den 9. Januar festgelegt. Es war zwar kein Waffenstillstand geschlossen worden, die Gewerkschaftsbosse aber ließen ihre Mitglieder allein bis nach den Ferien. Trotzdem gingen die Streiks und Demonstrationen unvermindert weiter und über die Feiertage verkehrten auch kaum Züge, Busse oder die Pariser U-Bahn. Museen und Theater blieben geschlossen und die Touristen nach Paris blieben vielfach aus.
Auch die Pariser Oper blieb geschlossen, aber zu Weihnachten gaben die Tänzerinnen und Tänzer sowie die Musiker der Pariser Oper eine Gratisvorführung im Freien, um sich mit den Streikenden zu solidarisieren. Als die Regierung ihnen daraufhin eine Sonderregelung angeboten hatte, um sie aus der Bewegung zu entfernen, lehnten sie dankend ab und streikten solidarisch weiter.
Seit 24. Dezember waren zwei der acht Erdölraffinerien Frankreichs im Streik. Am 29. Dezember kam es landesweit zusammen mit den Gelbwesten wieder zu groß angelegten Demonstrationen. Am 30. Dezember besuchten die Streikenden im öffentlichen Transport die sich ebenfalls im Streik befindlichen Arbeiter der Raffinerie in Grand-Puits, um die dort streikenden Kollegen im Privatsektor zu unterstützen und zu ermutigen. Eine Solidaritätskundgebung wurde abgehalten.
In seiner Silvester-Ansprache zeigte Macron sich weiterhin unnachgiebig. Kaum ein Wort über die Streiks und die sozialen Unruhen, dafür aber betonte Macron, die Reform würde „zu Ende geführt“ werden. Keine besondere Überraschung, manche sprachen sogar von einer Kriegserklärung. Die Streikenden hatten ihrerseits auch nichts anderes erwartet und schworen, bis zum Rückzug des Gesetzesprojektes weiter zu kämpfen. Die Ansprache von Macron brachte nur eine weitere Verhärtung der Fronten.
Im Bildungswesen waren gerade Ferien. Aber die LehrerInnen nahmen von Anfang an in großer Anzahl an den Streiks und Demonstrationen teil. Sie werden, sollte das Gesetz durchgesetzt werden, zu den größten Verlierern gehören. Dafür aber genehmigte ein Dekret den Akademieleitern und deren Stellvertretern einen Bonus von 50.000€ zum Jahresende, was zu weiterem Unmut bei den LehrerInnen führte.
Zugleich traten am 1. Januar neue Bestimmungen für die Staatsangestellten in Kraft. Eine staatliche Behörde darf jetzt ihren Arbeitnehmern eine Vertragsauflösung in „gegenseitigem Einverständnis“ vorschlagen. Ein Angriff auf den Kündigungsschutz im öffentlichen Dienst. Man kennt das ja bereits aus dem Privatsektor: Unliebsam gewordene Beschäftigte werden so lange unter Druck gesetzt, bis sie einen Auflösungsvertrag unterschreiben.
Am 2. Januar organisierten Streikende und Gelbwesten eine Kundgebung vor der Parteizentrale der LREM. Macron und seine Partei behaupteten, die Demonstranten hätten versucht, in die Parteizentrale einzubrechen, und ließen sie von der Polizei verprügeln und auseinandertreiben. Es gab zahlreiche Verletzte.
Am 6. Januar verabschiedete der Ministerrat das Gesetzesprojekt zur Rentenreform und legte es anschließend dem Staatsrat zur Begutachtung vor. Dies ist umso bedenklicher, als dass zu diesem Zeitpunkt noch Verhandlungsrunden mit den Gewerkschaften über den Gesetzesentwurf vorgesehen waren. Drei Tage später wurde das Gesetzesprojekt auch an die Rentenkassen geschickt, damit sie zum finanziellen Aspekt Stellung nehmen sollten.
Am 7. Januar begannen die vereinbarten neuen Verhandlungsrunden zwischen Regierung und Gewerkschaften. Worüber aber noch verhandeln, wenn der Inhalt des Gesetzestextes bereits feststeht und die ersten Schritte zu dessen Durchsetzung bereits auf den Weg gebracht worden waren?
Am 8. Januar traten alle 8 Erdölraffinerien für eine Woche in den Streik. Kein Tropfen Kraftstoff verließ mehr die Raffinerien, weder über Pipelines noch über die Straße oder die Schiene. Die Regierung musste auf ihre strategischen Reserven zurückgreifen. Am 9. Januar war der erste gemeinsame Aktionstag der Gewerkschaftsfront im Neuen Jahr, mit massiver Beteiligung sowohl an den Streiks als auch an den Demonstrationen im ganzen Land. Am 10. Januar wurde die Gründung einer Konferenz zur Finanzierung des Rentendefizites zwischen den „Sozialpartnern“ vereinbart. Am 11. Januar zog Premier Philippe das „Schlüsselalter“ von 64 Jahren „vorläufig“ aus dem Gesetzesprojekt zurück. Inwieweit das ein Finte ist, davon wird weiter unten noch die Rede sein. Am 12. Januar zog auch die CFDT sich, wie schon lange zu befürchten stand, aus der Gewerkschaftsfront zurück, nachdem Philippe das „rote Tuch“ für Laurent Berger weggezogen hatte. Am 13. Januar drohten mehr als 1200 Verantwortliche und Abteilungsleiter in den Krankenhäusern kollektiv in einem Schreiben mit ihrem sofortigen Rücktritt von ihren Führungspositionen, wenn ab sofort keine Verhandlungen über die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern geführt würden. Sie seien am Ende ihrer Kräfte und könnten unter den aktuellen Bedingungen keine Verantwortung mehr übernehmen. Am 14., 15. und 16. Januar rief die Gewerkschaftsfront mit großem Erfolg und hoher Beteiligung an drei aufeinanderfolgenden Tagen zu neuen Aktionstagen gegen die Rentenreform auf.
Am 17. Januar betraten streikende Arbeiter der Bahn und U-Bahn die Zentrale der CFDT und besetzten sie kurzzeitig. Die Tür war offen, sie riefen Parolen und schwangen Fahnen. Die Aktion war friedlich und wurde nach kurzer Zeit beendet. Sie richtete sich gegen die Führung der CFDT, die die Streikfront verlassen hatte. Laurent Berger war daraufhin sauer, rief die Polizei und stellte Strafanzeige gegen die beteiligten Arbeiter. Am Abend des 17. Januar wurde Macron bei einer Vorstellung in einem Pariser Theater erkannt. Die Nachricht seiner Anwesenheit verbreitete sich sofort über die sozialen Netzwerke und kurz darauf versammelte sich eine protestierende Menschenmenge vor dem Theater. Macron wurde daraufhin von der Polizei evakuiert.
Am 18. Januar verurteilte die CGT in einer Mitteilung die Besetzung der Zentrale der CFDT tags vorher. Damit stellte sich Martinez hinter Laurent Berger, sehr zum Ärger der Streikenden. Ein Gewerkschaftsführer, der aus nichtigem Anlass die Polizei gegen protestierende Arbeiter ruft und die CGT, anstatt Berger dafür zu tadeln, stärkt diesem auch noch den Rücken! Besser hätte Martinez daran getan, endlich die Gewalt der Polizei gegen die Demonstranten und damit auch gegen seine eigenen Mitglieder zu verurteilen.
Am 20. Januar reagierten die Anwälte aller 164 Anwaltskammern, die seit Dezember schon im Streik sind, mit Besetzungen von Gerichtsgebäuden und anderen Aktionen, wie z.B. dem symbolischen Ablegen ihrer Anwaltsroben. Weil die Anwälte streiken, können viele Prozesse nicht geführt werden. Macron plant die Abschaffung der Spezial-Rentenkassen auch für liberale Berufe.
Am 24. Januar war ein erneuter Aktionstag der Gewerkschaftsfront Intersyndicale mit großer Beteiligung. Am 25. Januar rügte der Staatsrat die Gesetzesvorlage zur Rentenreform, dazu im zweiten Teil dieses Beitrags ausführlicher. Am 27. Januar leitete die Regierung das beschleunigte Verfahren zur Verabschiedung des Gesetzes ein und gründete die dafür notwendige parlamentarische Spezialkommission. Auch davon mehr im zweiten Teil dieses Beitrages.
Am 28. Januar forderte die Konferenz der Präsidenten des Senats, dass das beschleunigte Verfahren zur Rentenreform nicht eingeleitet werde. Mit großer Mehrheit beschloss er, sich “gegen die Einleitung des beschleunigten Verfahrens” zu wenden, das die parlamentarische Diskussion auf eine Lesung pro Kammer beschränkt. Diese Entscheidung wurde dem Parlamentspräsidenten mitgeteilt. Auch über die beschleunigte Prozedur und den Zeitplan der Regierung wird im zweiten Teil dieses Beitrags noch zu reden sein. Am 28. Januar fand eine große Demonstration der Feuerwehrleute in Paris statt. Sie wurde von der Bereitschaftspolizei mit Tränengas und Schlagstöcken angegriffen. Es gab mehrere Verletzte unter den Feuerwehrleuten.
Am 29. und 30. Januar fanden erneut zwei aufeinanderfolgende Aktionstage der Gewerkschaften mit großer Beteiligung statt. Ab dem 30. Januar begann die Finanzierungskonferenz zu tagen.
Das Schlüsselalter (Age pivot) und der Austritt der CFDT aus der Gewerkschaftsfront
Mehrere Gewerkschaften wiesen darauf hin, dass der Premierminister auf das Schlüsselalter von 64 Jahren verzichtet hat und feierten das als ersten Erfolg. Auch in der ausländischen Presse wird es meist so dargestellt, als wäre eine Erhöhung des Renteneintrittsalters nun vom Tisch. Das ist nicht wahr: Wenn Philippe jetzt darauf verzichtet, dann nur vorübergehend. Es ist ein Narrenspiel, um bestimmte Sozialpartner, allen voran Laurent Berger und die CFDT, zufrieden zu stellen, für die CFDT war der Verzicht auf diese Maßnahme eine Voraussetzung für die Wiederaufnahme der Verhandlungen. Laurent Berger wartete im Übrigen nur darauf, einen Vorwand zu finden, um die Gewerkschaftsfront verlassen zu können.
Das Schlüsselalter war gedacht, die Defizite der Rentenkassen von 2022 bis 2027 auszugleichen. Dafür sollte eventuell schon ab diesem Jahr das Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre erhöht werden, mit einem Bonus-Malus-System ab einem Alter von 64 Jahren, wobei das Alter von 64 einen Renteneintritt ohne Abzüge, aber auch ohne Bonuspunkte, das Schlüsselalter eben, sein sollte.
Die vorläufige Rücknahme dieser Maßnahme ist daran geknüpft, dass die Gewerkschaften zusammen mit den Arbeitgebern innerhalb von drei Monaten eine andere Lösung finden, die ein finanziell ausgewogenes System ab 2027 garantiert. Andernfalls würde Philippe „seine Verantwortung übernehmen“ und das Schlüsselalter per Regierungsdekret in das bis dahin wahrscheinlich schon in Kraft getretene Gesetz nachträglich wieder einführen.
Die Lösung soll in einer Finanzierungskonferenz der Sozialpartner gefunden werden. Die Vorgabe hierfür ist, jährlich 12 Milliarden € zu „finden“, sprich: zu sparen, eine Zahl, die auf einem Bericht des Rentenbeirats beruht und die nicht weiter zur Diskussion steht. Die Finanzierungslösung soll dazu noch unter den zusätzlichen Bedingungen gefunden werden, nach denen die vorgeschlagene Lösung weder zu einer Senkung der Renten, wegen der benötigten Kaufkraft der Rentner, noch zu einer Erhöhung der Arbeitskosten zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft führen darf. Die Arbeitgeber haben bereits angekündigt, dass für sie eine Erhöhung der Lohnkosten nicht in Frage kommt.
Es sind Scheinverhandlungen, die da geführt werden. Mission Impossible. Außer den Gewerkschaften hat niemand überhaupt ein Interesse daran, dass eine Lösung gefunden wird. Wenn weder Beitragserhöhungen noch Ausgabenkürzungen in Frage kommen und auch eine weitere Finanzierung aus der Staatskasse nicht mehr in Frage kommt, so bleibt außer einem höheren Renteneintrittsalter nur noch die Hoffnung auf eine göttliche Brotvermehrung. Viel Spaß dann, der Weg zu einer Lösung scheint schmal! Philippe hat Berger einen Köder hingeworfen und der hat ihn geschluckt. Und Philippe kann sich später als derjenige präsentieren, der flexibel war und guten Willen gezeigt hat, leider scheiterte es an den Sozialpartnern, die sich nicht einigen konnten.
Und damit kommen wir zum zweiten Punkt, der das Renteneintrittsalter betrifft und der nach wie vor im Gesetzesprojekt steht: das Gleichgewichtsalter, das nach 2027, spätestens aber 2037 in Kraft treten soll. Um was geht es? Nun, selbst wenn es eine Vereinbarung zwischen den Sozialpartnern zur Finanzierung des Rentendefizits bis 2027 geben sollte, wird ein weiteres “Zeitalter des Gleichgewichts” eingeführt. Artikel 10 des Regierungsentwurfs sieht ein “langfristiges” Gleichgewichtsalter vor, das im zukünftigen Punktesystem eine Anhebung des Renteneintrittsalters entsprechend der Lebenserwartung, aber auch entsprechend den dem Punktesystem innewohnenden Haushaltsparametern, d. h. bei konstanten BIP-Budgets, eine generelle Senkung der Renten vorsieht. Dieses Gleichgewichtsalter wird von einer noch zu schaffenden Kommission festgelegt werden. Und dieser Punkt ist nicht verhandelbar. Es wird darauf hinauslaufen, dass die Franzosen auf lange Sicht bis 67 Jahre oder mehr werden arbeiten müssen, um eine halbwegs auskömmliche Rente zu bekommen.
Was machen die Gewerkschaften in der Finanzierungskommission?
Kommen wir noch zu der Frage: Was haben die Gewerkschaften denn überhaupt in dieser Finanzierungskommission verloren? Und: Wer hat ihnen überhaupt ein Mandat gegeben, mit der Regierung über die Rentenreform in Verhandlungen zu treten? Die Forderung der Streikenden ist klar: keine Verhandlungen, sondern Rückzug des ganzen Gesetzes. Nach all den Macron’schen Reformen haben die FranzösInnen bereits genug Einbußen erlitten. Es geht nicht darum, darüber zu verhandeln, wie schwer die neuen Ketten sein werden, die sie zukünftig tragen müssen, sie wollen überhaupt keine weiteren Ketten mehr tragen. Es reicht jetzt! Den kompletten Rückzug des Gesetzes fordert bis jetzt auch noch immer die CGT. In einer Mitteilung erinnerte die Gewerkschaftsfront Intersyndicale daran, dass man das Geld für die Finanzierung der Renten doch durch eine gerechtere Verteilung der von den Arbeitern geschaffenen gesellschaftlichen Reichtümer beschaffen solle. Aber was macht die CGT dann überhaupt in den Verhandlungen und besonders auch noch in der Finanzierungskommission? Die CGT hat auf dieser “Finanzierungskonferenz” nichts zu suchen. Oder sucht auch der Taktierer Martinez einen Vorwand, die Streikfront zu verlassen?
Die Streikbewegung begann ohne die Gewerkschaftsbosse. Es waren die Arbeiter, die sich gegen die Rentenpläne der Regierung organisierten, die mit den Streiks begannen und eigenständig Protestkundgebungen durchführten. Um den Anschluss nicht zu verlieren, sind die Gewerkschaftsführungen schnell noch auf den Zug aufgesprungen, als dieser den Bahnhof bereits verlassen hatte. Wie können sie jetzt die Führung an sich reißen wollen und mit der Regierung über Sachen verhandeln, die für die Mehrzahl ihrer Mitglieder gar nicht verhandelbar sind? Es sind nicht die Gewerkschaftsführer, die nach ergebnislosen Verhandlungen mit der Regierung zu Streiks aufgerufen haben, nein, die Streiks waren schon vor den Verhandlungen ausgebrochen, die Gewerkschaftsführung wurde gezwungen, mitzumachen, wollte sie nicht allen Kredit verlieren. Sie mussten zum Streik erst getragen werden.
Und wenigstens zwei von ihnen, zuerst Laurent Escure von der UNSA und danach Laurent Berger von der CFDT, haben gleich die erste Gelegenheit , die sich ihnen bot, die Intersyndicale zu verlassen, ergriffen. Laurent Escure war froh, „erhobenen Hauptes“ die Streikaktionen abbrechen zu können und einen „Waffenstillstand“ zum Jahresende auszurufen. Damit die bemitleidenswerten Reisenden auch zu Weihnachten mit dem Zug zu ihren Familien fahren könnten. Er rief seine Mitglieder bei der Bahn und der Pariser Metro auf, die Arbeit wieder aufzunehmen, doch diese streikten einfach weiter. Unnütz zu sagen, dass die UNSA nach den Ferien nicht wieder in die Streikfront zurückgekehrt ist. Ähnlich machte es Laurent Berger. Es war Berger, der die Idee zur Finanzierungskonferenz in den Raum stellte, ein, zwei Tage bevor Philippe daraufhin das Schlüsselalter vorläufig zurückzog. Die größte Sorge der LREM war nämlich, nach der gescheiterten Präsentation des Gesetzesprojektes durch Philippe am 18. Dezember letzten Jahres und der ablehnenden Reaktion aller anwesenden Gewerkschaftsführer, die Frage: Wie können wir die CFDT wieder auf unsere Seite ziehen? Und Laurent Berger, der sich immer nur auf das Schlüsselalter versteift hatte, war dankbar, die Gelegenheit zu ergreifen, um die Gewerkschaftsfront verlassen zu können.
Berger war übrigens der Erste, der bei der gemeinsamen Kundgebung der Gelbwesten und der Gewerkschaften am ersten Mai letzten Jahres kalte Füße bekommen hatte und bereits nach weniger als einer halben Stunde die Szene verließ. Die Polizei hatte unentwegt versucht, die Demonstrationen zu stören, und hatte den Zug der Demonstranten mit Tränengas beschossen und einige Demonstranten verprügelt. Die Gewalt ging dabei eindeutig von der Polizei aus. Anstatt aber das Vorgehen der Polizei zu verurteilen, verurteilte er „gewalttätige Demonstranten“, die auf einer Gewerkschaftskundgebung „nichts zu suchen“ hätten und stellte sich als guter „Republikaner“ hinter die Polizei und die Regierung. Berger hatte übrigens auch das Anti-Randalierer-Gesetz gutgeheißen, das Macron als Reaktion auf die Proteste der Gelbwesten zur Einschränkung der Demonstrationen erlassen hatte.
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