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Titel: Umfragen – Meinungsmacht und Gradmesser für Meinungsmache

Datum: 6. Dezember 2019 um 10:36 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Demoskopie/Umfragen, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, SPD, Strategien der Meinungsmache
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Wer sich gestern den Deutschlandtrend der Tagesthemen angeschaut hat, musste sich verwundert die Augen reiben. Plötzlich soll ausgerechnet Olaf Scholz der beliebteste Politiker Deutschlands sein und gleichzeitig erzielt das designierte neue SPD-Führungsduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans verheerende Zustimmungswerte. Das sah zu Wochenbeginn noch anders aus. Aber das war ja auch noch vor der massiven Kampagne gegen jede auch nur noch so kleine Änderung des SPD-Kurses, die in dieser Woche über alle Kanäle auf die Öffentlichkeit einprasselte. Diese Umfragen zeigen einmal mehr, welche Meinungsmacht die klassischen Medien in unserem Land haben und welche Sisyphos-Aufgaben auf die progressive Gegenöffentlichkeit noch zukommen. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Man sagt ja „De mortuis nil nisi bene“ und es ist auch verständlich, dass viele Zeitgenossen Mitleid mit Verlierern empfinden. So ließe sich vielleicht zum Teil die sprunghaft gestiegene Beliebtheit von Olaf Scholz erklären. Das Problem: Scholz ist politisch alles andere als tot und als Vizekanzler, Finanzminister und Kern der SPD-Funktionärsspitze genauso mächtig wie eine Woche zuvor. Derartige Umfragewerte sind pünktlich zum Parteitag der bestvorstellbare Rückenwind für die Mehrheit der Parteigranden, die so gar nichts von einer inhaltlichen Neuaufstellung halten. Ob und inwieweit diese Zahlen überhaupt „seriös“ sind, ist dabei aber nur schwer zu beantworten. Infratest Dimap hat für diese Umfrage lediglich 1.007 Menschen befragt und gibt die Schwankungsbreite, also den statistischen Fehlerkorridor, mit +/- 3,1 Prozentpunkte an. Hinzu kommt, dass es sich hier nicht um die Rohergebnisse handelt, sondern die Zahlen vom Institut nach einem unbekannten Schlüssel aufgearbeitet werden, um eine angestrebte Repräsentativität zu erreichen; die Möglichkeiten der Einflussnahme sind bei solchen Verfahren nahezu grenzenlos.

Daher lohnt auch ein Blick auf das Kleingedruckte. So sind Scholz´ Zustimmungswerte bei SPD-Anhängern im gleichen Befragungszeitraum und in der gleichen Umfrage massiv abgestürzt, während die Zustimmung bei allen Befragten massiv zugenommen hat. Das ist nur möglich, da Scholz mittlerweile bei CDU/CSU-Anhängern einer der beliebtesten Politiker überhaupt ist. Wenn man beim politischen Gegner beliebter als in den eigenen Reihen ist, sollte dies einem eigentlich zu denken geben. Diese Zusatzinformationen gehen jedoch bei den einschlägigen Presseberichten unter.

Gleichzeitig vermeldet der Deutschlandtrend miserable Zustimmungswerte für das designierte SPD-Führungsduo Esken und Walter-Borjans. Nur 22% der Befragten glauben demnach, dass die SPD mit ihnen wieder mehr Bürger von sich überzeugen kann. 70 Prozent glauben das nicht. Dieser Wert ist vor allem insofern interessant, da eine vergleichbare Umfrage von SPON/Civey mit einer mehr als siebenmal so großen Zahl der Befragten am Wochenbeginn noch ganz andere Werte ergeben hat. In dieser Umfrage waren immerhin 35,2% sehr oder eher zufrieden mit dem Ergebnis der Stichwahl und „nur“ 45,1% waren sehr oder eher unzufrieden. Besonders interessant sind bei dieser Umfrage vor allem die großen Unterschiede zwischen den politischen Lagern. Während Anhänger von SPD (68,5% Zustimmung, 19,1% Ablehnung), Linken (62,8% Zustimmung, 16,3% Ablehnung) und Grünen (47,1% Zustimmung, 22,7% Ablehnung) die Wahl positiv betrachteten, stieß sie – was nicht überraschend ist – bei Anhängern von CDU (4,7% Zustimmung, 79,1% Ablehnung), FDP (11,2% Zustimmung, 67,7% Ablehnung) und AfD (19,7% Zustimmung, 61,1% Ablehnung) auf geschlossene Ablehnung.

Wenn man diese Zahlen – so sie denn überhaupt verlässlich sind – in Verbindung zu den gestern veröffentlichten Zahlen des Deutschlandtrends setzt, bei dem Esken und Walter-Borjans bei leicht geänderter Fragestellung über alle Parteigrenzen hinweg deutlich schlechter abschneiden, zeigt sich vor allem eins: Die gnadenlose Kampagne (siehe hier und hier) der etablierten Medien hat die Menschen nachhaltig verunsichert und beeinflusst. Binnen weniger Tage haben sich auch und vor allem Anhänger der Linken und der Grünen massiv in ihrer Bewertung beeinflussen lassen und sogar die Anhänger der SPD sind plötzlich verunsichert und sehen ihre eigene designierte Parteispitze plötzlich nicht mehr so positiv.

Das bittere Fazit: Meinungsmache wirkt. Mit dieser Unterstützung im Rücken gehen die Mannen um Scholz, Maas und Heil und ihre Machtbasis im Seeheimer Kreis und im Netzwerk Berlin nun gestärkt in den Parteitag und werden auch künftig im parteiinternen Richtungskampf die Hosen anhaben und jede noch so kleine Hoffnung auf eine inhaltliche Neuausrichtung im Keim ersticken. Es ist hoffnungslos.

Mittel- bis langfristig müssen progressive Kräfte sich nun daran gewöhnen, gegen einen beinahe monolithischen Block (Ausnahmen wie Stephan Hebel oder Heribert Prantl müssen jedoch auch erwähnt werden) anzutreten. Das ist eine Herkules-Aufgabe, die jedoch nicht vollkommen aussichtslos ist.

Jeremy Corbyn hat in Großbritannien gezeigt, dass man vor allem die jüngeren Leute auch erreichen kann, wenn die klassischen Medien eine geschlossene Front gegen jegliche progressive Politik aufgebaut haben. Und in seiner Einseitigkeit unterscheidet sich das britische kaum noch vom deutschen Mediensystem. Klassische Medien machen Meinung und Politik. Alternative Medien können diese Front aufbrechen. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg.

Dieser weite Weg hat nur dann eine Chance, wenn die Öffentlichkeit die Meinungsmache der klassischen Medien begreift und wenn möglich sogar durchschaut. Wir von den NachDenkSeiten geben tagein tagaus unser Bestes, um Ihnen das Rüstzeug dafür an die Hand zu geben. Und kleinere Erfolge sind dabei ja auch zu verzeichnen, wie uns unter anderem die positiven Leserzahlen, die tolle Unterstützung unserer Leser, die zahlreichen Zuschriften und nicht zuletzt auch der Erfolg von Albrecht Müllers neuem Buch zu genau diesen Themen zeigt, das trotz kompletter Medienblockade bereits an zweiter Stelle in der SPIEGEL-Sachbuch-Bestsellerliste aufgestiegen ist. Und wir sind nur ein Teil der Gegenöffentlichkeit. Die letzte Woche zeigt jedoch, wie hart und steinig und wie weit der Weg der Aufklärung noch ist.

Titelbild: Screencapture Tagesthemen


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