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Titel: Leserbriefe zum Artikel vom 30. Januar über den Kampf gegen Antisemitismus

Datum: 2. Februar 2020 um 17:07 Uhr
Rubrik: Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Leserbriefe, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich:

Der Artikel Der Kampf gegen den Antisemitismus wäre wirksamer und glaubwürdiger, wenn Netanjahu und andere den Antisemitismus nicht anheizen würden löste ein geteiltes Echo aus. Einige haben es so verstanden, wie es von mir gemeint war, dass nämlich die Politik Netanjahus – zum Beispiel – Wasser auf die Mühlen der Antisemiten in Deutschland und anderswo sei und der Kampf gegen den Antisemitismus dadurch erschwert werde. – Andere Leserbriefschreiber wenden sich gegen meinen Artikel. Aus meiner Sicht haben sie aber leider mehr aus meinem Text herausgelesen, als ich geschrieben hatte. Das macht den Gedankenaustausch schwierig. Wie dem auch sei, hier werden solche und solche Leserbriefe wiedergegeben. Auch unter den Kritikern sind Freunde unserer Arbeit. Bitte bleiben Sie das. Albrecht Müller

Die Zusammenstellung beginnt mit dem Leserbrief eines Kritikers. Dann kommt als Nr. 2 eine längere zustimmende Mail von Christian Müller vom InfoSperber mit vielen weiterführenden Hinweisen für alle, die sich noch weiter informieren wollen. Und dann kommen weitere Mails gemischt in pro und contra, geordnet nach Ankunft.

Nr.1:

Lieber Albrecht Müller,

ich möchte Ihren Artikel zum Antisemitismus und Netanjahu nur ganz kurz kommentieren – sehr kritisch, obwohl ich sonst viele Ihrer Artikel sehr anregend finde, diesen hier aber als mangelhaft einschätzen muss:

https://www.nachdenkseiten.de/?p=58106

Sie können aus meiner Sicht nicht alle Juden für Netanjahu verantwortlich machen. Netanjahu ist Ministerpräsident Israels und nicht das Sprachrohr aller Juden.
Hingegen sind alle Juden vom Antisemitismus betroffen. Insofern reden Sie über zwei Paar Schuhe, die nicht vermengt werden dürfen – schon gar nicht mit dem Hinweis, der Kampf gegen Antisemitismus werde durch Netanahu erschwert – und das darf man doch mal sagen dürfen. In Ihrem Sound klingt das dann so:
“Der Kampf gegen den Antisemitismus wäre wirksamer und glaubwürdiger, wenn Netanjahu und andere den Antisemitismus nicht anheizen würden.”
Und später heißt es: “Würde beispielsweise der Bundespräsident auf diese Zusammenhänge aufmerksam machen, wären seine Warnungen vor Antisemitismus glaubwürdiger. Warum überlassen auch die etablierten Medien diesen Hinweis einem kritischen Medium wie den NachDenkSeiten?”
Kritisieren Sie doch einfach sachlich Netanjahu, statt die Kritik am Antisemitismus damit zu vermengen …
Besten Gruß
Max Reinhardt

Nr.2:

Sehr geschätzter Kollege Albrecht Müller

Sie haben vollkommen recht: Das Verhalten der Behörden, wonach Kritik an Israel jetzt auch Antsemitismus ist, produziert zusätzliche Antisemiten.

Auf Infosperber.ch haben wir schon mehrmals auf diesen Punkt hingewiesen, zum Beispiel im Artikel “Deutschland definiert den Begriff «Antisemitismus» neu”, in dem wir auch auf einen Artikel der NDS verlinkt haben.

Gute Infos dazu auch hier: “Sie kritisierten Israel – und wurden gefeuert”.

Dazu einige weitere Artikel zum Thema Antisemitismus auf Infosperber.ch:

“Volksbefragung in Israel: «Wir sind ein auserwähltes Volk»”
Oder auch der: “Wenn «Philanthopie» Hass auf Menschen finanziert”
Dazu passend auch die Buchbesprechung “Wir haben nur dieses Land”
Und sehr gut auch der Gastkommentar des Juden Harry Rosenbaum: “Die Antisemitismus-Keue”
Zum gleichen Thema ein ganzes Buch von Moshe Zuckermann: “Israel darf und muss kritisiert werden – sagt Moshe Zuckermann”

Leider hat ja auch Frank-Walter Steinmeier am 23. Januar in Jerusalem wieder moniert, Kritik an Israel sei Antisemitismus:

Wörtlich: «Ich wünschte, sagen zu können: Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt. Aber das kann ich nicht sagen, wenn Hass und Hetze sich ausbreiten. Das kann ich nicht sagen, wenn jüdische Kinder auf dem Schulhof bespuckt werden. Das kann ich nicht sagen, wenn unter dem Deckmantel angeblicher Kritik an israelischer Politik kruder Antisemitismus hervorbricht.»

Die Israel-Lobby missbraucht den Holocaust für ihre politischen Ziele. Aber wer das sagt, ist nach neuer Definition auch bereits ein Antisemit. Das Verhehrende daran: Mit dieser neuen Definition wird der Begriff «Antsemitismus» stark relativiert. So bin eben auch ich plötzlich ein Antisemit – und kann, in diesem Sinne,  damit leben.

Mit kollegialem Gruss
Christian Müller

Nr. 3: Gedenken aller Opfer

Sehr geehrter Herr Müller,

Danke für Ihren guten , zutreffenden Kommentar. Ich frage mich ebenso seit geraumer Zeit,warum wir immer nur selektiv gedenken und z.B. das Leid , das wir den Hereros angetan haben,  keinen Platz finden in unseren öffentlichen Bekundungen. 

Auch mit Blick auf das Los Palastinas und ihrer Bewohner empfinde ich manches als Heuchelei. Wie kann ich an der Siete einer Nation stehen, die ander brutal unterdrückt? Unser Platz ist an der Seite der Unterdrückten – völlig unabhängig von nationaler/ethnischer  Identität, Religion o.Ä.

Beste Grüße und herzlichen Dank für Ihre Arbeit
Gaby Engel

Nr. 4:

Sehr geehrter Müller,

in Ihrem Statement “Der Kampf gegen den Antisemitismus wäre wirksamer und glaubwürdiger, wenn Netanjahu und andere den Antisemitismus nicht anheizen würden” (NDS 30.01.) ist Ihnen ein ziemlicher Lapsus unterlaufen, bei dem ich jedoch annehme, dass er auf Unüberlegtheit und/oder Unkenntnis beruht.

Die Politik Netanjahu kann und sollte man kritisieren. Sie ist jedoch weder Ursache von Antisemitismus noch heizt sie diesen an oder ist – wie Sie fälschlich annehmen – “Wasser auf die Mühlen der Antisemiten in Deutschland und sonstwo auf der Welt”. Es ist eher umgekehrt: Auch in Deutschland fühlen sich viele jüdische Menschen aufgrund des wachsenden Antisemitismus und Rassismus immer mehr bedroht, weshalb sie mittlerweile sogar oft nach Israel auswandern – egal ob mit oder ohne Netanjahu. Sie scheinen nicht zu wissen, dass es Nazi-Standard war, tatsächliches oder vermeintliches Fehlverhalten von Menschen mit jüdischem Glauben als Beweis für die Berechtigung von Antisemitismus zu nehmen (Stichwort “Reichskristallnacht”). Für mich ist es aufgrund der historischen Erfahrung deshalb unerlässlich, Antisemitismus und Rassismus auch nicht etwa mit der sozialen Lage zu entschuldigen. Aber ich gehe davon aus, dass auch Ihnen solche Verharmlosung von Antisemitismus fernliegt, und ihr Ärger über Netanjahu Sie zu Unüberlegtheiten verführt hat.

MfG

Armin Kammrad, Augsburg

Nr. 5:

Sehr geehrter Herr Müller,

zu Ihrem Beitrag “Der Kampf gegen den Antisemitismus wäre wirksamer und glaubwürdiger, wenn Netanjahu und andere den Antisemitismus nicht anheizen würden” möchte ich gerne meine Meinung äußern.

Es geht mir mittlerweile auf den Zeiger, dass ich in allen Medien nur noch Antisemitismus höre.
Mittlerweile vergeht nicht einmal eine ganze Woche, in der dieses Wort nicht zu hören ist.
Um es auf den Punkt zu bringen: Viele, die dieses Thema in der Öffentlichkeit kommunizieren,
sind schlimme Heuchler und zweckentfremden das darüber hinaus – vor allem Politiker.

Um auf auf Ihren Kommentar zurückzukommen. Um das Thema allen Menschen glaubwürdiger zu machen, wäre es nicht ratsamer, überhaupt nicht mehr nur von Antisemitismus zu reden? Stattdessen eher allgemein über den fehlenden Respekt gegenüber andere Menschen, die nicht den selben Glauben bzw. die selbe Hautfarbe bzw. die selbe Ideologie usw. haben? Ich würde es begrüßen, da so einige Politiker dann an ihre eigene Nase fassen müssten.

Mit freundlichen Grüßen
Frank Neunkirchen

Nr. 6:

Sehr geehrter Herr Müller,

“Da wird eine Politik der ethnischen Säuberung fortgesetzt und unmenschlich mit anderen Menschen umgegangen.”

Richtig, und warum spricht das niemand an? Weil dann vonseiten der israelischen Hardliner, die ja – zumindest gefühlt schon immer – das Sagen haben, sofort die Antisemitismus-Keule hervorgeholt wird. Damit soll einerseits an das schlechte Gewissen der Deutschen als Täter in der Zeit der NS-Herrschaft appelliert werden, andererseits betreibt die israelische Politik, wie von Ihnen zu Recht angemerkt, ebenfalls Verbrechen der ethnischen Säuberung an den Palästinensern wie seinerzeit die Deutschen an den Juden, wenn auch nicht vergleichbar mit dem schrecklichen Ausmaß wie von 1939 bis 1945 in Deutschland geschehen. 

Aber diese Drohung scheint zu wirken, und unsere Politiker und Medien tappen wohlweislich jedesmal in diese Falle, schon, um es sich nicht mit dem Hauptunterstützer dieser Politik, den USA, zu verderben. Was für eine schmutzige Politik wird da betrieben!

Gruß
G. Fernekes    

Nr. 7:

Sehr geehrter Herr Müller,

ich danke Ihnen für diesen mutigen Beitrag. Mutig deshalb, weil man sich in Deutschland heute wieder sehr genau überlegen muss, was man in der Öffentlichkeit sagt. Ganz besonders bei diesem Thema. Wer die Politik der aktuellen israelischen Regierung kritisiert ist gleich ein Antisemit.

Sie aber sagen genau das, was dazu gesagt werden muss. Nochmals vielen Dank.

Viele Grüße
Wolfgang Koch

Nr. 8:

Nein! Nein! Nein, Herr Müller!

“Netanjahu und andere” heizen nicht den Antisemitismus an! Sondern die
Israelkritik, allenfalls die Israelfeindlichkeit.
Mit einer solchen Formulierung aber gehen sie denjenigen in die Falle, die
seit langem jede Kritik an der israelischen Politik als “antisemitisch” diffamieren!

Mit freundlichen Grüßen!
Andreas Rautenberg in Braunschweig

Nr. 9:

Albrecht Müller ist zuzustimmen, wenn er davon spricht, dass der ‘Kampf gegen Antisemitismus’ wirksamer u. glaubwürdiger wäre, wenn Netanjahu und  Trump  den Antisemitismus nicht für eigene machtpolitische Interessen missbrauchen würden.

Der ehemalige israelische Botschafter Avi Primor sagte schon vor geraumer Zeit sinngemäß : “Nicht der Antisemitismus hat zugenommen, sondern die Abneigung gegenüber der israelischen Besatzung- u. Gewaltpolitik.”

Mit der  Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurf, aber auch der Verzweckung des Gedenkens an die Shoa hat sich der israelische Historiker Zuckermann in vielen seiner Analysen auseinander gesetzt.  http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar543.html

Lesenswert auch: http://der-semit.de/treueschwuere-fuer-einen-besatzerstaat/ ebenso der Nachdenkseiten-Beitrag hier https://www.nachdenkseiten.de/?p=52762

L.G. U.Plass

Nr. 10:

Sehr geehrter Herr Müller, 

in Ihrem heutigen Beitrag “Der Kampf gegen den Antisemitismus wäre wirksamer und glaubwürdiger, wenn Netanjahu und andere den Antisemitismus nicht anheizen würden” sehe ich ein schlimmes Missverständnis am Werk, das nicht minder bedenklich ist als das antideutsche Bestreben, jede Kritik an der rechtsnationalistischen Politik Netanjahus, auch die von israelischen Linken stammende, als antisemitisch motiviert zu diffamieren.

Aber die Insinuation, dass eine im Zuge des Gedenkens des Völkermords an den europäischen Juden unterlassene Kritik an der aktuellen israelischen Politik dazu geeignet sei, den Antisemitismus zu “fördern”, halte ich gleichfalls für eine schlimme Entgleisung.

Antisemitismus ist Hass gegen Juden, der leider auch hier zunimmt – und zwar in äußerst gewalttätiger Form. Von den weltweit 14.6 bis 15 Millionen Juden sind 6,697 Millionen, also weniger als die Hälfte Bürger Israels und von denen haben 24%, leider wenige, aber immerhin doch so viele, linke oder arabische Parteien gewält. Die Wahlbeteiligung lag bei 66% von 4,5 Millionen Wählern, von denen folglich 2.9 Millionen für Parteien gestimmt haben dürften, die der Likud-Regierung angehören oder ähnliche Positionen haben.

Wieso soll also das Handeln einer Regierung, die 2.9 Millionen Juden gewählt haben dürften, eine negative Einstellung gegenüber 15 Millionen jüdischen Menschen legitimieren können? Drei Viertel der Juden haben doch mit dieser Regierung schlicht nichts am Hut.

Die Generalisierung, die hinter Ihren Annahmen steht, ist also ebenso kollektivistisch und politisch schräg wie die umgekehrte Generalisierung der Antideutschen.

Und was eine solche Kritik am Tag des Gedenkens an über 6 Millionen meist osteuropäischen Juden zu suchen hat, erschließt sich mir gleichfalls nicht. Die abgrundtiefe Verworfenheit des nazistischen Völkermords, darunter übrigens neben der versuchten Auslöschung der europäischen Juden und Roma auch der millionenfache an Slawen, vor allem in der Sowjetunion, findet nirgendwo bisher eine Entsprechung – auch ein Vergleich mit der unter Menschenrechtsgesichtspunkten zweifellos schrecklichen Vertreibung und zivilgesellschaftlichen Einschnürung der Palestinenser ist unstatthaft. Hätten Steinmeier oder Schäuble sie an dieser Stelle geäußert, hätte ich das reichlich deplaziert gefunden. Was allerdings an der Stelle hätte deutlicher Ausdruck finden müssen, wäre eine Würdigung der Anteile der Roten Armee an der Befreiung Auschwitzs und der Niederschlagung Nazi-Deutschlands insgesamt. Vor allem, nachdem erst im Dezember 2019 alle deutschen Parteien außer Der Linken im Europaparlament die von Polen eingebrachte Deklaration unterstützten, die den Nazismus und den sowjetischen Sozialismus auf dieselbe Stufe gestellt haben.

Den Vorwurf der Verschleierung des sowjetischen Anteils am Leid an und der Befreiung vom Nationalsozialismus kann man jedoch nicht den Israelis vorwerfen, die zum 75. Gedenken den Hungeropfern von Leningrad ein Denkmal einweihten. In der Tageschau warfen libertär-dogmatische deutsche Journalisten ernsthaft Israelis und Russen den Missbrauch des Holocaustgedenkens vor und behaupteten, da hätten Netanjahu und Putin eine “Privatparty” gefeiert.

Wie gesagt, mich hat der Artikel befremdet.

Mit freundlichen Grüßen,
Anja Böttcher

PS: Ich habe gleichfalls eine Antwort oder ein Hinweis auf den Nachdenkseiten auf meine Belege dafür vermisst, dass der von Ihnen in politischen Einschätzungen, allerdings zu anderen Themen, öfters zitierte Paul Craig Roberts inzwischen massiv als Verbreiter nazirevisionistischer Sichtweisen und als aktiver Holocaustleugner in Erscheinung getreten ist. In meiner Sicht ist das nun wirklich der Punkt, an dem sich ein Mensch politisch diskreditiert. Aus der Sicht der Nachdenkseiten nicht?
Ehrlich gesagt – dieser Artikel hat mich hochgradig befremdet.

Anmerkung Albrecht Müller: Wenn diese Einschätzung der Sicht von Paul Craig Roberts richtig ist, müssen wir unseren bisherigen Umgang mit seinen Texten korrigieren.

Nr. 11:

Sehr geehrter Herr Müller,

eben las ich Ihren Text von gestern Nachmittag und mußte mich wegen der Angabe “27 Millionen” weiter informieren. Dabei stieß ich sogleich auf “Zweiter Weltkrieg: 27 Millionen Zeit online 25/2007” (Peter Jahn). Vielleicht können Sie einen Hinweislink geben. 

Es tut mir leid, über diese Informationen in dieser Gesamtheit erst jetzt als pensionierter Geschichtslehrer und trotz langjähriger Kontakte nach Osteuropa (meine Frau ist Bukaresterin) zu verfügen.

Ein sehr eifriger Leserbriefschreiber bin ich sonst nicht; heute aber vielen Dank für Ihren Text und Ihre Aktivitäten insgesamt-  die “Nachdenkseiten” sind mir unentbehrlich geworden.

Freundliche Grüße und gute Wünsche
Christian Thiemann  

Nr. 12:

Lieber Hr. Müller,

ich danke Ihnen für Ihre unermüdliche Arbeit für die Nachdenkseiten und ihren bewundernswerten Einsatz für Frieden und Völkerverständigung.

Am 27.Januar, dem Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee, fanden die medialen Präsentationen zum Holocaust-Gedenken und gegen Antisemitismus ihren Höhepunkt.

Anlässlich einer Dokumentation zum anscheinend wieder aufkeimenden Antisemitismus in Deutschland und Schweden habe ich nach der genauen Definition des Begriffs Antisemitismus gegoogelt und bin auf Folgendes gestoßen:

Auf der Webseite des Auswärtigen Amts (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/themen/kulturdialog/-/216610) steht:

Ein gemeinsames internationales Verständnis von Antisemitismus ist Grundvoraussetzung für dessen wirksame Bekämpfung. Die Definition der IHRA lautet:

„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“

Der letzte Satz findet sich allerdings nicht in der offiziellen IHRA Definition…er wurde von deutscher Seite hinzugefügt, wie es auch auf der Webseite des Auswärtigen Amts steht: Mit der Aufnahme des letzten Satzes zur Bekämpfung von israelbezogenem Antisemitismus geht die Bundesregierung zudem über die von der IHRA konsentierte Fassung hinaus.

Und da liegt der Hase im Pfeffer. Damit gerät man mit Kritik an der Politik Israels automatisch in die antisemitische Ecke.

Natürlich haben wir Deutsche eine besondere Verantwortung für das Erinnern an die Gräueltaten der Nazis, an den Holocaust und alles, was den Juden angetan wurde…aber grundsätzlich geht es um den Kampf gegen jede Form des Rassenhasses, damit so etwas wie damals nicht wieder geschehen kann.
Dabei ist es nicht hilfreich, wenn humanistisch gesinnte Menschen in Deutschland, die den Rassismus generell verurteilen und in Wort und Tat dagegen vorgehen, wegen ihrer Kritik an der zum Teil menschenverachtenden Politik des Staates Israel gegenüber den Palästinensern als Antisemiten bezeichnet werden – und wohlmöglich bezeichnet werden dürfen (aufgrund der erweiterten Definition der Bundesregierung).

Mit freundlichen Grüßen,
W. Reinhard

Nr. 13:

Sehr geehrte Damen und Herren,

“Der Kampf gegen den Antisemitismus wäre wirksamer und glaubwürdiger, wenn Netanjahu und andere den Antisemitismus nicht anheizen würden”

Kurz und knapp:

Unglaublich diese Überschrift.

Der “Jude” ist also selber schuld.

Kein Wunder, daß der Antisemitismus insbesondere unter den Linken so weit verbreitet ist.

Mit unfreundlichen Grüßen
Momysch-Uly

Nr. 14.:

Sehr geehrter Herr Müller,

Ich bin völlig Ihrer Meinung, was das Anheizen des Antisemitismus durch die Betroffenen (Israel) selber betrifft und stimme Ihnen auch zu, dass Rassismus in jeder Form zu verurteilen ist. Trotz muß ich zum letzten Absatz Ihres Artikels eine Anmerkung machen:

Was die im 3. Reich ermordeten Juden und die vielen Toten des Weltkrieges auch bei den Slawen betrifft, d`accord. Aber: “Und dann die Millionen Toten unter den kolonisierten Völkern Afrikas und Lateinamerikas und Asiens.” Vielleicht bin ich da zu kritisch, aber nach dem Eingangssatz (“Dieses Gefühl der Überlegenheit führte in Deutschland…”) liest sich das ohne Übergang so, als sei auch an diesen Millionen Toten ausschließlich Deutschland schuld – Deutschland, das bei der Verteilung der Welt unter den Europäern viel zu spät kam und nur wenige Jahrzehnte lang überhaupt Kolonien hatte. Ich bestreite nicht, dass es auch da rassistische Übergriffe und Tote gab, aber was ist denn mit den großen Kolonialmächten, Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Italien, Spanien, Portugal und auch den USA mit Ihrer Sklaverei? Die haben wohl ihre Kolonien humaner verwaltet? Sogar das winzige Belgien hat sich in Bezug auf Unmenschlichkeit gegenüber den Unterdrückten einen “großen Namen” gemacht! Seltsamerweise wird immer, wenn irgendwo in den Medien von Übergriffen aus der Kolonialzeit geschrieben oder gesprochen wird, fast ausschließlich Deutschland an den Pranger gestellt. Jedenfalls habe ich noch nie ähnliche Vorwürfe gegen die wirkich großen Kolonialisten gehört und anscheinend fordern die Geschädigten auch nur von Deutschland Entschädigungen – wo kein Kläger, da ist wohl auch kein Richter und nur Deutschland darf jederzeit von jedem zu Reparationszahlung für irgendwelche generationenweit zurückliegende Verbrechen erpresst werden? Vae victis?

Lieber Herr Müller, ich bin ein treuer Leser und Förderer der Nachdenkseiten und schätze Ihre Arbeit und die Ihrer Mitarbeiter sehr. Bitte verfallen Sie nicht in diesem Punkt dem Mainstream, indem auch Sie Deutschland als den alleinschuldigen Weltverbrecher hinstellen. Auch das kann Rassismus anheizen!

Mit freundlichen Grüßen
Heinz Kreuzhuber

Anmerkung Albrecht Müller: Ich habe bewusst nicht mit dem Finger auf andere gezeigt, weil ich unsere Verantwortung und Schuld auch auf diese Weise nicht relativieren wollte und will.

Nr. 15:

Sehr geehrter Herr Müller,

sie schreiben:
— … , wenn wir aller ermordeten und gedemütigten Menschen und Völker in gleicher Weise gedächten. Unser Kampf gegen den Antisemitismus wäre um vieles glaubwürdiger und wirksamer. —

Warum gedenken wir dann nicht einfach all den aufgezählten Opfern? Mglw. gedenken wir diesen Opfern deshalb nicht, weil dann die Frage aufkommen könnte: Wer oder was ist für all die Toten verantwortlich?

All diese Menschen starben ja nicht aus heiterem Himmel. Es muss dafür eine Erklärung geben. Und genau deshalb macht Herr Steinmeier nicht auf die Zusammenhänge aufmerksam. Er müsste dann auch die Erklärung liefern. Deshalb erzählen die Medien eben eine verkürzte, und mitunter auch verfälschte, Geschichte.

Das der Kampf gegen den Antisemitismus glaubwürdiger und wirksamer wäre, ist vielleicht auch nicht gewollt. Es war/ist doch für die Herrschenden besser, dass sich die Menschen gegenseitig die Köpfe einschlagen, als das die Menschen den Herrschenden die Köpfe abschlagen.

Das ist das Gleiche wie “links” gegen “rechts” oder der Geschlechterkampf oder der Kampf der “Diversen” gegen die Frauen und die Männer oder die einen Fußballfans gegen die anderen Fußballfans usw. usf.

Das nennt sich “Brot und Spiele”. Die Erfinder dieser “Brot und Spiele” bauten Arenen und ließen Menschen gegen Menschen kämpfen oder Menschen gegen wilde Tiere oder oder. Das Ziel war und ist: Die Bürger von den eigentlichen Problemen abzulenken.
Heute prügelt sich der Mob mit den Polizisten oder die eine Gesellschaft führt einen Krieg gegen die andere Gesellschaft oder die eine Religion gegen die andere Religion.

Soll der Kampf gegen Antisemitismus glaubhafter werden, sollten wir, die westliche Wertegemeinschaft, vielleicht unser Handeln in der Welt überdenken. Daran anschließend könnten wir uns, vielleicht, dazu entschließen, einfach die Interessen der anderen Gesellschaften zu akzeptieren.

Tja, an diesen banalen Dingen scheitert schon die Glaubwürdigkeit unseres Handeln und damit auch das Geplapper im Kampf gegen
Antisemitismus.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Geduld.

Mit freundlichen Grüßen
Jan Skalla

Nr. 16:

Hallo Herr Müller –

ich finde an Ihrem Beitrag vom 30.01. falsch, Antisemitismus mit Antizionismus gleichzusetzen. Und das tun Sie hier und reihen sich so leider ein in diese unsägliche aktuelle Debatte um Antizionismus = Antisemitismus bzw. Antikapitalismus/-imperialismus = Antisemitismus, wie sie nicht nur vom reaktionären israelischen Staat und seinen politischen Front- / Lobbyorganisationen, sondern auch von den Funktionseliten der transatlantischen imperialistischen Kriegsallianz ( USA, EU, Deutschland, CDU_CSU_SPD_FDP, z.T. auch die Linke, AFD, Antideutsche etc.pp ) trotz all ihrer Divergenzen aktiv losgetreten und wenn möglich mit allen Mittel versucht wird, durchzusetzen. Die systemischen Warnungen vor Antisemitismus mögen noch so heuchlerisch und eindimensional sein – niemals sind sie aber Ursache von Antisemitismus. Antisemiten sind keine Opfer, sie sind Täter.

Die Tendenz Ihres Beitrages weist aber leider schon in die Richtung, der israelische Staat sei ( Mit-) Ursache von Antisemitismus. Dies ist für mich eine absolute No-Go-Position ! Sie sollten das richtigstellen.

Der reaktionäre ( rechts- ) zionistische Staat und seine religiös-fundamentalistische rechtskonservative ‘neoliberale’ Regierung sind selbstverständlich Ursache antizionistischer Positionen, Bewegungen und Widerstandsaktionen – aber das ist etwas vollkommen Anderes. Antisemiten funktionalisierenen die z.T. verbrecherische Politik israelischer Regierungen gegen die Palästinenser wie auch allgemein Rassisten immer wieder versuchen, ihre menschenverachtende Propaganda, Pöbeleien und Angriffe mit mutmasslichen Übergriffen von Flüchtlingen für sich zu instrumentalisieren und ihre gefährliche national-konservative, faschistoide Einstellung zu covern. Seit wann sind Antisemiten solidarisch mit dem Widerstand der Palästinenser für Selbstbestimmung , seit wann und wo machen sie mobil für die palästinensiche Sache – statt sie hier als Flüchtlinge zu jagen? Und warum nur gegen Israel bei seinen Verbrechen und nicht gegen die Verbrechen der ‘eigenen’ kapitalistischen Funktionseliten und ihrer Verbündeten? Ein ähnliches Muster – Frauen seien bei Vergewaltigungen selbst schuld, sie müssten ja nicht mit ihrer Erotik kokettieren, usw. usf. Es sind meiner Meinung nach im Kern immer wieder die gleichen National-/wertekonservativen – im Endeffekt faschistoiden – Muster. Und sie sind für mich die subjektive Einstiegsdroge’ in einen letztendlich herauszienden neuen ‘Faschsmus 2.0’.

Oder liege ich selbst da total daneben ?

Über einen Antwort / Debatte würde ich mich freuen.

Grüsse
T. D.

Nr. 17:

Lieber Herr Müller, 

erlauben Sie mir bitte zwei Anmerkungen zu Ihrem Beitrag „Der Kampf gegen den Antisemitismus wäre wirksamer und glaubwürdiger, wenn Netanjahu und andere den Antisemitismus nicht anheizen würden“. Die erste Anmerkung: Der Staat Israel und das Judentum sind zwei verschiedene Entitäten. Auch wenn es selbstverständlich Schnittmengen gibt, darf Empörung über die israelische Politik keine Rechtfertigung für Antisemitismus, also für die Feindschaft zu den Juden und zum Judentum, sein.

Und die zweite: Dass in ein und derselben Woche das Auschwitz-Gedenken und die Verkündung des israelisch-amerikanischen Annexionsplans stattfinden, macht augenfällig, dass der sogenannte Kampf gegen den Antisemitismus und die gesamte Geschichtspolitik, mit der er unterlegt wird, vor allem zur Durchsetzung anderer politischer Ziele dient: dem Staat Israel als Rechtfertigung des eigenen Siedlerkolonialismus , inklusive der nun nicht mehr still und heimlich verfolgten, sondern offiziell annoncierten Konsequenz, die Palästinenser in einer Art von Indianerreservaten einzupferchen; der gesamten westlichen Welt zur Ablenkung von einer Reihe von schweren Staatsverbrechen, die allesamt als solche nicht mehr gelten, weil es nur noch ein großes, singuläres Menschheitsverbrechen, einen einzigen „Zivilisationsbruch“ – den Holocaust – geben soll. Die Ermordung von Millionen von Menschen allein in den letzten zwanzig Jahren durch das westliche Imperium (die USA, ihre europäischen Verbündeten und ihre Klienten im globalen Süden) in Afghanistan, im Irak, in Libyen, in Syrien, im Jemen und in den weiteren Ländern, die regelmäßig mittels Drohnen bombardiert werden, die Aushungerung unter anderem der Bevölkerungen des Irak – vor der westlichen Intervention 2003 –, Irans und Venezuelas mittels Handelssanktionen, die massenhafte Folterung von Terrorverdächtigen und vieles andere: All diese ungeheuerlichen Vorgänge, an die wir uns ohnehin schon gewöhnt haben, sollen angesichts des Menschheitsverbrechens der Vernichtung der europäischen Juden als historische Normalfälle aus dem Bewusstsein der Zeitgenossen getilgt werden. Nicht zuletzt aus diesem Grund gibt es unentwegt Gedenkveranstaltungen, wird der Antisemitismus unter den vielen Verrohungserscheinungen der heutigen westlichen Gesellschaften besonders hervorgehoben und werden die wenigen noch lebenden früheren Auschwitz-Insassen als Dekoration für schwülstige Ansprachen von Repräsentanten des Imperiums missbraucht.  Während sich die aktuellen Kriegsverbrecher und Massenmörder – stellvertretend für viele andere seien nur die drei letzten US-Präsidenten Bush, Obama und Trump genannt, aber was ist eigentlich aus den weltweit weniger prominenten Menschenrechtskriegern Schröder, Fischer und Scharping geworden? – unbehelligt von Justiz und Medien ihres Lebens erfreuen dürfen, schwillt der moralische Furor, mit der das lange zurückliegende Menschheitsverbrechen verurteilt wird, unentwegt an. Der Holocaust ist zum Ablenkungsdiskurs geworden. Daher möchte ich Ihnen, bei allem Respekt, auch in diesem Punkt widersprechen: Dass der Bundespräsident in Yad Vashem und das israelische Staatsoberhaupt im Bundestag spricht, ist nicht „gut so“. Wer zu den heutigen Verbrechen schweigt und ihnen daher zustimmt, sollte über die vergangenen keine öligen Reden halten, sondern bei derlei Gelegenheit einfach einmal den Mund halten.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Kempter

Nr. 19:

Sehr geehrter Herr Müller,

das Unwort „Politik der ethnischen Säuberung“ darf man meiner Meinung nach nicht ohne Anführungszeichen verwenden. So viel Menschenverachtung in einem Begriff ist selten.

Klaus Weyers

Anmerkung Albrecht Müller: Das verstehe ich nicht. Auch Ilan Pappe setzt die vier Worte nicht in Anführungszeichen. Aber ich will mich nicht allein auf ihn berufen. Auch ohne Anführungszeichen sind die vier Worte Ausdruck einer menschenverachtenden Politik.


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