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Titel: Sanktionen – Trumps unbeachteter Krieg gegen Iran
Datum: 14. Januar 2020 um 10:05 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Strategien der Meinungsmache, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Redaktion
Eine Eskalation der Gewalt im Mittleren Osten sei vorerst abgewendet. So lautet derzeit der Tenor in vielen Medien. Doch der Krieg der USA gegen den Iran ist längst in vollem Gange. Ohne Bomben und ohne Öffentlichkeit. Der Wirtschaftskrieg mit seinen Sanktionen, den die USA gegen den Iran führen, fordert ebenfalls Todesopfer und verstößt zudem gegen das Völkerrecht, wie Fabian Goldmann in seinem Artikel für die NachDenkSeiten analysiert.
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Per Drohne hatten die USA den iranischen General Qasem Suleimani ermordet. Iranische Raketen schlugen auf amerikanischen Armeestützpunkten ein. Der Mittlere Osten schien vor einem neuen Krieg zu stehen. Doch dann ging ein Aufatmen durch die deutsche Presselandschaft. „Neuer Krieg im Nahen Osten abgewendet“, erfuhr man bei RTL, nachdem US-Präsident Donald Trump bekannt gegeben hatte, auf eine weitere militärische Eskalation vorerst zu verzichten. „Das Schlimmste scheint abgewendet“, der Krieg vertagt, analysierte auch „Der Spiegel“. In der FAZ las man sogar, Trump habe „brutalstmögliche Deeskalation angeordnet“. Und die BILD titelte in gewohnt großen Buchstaben in Richtung Trump: „Kein Krieg! Danke, Mr. President!“
Doch die verbreitete Erzählung von der amerikanischen Besonnenheit, die die Menschen der Region vor Tod und Leid bewahrt, hat einen Haken: Sie stimmt nicht. Der Krieg der USA gegen Iran ist längst in vollem Gange. Nur Aufmerksamkeit oder gar Empörung erregt er hierzulande kaum. Denn statt spektakulärer Angriffe durch Predator-Drohnen und Cruise-Missiles sind es Dekrete und Verordnungen, die leise Tod und Leid über die iranische Zivilbevölkerung bringen.
Trump erklärte die gesamte iranische Wirtschaft zum Ziel
„Ich gebe heute bekannt, dass sich die Vereinigten Staaten aus dem Iran-Atomabkommen zurückziehen werden.“. Mit diesen Worten kündigte Donald Trump am 8. Mai 2018 nicht nur völkerrechtswidrig das Atom-Abkommen seines Amtsvorgängers, er setzte auch den Beginn eines Wirtschaftskrieges in Gang, dessen Folgen nicht weniger tödlich sind als Bomben und Raketen. Innerhalb weniger Wochen hatten die USA nicht nur sämtliche Sanktionen, die Obama 2015 infolge des Atomabkommens zurückgenommen hatte, wieder in Kraft gesetzt, sie verhängten auch zahlreiche neue. Waren unter Obama noch vorrangig iranische Einrichtungen und Politiker Gegenstand der Strafmaßnahmen, die irgendwie mit dem iranischen Atomprogramm in Zusammenhang stehen, erklärte Trump die gesamte iranische Wirtschaft zum Ziel.
Von seiner im August 2018 gestarteten „Kampagne des maximalen Drucks“ sind seitdem weit über 1000 Einzelpersonen, dutzende staatliche und private Unternehmen, vor allem aber die Finanzindustrie des Landes betroffen. Immer wieder verschärften amerikanische Behörden Sanktionen gegen die iranische Zentralbank und andere Finanzinstitutionen des Landes. Bis heute vergeht kaum eine Woche, in der amerikanische Behörden ihre Strafmaßnahmen nicht auf immer neue iranische Lebensbereiche ausweiten. Heute ist es iranischen Unternehmen in allen Wirtschaftsbereichen nur noch unter großem Aufwand möglich, Waren zu importieren oder zu exportieren.
Nur mit Verordnungen schaffen es die USA, ein ganzes Land auszuhungern
Die Konsequenzen dieser Politik bekam die iranische Bevölkerung umgehend zu spüren: Innerhalb weniger Wochen beendeten große ausländische Unternehmen wie Peugeot, Daimler, Total oder das chinesische Erdölunternehmen CNPC ihre Irangeschäfte. Im Oktober 2018 berichteten iranische Medien, dass sich der Preis für Babywindeln verdoppelt habe, nachdem Fabriken wegen Rohstoffmangel die Produktion einstellen mussten. Einen Monat später folgten Nachrichten über ausbleibende Lieferungen von Nahrungsmitteln und Agrargütern. Ausländische Unternehmen konnten aufgrund der amerikanischen Finanzsanktionen die Bezahlung der Güter nicht mehr abwickeln.
Wie schwer die iranische Wirtschaft unter der amerikanischen Politik leidet, lässt sich auch in Zahlen ausdrücken: Infolge der US-Sanktionen sank das iranische Wirtschaftswachstum von +12 Prozent im Jahr 2016 auf -10 Prozent im Jahr 2019. Innerhalb nur eines Jahres verlor die iranische Währung mehr als 80 Prozent ihres Wertes. Von einer jährlichen Preissteigerungsrate von 52 Prozent für Verbrauchsgüter berichtet die Weltbank. Viele Menschen, die vor zwei Jahren noch zur Mittelschicht gehörten, leben heute infolge der amerikanischen Sanktionen in Armut. Wo früher Belagerungswaffen und Kriegsschiffe für Blockaden nötig waren, schaffen es die USA heute, ein Land auszuhungern, ohne einen Schuss abzugeben.
Trumps Ziel ist es, die iranischen Ölexporte auf Null zu bringen
Die Radikalität amerikanischer Sanktionspolitik zeigt sich besonders deutlich beim Ölhandel. Heute verbieten die USA nicht nur heimischen Unternehmen den Handel mit Iran, sondern der ganzen Welt. Seit Juni 2019 verhängen die USA Sanktionen weltweit gegen jedes Unternehmen, das am Handel mit iranischem Öl beteiligt ist. Länder, die wie China, die Türkei, Indien oder der Irak derzeit noch iranisches Öl importieren, sind von zeitlich befristeten amerikanischen Ausnahmeregelungen abhängig. Die Folgen sind für den Iran existentiell: Iranische Öl-Exporte und damit die wichtigste Einnahmequelle des Landes gingen in den letzten beiden Jahren um über 80 Prozent zurück. Exportierten die Iraner im Jahr 2017 noch und zwei Millionen Barrel Rohöl täglich, sank der Export im vergangenen Jahr auf zeitweise nur noch 160.000 Barrel pro Tag.
Ziel der Maßnahmen sei es, so erklärten es US-Vertreter immer wieder, die iranischen Öl-Exporte auf Null zu bringen. Wie weit sie dabei gehen, zeigte der Fall des iranischen Tankers „Grace 1“, dessen Schicksal im vergangenen Jahr wochenlang die Schlagzeilen bestimmte. Schon am Tag der Kaperung erklärte Spaniens Außenminister Josep Borrell am 4. August, das Schiff sei auf Verlangen der USA festgesetzt worden und widersprach damit britischen Darstellungen, wonach ein Bruch der EU-Sanktionen gegen Syrien der Grund für die Kaperung sei.
Als das zuständige Gericht Gibraltars den mittlerweile in „Adrian Darya 1“ unbenannten Tanker am 15. August wieder freigab, intervenierten die USA erneut: Noch am selben Tag drohte US-Außenamtssprecherin Morgan Ortagus der 28-köpfigen Besatzung des Tankers mit Einreiseverboten und dem Entzug bereits erteilter Visa. Einen Tag später verfügte ein Bundesgericht in Washington D.C. erfolglos die Beschlagnahmung des Tankers und seiner Fracht.
Bis auf den letzten Tanker vom Welthandel ausschließen
Auch in den folgenden Tagen versuchten die USA mit nahezu jedem Mittel, die Weiterfahrt des Tankers zu verhindern: Am 20. August drohte US-Außenminister Mike Pompeo sämtlichen Mittelmeeranrainer-Staaten mit Strafmaßnahmen, sollten sie es der „Adrian Darya 1“ erlauben, in einen ihrer Häfen einzulaufen. Zehn Tage später setzten US-Behörden den Tanker mitsamt seiner Crew auf eine Liste von Terrorunterstützern. Mit diesem Schicksal war die „Grace 1“ alias „Adrian Darya 1“ nicht allein: Elf iranische Tanker und ihre Besatzungen hatten die USA bis zu diesem Zeitpunkt bereits mit Sanktionen belegt. Viele andere iranische Frachtschiffe bekamen die Folgen der US-Sanktionspolitik indirekt zu spüren: Versicherungsunternehmen weigern sich auf amerikanischen Druck, Policen an iranische Tanker zu vergeben. Werften verweigern ihnen die Reparatur, ausländische Häfen verwehren ihn das Auftanken.
Kritische Einordnungen der Politik der USA suchte man in den deutschen Medien auch damals weitgehend vergeblich. Stattdessen fokussierten sich Medien im Falle der „Grace 1“ in ihrer Berichterstattung auf die vermeintlich völkerrechtswidrigen iranischen Öllieferungen an Syrien. Eine Einschätzung, der unter anderem der wissenschaftliche Dienst des Bundestages widersprach. Statt als Rechtsbruch Irans lassen sich auch die Ereignisse um die „Grace 1“ besser im Kontext der US-Sanktionspolitik verstehen: Als radikales Beispiel für den völkerrechtswidrigen Versuch der USA, Iran bis auf den letzten Tanker vom Welthandel auszuschließen.
Aus Angst vor den USA meiden Unternehmen jeden Kontakt zu Iran
Diese Mischung aus offiziellen Sanktionen und informellen Einschüchterungen und Drohungen bekommen auch andere Akteure zu spüren: Am 9. Mai 2019 drohte US-Botschafter Richard Grenell Vertretern deutscher Unternehmen ganz offen mit Einreiseverboten: „Du kannst im Iran so viele Geschäfte machen, wie du willst. Aber wir dürfen mitreden, was das Visum betrifft, denn wenn du das machst, sind wir nicht damit einverstanden, dass du unser Land betrittst“, sagte Grenell in einem Interview mit BILD.
Die Folge dieser unberechenbaren Politik: Selbst Unternehmen, deren Waren nicht offiziell von amerikanischen Sanktionen betroffen sind, trauen sich aus Angst vor Konsequenzen durch die USA nicht mehr, mit Iran Handel zu treiben. „Tatsache ist, dass die Banken so große Angst vor den Sanktionen haben, dass sie nichts mehr mit dem Iran zu tun haben wollen“, sagte der ehemalige französische Botschafter Gérard Araud im Oktober 2018.
Human Rights Watch warnt vor „verheerenden Folgen für Millionen von Patienten“
Vieles deutet darauf hin, dass die USA dieses Klima der Angst bewusst schüren, um die Wirkung ihrer Sanktionen noch über die ökonomische Wirkung hinaus auszuweiten. Mit Einschüchterungen und der eigenen Unberechenbarkeit verhindern die USA so auch den iranischen Import von Waren, die nach internationalem Recht eigentlich nicht von Sanktionen betroffen sein dürfen, wie Lebensmittel, Medikamente und Hilfsgüter.
Im August 2019 erklärte der Vorsitzende der Norwegischen Flüchtlingshilfe Jan Egeland, wie Hilfsprojekte für Opfer von Naturkatastrophen und afghanische Flüchtlinge in Iran an der US-Politik scheitern: „Wir haben jetzt ein ganzes Jahr lang versucht, Banken zu finden, die bereit sind Spenden (…) weiterzuleiten, aber wir stoßen überall gegen Mauern.“
Im selben Monat beschrieb ein Ärzte-Team in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“, wie die Sanktionen langsam das iranische Gesundheitssystem zugrunde richteten. In einem Land, „das einer allgemeinen Gesundheitsversorgung so nah war“, bestehe jetzt „ein hohes Risiko, bei der Bereitstellung von Gesundheitsdienstleistungen in eine ernsthafte Situation zu geraten mit möglicherweise erheblichen Auswirkungen für Mortalität und Morbilität.“ Vor „verheerenden Folgen für Millionen von Patienten“ im Iran warnte auch Human Rights Watch im Oktober des vergangenen Jahres in einem Bericht zu den Folgen der US-Sanktionspolitik.
Dass diese Politik nicht mit internationalen Gesetzen in Einklang zu bringen ist, urteilte auch der Internationale Gerichtshof. Am 3. Oktober 2018 forderte dieser die USA unter anderem dazu auf, sämtliche Maßnahmen zurückzunehmen, die die Versorgung mit „Medizin, medizinischem Gerät, Nahrungsmitteln und Agrargütern“ verhindern. Die USA reagierten auf gewohnte Weise: Sie traten noch am selben Tag aus dem zugrundeliegenden Vertrag aus.
Wirtschaftskrieg, der gegen Menschenrechte und Völkerrecht verstößt
Um die Frage, wer das Ziel dieser Politik ist, haben die USA im Übrigen nie einen Hehl gemacht: die Zivilbevölkerung. Mehrmals erklärten US-Politiker in den vergangenen Jahren, ihr Ziel sei es, die wirtschaftliche Not so weit zu treiben, bis die iranische Bevölkerung sich gegen ihre eigene Führung auflehne. Im Februar 2019 formulierte US-Außenminister Mike Pompeo beispielsweise eine Art Erfolgsbilanz der amerikanischen Sanktionspolitik: „Für das iranische Volk ist die Situation heute viel schlimmer und wir sind überzeugt, dass das dazu führen wird, dass sich das Volk erheben und das Verhalten des Regimes verändern wird“, sagte Pompeo, bevor er weitere Sanktionen gegen den Iran ankündigte.
Auch nach der jüngsten Gewalt zwischen USA und dem Iran im Januar 2020 hat Donald Trump die Sanktionen gegen das Land erneut verschärft. Kritik an dieser Politik gab es von westlichen Medien auch diesmal kaum. Von anderen hingegen schon: Die US-Iran-Politik stelle ein „Rezept für kollektive Bestrafung dar“, heißt es beispielsweise bei Human Rights Watch. Noch deutlicher wurde der UN-Sonderberichterstatter für die menschenrechtlichen Folgen von Sanktionen, Idriss Jazairy. Ende letzten Jahres bewertete er die Iran-Sanktionen der USA als „Wirtschaftskrieg“, der „gegen Menschenrechte und Völkerrechte verstößt“.
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