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Titel: Schweizer Friedensprojekt: „Wenn Menschen zusammen am Tisch sitzen, bekriegen Sie sich nicht“
Datum: 18. Januar 2020 um 11:45 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Friedenspolitik, Interviews
Verantwortlich: Redaktion
Dieser Einsatz für ein friedliches Miteinander geht durch den Magen: Der Schweizer Koch David Höner hat ein Friedensprojekt auf die Beine gestellt, bei dem Konflikt- und Kriegsparteien wieder zusammengeführt werden sollen – beim gemeinsamen Essen an einem Tisch. Darüber hinaus schafft das Vorhaben vor Ort bleibende Betriebe und Initiativen zur Ausbildung. „Cuisine sans frontières“, also: „Küche ohne Grenzen“ heißt das Projekt. Seine ehrenamtlichen Mitarbeiter gehen in die gefährlichen Regionen unserer Welt und machen so auch „Politik“. Warum dem so ist und was es mit dem Friedensprojekt noch auf sich hat, davon erzählt Höner im NachDenkSeiten-Interview. Von Marcus Klöckner.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Kochen geht für Sie über das hinaus, was man vielleicht im Allgemeinen darunter versteht, oder?
Kochen, Essen, Trinken, Gastfreundschaft, das sind Bestandteile unseres sozialen Lebens. Essen und Trinken ist sozialer Kitt. Und da sind wir dann auch ganz nahe bei der Politik.
Sie sagen, „Kochen ist Politik“. Wann haben Sie das entdeckt?
2003 habe ich eine Reportage in Kolumbien über die Kokainbekämpfung gemacht. Dabei kam ich in ein Bürgerkriegsgebiet, wo sämtliche zivile Strukturen zusammengebrochen waren. Dort gab auch keinen Zusammenhalt mehr zwischen den Leuten. Sie hatten Angst voreinander und sind sich aus dem Weg gegangen. Viele blieben einfach in ihren Häusern, es gab keinen Ort, an dem sie sich treffen konnten. Diese Beobachtungen haben mich zu der Frage bewogen: Warum kann man hier an diesem Ort keine Kneipe, kein Restaurant installieren, so wie bei uns zu Hause? Ein Ort, wo man zusammenkommt, wo man über Probleme redet, diskutiert usw. Solch ein Ort der Begegnung ist immens wichtig – gerade auch in Regionen, wo Feindschaft herrscht. Ich habe mich weiter gefragt: Wie kann ich dazu beitragen, dass hier wieder eine soziale Struktur entsteht?
Und so entstand dann Cuisine sans frontières?
Ja, aber wie bei allen solchen Projekten braucht man Anlaufzeit, man braucht Leute, die mitziehen.
Was genau machen Sie jetzt mit Ihrer Organisation?
Wir gehen in die Konflikt- und Kriegsregionen und bauen dort Betriebe auf. Restaurants, aber auch Handwerksbetriebe, die mit Nahrung zu tun haben, wie beispielsweise eine Bäckerei.
Also ein Stück Entwicklungshilfe.
Ja, nur gehen wir anders vor als die Entwicklungshilfe, wie man sie normalerweise beobachten kann.
Was heißt das?
Viele Schritte, die in Sachen Entwicklungspolitik unternommen werden, werden gemacht, um die „zu Entwickelnden“ an unser Wirtschaftssystem anzuschließen. Es wird nicht mit den Menschen über ihre eigentlichen Bedürfnisse gesprochen, sondern die eigenen Bedürfnisse werden zu ihnen gebracht. Dieser Art von Entwicklungspolitik fehlt die grundlegende Ausgangsbasis…
…nämlich?
Kommunikation mit den Menschen. Es ist wichtig, dass Menschen bereit sind, sich zu öffnen. Und das funktioniert eben dann, wenn man am Tisch sitzt, um zusammen zu essen, zu trinken. Dann erfahren wir, wie diese Menschen denken, was sie wirklich brauchen, wo es fehlt. In der Kommunikation untereinander fangen diese Menschen plötzlich wieder an, sich ohne Aggression auszutauschen. Der kleinste gemeinsame Nenner – das Essen und Trinken – trägt zur Befriedung bei. Einfache Sätze zueinander wie: „Geben Sie mir bitte mal die Schüssel?“ sind ein Anfang, um Barrieren zu überwinden. Bei diesen Gesprächen stellen die Konfliktparteien fest, dass es weitere gemeinsame Nenner gibt. Das sind kleine Schritte aufeinander zu – aber genau diese kleinen ersten Schritte sind sehr wichtig. Wenn Menschen zusammen am Tisch sitzen, bekriegen sie sich nicht!
Wir sprechen über Entwicklungspolitik. Können Sie bitte etwas näher beschreiben, was Sie an der westlichen Entwicklungspolitik stört?
Ein Löwenanteil der Entwicklungspolitik fließt in Projekte mit wirtschaftlichem Hintergrund. Es ist eine kapitalistische Entwicklungspolitik, deren Credo lautet: „Frieden durch Wohlstand“.
Was aber doch nicht ganz falsch ist. Trägt Wohlstand etwa nicht zumindest zu einer gewissen Befriedung bei?
Das stimmt, aber von wessen „Wohlstand“ und wessen „Frieden“ sprechen wir in dem Zusammenhang? Die kapitalistische Entwicklungspolitik zielt darauf ab, die Zugänge zu wichtigen Rohstoffen, die wir hier im Westen benötigen, zu erleichtern. Ob es um den Export von Öl, Zink, Alpakawolle, Kakao usw. geht: Wir haben ein Interesse daran, diese Waren so einfach, so kostengünstig wie möglich zu bekommen. Die Menschen in den armen Ländern verdienen zwar dadurch Geld, aber sie werden vom Export abhängig. Das ist alles nicht neu, die Abläufe sind bekannt. Gewinn lässt sich eben auch in der Entwicklungspolitik erwirtschaften. Auch bei der so genannten „humanitären Hilfe“ geht es nicht nur um reine Barmherzigkeit.
Erklären Sie uns das doch bitte mal an einem Beispiel.
In irgendeinem armen Land wird ein Hospital benötigt. Experten von außen bestimmen zunächst den Standort. Vor Ort gibt es kein oder nicht genügend Fachpersonal. Also muss dieses von außerhalb kommen. So ein Krankenhaus benötigt natürlich auch die entsprechende Ausstattung, wie Röntgenapparate, Prothesen, Medikamente usw. All das wird von auswärtigen Firmen geliefert. Hilfspersonal ist vor Ort schnell ausgebildet, dieses wird dann von seinem ausländischen Arbeitgeber so entlohnt, wie es den „Mindestlöhnen“ des Herkunftslandes entspricht. An allen Stellen achten die Geber peinlich darauf, dass das investierte Geld wieder zurückfließt. Allerdings fließt es nicht in die Staatskassen zurück, wo es entnommen wurde, sondern in die Kassen der privaten Unternehmer.
Wäre ein Herkunftsland mal so weit, dass es in einem durch Entwicklungshilfe unterstützten Teilbereich so weit ist, Produkte nicht nur selbst zu verarbeiten, sondern auch selbst auf den Markt zu bringen, dann wäre es nicht mehr auf die Hilfe der Geberländer angewiesen. Aber genau das wollen die Geberländer nicht. Und warum die Geberländer sich so verhalten, liegt auf der Hand: Sie handeln im Sinne der kapitalistischen Entwicklungspolitik. Es geht darum, mit Gewinnabsicht Entwicklung zu steuern.
Kommen wir nochmal darauf zu sprechen, wie Sie vor Ort vorgehen. Es dürfte ja nicht mit einem gemeinsamen Essen getan sein.
Natürlich nicht. Man darf sich das auch nicht so vorstellen, dass wir dahin gehen und sagen: „Kommt alle her, wir essen jetzt zusammen.“ Das wäre ziemlich blauäugig. Wir haben Partner vor Ort, die die Verhältnisse genau kennen, die helfen, die Wege für unser Projekt zu ebnen. Wir arbeiten immer an dauerhaften Einrichtungen, die nach einer gewissen Lernzeit von den Einheimischen selbst übernommen und betrieben werden. Am Rio Napo, im Amazonasgebiet, ist es uns gelungen, ein Schulschiff aufzubauen. Dort lernen die Indigenen, wie Gastronomie funktioniert, was zu tun ist, um einen Betrieb aufrechtzuhalten.
Wie finanzieren Sie sich?
Komplett aus Spenden. Wir sind mit einem Jahresbudget von 12.000 Schweizer Franken gestartet. Mittlerweile beträgt es 1 Million Schweizer Franken. Alle unsere Mitarbeiter sind ehrenamtlich tätig. Das sind beispielsweise Köche, die sich einen Monat oder länger unbezahlten Urlaub nehmen.
Bekommen Sie keine Unterstützung von politischer Seite?
Politiker finden das Projekt alle ganz „toll“, sie sagen, es sei eine „großartige Idee“. Effektiv haben wir aber noch nie etwas von der öffentlichen Hand bekommen. Aber das ist auch gut so. Dadurch sind wir unabhängig, wir bestimmen selbst über unsere Projekte.
Lesetipp: Höner, David. Kochen ist Politik. Warum ich in den Dschungel gehen musste, um Rezepte für den Frieden zu finden. Westend Verlag. Oktober 2019. 256 Seiten. 24 Euro.
Titelbild: Angyalosi Beata / Shutterstock
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