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Titel: Keine Klagen! Bei Großprojekten ist der Rechtsweg demnächst ausgeschlossen.
Datum: 8. November 2019 um 10:30 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Bundesregierung, Erosion der Demokratie, Lobbyismus und politische Korruption
Verantwortlich: Redaktion
Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, mit dem die Verfahren bei großen Infrastrukturvorhaben verkürzt werden sollen. Unausgesprochenes Ziel ist die Verhinderung von Klagen durch Verbände und Einzelpersonen vor den Verwaltungsgerichten. Lediglich der Gang nach Karlsruhe soll noch gestattet sein, was allerdings nur ein schlechter Ersatz wäre. Seinen Vorstoß begründet der Verkehrsminister mit klimapolitischen Dringlichkeiten. Das braucht man ihm nicht abzunehmen, so wenig wie sein Gerede, Bürgerbeteiligung sei weiterhin garantiert. Sicher ist nicht einmal, ob sein Vorstoß juristisch sauber ist. Von Ralf Wurzbacher.
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Ach wären wir Deutschen doch so ein bisschen wie die Chinesen. Die stampfen innerhalb von vier Jahren den weltweit größten Airport aus dem Boden, während von der BER-Hauptstadtbaustelle in bald zwei Dekaden bis auf ein paar Manager noch kein Mensch geflogen ist. Zugegeben, Dilettantismus war dabei auch im Spiel. Aber der größte Bremsklotz für Großprojekte ist und bleibt hierzulande doch noch immer die Bürokratie – samt dem ganzen Bürgerbeteiligungsklimbim. Die Dinge liegen doch so: Wer bei uns eine Brücke über die Mosel ziehen will, hat nicht nur die Mopsfledermaus am Hals, sondern mit ihr eine Horde militanter Tierschützer, die sich durch alle Instanzen klagen. Oder ein führender Energieerzeuger muss wochenlang massenhaft Klimaaktivisten von Bäumen loseisen lassen, bloß weil sich so ein Wäldchen in ein Braunkohlerevier verirrt hat.
Ist das vielleicht die Denke von Andreas Scheuer (CSU)? Der Eindruck könnte entstehen, und er scheint mit dieser Haltung nicht allein. Am Mittwoch hat der Bundesverkehrsminister den Entwurf für ein Gesetz ins Bundeskabinett eingebracht, der das Klagerecht bei Großprojekten empfindlich einschränken soll. Faktisch wird es der Zivilgesellschaft und direkt Betroffenen damit verunmöglicht, sich gegen die Eingriffe und ihre Auswirkungen vor Gericht zur Wehr zu setzen. Und obwohl die Pläne bei Juristen und Umweltverbänden auf massiven Widerspruch stoßen, erhielt die Vorlage die Zustimmung der Regierungsmannschaft, einschließlich der SPD-Ministerriege. Aber eigentlich staunt man über solche Vorgänge schon gar nicht mehr.
Von wegen Mitwirkung
Um was geht es konkret? Das sogenannte Genehmigungsbeschleunigungsgesetz wirft eine jahrzehntealte Praxis einfach über den Haufen. Während es bislang Usus ist, dass größere Bauvorhaben von den Behörden zu bewilligen sind, soll die Genehmigung künftig per Beschluss des Bundestags erfolgen. Zweck sei es, „die Möglichkeit zu schaffen, den Neu- und Ausbau (Bau) sowie die Änderung bestimmter Verkehrsinfrastrukturprojekte durch Gesetz (Maßnahmengesetze) anstelle eines Verwaltungsakts zuzulassen“, heißt es in dem verabschiedeten Referentenentwurf. Natürlich tun die Verantwortlichen so, als führten sie nur Gutes im Schilde. Das „neue Vorbereitungsverfahren entspricht grundsätzlich dem Verfahren zur Erarbeitung eines Planfeststellungsbeschlusses“, schrieb das Bundespresseamt in einer Mitteilung. „Die materiell-rechtlichen Prüfungen sowie die wesentlichen Aspekte der Bürgerbeteiligung werden also weiterhin durchgeführt.“
Das freilich ist Augenwischerei. Während „Beteiligung“ bisher so weit gehen konnte, ein Projekt durch den Gang vor Gericht zu verzögern, zu entschärfen oder gar zu stoppen, wäre es damit in Zukunft vorbei. Die Regierung drückt das so aus: „Als einziges Rechtsmittel gegen ein vom Bundestag beschlossenes Vorhaben ist die Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht vorgesehen.“ Tatsächlich können im Falle von Genehmigungen per Gesetz die Verwaltungsgerichte nicht angerufen werden. In den ARD-Tagesthemen äußerte sich dazu am Dienstagabend der Rechtswissenschaftler Thomas Groß von der Universität Osnabrück. „Der Gesetzentwurf führt dazu, dass betroffene Bürgerinnen und Bürger, die zum Beispiel enteignet werden, keine Möglichkeit haben, vor einem Verwaltungsgericht zu klagen.“ Die einzig verbleibende Möglichkeit, sich im Konfliktfall an Karlsruhe zu wenden, ist für den Juristen „kein effektiver Rechtsschutz, weil das Verfassungsgericht gar nicht Umweltrecht überprüfen kann“.
Karlsruhe kein Ersatz
Das bestätigt auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Dessen Bundesgeschäftsführer Olaf Bandt hatte sich schon Mitte Oktober zu Scheuers Vorstoß positioniert, noch bevor dieser in die Ressortabstimmung ging. Für Großprojekte sei grundsätzlich ein Planfeststellungsbeschluss notwendig, der von den Umweltverbänden gerichtlich überprüft werden könne, erläuterte er. Auch Bürgerinnen und Bürger könnten Klage einreichen, wenn sie etwa bei „Enteignungen oder vermehrten Immissionen wie Schadstoffe, Lärm oder Strahlen“ in ihren Rechten verletzt würden. „Nach den Vorschlägen des Verkehrsministeriums entfällt beides“, konstatierte Bandt. Und auch er sieht in einer Verfassungsbeschwerde mit ihrem „sehr engen Prüfungsrahmen“ keinen gleichwertigen Ersatz. „Die Prüfung, ob Tatsachen richtig ermittelt wurden oder ob eine Abwägungsentscheidung Fehler enthält, findet nicht mehr statt.“
Für die Regierung zählt allein, dass alles flotter geht – zumindest will sie das weismachen. „Wir wollen die Umsetzung von wichtigen Infrastrukturprojekten deutlich beschleunigen“, erklärte Scheuer schon vor drei Wochen. Dazu verkauft er sich als moderner Vorreiter, der die Zeichen der Zeit erkannt haben will. „Gerade bei klimafreundlichen Verkehrsträgern wie dem Schiff und der Bahn müssen wir einfach schneller werden.“ Der Gesetzesvorstoß soll sogar fester Bestandteil des Klimaschutzpakets der Großen Koalition sein, womit dem Publikum Bescheid gestoßen wird: Alles gut gemeint. Auch den Dreh mit der Genehmigung per Bundestagsbeschluss, der in Wahrheit ein Stück Demokratie aushebelt, preist die Regierung als Wohltat. „Davon verspricht sie sich auch eine größere Akzeptanz der Projekte, weil sie vom Parlament beschlossen wurden“, erklärte das Bundespresseamt.
S21-Debakel hausgemacht
Das ist ein frommer Wunsch. Deutschlands Milliardengrab Nr. 1, Stuttgart 21, wurde auch dadurch nicht besser, dass es per Volksentscheid grünes Licht erhielt. Acht Jahre später ist das Projekt unbeliebter denn je und der Kostenrahmen um mehrere Milliarden Euro fülliger. Und dass der Eröffnungstermin in den Sternen steht, geht nicht auf das Konto der S21-Gegner oder der Gerichte, sondern auf das der Macher, die ihr ökologisch und verkehrspolitisch irrwitziges Machwerk zu jedem Preis und gegen jede Vernunft durchziehen wollen. Genau hier liegt der Hund begraben. Es geht bei Scheuers Vorstoß mutmaßlich nicht nur darum, Tempo in die Abläufe zu bringen, sondern mehr noch darum, auch unpopuläre und mithin sinnfreie Projekte der Kategorie S21 und BER reibungs- und geräuschloser durchboxen zu können. Denn oft kann sich schon eine einzige Klage eines von Enteignung bedrohten Bürgers zu einer gewaltigen Protestwelle auswachsen. Wo es keine Kläger mehr gibt, hat der Kohlebagger auf alle Fälle leichteres Spiel.
Selbst klimapolitische Notwendigkeiten rechtfertigen nicht automatisch Eingriffe in die Grundrechte der Bürger, zumal bei offensichtlich mangelnder Sinnhaftigkeit der fraglichen Projekte. Monströse Offshore-Windparks mögen den großen Energiekonzernen riesige Profite verheißen, verbinden sich aber mit massiven Kosten für Stromtrassen und Eingriffen in maritime und terrestrische Ökosysteme. Dagegen versprechen dezentrale Lösungen weitaus mehr Schonung für Mensch, Flora und Fauna. Gerade Minister Scheuer ist bis dato nicht als der eifrigste Vorkämpfer für den Klimaschutz in Erscheinung getreten. Die Autobahnen würde er mutmaßlich lieber heute als morgen an Banken und Versicherungen verhökern, damit die mit endlosen Blechlawinen Reibach machen können.
Wenngleich Scheuer mit seiner mutmaßlichen Industrienähe ein spezieller Fall ist, steht sein Vorstoß doch für eine im politischen Betrieb weithin kultivierte Gesinnung. Nach dieser sind „Werte“ wie Demokratie, Rechtsstaat, Mitbestimmung, Betriebsräte und Gewerkschaften anscheinend solange schön und gut , wie sie nur die Geschäfte nicht stören. Wobei das die eigenen Regierungsgeschäfte betreffen kann und mehr noch die der deutschen Wirtschaft (oft genug identisch), die auf Teufel komm raus gegen die Weltmarktkonkurrenz in Stellung zu bringen ist. Dieser Haltung entspringen dann Phänomene wie: eine externen Beraterstäben ausgelieferte Ministerialbürokratie, mutmaßlich von Lobbyistenhand geschriebene Gesetze, Privatisierungsfeldzüge gegen den Steuerzahler oder zwanglose Tapetenwechsel vom Ministersessel in die Konzernchefetage. Aber bei Bedarf sind Demokratie und Rechtsstaat plötzlich wieder hoch und heilig, dann wenn es heißt, China oder Russland mit der Moralkeule eins überzubraten.
Überlastete Gerichte
Ähnlich flexibel operiert die Bundesregierung derzeit mit der Klimakrise. Man bekennt sich wortmächtig zum Handeln und schont die Industrie, wo es nur geht. Oder ergreift die falschen Maßnahmen: Laura von Vittorelli, Gewässerexpertin beim BUND, warnte am Donnerstag im Gespräch mit den NachDenkSeiten davor, Klimaschutz und Artenschutz gegeneinander auszuspielen. „Nach Befunden des Weltbiodiversitätsrats IPBES birgt die Biodiversitätskrise noch größeres Gefahrenpotenzial als die Klimakrise.“ So hätten etwa Flussvertiefungen „teilweise nur begrenzt“ etwas mit Klimaschutz zu tun, auch angesichts der Veränderungen der Wasserverfügbarkeit. „Da macht es mehr Sinn, die Flotte frühzeitig niedrigen Wasserständen anzupassen, als krampfhaft den Fluss den Schiffen“, gab Vittorelli zu bedenken.
Auch das Argument, mehr Zug in die Verfahren zu bringen, lässt sie nicht gelten. „Beschleunigung gibt es nicht dadurch, dass man Umweltverbänden, Bürgerinnen und Bürgern das Klagerecht nimmt, sondern ordnungsgemäß plant und im Vorfeld die Beteiligten gut mitnimmt.“ Und wo kein Rechtsverstoß sei, könne und werde auch nicht geklagt, weil die Gerichte dies gar nicht zuließen. Im Übrigen müssten laut Vittorelli die Gerichte personell besser ausgestattet werden. „Dann würde in der Tat manches schneller gehen.“ Das allerdings hieße für die Politik, die Möglichkeiten demokratischer Teilhabe auszubauen, anstatt sie mittels schwarzer Null, Schuldenbremse oder Gesetzen wie dem von Scheuer weiter einzuschränken.
Auftakt zu mehr
Der BUND war es auch, der gegen die Weservertiefung wegen des Verstoßes gegen die Wasserrahmenrichtlinie geklagt hatte – und vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) Recht erhielt. Das soll sich offenbar nicht wiederholen. Tatsächlich schweben dem Verkehrsminister gleich fünf Wasserprojekte vor, die er mit einem separaten „Maßnahmengesetz“ realisieren will – darunter die Vertiefung des Nord-Ostsee-Kanals oder die Abladeoptimierung der Fahrrinnen des Mittelrheins. Insgesamt hat Scheuer sogar zwölf Vorhaben in seinen Entwurf geschrieben, die auf dem Sonderweg an Judikative vorbei in die Spur zu setzen wären, sieben davon im Eisenbahnverkehr. Zum Beispiel sind das der Ausbau der Strecken von Hannover nach Bielefeld, von München nach Freilassing und von Magdeburg nach Halle. Offenbar hat Scheuer über Nacht der Ehrgeiz gepackt. In der ersten Fassung seines Gesetzes, aus der am Dienstag noch die ARD zitierte, waren nur sechs Maßnahmen aufgeführt.
Aber auch das volle Dutzend soll nur der Anfang sein. Weil im Text ausdrücklich von „Erprobung“ die Rede ist, dürften im „Erfolgsfall“ durchaus weitere Projekte folgen, auch und vor allem solche, bei denen mit stärkerem gesellschaftlichen Widerstand zu rechnen ist. Denn was die Bundesregierung mit dem Etikett „klimapolitisch wertvoll“ versieht, kann die größte Mogelpackung sein – wie sie ja sehr eindrücklich mit ihrem „Klimapaket“ beweist. Über kurz oder lang könnten alle möglichen anderen Projekte auf die bequeme Tour aufs Gleis gesetzt werden. Zum Beispiel verspricht der 5G-Ausbau allerhand Bürgerunmut darüber, dass die strahlenden Sendemasten den Anrainern den Schlaf verhageln.
Fall für den EuGH
„Wer sich nicht an Umweltrecht halten möchte, schränkt das Klagerecht ein“, kommentierte BUND-Geschäftsführer Bandt die Pläne der Koalition. Er sieht darin „eine schwere Verletzung“ der sogenannten Aarhus-Konvention. Das seit 2001 geltende Übereinkommen regelt auf EU-Ebene die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Offensichtlich wolle sich Scheuer nicht nur über völkerrechtliche Verträge und das EU-Recht hinwegsetzen, sondern auch über deutsches Verfassungsrecht, monierte Bandt. „Das Grundgesetz steht für Gewaltenteilung und Rechtsschutz und nicht dafür, dass die Regierung Projekte nach Gutdünken durchpeitschen kann.“
Aber noch wirft Bandt die Flinte nicht ins Korn. Sollte das Gesetz den Bundestag passieren, wollen mehrere Umweltverbände vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Von dort dürfte der Fall dann weiter zum Europäischen Gerichtshof gehen. Auch der Jurist Groß baut darauf, dass die Bestimmung am Ende bei den Luxemburger Richtern landet, wie zuletzt erst Scheuers „Ausländermaut“. Die fiel bekanntlich krachend durch. In China wäre ihm das nicht passiert.
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