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Titel: OPCW-Vorstand wird beschuldigt, den Untersuchungsbericht zu einem angeblichen Angriff mit Chemiewaffen in Syrien manipuliert zu haben
Datum: 25. November 2019 um 11:56 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Militäreinsätze/Kriege, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Redaktion
Internationale Persönlichkeiten fordern Rederecht für Mitglieder der Douma-Untersuchungsmission. Pünktlich zum Auftakt der Jahreskonferenz der OPCW-Vertragsstaaten veröffentlicht Wikileaks eine weitere interne E-Mail der Fact-Finding Mission der Organisation, die die Kritik am OPCW-Bericht zu dem angeblichen Giftgasangriff in Douma untermauert. Karin Leukefeld berichtet für die NachDenkSeiten über die jüngsten Entwicklungen und gibt dabei noch einmal eine Übersicht über eine Untersuchung, die die Arbeit der Organisation zum Schutz vor Chemiewaffen (OPCW) in keinem guten Licht dastehen lässt.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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„Betr: Schwerste Bedenken über den „bearbeiteten“ Douma Bericht“
So ist die E-Mail eines Ermittlers der Organisation zum Verbot für Chemiewaffen (OPCW) überschrieben, die von der Internetplattform Wikileaks am Sonntag veröffentlicht wurde. Der Autor schreibt, er wolle „als Mitglied des FFM Teams, das die Untersuchung des angeblichen chemischen Angriffs in Douma am 7. April durchgeführt hat“ seine „schwersten Bedenken über die bearbeitete Fassung des FFM Berichts zum Ausdruck bringen, der, wie ich verstehe, auf Geheiß des ODG“ vorgenommen worden sei.
FFM ist die Abkürzung für Fact-Finding Mission, eine Sonderabteilung innerhalb der OPCW, die sich seit 2014 speziell mit Syrien befasst. ODG ist die Abkürzung für Office of the General Director, den offiziellen Leiter der OPCW. Damaliger Generaldirektor war Ahmed Üzüncü.
Die von Wikileaks veröffentlichte interne Nachricht wurde am 22. Juni 2018 an den Kabinettschef Robert Fairweather und dessen Stellvertreter Aamir Shouket sowie an die Mitglieder des FFM-Untersuchungsteams geschickt, die den angeblichen Chemiewaffenangriff in der syrischen Stadt Douma (östlich von Damaskus) untersuchen sollte.
Nachdem der Autor den „abgeänderten Bericht“ gelesen habe, sei ihm aufgefallen, „wie sehr der Sachverhalt verdreht“ worden sei. Viele Tatsachen und Beobachtungen, die im vollständigen Bericht erläutert worden seien, seien „untrennbar miteinander verbunden“. Indem aber „selektiv bestimmte Fakten ausgelassen werden, wird eine unbeabsichtigte Tendenz in den Bericht eingeführt, die seine Glaubwürdigkeit untergraben“. Andererseits seien wesentliche Tatsachen, die in der bearbeiteten Fassung verblieben, in etwas „völlig anderes verwandelt worden, als es ursprünglich skizziert worden war“. Der Autor erläutert anschließend einige Aspekte die er als „besonders besorgniserregend“ bezeichnet.
Am Ende des Schreibens heißt es, sollte der „bearbeitete Bericht“ trotz schwerster Bedenken veröffentlicht werden, bitte er darum, seine abweichenden Beobachtungen hinzuzufügen“, das entspreche „dem Geist von Paragraph 62, Teil II des Verifikationsanhangs der Chemiewaffenkonvention“.
Bedenken und Bitte des Autors wurden ignoriert. Der offizielle Abschlussbericht zu dem angeblichen Chemiewaffenangriff in Douma wurde am 1. März 2019 veröffentlicht. Abweichende Beobachtungen waren nicht enthalten.
Internationale Persönlichkeiten fordern Rederecht für Mitglieder der OPCW-Untersuchungskommission auf der Jahreskonferenz der Vertragsstaaten
Die Veröffentlichung der internen E-Mail durch Wikileaks kommt zum Auftakt der Jahreskonferenz der OPCW-Vertragsstaaten, die am (heutigen) Montag am Sitz der Organisation in Den Haag beginnt und bis zum kommenden Freitag dauert. Sie bekräftigt die Aussagen von anderen Mitarbeitern der OPCW, deren Widerspruch zum offiziellen Abschlussbericht der Ereignisse in Douma bereits im Mai 2019 und erneut im Oktober 2019 zu hören war, wie auch die NachDenkSeiten berichteten .
Im Mai 2019 war auf unbekannten Wegen ein OPCW-interner Untersuchungsbericht an die Öffentlichkeit gelangt, der sich mit der Herkunft von zwei Chlorzylindern befasst, die in zwei Wohnhäusern in Douma aufgefunden worden waren. Augenzeugen gaben an, die Zylinder seien von der syrischen Luftwaffe abgeworfen worden. Der untersuchende Ballistiker (Ian Henderson) kam zu dem Schluss, dass „die Beobachtungen der Situation an den beiden Orten, zusammen mit der anschließenden Analyse darauf hinweisen, dass es eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür gibt, dass beide Zylinder per Hand an den beiden Orten abgelegt wurden, als dass sie von einem Flugzeug abgeworfen wurden.“
Weiterer Widerspruch wurde von einem OPCW-Mitarbeiter erhoben, der – wie Henderson – an der Douma-Untersuchungsmission teilgenommen hatte. Bei einem ganztägigen Seminar in Brüssel am 15. Oktober 2019 erläuterte dieser Wissenschaftler namens „Alex“ vor einem internationalen Gremium die Umstände, unter denen der Douma-Abschlussbericht zustande gekommen war und welche Abweichungen es zu den ursprünglichen Untersuchungen gab.
Die Teilnehmer des Seminars – internationale Persönlichkeiten aus Politik, Forschung, Militär und Geheimdiensten – zeigten sich beunruhigt über die Informationen, die deutlich darauf hinwiesen, dass erheblicher Druck ausgeübt worden war. Der veröffentlichte Bericht entsprach zwar bestimmten Erwartungen, nicht aber allen Tatsachen, hieß es in einer Erklärung. Sie forderten, dass das gesamte Untersuchungsteam des angeblichen Chemiewaffenangriffs in Douma die Möglichkeit bekommen sollte, bei der diesjährigen Konferenz der OPCW-Vertragsstaaten in einem geeigneten Rahmen ihre abweichenden Erkenntnisse und Analysen vorzutragen, und dass die Douma-Untersuchung neu aufgenommen werden solle.
Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, wandten sich vor wenigen Tagen erneut internationale Persönlichkeiten mit einem offenen Brief an die Vertretungen der Vertragsstaaten bei der OPCW. Mit Verweis auf das Oktober-Seminar in Brüssel heißt es „ (…) um die „Integrität der OPCW wiederherzustellen und das öffentliche Vertrauen zurückzugewinnen“, sei es erforderlich, „die Wahrheit über das Geschehen in Douma“ zu erfahren. Die Vertreter der Vertragsstaaten sollten unterstützen und ermöglichen, dass die Mitglieder des Fact-Finding-Mission-Teams der Douma-Untersuchung „frei und ohne Risiko, zensiert zu werden, in einem angemessenen Forum sprechen können.“
Zu den Unterzeichnern gehören neben José Bustani, dem ersten OPCW-Generaldirektor (1997-2002), George Carey, der ehemalige Erzbischof von Canterbury, Noam Chomsky, der Journalist und Dokumentarfilmer John Pilger, Scott Ritter, UNSCOM Waffeninspekteur u.a. im Irak (1991-1998), Hans von Sponeck, ehemaliger stellvertretender UN-Generalsekretär und Humanitärer Koordinator der UNO im Irak sowie Theodore Postol, Professor (emeritiert) am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Hinzu kommen zahlreiche ehemalige Geheimdienstmitarbeiter aus Frankreich, Großbritannien und den USA.
Das Auswärtige Amt weist Anliegen zurück
Das Auswärtige Amt – dem die deutsche Vertretung bei der OPCW untersteht – sieht keinen Grund, das Anliegen zu unterstützen. Man habe keinen Grund, an dem Bericht zu zweifeln, und weise daher „Versuche, die Glaubwürdigkeit der OVCW zu unterminieren“, entschieden zurück, hieß es in einer Antwort des Ministeriums auf die Anfrage der Autorin. OVCW ist die deutsche Abkürzung für „Organisation für das Verbot von Chemiewaffen“.
Weiter war aus dem Auswärtigen Amt zu hören:
„Der Bundesregierung ist die Kritik bekannt. Die Kritik an dem Bericht wurde wiederholt durch den Generaldirektor der OVCW zurückgewiesen, und der Sachverhalt gegenüber den Vertragsstaaten der Organisation richtig gestellt. Die Bundesregierung hat vollstes Vertrauen in die technische Expertise, Professionalität, Unabhängigkeit und Überparteilichkeit der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OVCW). Die Bundesregierung unterstützt den Generaldirektor, der die Pflicht hat, die Identität der einzelnen FFM-Mitglieder zu schützen, um deren Unabhängigkeit und damit die Unparteilichkeit der FFM-Berichte zu garantieren. Die Vertraulichkeit der Arbeit aller Inspektoren muss gewahrt bleiben. Der Bericht der Organisation zu den Vorfällen in Douma vom 1.3.2019 wurde unter strikter Einhaltung der Verfahrensregeln erstellt, die die Vertragsstaaten vorgegeben hatten. Die Bundesregierung sieht weder prozedural noch inhaltlich einen Grund, an den Ergebnissen des Berichts zu zweifeln. Versuche, die Glaubwürdigkeit der OVCW zu unterminieren weisen wir entschieden zurück. Vor diesem Hintergrund ist eine erneute Befassung mit dem Bericht der Fact Finding Mission (FFM) zu Douma auf der Vertragsstaatenkonferenz nicht vorgesehen.“
Fakten und Zahlen
Die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen ( engl. OPCW) wurde 1997 gegründet, heute gehören ihr 193 Staaten an, die die Chemiewaffenkonvention unterschrieben haben. Einziger Staat, der die Konvention zwar unterzeichnet, im Parlament aber bisher nicht ratifiziert hat, ist Israel.
Höchstes Gremium der OPCW ist die Konferenz der Vertragsstaaten, die einmal jährlich tagt. Dem Exekutivrat gehören 41 gewählte Mitgliedsstaaten aus allen Kontinenten an. Der Sitz im Exekutivrat ist rotierend für jeweils 2 Jahre. Deutschland gehört dem Exekutivrat bis 2021 an. 500 Mitarbeiter sind im Technischen Sekretariat für die anfallende Arbeit zuständig. Der OPCW-Generaldirektor wird alle vier Jahre von der Konferenz der Vertragsstaaten gewählt. Derzeitiger Generaldirektor ist Fernando Arias, der Ende 2017 gewählt wurde und sein Amt im Juli 2018 antrat.
Die OPCW gilt als unabhängige internationale Organisation, ist allerdings vertraglich mit den Vereinten Nationen (UNO) verbunden. Alle 193 Mitgliedsstaaten der OPCW gehören auch der UNO an. Den Jahresetat finanziert die OPCW durch Mitgliedsbeiträge. Größte Geldgeber sind die USA mit 22%, Japan zahlt 19,5% und Deutschland 10% des jährlichen Budgets. 2019 umfasst der OPCW-Etat rund 70 Millionen Euro.
Titelbild: Jarretera/shutterstock.com
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