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Titel: Bundespräsident Köhlers „Begabung zur Freiheit“ der Vereinfachung
Datum: 9. Mai 2005 um 14:29 Uhr
Rubrik: Bundespräsident, Militäreinsätze/Kriege, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
In seiner Rede zum 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs kehrt Horst Köhler die von Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 zurecht gerückte Reihenfolge von Ursachen und Folgen dieses Krieges wieder um. Weil er nicht nach Anfang und Ausgang von Unrecht fragt, ist es für ihn nur „gerecht gegen alle Völker“, wenn wir „um alle Opfer“ gleichermaßen trauern.
Um über den „Ruin der Jahre 1933 bis 1945 hinauszukommen“, müssten wir nur „unser Land in seiner ganzen Geschichte“ sehen und erkennen „an wie viel Gutes wir anknüpfen konnten“. So einfach kann man über den Nationalsozialismus hinweg kommen.
Wie man allerdings am Tag der Befreiung Deutschlands durch andere Völker, den Deutschen eine „eigene Begabung zur Freiheit“ attestieren kann, das grenzt an Hochmut.
Köhler setzt mit seiner Erinnerungsrede nicht am Anfang jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte, an, sondern am Ende dieses Krieges. Er beschreibt dessen Opfer und Leid vor allem auch durch Flucht, Vertreibung und Unfreiheit danach. Er hat weder viel über den Nationalsozialismus gesagt, noch über die Beispiellosigkeit seiner Verbrechen, noch über die Verstrickung der Deutschen in Krieg und Gewalt.
Spätestens seit der verunglückten Rede des damaligen Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger im Jahre 1988 anlässlich des 50. Jahrestages der Novemberpogrome weiß man, wie missverständlich Sprache sein kann und wie sensibel man damit umgehen muss. Man kann die beiden Erinnerungsreden gewiss nicht miteinander vergleichen, schon deshalb nicht, weil Jenninger das rhetorische Mittel der Zeitzeugenaussage verwandte und Köhler die Rückschau aus heutiger Sicht wählte. Aber war es besonders sensibel, wenn Köhler distanzierend vom „sogenannten Dritten Reich“ sprach, oder vom Unglück das ein abstraktes „Deutschland“ über die Welt gebracht hat(und eben nicht Deutsche). Er redete davon, dass „wir Verachtung gegenüber denen fühlen, die durch diese Verbrechen an der Menschheit schuldig geworden sind und unser Land entehrten.“ Wer sind eigentlich diejenigen, „die schuldig geworden sind“?
War es etwa nicht die ganz überwiegende Mehrheit aller Deutschen, die mitmachten, die ihr Gewissen ablenkten, die wegschauten, die schwiegen?
Nein, es geht nicht um Kollektivschuld, dazu hat von Weizsäcker das Richtige gesagt. Wer aber wirklich Lehren aus dem Nationalsozialismus ziehen will, darf nicht so reden als handle es sich dabei um ein längst abgeschlossenes Kapitel deutscher Geschichte, dem „sogenannten Dritten Reich“ eben, er kann nicht so tun, als handle es sich um ein „Deutschland“ von damals und einem Deutschland von heute, als einem anderen Land. Wenn man durch Erinnerung lernen will, dann darf man nicht durch eine inneren Distanzierung in der Sprache und eine Abstrahierung der Schuldzuweisung die Fehler, Versäumnisse und Verstrickungen der überwiegenden Mehrheit der Deutschen des damaligen Deutschlands einfach ausblenden.
Weil Köhler das Ende des Krieges und nicht seine Ursachen zur Ausgangsperspektive nahm, konnte er wie nach einer schrecklichen Naturkatastrophe um „alle Opfer“ in gleicher Weise trauern. Dabei achtete er tunlichst darauf, dass er jedem Opfer der Gewalt, die von Deutschland ausging, immer auch ein Opfer der Gewalt entgegenhält, die auf Deutschland „zurückschlug“. Was für eine historische Vereinfachung?
Köhler meint damit „gerecht gegen alle Völker“ zu sein , „auch gegen unser eigenes“.
Man kann jemand, dessen Familie selbst flüchten musste, persönlich nachempfinden, dass er jedes einzelne Opfer und jedes einzelne Leid aus Sicht des jeweils Betroffenen beklagt. Aber man soll und man darf – schon gar als Staatsoberhaupt der Deutschen – nicht so tun, als hätten Ungerechtigkeit und Gewalt keinen Anfang und keinen Ausgangsort gehabt.
Köhler hat es abgelehnt, einen „Schlussstrich“ unter die deutsche Nazi-Vergangenheit zu ziehen. Vor allem die nachrückende Generation müsse „die Erinnerung an das Geschehene wach halten und weitergeben“. „Wir müssen diese Lehren weiter beherzigen“.
Nach Köhlers Meinung haben wir heute Lebenden seit der Nachkriegszeit mit ein bisschen Hilfe von außen diese Lehren ausreichend und tüchtig gezogen. Die grundlegenden politischen Entscheidungen der Nachkriegszeit, so urteilt Köhler: „Alle diese Entscheidungen waren richtig“. Wir hätten „geistige Weite wiedergewonnen und seien wieder eine „geachtete Kulturnation“ geworden. Und selbst der aus Deutschland kommende Papst muss als positives Beispiel dafür herhalten, „wie unser Land heute wahrgenommen wird“.
Kurz: Wir waren wer und wir sind endlich wieder wer und wir haben „heute guten Grund, stolz auf unser Land zu sein“. Stolz auf unser Land sein, an einem Tag sechzig Jahre nach dem Krieg und Terror durch unser Land endlich ein Ende fanden?
Der „Ruin der Jahre 1933 bis 1945“ war, so könnte man heraushören, keine historisch einmalige Epoche von Gewalt und Völkermord für die Deutsche und Deutschland verantwortlich waren, sondern eben nur ein zwölf Jahre andauernder einmaliger Ausrutscher in „unserer ganzen Geschichte“. In dieser „ganzen Geschichte“ könnten wir schließlich an „viel Gutes anknüpfen“. Wer einen Teil unserer Geschichte verdrängen will, „der versündigt sich an Deutschland“. Da hat der Bundespräsident Recht. In seiner Rede zur Befreiung vom Nationalsozialismus, hat er selbst gerade diesen Teil unserer Geschichte weitgehend verdrängt. Wie könnte er sonst an einem Tag, an dem vor 60 Jahren Deutschland aus extremster Unfreiheit von anderen Völkern unter größten Opfern befreit worden ist, die „Gewissheit“ verkünden, „dass wir Deutsche den Weg zu unserer freien und demokratischen Gesellschaft aus eigener Begabung zur Freiheit gegangen sind.“
Den Gedenktag an die Befreiung der Deutschen unter die Überschrift einer deutschen „Begabung zur Freiheit“ zu stellen, kann man nicht mehr damit entschuldigen, dass der Bundespräsident Mut machen will, das grenzt an Hochmut.
Quelle: Rede des Bundespräsidenten »
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