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Titel: Leserbriefe zur britischen Unterhauswahl

Datum: 17. Dezember 2019 um 16:08 Uhr
Rubrik: Leserbriefe
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Die Beiträge: “Zerrissenes Königreich – Großbritannien nach der Wahl” und “Die „historische“ Labour-Niederlage und das britische Wahlsystem” erzeugten ein ausführliches Echo der NachDenkSeiten-Leser, welches wir in der nachfolgenden Auswahl teilweise wiedergeben. Brexit hat im Wahlkampf die anderen Themen überlagert, und ob der von vielen Lesern gewünschte fortschrittliche Brexit jemals stattfinden wird, steht in den Sternen, und es scheint, als sei das Lager der linken EU Gegner doch kleiner, als das derer, die vom Empire und dessen „Glorie“ träumen. Zusammengestellt von Moritz Müller.

1. Leserbrief

Lieber Team der Nachdenkseiten,

die heutige Wahlanalyse von Jenas Berger zur Wahl in Großbritannien lässt mich perplex zurück. Ich finde die Analyse weiter unter dem üblichen Level der Nachdenkseiten.

Es wird geschrieben:

Jede Positionierung pro Brexit hätte das Remain-Lager zu den Brexit-kritischen Liberaldemokraten getrieben. Jede Positionierung kontra Brexit hätte das Brexit-Lager zu den Tories getrieben. Im Nachhinein muss man nun feststellen, dass Labour an genau dieser unmöglichen Aufgaben gescheitert ist.

Was bitte war daran unmöglich? Es gab nur eine einzig richtige Position für eine Labour-Partei: Get Brexit done, so schwer das für manchen im linken Lager auch sein mag. Wo das Hardcore-Remainer-Lager hingeht ist doch sekundär. Die Frage ist ob (67% Wahlbeteiligung) und wen die “normalen” Leute wählen. Mit einem zweiten Referendum zu kokettieren war aus dieser Perspektive politisch suizidales Verhalten. Spätestens seit den Europawahlen dürfte doch klar gewesen sein, dass mit einer derartigen Mimimi/Wischiwaschi-Haltung (Nach dem Motto: Hey, lass uns doch nochmal ein paar Jahre politisch völlig verschwenden um über den Brexit zu philosophieren) an den Urnen nichts zu gewinnen ist. Wie viele Niederlagen braucht die Linke (in der “westlichen” Welt) noch um ihr Wunschdenken mit den politischen und gesellschaftlichen Realitäten in Einklang zu bringen? Dank diesem Irrsinn geht die politische Macht für die nächsten Jahre in GB glasklar an die Konservativen. Was das für andere Themen, welche wie der gesellschaftliche Zusammenhalt, Sozialstaat, etc. deutlich wichtiger als der Brexit sind, bedeuted, wissen wir alle.

Ich möchte mit diesen Zeilen nicht den Besserwisser spielen, aber manche Dinge liegen einfach glasklar auf der Hand, es tut weh. Dass im linken Lager immer ignoriert, weggeschaut (z.B. die Brexit-Frage als “Unmöglichkeit” für die Linke zu deklarieren) oder in manchen Fällen gar diffamiert (das bezieht sich natürlich nicht auf den Artikel von Jens Berger) wird wenn einem die Dinge nicht ganz so passen (Hauptsache die eigene Position ist irgendwie ideologisch oder moralisch überlegen) ist verherend. Es wird dagegen immer Konservative/Rechte geben die die “schmutzigen” Themen aufgreifen und entsprechend die Prozente einsacken.

Als Beispiel der linken Verblendung rufe ich nochmal den Kommentar Jens Bergers bzw. seines Bekannten zu einem Guardian-Artikel (in dem Boris Johnson im Juli diesen Jahres in gewohnt abgehobener Art und Weise als Clown bezeichnet wird) in Erinnerung (was ich bereits damals kritisch kommentiert habe):

Anmerkung Jens Berger: Sehen wir es positiv. Ein englischer Freund von mir sagte kürzlich, Boris Johnson sei die einzige Garantie dafür, dass Jeremy Corbyn die nächsten Wahlen mit einem satten Vorsprung gewinnt. Dem ist wohl erst einmal nichts hinzuzufügen und es ist von Tag zu Tag unwahrscheinlicher, dass die Tories mit ihrem Juniorpartner DUP die volle Legislaturperiode durchhalten.

“Aufstehen” reicht links der Mitte im Momentum wohl nicht mehr. “Aufwachen” wäre angebracht.

Viele Grüße aus Chemnitz
Sascha Keil

Replik Jens Berger: Lieber Herr Keil,

einmal ganz unabhängig von der Position zum Brexit, bei der ich vollkommen anderer Meinung bin als sie – was meinen Sie denn, was passiert wäre, wenn Corbyn, so wie Sie es sich wünschen, einen klaren Pro-Brexit-Kurs gefahren wäre? Meinen Sie ernsthaft, dass er damit sonderlich viele Brexiteers davon abgehalten hätte, das „Original“ zu wählen? Sicher hätte er einige Wähler aus den Industriegebieten so davon abhalten können, zu den Tories zu wechseln, aber die allermeisten Brexiteers – vor allem die Älteren auf dem Lande – hätten ohnehin Johnson gewählt. Dafür hätte Corbyn mit einem solchen Kurs die Remainer massiv vor den Kopf gestoßen und in die offenen Arme der LibDems getrieben und damit in zahlreichen Wahlkreisen einen Zweikampf zwischen Labour und den LibDems provoziert, den die Tories als lachende Dritte gewonnen hätten. Corbyn hat sich nicht ohne Grund stets gegen Neuwahlen vor dem Brexit ausgesprochen; er wusste, dass der Brexit für Labour ein Catch 22 darstellt – eine Zwickmühle, aus der es kein realistisches Entrinnen gibt. 

beste Grüße
Jens Berger

Replik Sascha Keil: Lieber Herr Berger,

ja, ich vermute in der Tat, dass auch viele Brexiteers und auch Nichtwähler (Wahlbeteiligung war ja bei den Jüngeren zuletzt immer sehr schwach, habe aber noch keine aktuellen Zahlen gesehen) Labour gewählt hätten. Man sollte auch die Möglichkeit nicht ausschließen, dass ein beträchtlicher Teil Remainer trotzdem Labour wählen würde. Wie auch 2017, als Labour keinen wirklichen Zweifel an einem Austritt (Labour accepts the referendum result and a Labour government will put the national interest first) ließ. Mir erschließt sich nicht warum das 2019 mit einer konsistenten Position anders gewesen wäre.

Ich bin grundsätzlich der Überzeugung, dass die Corbynsche Ausrichtung der Labour-Partei zusammen mit der Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit Corbyns das Zeug zu Mehrheiten jenseits der 40% haben.

Das was nun wahlkampftaktisch passiert ist, werte ich als eine krasse Überschätzung (natürlich genauso begleitet von den linken/liberalen Remainer-Medien) des Remainer-Potentials und einer Aufgabe der Brexiteers.

Ich sehe ehrlich gesagt auch keine allzu große Zwickmühle bei der Brexit-Frage. Das Aufmachen einer “mit einem zweiten Referendum bleiben wir vielleicht drin, wenn ihr wollt”-Position (nach einem jahrelangen Geeier ohne wirklichen Hinweis auf eine Remain-Mehrheitsfähigkeit in der Bevölkerung) stößt doch den Großteil der Bevölkerung vor den Kopf nach dem Motto “die machen eh wieder was sie wollen und lassen uns so lange abstimmen bis es passt”. 

So oder so hat man sich m.M.n. für die denkbar schlechteste Option entschieden und damit “alles” verloren.

Beste Grüße
Sascha Keil


2. Leserbrief

Lieber Jens Berger

Mit reichlich Verwunderung las ich Ihren o.g. Artikel.

Für alle, welche sich abseits des Mainstreams mit der Parlamentswahl in GB beschäftigten und das eigene Wunschdenken hintanstellen, war der Wahlausgang alles andere als eine Überaschung.

Statt dessen ist bei Ihnen, Labour und Jeremy Corbyn wieder einmal Opfer einer großen Verschwörung.

Eigene Fehler, niemals!

Ein nicht überzeugendes Politikangebeot, undenkbar!

Sondern:

“…wurde zwischen dem Brexit- und dem Remain-Lager aufgerieben”

– Deckung, Sperrfeuer aus allen Richtungen!

“…genau dieser unmöglichen Aufgaben gescheitert ist”

– Wer kann schon Unmögliches leisten?

“Die Leute haben ganz einfach genug und wollen nun nach vier Jahren diese unselige Brexit-Debatte zu Ende bringen”

– Da ist er nun, der dumme Wähler, der nur seine Bequemlichkeit haben will aber ansonsten das Denken eingestellt hat.

Es ist wie so oft, bringen Wahlergebnisse auch in anderen Ländern nicht die genehmen Ergebnisse, können nur finstere Mächte, und natürlich der dumpfe Wähler auf dem flachen Land, am Werk gewesen sein.

Warum nur, ist es für viele Linke so schwer, geradezu unerträglich, demokratische Entscheidungen zu akzeptieren?

Die eigenen Positionen einer Revision unterziehen, wozu, wir wissen doch das wir die Richtigen haben.

“Nun hat Boris Johnson freie Hand für den Brexit”

“…sein großes Wahlversprechen, „den Brexit hinzubekommen“ ”

Nein.

Boris Johnson setzt mitnichten ausschließlich seine persönliche Agenda um, sondern den Wählerauftrag, das Ergebnis eines vorangegangenen Referendums.

“In den letzten Monaten hatte Johnson in den eigenen Reihen eine große Säuberung vorgenommen”

Ach wie sind wir glücklich das dererlei bei uns, im Besonderen auch bei “Die Linke”, unmöglich ist, da lässt sich doch gut mit dem Finger auf andere zeigen.

Den heimlichen Höhepunkt ihres Artikels bildet jedoch der Beginn:

“Wenn das britische Wahlsystem die Parlamentssitze nicht nach dem Prinzip der Mehrheits-, sondern nach dem System der Verhältniswahl vergeben würde, würde das Land künftig von Jeremy Corbyn und seiner angestrebten „Regenbogenkoalition“ aus Labour, Liberaldemokraten, Scottish National Party und den Grünen regiert werden – zusammen kommen diese vier Parteien auf 50,4%.”

Gedanken, welche mir beim lesen solcher Zeilen durch den Kopf gehen, sind sicherlich nur ein böser Streich meiner verborgenen Erinnerungen an die DDR .
Das die Verlierer einer Wahl im relativistischen Sinn die eigentlichen Gewinner sind, kennt man zur Genüge, nicht nur aus den “Elefantenrunden” nach Bundestagswahlen.

“Was passiert nun mit diesen jungen Menschen? Wie zukunftsfähig kann eine Regierung sein, die von denen, die die Zukunft sind, mit übergroßer Mehrheit abgelehnt wird?”

Einer der wenigen Vorteile des Alterns ist, dass man seine Vergangenheit und seinerzeitige Einstellungen einer kritischen Bewertung unterziehen kann.

Viele Ansichten, welche von mir damals abgelehnt wurden, haben in der Rückschau ihre Schrecken verloren, andere, welche ich ehedem für erstrebenswert hielt sind an der Realität gescheitert. 

Und dann gibt es noch welche, bei denen ich mich heute Frage: Wie konnte ich nur dieser absurde Idee verfallen?

Meine politische Einstellung entspricht in etwa der Politik der SPD in den 1970/80er Jahren, bin damit heute also praktisch heimatlos.

Das Problem der gesamten Linken bringen Sie unfreiwillig in Ihrem letzten Satz auf den Punkt:

“Das alte Großbritannien, wie wir es kennen, gibt es nicht mehr.”

Es soll Menschen geben welche, natürlich dadurch nicht mehr satisfaktionsfähig, das anders sehen.

Das beste wäre wohl, zukünftig die Wahlen aller Länder in Deutschland mit “repräsentativen” Wählern abzuhalten.

Wenn wir uns sputen, könnte das schon 2020 für die USA gelingen, dann wäre man vor Überraschungen sicher.

Und, das alte Großbritannien, wie war es denn?

Ein Hort sozialer Gerechtigkeit, friedliebend, solidarisch, ein Wahrer und Kämpfer für Menschenrechte, fernab kolonialistischer Greueltaten.

Ein Musterbeispiel des Fortschritts und Gemeinwesens, ganz besonders zu Begin der Industrialisierung. 

Die Briten, welche ihr Glück in der USA suchten, wollten endlich raus aus dem Muff der warmen Komfortzone des alten Großbritannien, um in einem neuen Land endlich wieder das pure, frische Leben genießen zu können. 

Jaaa…, waren das doch noch schöne, güldene Zeiten, “Land of Hope and Glory”!

Lieber Herr Berger, mit vielen ihrer Beiträge kann ich übereinstimmen, dieser jedoch zeigt einmal mehr was bei den Linken falsch m.E. läuft.

Sollte es nicht gelingen, sich von der Hybris der selbsternannte Vertreter Aller zu sein, zu verabschieden, werden die “Populisten” immer leichteres Spiel haben.

Mit freundlichen Grüßen
Mike Passoth

Replik Jens Berger: Lieber Mike Passoth,

welches „überzeugende Politikangebot“ sollte das denn sein? Willy Brandt hat einmal gesagt:  “Es hat keinen Sinn, eine Mehrheit für die Sozialdemokraten zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein Sozialdemokrat mehr zu sein.“ Dem ist wenig hinzuzufügen.

beste Grüße
Jens Berger


3. Leserbrief

Liebe Nachdenkseiten,
 
Ihre erste Analyse zum Ausgang der Wahlen in GB ist sehr gelungen.

Dennoch möchte ich ergänzend auf einige andere Aspekte verweisen.
 
Erstens muss hier der verleumderische Antisemitismusvorwurf genannt werden, was die NDS oft taten.

Wenngleich dieser zumeist nicht mit Belegen untermauert werden kann, so betrübt er doch den Charakter der Labour-Partei und ihrer Vertreter, für empfängliche Gemüter mit Zweifeln.
 
Zweitens wurde die aus den US-amerikanischen-Politikkreisen eingeübte ‘Russiagate-Karte’ gespielt.

Die Dokumente bezgl. weitgehender Absprachen zur schrittweisen Privatisierung der NHS durch die Torys, habe Corbyn durch russische Hacker erhalten. Somit versuche Russland die Wahlen zu manipulieren.

General election: Russia link to NHS documents ‘nonsense’, says Corbyn – live news
 
Drittens haben die Blairytes in den Führungsriegen der Labour-Party offen und verdeckt gegen Corbyn gearbeitet, auch wenn zuletzt Blair höchstpersönlich und John Mayor eine Negativempfehlung zu den Torys ausgaben.

Wichtig ist, dass sich führende Vertreter der Labour-Party für Remain aussprachen und somit der Position Corbyns (honest broker) widersprachen und die Position der Partei insgesamt schwächten:

“However, several shadow cabinet ministers would like the party itself to commit to campaigning to remain in the EU. John McDonnell, the shadow chancellor, Diane Abbott, the shadow home secretary, Keir Starmer, the shadow Brexit secretary, and Emily Thornberry, the shadow foreign secretary, have all stated they would campaign against Brexit in a second referendum.”

(Quelle: theguardian.com/politics/2019/sep/19/labour-activists-to-push-for-party-to-campaign-for-remain)
 
Wenn man etwas über die Mehrheitsstimmung in GB erfahren wollte und will, empfehle ich die Youtube-Show von George Galloway (The Moher Of All Talkshows) (youtube.com/user/MoluccaMedia) immer Sonntags 20Uhr (dt.Zeit).
 
Politisch steht Galloway den Werten Labours so nahe, wie Jeremy Corbyn. Als extrovertierter Charakter geriet er somit immer wieder in Gegenpositionen zu den Blairytes. Er hat in seinen Sendungen, zu denen auch gute und erfolgreiche Formate auf RT, Sputnik, PressTV und Al Mayadeen gehören, frühzeitig auf die zunehmende pro-Brexit Stimmung der Bevölkerung hingewiesen, während der deutsche Mainstream mit Titulierungen wie den ‘dummen Brexitvotern’ seine Selbstbeschäftigung fand.
Auch viele, brisante internationale Themen werden mit guten Gästen besprochen (Assange, Kriege,…)
 
mfG

Vielleicht könnten Sie noch auf diesen Artikel verweisen, den leider zu spät (gerade eben) gelesen habe.
 
Someone Interfered in the UK Election & It Wasn’t Russia
 
Labour’s Jeremy Corbyn was targeted by billionaire-controlled media outlets, along with intelligence and military agencies, as well as state media’s BBC, writes Caitlin Johnstone.
 
Quelle: ConsortiumNews


4. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Berger,
 
vielleicht waren es doch weniger die Medien, die die jüngste Wahl in Großbritannien entschieden haben, sondern mehr eine inhaltliche Frage. Und vielleicht hat Labour in der Niederlage doch einen kleinen Erfolg errungen: Sie wollten ein zweites Referendum über den Brexit — sie haben es bekommen. Was hieße das für andere Länder?
 
Vielen Dank für Ihren Artikel, für mich überdurchschnittlich informativ wie praktisch alle Ihre Artikel. Die Hinweise auf die schändliche Medienkampagne gegen die Oppositionspartei und gegen Hr. Corbyn persönlich sowie auf das relativ gewöhnliche Stimmenergebnis (“Erdrutschsieg” nur dank Wahlsystem) sind sehr wichtig und fehlten mir in den (wenigen) anderen Artikeln, die ich zum Thema gelesen habe. Ich gehe davon aus, dass Art der Medienkampagne Schule machen wird, leider.
 
Ich bin manchmal ein Optimist (nicht Realist) und möchte das Wahlergebnis deswegen wirklich so deuten, dass der Mehrheit der britischen Wähler der sofortige Austritt aus der EU wichtiger war als das von Hr. Corbyn versprochene soziale Himmelreich. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Wie oft haben sozialdemokratische Parteien schon soziale Verbesserungen verprochen und dann das krasse Gegenteil bekommen (Schröder, Mitterand…)? Und wie realistisch waren Hr. Corbyns soziale Bestrebungen innerhalb der EU, selbst ohne Euro? Wollte Hr. Corbyn tatsächlich (auch nach dem Votum des ersten Referendums) in der EU verbleiben oder hat er es (im Gegensatz zu Hr. Johnson) nicht geschafft oder gewollt, “Kritiker aus der Partei zu werfen”?
 
Ich hoffe, die Briten bekommen ihre Souveränität zurück und können sich dann bei der nächsten Wahl für ein glaubwürdiges genuin sozialdemokratisches Programm entscheiden.
 
Auch hier gehört es meines Erachtens zur Medienkampagne, die Niederlage von Labour jetzt Hr. Corbyn und seinem Regierungsprogramm anzuheften. Es scheint mir so, dass teilweise dieselben Stimmen, die beim ersten Brexit-Referendum den Untergang des Abendlandes vorhergesagt haben, nun das genaue Gegenteil behaupteten (buchstäblich, siehe die Abbildung der Titelseite der Sun vom Wahltag in Ihrem Artikel: “Save Brexit – If Boris wins today, a bright future begins tomorrow…”). All die “seriösen” Prognosen für die Entwicklung von Währung, Preisen und Wirtschaft im Falle eines Brexits trafen nicht ein und sind nun vergessen.
 
Daraus könnte man in anderen Ländern lernen; ich denke vor allem an Südeuropa. Das Abendland geht bei einem Austritt aus EWU und EU nicht unter. Mit einer Exit-Forderung (und guter Vision für das Danach) kann man konsistent Wahlen gewinnen. Das Establishment hätte man dabei gegen sich in brutaler Art und Weise. Wann und wo kommt die nächste kraftvolle Exit-Forderung?
 
Mit freundlichen Grüßen
P. S.: Etwaige Veröffentlichung bitte ohne Namensnennung.


5. Leserbrief

GRATULIERE, Jens Berger,

zu dieser vorzüglichen Analyse des Ergebnisses der BREXIT-Abstimmung in Grossbritannien!

Obwohl nur auf Vorwahl-Umfragen basierend, wurden Sie durch das Ergebnis voll umfänglich bestätigt.

Dass ausgerechnet die Älteren für dieses schlimme Ergebnis voll verantwortlich sind zeigt, dass Alter und Weisheit zumindest in diesem Fall in keinerlei Zusammenhang stehen. Denn Überdruss über das jahrelange Brexit-Gerangel kann keine sachliche Rechtfertigung für das Wahlverhalten der absoluten Wähler-Mehrheit sein in einer derart wichtigen, ja vermutlich für GB existentiellen Frage. Denn dem steht auch ein Wahlprogramm Labours entgegen, das besonders für diese Wählermehrheit gedacht, ja dieser sozusagen „auf den Leib geschrieben“ war – und trotzdem nicht verfangen hat.

Also bleibt als Erklärung für das Ergebnis nur die – in Ihren Worten – „selbst im historischen Vergleich einmalige Medienkampagne“ gegen Labour, und besonders die der Juden gegen Corbyn persönlich!  Dass ausgerechnet ein substanzloser  „Suppenkasper“ wie BoJo  die älteren Wähler zu ihrem Abstimmungsverhalten  verführt haben könnte, will ich ihnen nicht auch noch unterstellen.

Daraus aber folgt, dass in kapitalistischen Ländern wie den Unseren heutzutage NICHT mehr Wahlprogramme und auch NICHT mehr  zur Wahl stehende Kandidaten, sondern die Eigentumsverhältnisse an unseren Massenmedien Wahlen entscheiden! Gegen derartige Monopol-Verhältnisse noch mittel gesetzlicher Auflagen d.h. Entflechtung wirkungsvoll vorzugehen und einen wirksamen Riegel vorzuschieben – dafür ist es auch in Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland, trotz noch existierender  „öffentlich rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalten“ zu spät!

Deshalb sind von Großkapital und Politik unabhängige Medien wie die NachDenkSeiten so enorm wichtig für die eigene Meinungsbildung!

Gruss
Rolf Schmid

Anmerkung Jens Berger: Es ist nicht richtig, dass „die Juden“ Corbyn angefeindet haben; es waren vielmehr einzelne Verbände, die sich zum Teil auch instrumentalisieren ließen, da sie eine konservative Agenda haben und die Tories favorisieren. Andere jüdische Verbände und Persönlichkeiten haben Corbyn ausdrücklich verteidigt und sich gegen die Antisemitismuskampagne gewehrt.


6. Leserbrief

Werter Herr Berger! Vielen Dank für ihr Resumee, der Wahl in Großbritanien.

Sie schreiben, dass Labour zwischen dem Brexit- und Remain-Lager aufgerieben wurde. Ich sehe das ähnlich, bin aber der Auffassung, dass Jeremy Corbyn sich auch für einen Brexit hätte aussprechen können. Was den Wähler aus den mittleren und unteren Schichten in Großbritanien umtrieb, war einerseits eine Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes durch Billiglohnkräfte aus Südosteuropa und eine Angst vor der Bevormundung durch den Neoliberalen Moloch EU. Denn seien wir doch ehrlich, wer in Europa möchte denn eine EU wie diese? Doch nur die Wirtschaftselite, welche von ihr am meisten profitiert. Corbyn hätte doch sagen können, für eine EU aber nicht unter diesen Vorzeichen, lasst sie uns gemeinsam zu einer EU für die Menschen verändern! Bei der Wahlentscheidung zwischen Not und Elend, haben die Wähler in Großbritanien auf Johnson gesetzt. In der fatalen Hoffnung, dass es nicht so schlimm kommen wird, wie man vielleicht schon ahnt. Aber der vermeintliche Retter Johnson, wird den Rest des schon von Thatcher so gut wie pulverisierten Sozialstaates beseitigen und damit endgültig US-Amerikanische Verhältnisse in UK einführen. Das die Beeinflussung durch die Medien dabei eine große Rolle spielte, haben die Nachdenkseiten (Im Gegensatz zu unseren MSM!) sehr gut aufgezeigt. Es ist fatal wenn man sieht, wie die Vierte Gewalt zum Sprachrohr der Mächtigen wird und den Bürger durch gefakte Informationen, in seinem Denken und Handeln manipulativ beeinflusst.

Zum Schluss schreiben sie, das es zu einer Abtrennung Schottlands durch ein erneutes Referendum kommen könnte. Ich glaube nicht das es dazu kommt! Denn wie vor einigen Jahren werden die Schotten, wenn es darauf ankommt, wieder gegen eine Abtrennung stimmen. Trotz all der Diskrepanzen zwischen England und Schottland – welche es nun schon seit hunderten von Jahren gibt – im entscheidenden Moment werden die Engländer den Schotten, damit sie dabei bleiben, Zugeständnisse bis über ihre Schmerzgrenze machen.

Mit frdl. Grüßen Ralf Matthias / Hannover


Leserbriefe zu “Die „historische“ Labour-Niederlage und das britische Wahlsystem

7. Leserbrief

Werte NDS-Redaktion,

danke für diesen erhellenden Beitrag. Mit diesen facts lässt sich trefflich demonstrieren, wie in der Demokratie höchst bedenklich betrogen und gelogen wird.

So was kann es hierzulande nicht geben? Mitnichten! Wohl vergessen, was damals in den ersten Groko Ende der sechziger Jahre so abging. Da haben die Innenminister der Union das Mehrheitswahlrecht auch hierzulande einführen wollen. Ist uns dann nur knapp erspart geblieben. Damit geliebäugelt hatten seinerzeit aber auch die Sozialdemokraten. Vielleicht erinnert sich hierzu Herr Müller, der müsste doch mehr darüber wissen. Könnte mir vorstellen, dass die ehemalige „Volksparteien“ auch heute wieder insgeheim davon schwärmen werden, wenn sie sich jetzt die Schindluderei aus Kleinbritannien reinziehen

Das Ende naht!

Mit den besten Grüßen
Michael Kohle


8. Leserbrief

Lieber Jens Berger

ein weiteres kleines Faktum, dass Sie interessieren wird:

In England (nicht UK) erhielt Labour bei den Wahlen im Jahr 2005 35% der Stimmen und dafür 288 Sitze im Unterhaus. Bei den jetzigen Wahlen erhielt Labour in England 34% der Stimmen aber dafür nur 180 Sitze.

MfG
Jürgen Wehmeier
Wallingford


9. Leserbrief

Hallo Herr Berger,

ich verstehe leider nicht, was Sie dazu hinreißt, diese nochmalige Wahlanalyse bezüglich der GB-Wahlen vorzunehmen. Sie begründen dies mit dem freilich falschen Mainstream-Märchen von den “massiven Verlusten” Labours. Über dieses ungerechte und verzerrende Wahlsystem hatten Sie sich aber bereits in Ihrer ersten Analyse deutlich geäußert.

Ist es nicht vielmehr so, dass Sie – anders als Sahra Wagenknecht u.a. – in Ihrer ersten Analyse die “Jein”-Haltung der Labour-Partei zum Brexit nicht als Hauptgrund oder wenigstens als bedeutenden Grund für ihr Scheitern identifizierten und diese Scharte jetzt mit einem neuen Artikel auswetzen wollten, der Sahra Wagenknecht in diesem Punkt klar widerspricht? 

Ich lese Ihre Artikel in der Regel gern. Schon deshalb hat mich diese Ihre  heutige überflüssige Eitelkeit ziemlich genervt. Bitte nicht böse sein.

Mit besten Grüßen
Ihr Anton Baum

Replik Jens Berger: Lieber Herr Baum,

natürlich bin ich Ihnen nicht böse; warum sollte ich? Kritik ist ja nichts Schlimmes. Es stimmt aber auch, dass ich Sahra Wagenknecht in ihrer Analyse nicht folgen mag. Ich halte ihre Aussagen auch eher für eine Ansprache an die eigene Wählerklientel; dass eine Volkspartei wie Labour hier ein viel größeres Spektrum abdecken muss, wird sie sicher nicht ernsthaft bestreiten. Aber das leidige Thema Brexit wollte ich deshalb nicht noch einmal aufmachen, zumal wir das auf den NachDenkSeiten ja schon mehrfach diskutiert haben und diesbezüglich eine Linie haben, die in der politischen Linken nicht jeder teilt. Davon abgesehen sagt mein Artikel alles Nötige zum Einfluss des Brexit-Kurses von Corbyn auf das Wahlergebnis. Persönlich hätte ich mir inhaltlich(!) auch eine klarere Linie von Corbyn gewünscht – allerdings anders als Sahra Wagenknecht. Strategisch kann ich sein Lavieren aus den genannten Gründen jedoch verstehen. 

beste Grüße
Jens Berger


10. Leserbrief

Liebe NDS-Redaktion,

so toll ist unser Verhältniswahlrecht auch nicht. Mitunter haben kleine Parteien mit 6 oder 7 Prozent Wählerstimmen großen Einfluss, weil die größere Partei sie zur Sicherung der Mehrheit im Parlament benötigt. Wer einen sicheren Listenplatz innehat (entscheidet die Partei, nicht der Wähler) und wenn die Sperrklausel überwunden ist, ist drin. Und zumeist –  einmal Abgeordneter, immer Abgeordneter. Angesichts der einseitigen Zusammensetzung unserer Parlamente (überproportional verbeamtet und interessegeleitet) kann von einem “Spiegelbild der Gesellschaft” keine Rede sein. Koalitionen sind beim Mehrheitswahlrecht oft überflüssig, im Gegensatz zum Verhältniswahlrecht. Tatsächlich entscheiden einige “Elefanten” nach der Wahl im Wege von vonKoalitionsverhandlungen über die Bildung der Regierung, nicht der Wähler. Häufig ist das Regierungsprogramm hinterher konturlos. Manche Regierung wird man beim Verhältniswahlrecht nicht wieder los, da kann der Wähler wählen, wie er will.

Beste Grüße
Michael Wrazidlo


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