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Titel: rbb manipuliert mit Miegels Hilfe

Datum: 28. Mai 2010 um 17:24 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Sozialstaat, Strategien der Meinungsmache, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich:

Bisher hatte ich geglaubt, der Wahnsinn finde irgendwo eine Grenze. Es stimmt nicht. Gestern lief im ARD Magazin Kontraste ein Beitrag, der das Maß zugleich an Ignoranz wie auch an faktischer Manipulation noch einmal steigerte. Der Titel “Wachstum ade – Wo und wie muss Deutschland sparen?” lässt ahnen, wohin der Hase läuft: Propaganda für die weitere Verarmung des Staates und des Volkes gepaart mit der Ignoranz für die Gefahr verstärkter Arbeitslosigkeit und Deflation. Näheres gleich. Albrecht Müller

Zunächst: Wir sind auf diesen Beitrag im ARD Magazin Kontraste von mehreren NDS-Nutzern aufmerksam gemacht worden. Einen Leserbrief mit einigen wichtigen Anmerkungen finden Sie in Anlage 1. In Anlage 2 findet sich ein Leserbrief von Roger Strassburg an die New York Times zur Spardebatte.

Zum Beitrag mit Meinhard Miegel in Kontraste nun einige Hinweise:

  1. Im Beitrag wird eine Art Schrumpfkurs empfohlen. Wenn wir dies tun, dann werden wir de facto als Volkswirtschaft nicht sparen, sondern immer mehr Schulden anhäufen. Wir haben in den NachDenkSeiten schon sehr oft auf die Tatsache hingewiesen, dass in solchen Ergüssen einzelwirtschaftliches Denken auf die Volkswirtschaft übertragen wird. Die Sparabsicht reicht nicht, um volkswirtschaftlich einen Sparerfolg zu erzielen. Man kann heute schon mit Sicherheit voraussagen, dass ein wirtschaftspolitischer und finanzpolitischer Kurs im Sinne von RBB und Miegel nur noch mehr Schulden erzeugen wird. In diesem Zusammenhang verweise ich zum x-ten Mal auf eine Grafik:

    Grafik: Anstieg der Gesamtverschuldung - 1988 - 2005

    Daraus geht eindeutig hervor, dass in Deutschland immer nur dann angefangen werden konnte, den Schuldenzuwachs zu stoppen, wenn die Konjunktur und damit auch das Wachstum angeschoben wurde. Das ist für die Jahre 1988 und 89 erkennbar, dann wieder für die Zeit 1997-2000. Auch die geringere Zunahme der Schulden nach 2004 – Steinbrücks angeblicher großer Erfolg – verdankten wir der leicht besseren konjunkturellen Entwicklung. In Deutschland sind konjunkturelle Belebungen immer wieder abgebrochen worden. Das ist das eigentliche Elend.
    Im Beitrag von Kontraste wird die Standardformel „Konjunkturprogramme auf Pump“ beziehungsweise „Wachstum auf Pump“ in die Köpfe gehämmert. Mit den Fakten hat das nichts zu tun. Um so wichtiger ist die häufige Wiederholung der gängigen Lüge.

  2. Die Abbildung zeigt zugleich eine der gängigen Manipulationen von Personen vom Schlage Miegels: sie zeigt nämlich, dass der Schuldenzuwachs in Zeiten der deutschen Vereinigung besonders hoch war – im Jahr 1995, als die Treuhand in den Bundeshaushalt übernommen wurde, allein 170 Milliarden Schuldenzuwachs. Dieser Schuldenzuwachs wird von Personen wie Miegel und dem Redakteur von Kontraste den siebziger Jahren und den Konjunkturprogrammen zugeschrieben – genauso wie man heute erfolgreich mit dem Versuch begonnen hat, die Belastung der Staatshaushalte durch die Bankenrettung ebenfalls Konjunkturprogrammen und der Ausgabenwut der öffentlichen Hände zuzuschieben.
  3. Die Agitation wendet sich immer wieder gegen sozialstaatliche Elemente unseres Gemeinwesens. Die Siebzigerjahre mit einem beachtlichen Ausbau der Sozialleistungen (gleiches Kindergeld, flexible Altersgrenze, Öffnung der gesetzlichen Rentenversicherung für Hausfrauen und Selbstständige, Vorsorgeuntersuchungen usw.) sind den neoliberalen Ideologen ein ständiger Dorn im Auge. Deshalb kaprizieren sie sich in unendlichen Wiederholungsschleifen auf Attacken gegen die siebziger Jahren. In „Meinungsmache“ ist diese Strategie wie auch die Strategie der Verarmung des Staates ausführlich beschrieben und belegt.
  4. Die systematische Verarmung des Staates wird auch im Kontraste-Beitrag weiter betrieben. Das ist die große Basisstrategie für die weitere Ausdehnung der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und der sozialen Sicherungssysteme.
  5. Kontraste und Miegel machen auch in diesem Stück den Versuch, den Menschen einzuhämmern, wir alle lebten über unsere Verhältnisse: alle Rentner, Arbeitnehmer, Menschen in Pflegeheimen und so weiter. Typisch ist folgende Passage:

    Prof. Miegel:

    „Dann werden Einschnitte gemacht werden müssen, von denen sich die meisten heute noch keine Vorstellung machen können.“

    Dann folgt die redaktionelle Ergänzung durch den Autor von Kontraste:

    „Massive Kürzungen der Löhne und Gehälter, etwa, Kürzungen der Renten, Kürzungen des Arbeitslosengeldes oder der Pflegeleistungen. Für alle wird es nun heißen: Abschied nehmen vom „immer mehr“, von liebgewonnenen materiellen Werten und Gewohnheiten, alle werden weniger haben.“

    An dieser Passage kann man beispielhaft erkennen, dass solche so genannten Wissenschaftler und Redakteure nur in einer Welt der gestanzten Klischees leben. Der Redakteur hat mit hoher Wahrscheinlichkeit keinerlei Ahnung von der wirklichen Welt, zum Beispiel vom angeblichen „immer mehr“ der Rentner, oder von der wirklichen Entwicklung der Reallöhne, nämlich einer Stagnation seit mindestens 15 Jahren.
    In dieser Welt, die heute meinungsbildend und damit entscheidungsbestimmend ist, kommt es nicht mehr auf Fakten an, sondern auf den nahtlosen Austausch der zitierten Klischees. Das ist eine extrem gefährliche Entwicklung. Sie bringt uns immer weiter neue politische Fehlentscheidung und kostet uns maßlos viel Kraft.

  6. Miegels Wachstumskritik ist Teil einer clever ausgedachten Strategie dieses so genannten Wissenschaftlers. Dieser rechtskonservative Gründer von Instituten und unseriösen Propagandaorganisationen hat sich offenbar zum Ziel gesetzt, sich in die Herzen und Köpfe wachstumskritischer, sogar linksliberaler Kreise einzuschleichen. Für sie sind Töne wie in dem Beitrag von Kontraste wie Balsam.

Anlage 1
Leserbrief an Kontraste von Mario Simeunovic:

Meinhard Miegel ist kein Sozialwissenschaftler

Sehr geehrte Damen und Herren der Redaktion,

in Ihrem “Kontraste” Beitrag wird Herrn Meinhard Miegel großer Raum zu Verbreitung einiger fragwürdiger Theorien zu Staatsverschuldung und Sozial- bzw. Lohnkürzungen eingeräumt. Herr Miegel ist zunächst mal Jurist. Seine sozialwissenschaftliche Karriere verdankt er keiner eigenen Forschung sondern dem Einfluss der Politik. So ist er denn auch kein ordentlicher Professor, sondern Außerordentlicher. Er war und ist ausnahmslos in Instituten tätig, die von privaten Geldgebern finanziert werden: beispielsweise Deutsche Bank und Axa-Versicherung, in deren Aufsichtsrat er auch sitzt. Er arbeitet weiterhin in Vereinen oder Konventen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Interessen der Finanzwirtschaft bspw. die private Altersversorgung unter dem Tarnmäntelchen einer “Bürgerinitiative” unter das Volk zu bringen. Wenn er bei Ihnen so vehement beklagen darf, dass “wir” über unsere Verhältnisse gelebt haben, dann geht es vor allem um Leute wie ihn. Er sorgt sich um die großen Geldvermögen und deren Heranziehung zur Krisenbewältigung. Deren Inhaber haben tatsächlich von den Boomjahren insbesondere an den Börsen profitiert.

Unsere gigantischen Staatsschulden sind ein Ergebnis von Steuergeschenken für Besserverdienende, Unternehmen und von Hilfspaketen für Banken. Herr Miegel rechnet fest mit sozialen Unruhen infolge von Sozial- und Lohnkürzungen, die er für unausweichlich hält, im Gegensatz zur finanziellen Beteiligung seiner privatwirtschaftlichen Auftraggeber. Wenn er dann gleichzeitig auch noch eine Konjunkturförderung anprangern darf, die mit vergleichsweise bescheidenen Mittel für eine fragile Stabilität der Konjunktur sorgt, dann wird ihr Bericht vollends unsachlich, propagandistisch und letztlich unverantwortlich. Daneben treibt es mir den Zorn auf die Stirn, wenn ein Banken- und Versicherungslobbyist seine Propaganda der sozialen Spaltung mit Hilfe von öffentlich-rechtlichen Zwangsbeiträgen den Opfern der Finanzwirtschaft nahe bringen darf.

Mit freundlichen Grüßen
Mario Simeunovic

Anlage 2
Leserbrief Roger Strassburg an New York Times:

Zuächst die Mail an die NDS:

Anbei ein Leserbrief von mir an die NYT zum folgenden Beitrag. Mein Leserbrief gilt eigentlich nicht dem Beitrag selbst, sondern den Kommentaren dazu, die fast ausschließlich die Tugendhaftigkeit des Sparens betont haben – eine große Anzahl der Kommentare natürlich aus Deutschland.

Herzliche Grüße
Roger

Roger Strassburgs Leserbrief an die NYT:

To the editor:

Indeed, the real problem in Europe is Germany.  I fear that many people won’t get the point, though, as is evidenced by almost all of the readers’ comments to this editorial.

Those who see Germany as virtuous due to its hard work and thrift, and other countries as fat, dumb and lazy, should consider this:  Germany couldn’t have run a trade surplus without other countries having run a deficit.

It shouldn’t be hard for people to understand that one country can’t have a trade surplus unless some other country has a trade deficit, since one country can only export what another country imports.  Spending and earning are the two sides of the same coin:  you can’t sell something unless somebody buys it, you can’t earn unless someone else spends.  In the world of macroeconomics, a penny saved is a penny not earned by someone else.  If everyone saves, nobody earns.

German politicians, economists and media seem to believe in a sort of “immaculate consumption”, where everybody produces and sells without anybody consuming.

Germany became dominant in exports by impoverishing its workers.  Official policy of recent German governments (both Schröder and Merkel) has been to establish and expand a low-wage sector – a “working poor”.  This has succeeded, to benefit of the export industry and at the expense of the domestic economy and imports.

Germany has attained its current position via wage dumping, and now wants other countries to do the same.  This is the same strategy that was employed by Heinrich Brüning in Germany and Herbert Hoover in the U.S. in the 1930’s, leading to the Great Depression and the rise of Hitler in Germany.

Hoover later realized that this was the wrong policy.  Brüning never did.  Most Germans didn’t, either, and are in the process of making the same mistakes they did then – hopefully not with the same result.

Regards,
Roger Strassburg

About me:  I’m an American living in Germany.  I came here in March, 1990, when Germany was moving toward reunification.  I married here an 1992, my wife being from the former East Germany.


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