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Titel: Finanztransaktionssteuer á la Scholz – Kapitulation vor der Finanzlobby

Datum: 11. Dezember 2019 um 12:38 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Banken, Börse, Spekulation, Lobbyismus und politische Korruption, Steuern und Abgaben, Strategien der Meinungsmache
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Nach achtjähriger Planung präsentierte Bundesfinanzminister Olaf Scholz gestern stolz seinen Entwurf für eine Finanztransaktionssteuer, die künftig für zehn EU-Staaten gelten soll. Scholz´ Modell hat jedoch weder etwas mit der Idee noch dem Sinn einer Finanztransaktionssteuer zu tun und dürfte die Finanzmärkte nicht sicherer, sondern sogar unsicherer machen. Der große Gewinner ist die Finanzlobby, die dem Minister bei der Ausformulierung offenbar die Hand führte. Ein großer Teil der Kritik am Scholz-Modell ist jedoch mindestens genauso fehlgeleitet wie die Steuer selbst. Wieder einmal wird der „Kleinsparer“ instrumentalisiert, um die Interessen der Finanzkonzerne durchzusetzen. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ein Name für viele Modelle

Es wird zwar viel über die Finanztransaktionssteuer gesprochen und geschrieben; eine klare Definition, was im Rahmen einer solchen Steuer wo und von wem besteuert werden soll und wofür die Einnahmen verwendet werden sollen, gibt es jedoch nicht. Als geistiger Vater der Finanztransaktionssteuer gilt der britische Ökonom John Maynard Keynes, der diese Steuer in seiner berühmten „General Theory“ als Instrument zur Eindämmung der Spekulation an den Finanzmärkten vorschlug. Eine neue Bedeutung bekam die Steuer 1972, als der amerikanische Ökonom James Tobin sie als globale Steuer auf Devisentransaktionen vorschlug – eine auch noch so kleine Transaktionssteuer würde es, so Tobins Idee, den Spekulanten ein wenig schwerer machen und die Währungswechselkurse stärker an der Realwirtschaft ausrichten.

Aus Tobins Idee einer Devisentransaktionssteuer machten die Aktiven von Attac – mit vollem Namen Association pour une taxe Tobin pour l’aide aux citoyens (auf Deutsch: „Vereinigung für eine Tobin-Steuer zum Nutzen der Bürger“) – später die Idee einer globalen allgemeinen Finanztransaktionssteuer, aus deren Einnahmen die globale Ungleichheit abgemildert werden sollte. Attac ging es dabei nicht primär, wie Keynes oder Tobin, um die Stabilität und die Funktion der Finanzmärkte, sondern um eine Umverteilung von oben nach unten. Diese Idee einer „Robin-Hood-Steuer“ spukt heute noch in den Köpfen vieler Akteure; es ist sicher auch kein Zufall, dass Olaf Scholz mit den Einnahmen aus dieser Steuer ausgerechnet die Grundrente finanzieren will.

Mit derlei sozialen Zielsetzungen hat die jüngere Debatte über die Finanztransaktionssteuer jedoch überhaupt nichts zu tun. Im Kielwasser der Finanzkrise von 2007/2008 ging es vielmehr abermals um die Stabilität der Finanzmärkte und zum ersten Mal in der Geschichte gab es damals sogar eine kurze Phase, in der Ökonomen und Finanzpolitiker tatsächlich kurz davor waren, eine solche Steuer ernsthaft in Betracht zu ziehen. Doch diese Phase währte nur kurz.

So bitter es ist: Eine allgemeingültige Finanztransaktionssteuer ist eine wunderbare Idee, die jedoch – wie die meisten wunderbaren Ideen – nie Realität werden wird. Es gibt wohl kein anderes System, das derart global vernetzt ist und sich nationalen Regulierungen entzieht, wie das Finanzsystem. Eine tatsächlich wirksame globale Finanztransaktionssteuer ist nur möglich, wenn sie wirklich global umgesetzt wird. Finanz- und Steueroasen wie Hong Kong, Singapur würden eine solche Steuer aber nie freiwillig beschließen. Selbst auf europäischer Ebene wird es keine allgemeingültige Finanztransaktionssteuer geben, da Staaten wie Großbritannien, Luxemburg oder Irland diese Forderung konsequent untergraben. Und welcher Rechtsrahmen für die als „Dark Pool“ bezeichneten unregulierten Märkte der Schattenbanken gilt, ist noch nicht einmal juristisch geklärt. Welches Finanzamt ist dafür zuständig, wenn ein Fonds, der auf den Cayman Islands registriert ist, über eine unregulierte Handelsplattform, deren Servercloud teils in Hong Kong, teils in Singapur und teils in Irland steht, und die von einer Investmentbank, die auf den Bermudas registriert ist, betrieben wird, eine Aktie von einem Hedge-Fonds kauft, der auf der Kanalinsel Jersey registriert ist?

Was bleibt, sind nationale Alleingänge, die per se nicht falsch sein müssen. Die Komplexität und Vernetzung des Finanzsystems erfordert es jedoch, eine solche nationale Lösung auch wirklich lückenlos und konsequent umzusetzen. Genau das ist jedoch beim Scholz-Modell nicht der Fall.

Das Scholz-Modell und seine Schwächen

Eine konsequente Finanztransaktionssteuer muss sämtliche Finanzinstrumente erfassen. Das Scholz-Modell umfasst jedoch nur Aktien von großen Unternehmen mit Sitz in den zehn Staaten, für die dieses Modell gelten soll. Und sogar hier greift die Steuer nur bei Transaktionen, die in diesen zehn Staaten getätigt werden. Wer also beispielsweise eine Daimler-Aktie steuerfrei kaufen will, könnte dies nach dem Scholz-Modell problemlos über die Börse in London oder gleich abseits der regulierten Märkte in diversen „Dark Pools“ tun. Hinzu kommt, dass nur der Aktienhandel, nicht aber der Handel mit Derivaten, die diese Aktien abbilden, künftig besteuert werden soll. Das freut vor allem die Banken, da sie nun ihre Derivate auch noch als Steuersparmodelle vermarkten können. Die Deutsche Bank könnte beispielsweise einen ganz simplen Differenzkontrakt (CFD) auf die Daimler-Aktie ausgeben, bei dem Anleger wie Spekulanten die Kursänderungen 1:1 abgebildet bekommen, ohne die Aktie selbst zu besitzen und ohne dafür Steuern zahlen müssen.

Die Auslassung von Derivaten aus der Finanztransaktionssteuer ist aber nicht nur aus diesem Gesichtspunkt heraus katastrophal. Wenn die Finanztransaktionssteuer die Finanzmärkte stabilisieren soll, dann muss sie gerade und vor allem auf den Handel mit Derivaten gelten. Egal ob es sich um Zertifikate, Swaps, Terminkontrakte oder jede andere Form von Wetten auf die Kursentwicklung von Aktien, Zinsen, Währungskursen und sogar anderen Derivaten selbst handelt – diese Papiere sind es, die eine Gefahr für die Stabilität des Finanzsystems darstellen. Wenn man ausgerechnet diese Papiere aus der Steuer ausklammert, senkt man das Risiko eines Finanzcrashs um kein Jota, und wenn man durch eine einseitige Besteuerung regulärer Aktientransaktionen die Leute sogar noch in Derivate treibt, erreicht man sogar das genaue Gegenteil – die Märkte werden noch „synthetischer“, noch intransparenter und noch instabiler.

Aber auch in anderen Punkten weist das Scholz-Modell eklatante Lücken auf. So sind beispielsweise auch Anleihen von der Steuer ausgenommen. Warum? Mit welchem Argument soll Eigenkapital (Aktien) besteuert und damit künstlich verteuert werden und Fremdkapital (Anleihen) nicht?

Auffällig ist auch, dass die Finanzprodukte der Banken und Versicherungen explizit von der Steuer ausgenommen werden. Wer einen Fondsanteil kauft, muss keine Steuern zahlen. Eine Sonderregelung erlaubt es den Staaten sogar, Fonds und ähnliche Produkte von der Versteuerungspflicht auszunehmen. Der Privatanleger, der sich eine Aktie kauft, zahlt Steuern, der Fonds, der die gleiche Aktie kauft, nicht. Auch hier werden sich die Banken und Versicherungen freuen, können sie die Kunden im Verkaufsgespräch für ihre Produkte doch künftig darauf hinweisen, dass die Fonds ja steuerfrei Aktien kaufen können, während der Kunde für selbstgetätigte Aktienkäufe vom Fiskus zu Kasse gebeten wird. Dass die zwei bis vier Prozent Ausgabeaufschlag für die Fonds in keinem Verhältnis zu den 0,2 Prozent Finanztransaktionssteuer stehen, muss der Kunde ja nicht wissen. Hauptsache, die Banken und Versicherungen verdienen weiter prächtig Geld.

Absurde Kritik

Absurderweise setzen viele Kritiker genau an diesem Punkt an und verdrehen ihn ins genaue Gegenteil. So zitiert die WELT beispielsweise die FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg mit dem Satz: „Die Finanztransaktionssteuer ist ein Angriff auf jede private Altersvorsorge und die Mitte der Gesellschaft. Kleinanleger sollen zahlen, um die Grundrente zu retten. In Zeiten von Nullzinsen und drohender Rentenlücke bräuchten wir das Gegenteil: Der Staat müsste die Menschen zu mehr Vorsorge und Aktienanlagen ermutigen und Vermögensbildung erleichtern. Zum Beispiel, indem langfristige Anlagen in Aktien in die geförderte Altersvorsorge einbezogen werden.“ Ähnlich argumentieren erwartungsgemäß auch BILD und CDU, die den Steuerplan als „Hiobsbotschaft für Sparer“ bezeichnen.

Wenn ein Kleinanleger pro Monat 200 Euro in sein eigenes Aktienportfolio investiert, so summiert sich die Finanztransaktionssteuer auf 4,80 Euro pro Jahr. Hat der Kleinanleger jedoch einen Sparplan bei seiner Bank und kauft für die gleiche Summe Fonds mit einem Ausgabeaufschlag von 4% summieren sich die Kosten dafür schon alleine auf 96 Euro pro Jahr – nur dass diese Summe nicht in das Steuersäckel, sondern in die Gewinne der Banken und Versicherungen fließt. Hinzu kommen bei allen Fonds Verwaltungsgebühren in ähnlicher Größe und je nach Bank auch noch Verwahr- oder Depotgebühren. Die zusätzlichen 4,80 Euro machen den Kohl da auch nicht mehr fett. Vor diesem Zusammenhang von einem „Angriff auf die private Altersvorsorge“ zu sprechen, ist grotesk.

Anders sieht es natürlich aus, wenn der Kleinanleger sich als aktiver Spekulant versucht und sein Portfolio nach jeder Meldung der Börse vor Acht umschichtet. Dann kann es teurer werden. Aber dann handelt es sich ja eben nicht um eine langfristige Altersvorsorge, sondern um kurzfristige Spekulation. Es ist ja bekannt, dass die FDP nicht viel von Finanzen versteht. Aber diese krude Form der Verdrehung ist selbst für FDP-Verhältnisse schon tolldreist. Hier geht es doch nicht um Kleinsparer, sondern um Großspekulanten, die täglich Millionenbeträge auf dem Börsenparkett verschieben und nun dank der Finanztransaktionssteuer auf andere Plattformen ausweichen werden, bei denen die Transaktionskosten ein wenig höher sind. Dem Kleinsparer kann dies egal sein, auch wenn er de facto wohl tatsächlich der Einzige sein wird, der diese Steuer überhaupt entrichtet, da er in der Regel keinen Zugang zu anderen Handelsplattformen hat. Aber dennoch handelt es sich hierbei um „Peanuts“ im Vergleich zu den Kosten, die die Banken für ihre Dienstleistungen beim Wertpapierhandel in Rechnung stellen. Würden FDP, BILD und CDU ein Herz für den Kleinsparer haben, müssten sie daher vor allem die teils unanständigen Aufschläge und Gebühren solcher Altersvorsorgeprodukte schärfer regulieren. Und sollte es ihnen tatsächlich um die Altersvorsorge gehen, wäre ohnehin eine Erhöhung der Renten das erste und wichtigste Instrument.

Kritik kommt erwartungsgemäß auch von der anderen Seite. Dabei gibt es schlaue Kritik, wie die vom Linken-Abgeordneten Fabio de Masi und schlau klingende Kritik, wie die vom Grünen-Abgeordneten Sven Giegold, die jedoch bei näherer Betrachtung selbst kritikwürdig ist. So bedauert Giegold, dass die prognostizierten Erträge des Scholz-Modells zu niedrig sind. „Eine echte Finanztransaktionssteuer würde Deutschland jährlich ungefähr 12 Milliarden einbringen“, so Giegold. Nun sollte eine Finanztransaktionssteuer aber eben nicht so konstruiert sein, dass sie möglichst hohe Einnahmen generiert – denn steuerpflichtig werden dank der Umgehungsmöglichkeiten ohnehin vor allem Kleinsparer. Eine Finanztransaktionssteuer soll stattdessen regulieren und schädliche Finanztransaktionen im Idealfall komplett unterbinden; auch wenn dies die Steuereinnahmen drückt. Der besonders volumenstarke Hochfrequenzhandel lebt beispielsweise von Kursänderungen bei der dritten oder vierten Nachkommastelle. Hier würde selbst ein Steuersatz von 0,01 Prozent den kompletten Handel unterbinden. Das ist ja auch das eigentliche Ziel einer solchen Steuer. Überflüssig anzumerken, dass das Scholz-Modell den Hochfrequenzhandel ebenfalls auslässt.

Europäische Irrungen und Wirrungen

Ob Olaf Scholz überhaupt die Prokura hatte, dieses Modell als „Durchbruch“ vorzustellen, ist fraglich. Das österreichische Finanzministerium äußerte sich zu Scholz´ Vorstoß verhalten bis verschnupft – man wolle das Modell erst mal „untersuchen“. Und Österreich ist da nicht alleine. Problematisch ist vor allem, dass Scholz mit seinem Vorschlag noch weit hinter die nationalen Alleingänge zurückfällt, die in der EU bereits seit längerem – nur halt nicht in Deutschland – umgesetzt wurden.

So besteuert Frankreich den Handel mit Aktien französischer Aktiengesellschaften mit 0,3% und schließt dabei – wenn auch mit riesigen Lücken – auch Derivate auf diese Aktien ein. Anders als beim Scholz-Modell gilt die Besteuerung jedoch unabhängig vom Börsenplatz. Wer in London Aktien von Danone kauft, wird also auch vom französischen Fiskus zur Kasse gebeten. Dies würde durch das Scholz-Modell entfallen. Frankreich hat jedoch ebenfalls Ausnahmeregelungen für den Hochfrequenzhandel und die Steuerbemessung für Derivate (Steuersatz 0,01%) ist zwar vorhanden, greift aufgrund von Ausnahmeregelungen aber nur homöopathisch. Man merkt, dass Macron in seinem Vorleben ein Investmentbanker war.

Auch das italienische Modell ist lückenhaft, umfasst aber Derivate und gilt unabhängig vom Börsenplatz. Dafür ist der Steuersatz mit 0,1% bis 0,2% aber niedriger. Weitere Modelle, die jedoch allesamt löchrig und unzureichend sind, gibt es auch noch in Belgien, Schweden und Finnland. In Großbritannien werden Aktienkäufe über die Stempelsteuer in Form der „stamp duty reserve tax“ mit 0,5% bis 1,5% besteuert, in der Schweiz beträgt die „Eidgenössische Umsatzabgabe“ zwischen 0,15% und 0,3%. Wer höhere Steuersätze sucht, der muss in der Zeit zurückreisen. In der alten Bonner Republik gab es nämlich eine Börsenumsatzsteuer, bei der der Handel mit festverzinslichen Wertpapieren wie Anleihen mit 1,5% und der Aktienhandel sogar mit 2,5% versteuert wurde.

Titelbild: katjen/shutterstock.com


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