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Titel: US-Botschaft fordert von deutschen Parlamentariern „Solidarität“ mit Venezuela – unter falschen Vorzeichen
Datum: 17. Januar 2020 um 11:23 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Erosion der Demokratie, Strategien der Meinungsmache, Wahlen
Verantwortlich: Tobias Riegel
Die US-Botschaft richtet sich mit einem Schreiben direkt an deutsche Bundestagsabgeordnete, um die Regierung Venezuelas anzugreifen. Der Vorgang bietet Einblick in die Einmischungen durch US-Kreise in fremden Ländern. Von Tobias Riegel.
In einem aktuellen Schreiben der US-Botschaft werden deutsche Bundestagsabgeordnete zur Solidarität mit der Nationalversammlung in Venezuela aufgefordert. Das Schreiben ging in dieser Woche an die Mitarbeiter der Fraktionen im Auswärtigen Ausschuss, die es dann an die Abgeordneten aller Parteien weiterleiten. Im Namen des US-Außenministeriums bittet Genevieve Libonati, Botschaftsrätin für politische Angelegenheiten in der US-Botschaft/Berlin, deutsche Parlamentarier um die Abgabe einer Erklärung zur Unterstützung des venezolanischen Parlaments, denn:
„Ihre Amtskollegen in Venezuela wurden am 5. Januar gewaltsam am Betreten ihres Parlamentssaals gehindert und es wurde versucht, eine interne Parlamentswahl zu fälschen.“
Falsche Darstellungen durch US-Botschaft?
Diese Darstellung entspricht mutmaßlich nicht der Wahrheit, die Deutung der Vorgänge vom 5. Januar sind mindestens hoch umstritten. Eine der US-Sicht stark widersprechende Version der Vorgänge findet sich etwa auf RT, dort wird das Verhalten des selbst ernannten „Interimspräsidenten“ Juan Guaidó an jenem Tag als Inszenierung beschrieben:
„Juan Guaidó, der den Sitzungsaal nicht betrat, und andere ihm nahestehende Oppositionsabgeordnete weigerten sich unterdessen, den Amtseid abzulegen, da sie behaupteten, es sei eine irreguläre Sitzung. Guaidó behauptete, dass er das Parlamentsgebäude nicht betreten konnte, weil die Bolivarische Nationalgarde ihn daran hinderte. Das chavistische Lager wiederum erklärte, dass Guaidó absichtlich zu spät zur Sitzung erschien, weil er nicht die erforderlichen Stimmen für eine Wiederwahl zusammenhatte.“
Diese Sicht stützt auch ein Bericht von „Telepolis“:
„Tatsächlich war die vermeintliche Aussperrung eine inszenierte Fake-News. Sei es, weil es zuletzt still um Guaidó geworden ist; sei es, weil er sich seiner Wiederwahl nicht sicher war und einen Befreiungsschlag brauchte. Fakt ist, dass Videos klar zeigen, dass er in das Parlament hätte gehen können, die Teilnahme an der Sitzung aber verweigerte.“
Das Auswärtige Amt und die Verfassung Venezuelas
Demnach treffen die Vorwürfe der „Fälschung“ und der Beugung parlamentarischer Prozesse und Gesetze wohl eher den selbst ernannten „Interimspräsidenten“ Juan Guaidó und damit auch seine Unterstützer in den USA – und jene in Deutschland: Die fragwürdige Rolle des deutschen Auswärtigen Amtes (AA) beim Thema Venezuela wurde einmal mehr in der Bundespressekonferenz offenbar, als es dort um die umstrittene Sitzung des venezolanischen Parlaments vom 5. Januar ging. Dazu wollte RT wissen, ob das AA trotz der Abwahl Guaidós als Parlamentspräsident plant, den Politiker weiter als “Präsident” anzuerkennen. Die Antwort ist erwartungsgemäß, aber darum nicht weniger beunruhigend. Laut dem Bericht übernehme das deutsche Außenamt die „nachgewiesenen Falschbehauptungen Guaidós“ und erkenne seine inszenierte “Wiederwahl” in den Redaktionsräumen der radikalen Oppositionszeitung El Nacional an, die unter Bruch zahlreicher in der Verfassung festgehaltenen Regeln zur Wahl eines Parlamentspräsidenten erfolgt sei:
„Die Wahl fand entgegen den Festlegungen in der Verfassung nicht im Parlament statt, es gab kein Quorum, Abgeordnete der Regierungspartei PSUV und weiterer chavistischer Parteien hatten keinen Zutritt, zahlreiche Pro-Guaidó-Abgeordnete stimmten via Skype für ihn, weil sie sich wegen Flucht vor der venezolanischen Justiz im Ausland befinden, obwohl elektronische Abstimmung in Abwesenheit explizit in der Verfassung untersagt ist.“
Doppelte US-Einmischung: Im Bundestag und in Venezuela
Soll also dieser Art der Demokratie und der Opposition nun von deutschen Parlamentariern nach US-Wunsch das Vertrauen ausgesprochen werden? Soll im US-Vorstoß einmal mehr eine Politik der westlichen Einmischung durch schöne Worte von der Demokratie und der verfolgten und als die eigentliche Volksvertretung anzusehenden Opposition vernebelt werden? Und soll sich, um die US-Einmischung in Venezuela zu stützen, nun auch in den deutschen Parlamentsbetrieb „eingemischt” werden? Ganz klar: In der aufgeheizten Situation in Venezuela kann auch die Regierung unter Präsident Nicolás Maduro nicht von allen Defiziten freigesprochen werden. Sie ist aber allemal legitimierter als die vom Westen gestützte und zum Teil radikale und militante Opposition. Solche Feinheiten sollen die deutschen Parlamentarier aber nicht interessieren, wie das von der US-Botschaft vorformulierte Solidaritäts-Schreiben nahelegt – hier folgt es im Wortlaut:
„Die Gesetzgebung/Parlamentarier/Regierung Deutschlands erkennt die venezolanische Nationalversammlung als die einzige legitime, demokratische Gesetzgebung/Parlament Venezuelas an. Die Unabhängigkeit und die Befugnisse der Nationalversammlung sowie die Rechte und die Sicherheit ihrer Mitglieder müssen geschützt werden. Wir lehnen die Schikanierung, Einschüchterung und Verfolgung der demokratisch gewählten Parlamentarier der venezolanischen Nationalversammlung kategorisch ab und fordern ihre Fähigkeit, ihr verfassungsmäßiges Mandat ohne Angst vor Vergeltungsmaßnahmen und im Interesse der von ihnen vertretenen Menschen frei zu erfüllen.
Wir verurteilen die wiederholte Verletzung und den Missbrauch der Menschenrechte und Grundfreiheiten der venezolanischen Abgeordneten durch das Maduro-Regime. Wir verurteilen die Maßnahmen, die illegal und ohne ordnungsgemäßes Verfahren ergriffen wurden, einschließlich der Inhaftierung, der Verweigerung der parlamentarischen Immunität, des Reiseverbots und der Beschlagnahme von Pässen.
Wir loben die Abgeordneten der Nationalversammlung für ihren Mut, die Demokratie und ein Ende der humanitären Krise in Venezuela weiterhin zu verteidigen. Wir rufen alle [Parlamente/Regierungen] auf, sich uns bei der Unterstützung der venezolanischen Nationalversammlung und ihres demokratisch gewählten Präsidenten, des Interimspräsidenten Venezuelas Juan Guaidó, anzuschließen.“
Wer wird auf den US-Vorstoß eingehen?
Dass die USA solche fragwürdigen Vorstöße für fragwürdiges Personal auf Grundlage fragwürdiger Informationen in ausländischen Parlamenten initiieren, sollte nicht mehr überraschen. Interessant wird die Frage sein, welche Parteien oder Einzelpolitiker aus Deutschland diesen US-Vorstoß unterstützen werden.
Titelbild: danielo / Shutterstock
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