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Titel: Fortsetzung Nr. 2 des Disputs Flassbeck vs. Hickel ergänzt um einen NDS-Leser-Text

Datum: 26. Mai 2010 um 16:27 Uhr
Rubrik: „Lohnnebenkosten“, Banken, Börse, Spekulation, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich:

Heiner Flassbeck hat einen neuen Text geschickt. Siehe unten A. Gleichzeitig erreichte uns die interessante Mail eines NDS-Lesers (B.). Beides zu Ihrer Information. Albrecht Müller

A.
Von Tätern und Opfern

Von Heiner Flassbeck
Sao Paolo, 25.5.2010

Meine Vorstellungen zur umfassenden Lösung der Eurokrise will ich hier nicht noch einmal darstellen. Das habe ich zur Genüge getan. Ich will nur einige Prinzipien deutlich ansprechen, die man beachten sollte, bevor man leichtfertig von einem Bankrott eines Staates der Eurozone, von einem „haircut“ oder einer Umstrukturierung von Staatsschulden im Euroraum spricht.

Griechenland ist nicht das Problem. Gemessen am Gesamtproblem des Euroraumes ist Griechenland nur eine Fußnote. Wer ein Griechenland fallen lässt, schafft sofort ein neues.

Zudem, wer immer sich mit Verve auf das kleine Griechenland stürzt, spielt dem Boulevard und den primitivsten Vorurteilen an den Stammtischen und an den Finanzmärkten in die Hände. Für jedes Land der Welt lassen sich Informationen finden, die schrecklich klingen, aber in einen größeren Zusammenhang eingeordnet, vollkommen unproblematisch sein mögen. Man erinnere sich, dass der globale Boulevard vor einigen Jahren noch das Ende Deutschlands als Exportnation ausgerufen hatte, weil die Arbeitnehmer nicht genügend lange arbeiteten, die Lohnnebenkosten zu hoch seien und zu viele Vorschriften den deutschen Unternehmen die Luft zum Atmen nähmen. Dagegen wird die einfache, aber für die Beurteilung der Seriosität von Verschuldung absolut zentrale Tatsache, dass Griechenland in den letzten zehn Jahren weit höhere Zuwächse der Investitionen in Maschinen und Ausrüstungen aufwies, als alle übrigen Länder des Euroraumes, einfach unter den Tisch gekehrt.

Bei der Beurteilung dessen, was souveräne Staaten in einer schwierigen Lage tun sollten, ist es meist hilfreich, so wenig über das Land zu wissen, dass man erst gar nicht in Versuchung gerät, sich mit einem Schein- und Detailwissen hervorzutun. Das profunde Wissen der Menschen und der Politiker von ihrem eigenen Land in den Schatten stellen zu wollen, führt regelmäßig in die Irre.

Der Internationale Währungsfonds ist mit seinen Programmen à la Washington Konsensus in der Vergangenheit so oft gescheitert und hat immense Schäden über Jahrzehnte hinterlassen, weil er sich auch auf der Mikroebene kompetent fühlte und folglich immer ganz genau „wusste“, was schief gelaufen war und was nun gemacht werden musste. Da mussten in Lateinamerika natürlich die Versorgungsunternehmen privatisiert werden, Asien musste sein „verrottetes Bankensystem“ über Bord werfen und jede Form von sozialer Absicherung in den Betrieben sowieso, bevor die Gelder fließen konnten. Korruption war natürlich fast überall außer in Washington der Hauptgrund für die Misere von Ländern. In den Vereinten Nationen und in der ganzen internationalen Gemeinschaft hat man, um dieses Mikrounwesen zu kennzeichnen, dafür seit Jahrzehnten den schönen Ausdruck „no one size fits all“ geprägt. Das heißt, überlasst die Entscheidung, wie im Einzelnen mit einer solchen Situation umgegangen wird, gefälligst dem Land und seinen gewählten Vertretern. Etwas mehr Respekt in dem Sinne wäre bei allen Beteiligten auf deutscher Seite unglaublich hilfreich.

Griechenland und alle übrigen Länder, die noch in Schwierigkeiten geraten könnten, haben als Mitglieder der Eurozone natürlich Anspruch darauf, dass ihnen die Europäische Zentralbank in einer Notlage mit direkten Interventionen in die Märkte und damit als lender of last resort zur Seite springt.

Dass diese Selbstverständlichkeit in der EWU erst in einem schmerzhaften und für die Griechen entwürdigenden politischen Prozess zugestanden wurde, wird als ein großes Versagen der europäischen Institutionen in die Geschichte eingehen. Hätte man rechtzeitig interveniert, wäre der Zins niemals so hoch gestiegen, dass Griechenlands Glaubwürdigkeit in Sachen Konsolidierungschance gefährdet gewesen wäre. Dass aber schon lange vor der Rettung durch die Zentralbank die Geier des Boulevards über das Land herfielen und viele Ökonomen das Lied vom Bankrott mitsangen, wird in anderen Büchern des Versagens festgehalten werden müssen.

Der Gläubiger eines Staates ist in der Regel kein Spekulant. Wer bis Oktober 2009 griechische Staatsanleihen gekauft hat, wollte damit Geld fest anlegen und hat auch keine extrem hohen Zinsen kassiert. Im Gegenteil, er hat durch die Spekulation bereits Geld verloren, weil der Wert seiner Anleihen deutlich gesunken ist.

Es ist leider eine Unsitte in Deutschland und vermutlich in ganz Europa, dass die „modernen Banken“ dem Publikum Staatsanleihen äußerst selten und äußerst ungern direkt anbieten und verkaufen. Statt dessen halten sie die Anleihen selbst und konstruieren „sichere Produkte“ auf der Basis von Staatsanleihen, die dann dem Publikum angeboten werden (wobei die „Produkte“ natürlich einen geringeren Zins bieten). Das aber bedeutet, dass die Tatsache, dass bei Banken viele Staatsanleihen in den Büchern stehen, nichts darüber sagt, wer bei einem Ausfall von Staatsanleihen wirklich am Ende in Mitleidenschaft gerät. In einer Situation, wo gerade viele relativ seriöse Banken (im Gegensatz zu den Zockerbanken) noch in Schwierigkeiten sind oder schnell in neue Schwierigkeiten geraten können, wäre der Ausfall auch nur eines Staates ein enormes Risiko und müsste absurderweise wiederum die „bankrotten“ Staaten auf den Plan rufen. Auch für die Bürger und Kleinsparer wäre der Ausfall ihres eigenen Staates ein gewaltiger Schock, der mit großer Sicherheit Panikreaktionen nach sich zöge, die wiederum staatliche Bankenrettung erforderlich machte.

Insgesamt gesehen sollte wir uns mehr der Ungeheuerlichkeit widmen, dass von denjenigen Finanzmarktakteuren, die mit ihren geplatzten Spielschulden die Verschuldung der Staaten in die Höhe getrieben haben, nun der Bankrott von Staaten ausgerufen wird. Griechenland war in dieser Strategie der Ablenkung von den eigentlichen Problemen ein willkommenes Opfer, weil die vorherige Regierung so tölpelhaft gefälscht hat. Wer aber auf Griechenland einschlägt, ist auf die Strategie der Täter, die Opfer zu Tätern zu machen, schon hereingefallen.

B.
E-Mail von NDS-Nutzer EH.(Auszüge):

(Soweit sich EH auf Heiner Flassbeck bezieht, ist der vorige Text gemeint)

Schön, dass sich zwei kritische Wirtschaftswissenschaftler so streiten können. …

Abseits der fachlichen Ein- und Ansichten kann man als Außenstehender festhalten, dass Prof. Hickel aktuell einen griechischen Staatsschuldenschnitt befürwortet, während Prof. Flassbeck durchaus den „Zusammenbruch“ des europäischen Währungsverbunds sieht, wenn jetzt nicht gehandelt wird.

Der Ratschlag von Prof. Hickel würde dem griechischen Staat zwar eine Alt-Schuldenreduzierung bringen, aber das Land hätte zukünftig seine Bonität verloren. Prof. Hickel darf bei seinen Überlegungen nicht vergessen, dass Griechenland in den nächsten Jahren weitere (frische) Kredite benötigt. Jeder nichtstaatliche Teilnehmer am Kapitalmarkt würde um den unsicheren Kantonisten auf mittlere Sicht einen großen Bogen machen, bis auf die Zockerbande, die nur Junkbond-Zinssätze akzeptieren (und Swap-Geschäfte machen) würde oder bis auf den IWF und die anderen EU-Staaten, die mit fairen Zinssätzen Griechenland „retten“ könnten (so wie jetzt). Für den Euro ist es nicht gerade förderlich, wenn Griechenland mit Jamaika oder Aserbaidschan in einen Topf geworfen wird

Für die übrigen Euroländer käme es aber auch knüppeldick. Wenn ein bisher als relativ sicher geltender Schuldner umknickt, dann zieht das weitere Kreise, beginnend mit portugiesischen, dann spanischen, dann italienischen Staatsanleihen (andeutungsweise ist dies schon geschehen). Die Kurse dieser Papiere würden bei einem griechischen Schuldenschnitt an der Börse zusammenkrachen, bedingt durch die eintretende (Verkaufs)Panik von Rentenfonds und Versicherern, die aufgrund ihrer (auf Sicherheit ausgerichteten) Anlagebedingungen verkaufen müssten. Auch andere Anlegergruppen würden sich um ihre Anleihen Gedanken machen und vorsichtshalber (mit Verlust aufgrund des Kursrutsches, der den Kursrutsch noch weiter anfacht) das Geld abziehen und auf zinslosem Konto parken. Weltweit würden sämtliche Staatspapiere neu bewertet werden, da in vielen Staaten ähnliche Schuldensituationen vorherrschen. Ein weltweiter Anleihecrash wäre gegeben – und auf dieses Schlachtfest warten die Finanzoligarchen, damit sie richtig absahnen können.

Solange die durch Angst ausgelöste Kettenreaktion am Kapitalmarkt nicht ausgeschlossen werden kann, sollte man Prof. Hickels Vorschlag nicht umsetzen.

Und nun zu Prof. Flassbecks Vorschlag. Er schreibt: “Es wäre allerdings ein politisches Armutszeugnis ersten Ranges, wenn Europa nicht ein einziges Mal – bevor es zusammenbricht – versuchen würde, …” u. a. eine erst mittelfristig wirkende gegensätzliche Lohnentwicklung von Deutschland zu den anderen Eurostaaten zu praktizieren. Leider setzt dies politischen Willen bei den (deutschen) Politikern und Wirtschaftsverbänden voraus, freiwillig auf Wettbewerbsvorteile zu verzichten. Eigentlich bietet Prof. Flassbeck seit Jahren eine Lösung an, die allerdings nicht aufgegriffen wurde. Schade eigentlich.

Der Euro wird aber überleben, denn das Problem ist kein Währungs-, sondern ein Staatshaushaltsproblem, das aus spekulativen Gründen geschickt zum Problem des Euro gemacht wurde. Die Notenbanken werden bei Bedarf den Euro stützen, so wie sie auch den Dollar oder Yen stützen würden. Prof. Hickels Lösung ist erst dann taktisch einsetzbar, wenn alle Staatshaushalte gewollt und gleichzeitig einen Schuldenschnitt vornehmen würden. Allerdings würde ein solcher Schritt die Weltwirtschaft lähmen, da der – sich bisher direkt oder indirekt in Staatspapieren dämlich dumm sparende – Mittelstand als Wachstumsmotor ausfallen würde.

Möglich wäre aber auch, dass die Notenbanken dieser Erde sukzessive sämtliche Staatsschulden einsammeln. Die amerikanische und japanische Notenbank sammeln schon fleißig und die EZB fängt diesen Monat damit an. Der Vorteil besteht darin, dass die Abschreibung der Schulden bei den Notenbanken keine bilanzielle Auswirkung hätte, falls ein Staatsschuldenschnitt gemacht werden sollte. Zuvor erhielten sie aber Zinsen von den Staaten, die die Notenbanken an die Staaten als Gewinn wieder ausschütten könnten. Eine verflixt gute Variante im Kapitalismus. Mal schauen, wo das noch hinführt.

Mit freundlichen Grüßen
E. H.


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