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Titel: Hinweise des Tages

Datum: 29. Oktober 2019 um 8:22 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
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Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JK/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Wahl in Thüringen: Die selbsternannte Mitte ist irre!
  2. Das Reden vom politischen Rand
  3. AfD ist nicht neue Volkspartei des Ostens
  4. Chile
  5. Kritik aus der SPD am möglichen Autolobbyisten Gabriel
  6. CDU-Staatssekretär wechselt in Immobilienwirtschaft
  7. 370.000 Personen fallen aus der Arbeitslosenstatistik
  8. Boom bei befristeten Verträgen
  9. H&M-Chef warnt vor Konsumscham
  10. Europa als Vorbild für Vermögensbesteuerung in den USA? Besser nicht!
  11. Ist die Rente mit 70 gerecht?
  12. Rentner protestieren gegen doppelte Beiträge
  13. Volkssouveränität auf dem Abstellgleis
  14. Narkosemittel: Propofol wird knapp
  15. Before Deadly Crashes, Boeing Pushed for Law That Undercut Oversight
  16. Schönheit und Schandfleck
  17. 70% of millennials say they’d vote for a socialist
  18. Axel Springer: Üppige Vorstandsboni trotz Sparkurs

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Wahl in Thüringen: Die selbsternannte Mitte ist irre!
    Bodo Ramelow und die Partei DIE LINKE haben die Wahl in Thüringen mit einem beeindruckenden Ergebnis von 31 Prozent klar gewonnen. Glückwunsch! Ramelow hat mit seiner rot-rot-grünen Regierung unter anderem mehr Lehrer eingestellt, ein weiteres Jahr in der Kita beitragsfrei gemacht, ein Tariftreuevertragsgesetz mit einer Lohnuntergrenze von 11,42 Euro verabschiedet – alles Entscheidungen, die von der großen Mehrheit der Thüringer unterstützt werden. Zudem hat er einen präsidialen Führungsstil entwickelt. Eine deutliche Mehrheit der Thüringer ist mit seiner Arbeit zufrieden.
    Entlarvend war die Reaktion einiger Politiker der unterlegenen Parteien. An vorderster Stelle jammerte der sachsen-anhaltinische Ministerpräsident Haseloff, die Parteien der Mitte hätten keine Mehrheit mehr. Die „Extreme an den Rändern“ hätten mehr als die Hälfte der Wählerstimmen auf sich vereinigt.
    Die selbsternannte Mitte ist irre! Sie hat immer noch nicht verstanden: Lohnkürzungen sind keine Politik der Mitte, sondern Entscheidungen gegen die große Mehrheit der Bevölkerung. Dasselbe gilt für Rentenkürzungen und den Abbau sozialer Leistungen. Die wachsende Ungleichheit ist von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen, die in den vergangenen Jahrzehnten die Bundesregierung stellten, zu verantworten. Die Mittelschichten steigen ab. Wer seine Politik angesichts dieser verheerenden Entwicklung der Gesellschaft als „Politik der Mitte“ versteht, hat wirklich nichts begriffen. Dasselbe gilt für die von der Mehrheit der Bevölkerung ebenso abgelehnten Waffenlieferungen an Kriegsparteien und die Beteiligung an völkerrechtswidrigen Kriegen von Afghanistan bis Syrien.
    Und wenn es um den Schutz der Umwelt geht, setzt die selbsternannte Mitte nicht auf umweltfreundlichere, in aller Welt einsetzbare Technologien und Produktionsverfahren, sondern auf Verbrauchssteuern, die vor allem die Geringverdiener und die Mitte belasten – bei gleichzeitiger Schonung der Wohlhabenden, die weiter ihre Kinder mit ihren benzinschluckenden SUV’s zu Umweltdemonstrationen fahren können.
    Die selbsternannte Mitte macht Politik für die Minderheit und hat mit dieser Politik, die zur Spaltung der Gesellschaft führt, die AfD erst groß gemacht. Was muss noch passieren, bis sie merken, was Sie angerichtet haben?
    Quelle: Oskar Lafontaine via facebook
  2. Das Reden vom politischen Rand
    Wie sind die Öffentlich-Rechtlichen an diesem Wahlabend mit der AfD umgegangen? Die oft verwendete Gleichsetzung von rechts und links verhindert eine adäquate Analyse. […]
    Die Linke, zumal unter dem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, hat Thüringen weder unter kommunistische Zwangsverwaltung gestellt noch die Stasi wieder eingeführt. Dass das Reden vom politischen Rand, bezogen auf die Thüringer Linke, dennoch weiterhin gepflegt wird, spricht für eine eigenartige Verzögerung bei Journalisten wie Schönenborn und Hassel.
    Quelle: ZEIT

    dazu auch: Das Hufeisen muss runter
    Die Extremismustheorie besagt, Links- und Rechts-Außen berührten einander an den Enden der politischen Skala. Nach der Thüringen-Wahl hört man das wieder. Es ist falsch. […]
    In den Deutungen der Landtagswahl in Thüringen – auch den medialen – zeigt sich nun besonders krass, wie falsch das alles ist. Die Gleichsetzung des Quasisozialdemokraten Bodo Ramelow und des Staatsfeinds Björn Höcke als vermeintliche Antagonisten einer schwammig unterdefinierten “bürgerlichen” Mitte ist nicht einmal als Zuspitzung brauchbar. […]
    Rechtskonservative werden darum weiterhin versucht sein, sich rechtskonservativ auftretenden Faschisten habituell und biografisch näher zu fühlen als Leuten, die nicht gleich Reißaus nehmen, wenn auf einer Antinazidemo der schwarze Block aufmarschiert. Doch genau das ist jetzt demokratische Herzensaufgabe: bis weit in die Union und ihre Wählerschaft hinein ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass jeder “Alerta Antifascista”-Rufende begrüßenswerter ist als der freundliche AfDler von nebenan.
    Quelle: ZEIT

  3. AfD ist nicht neue Volkspartei des Ostens
    In Thüringen läuft alles auf eine Minderheitsregierung hinaus, meint Politologin Astrid Lorenz im tagesschau.de-Interview. Der Erfolg der AfD im Osten müsse nicht von Dauer sein. CDU und SPD müssten aber umdenken.
    Quelle: Tagesschau
  4. Chile
    1. Zehntausende fordern Rücktritt des Präsidenten
      Die Proteste in Chile gehen weiter, obwohl Präsident Sebastián Piñera jeden Tag neue Zugeständnisse macht. Nur die eine Forderung, die alle Protestierenden eint, lehnt er ab: seinen eigenen Rücktritt.
      „Ich bekomme eine sehr niedrige Rente. Ich hoffe, dass die Dinge sich ändern werden. Wenn ich nicht bei meiner Tochter wohnen würde, könnte ich gar nicht überleben.“
      Quelle: Deutschlandfunk Kultur

      Anmerkung JK: Chile war das erste Land in dem die neoliberale Ideologie als bestimmende Leitlinie für die Sozial- und Wirtschaftspolitik durchgesetzt wurde, wie bekannt, mit brutaler Gewalt unter der Militärdiktatur Pinochets.

      Die neoliberale Politik, wie die komplette Privatisierung der Altersvorsorge, die Privatisierung der Schul- und Hochschulausbildung und selbst die, der Wasserversorgung, wurde auch durch die nachfolgenden demokratischen Regierungen nie in Frage gestellt.

      Bei den Protesten in Chile manifestiert sich die Wut über die starke soziale Polarisierung als Folge fortgesetzter neoliberaler Politik. Die Proteste sind nichts anderes als ein Volksaufstand gegen den Neoliberalismus. Auch die Antwort der Regierung war mit der Ausrufung des Ausnahmezustandes und dem Einsatz des Militärs bezeichnend, die neoliberale Agenda, die immer eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse der Mehrheit der Bevölkerung zur Folge hat, lässt sich gegen diese letztendlich nur mit Gewalt durchsetzen.

    2. Wut auf die Elite, “Krieg” gegen das Volk
      Chile wird immer wieder als Musterland Südamerikas genannt, als sicherer wirtschaftlicher Hafen. Das ist es auch – wenn man Geld hat. Einkommen und Besitz sind sehr ungleich verteilt. Chile ist das einzige südamerikanische Land unter den 36 Mitgliedern der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. In keinem herrscht größere Einkommensungleichheit. Bei den Vermögen sieht das nicht anders aus.
      Das reichste Prozent der chilenischen Bevölkerung besaß im Jahr 2017 rund ein Drittel des Gesamtvermögens, die oberen 20 Prozent insgesamt vier Fünftel. Für die anderen der 18 Millionen Einwohner blieb der Rest: Die ärmere Hälfte aller Haushalte kam nur auf 2,1 Prozent. Es ist wissenschaftlich belegt, dass mehr Ungleichheit in der Bevölkerung auch zu mehr Unzufriedenheit führt.
      Quelle: n-tv
    3. Revolten in Chile – Eine Reflexion aus dem neoliberalen Paradies
      Trotz der verheißungsvollen Fassade, die Chile in den letzten Dekaden errichtete, wackeln die Pfeiler hinter den Kulissen. Hierbei handelt es sich letztendlich um die Strukturen des von den sogenannten „Chicago-Boys“ entworfenen und von der Diktatur Pinochets erst in der Welt als Experiment durchgesetzten neoliberalen Systems. Margaret Thatcher – persönliche Freundin von Pinochet – bestand einmal darauf, dass es keine Gesellschaft gibt, sondern nur Individuen. Diese Weltanschauung, die in Chile die letzten 30 bzw. 40 Jahre ohne Gegenpol durchlebt worden ist, wurde außerdem in der von Jaime Guzmán komponierten Verfassung 1980 eingemauert und somit gegen jede künftige Widerstandskraft rechtlich geschützt. […] Die von Pinochet geführte rechte, neoliberale Revolution war eben auch eine Rechtsrevolution, die bis heute ihre Konsequenzen trägt. Der chilenische Neoliberalismus hat dadurch seine Immunität gesichert und die gegenwärtige Revolte – sowie die von 2006 und 2011 – erschwert.
      Aber aufgepasst, meine Damen und Herren! Wenn die neoliberale Ordnung in Chile besonders tief verankert ist, aber in der ganzen Welt herrscht, dann kann wohl unsere Erfahrung für diejenigen, die diesen Weg noch weiter gehen bzw. gehen wollen, für eine Art allgemeiner Warnung aus der Zukunft gehalten werden.
      Quelle: Freitag

      und: Linke kehrt zurück – Alberto Fernández wird neuer Präsident von Argentinien
      Alberto Fernández hat die Präsidentschaftswahlen in Argentinien gewonnen. Der Herausforderer des Mitte-Links-Bündnisses “Frente de Todos” (FdT) gewann im gestrigen ersten Wahlgang nach Auszählung von 97,2 Prozent mit 48,1 Prozent der Stimmen gegenüber dem bisherigen Präsidenten Mauricio Macri (Juntos por el Cambio, JC), der 40,4 Prozent erreichte. Auf dem dritten Rang landete Roberto Lavagna (Consenso Federal, 6,2 Prozent). Vierter wurde der sozialistische Kandidat Nicolás del Caño (Frente de Izquierda, 2,2 Prozent). Damit schafft das linke Lager, zu denen auch die zukünftige Vize-Präsidentin und zugleich Vorgängerin von Macri, Cristina Fernández de Kirchner, gehört, nach vier Jahren die Rückkehr in den Präsidentenpalast “Casa Rosada”.
      Fernández feierte vor seinen Anhängern in Chacarita in der Hauptstadt Buenos Aires, ausgerechnet am Todestag seines Vorgängers im Präsidentenamt, Néstor Kirchner, dessen Kabinettschef er gewesen war: “Das einzige was jetzt zählt, ist das Leiden der Argentinier zu beenden.” Er rief dazu auf, wieder “ein Argentinien der Gleichheit und der Solidarität” zu schaffen. Der unterlegene Macri räumte seine Niederlage ein und gratulierte dem Duo Fernández/Fernández zum Sieg. Bereits ab heute morgen wolle Macri gemeinsam mit Fernández beginnen, eine geordnete Übergabe des Präsidentenamtes einzuleiten. …
      Bestimmendes Thema bei den Wahlen war die schwere Wirtschaftskrise, in der sich Argentinien befindet. Im September betrug die monatliche Inflation 5,9 Prozent, die Jahresinflation im Verhältnis zum September des Vorjahres lag bei 53,5 Prozent. In Argentinien herrscht Nahrungsmittelknappheit, die Armut ist in den Regierungsjahren Macris seit Dezember 2015 stark angestiegen. Zudem ist die starke Abwertung des Peso mit zuletzt erreichten Höchstständen ein immenses Problem.
      Quelle: Amerika 21

      Anmerkung JK: Nicht nur in Chile, Ecuador und Argentinien manifestiert sich Widerstand gegen die Durchsetzung der neoliberalen Agenda. Auch in Europa leisten die Bürger Widerstand gegen den Neoliberalismus. Die Gelbwesten in Frankreich sind ein Beispiel. Die Antwort der herrschenden Oligarchie mit Polizeigewalt und Repression folgt dem üblichen Muster. Ein weiteres Beispiele findet sich in Spanien mit der Podemos, die aus den landesweiten Protesten im Jahre 2011 gegen die neoliberale Austeritätspolitik der spanischen Regierung als Folge der Finanzkrise und des Spardiktates aus Brüssel und Berlin, entstand.

      Das herausragendste Beispiel aber für die gewaltsame Durchsetzung der neoliberalen Agenda in Europa findet sich in Griechenland. Auch dort gelangte mit der Syriza eine Partei an die Regierung, die wesentlich von landesweiten Protesten gegen das Austeritätsdiktat aus Brüssel und Berlin getragen wurde. Die anfängliche Weigerung der Syriza das neoliberale Austeritätsdiktat weiter zu befolgen wurden von Brüssel und Berlin über die Drohung eines Ausschlusses Griechenlands aus der Eurozone, mit der faktischen Abschaffung der griechischen Souveränität beantwortet, in dem das griechische Parlament gegen jeden Wählerwillen gezwungen wurde die Austeritätsvorgaben aus Berlin und Brüssel abzunicken.

  5. Kritik aus der SPD am möglichen Autolobbyisten Gabriel
    Der mögliche Wechsel des früheren SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel an die Spitze des Automobilverbandes VDA schlägt weitere Wellen. Widerspruch kommt jetzt auch vom Umweltverband BUND. […]
    Geht es nach dem SPD-Politiker und Kandidaten für den Vorsitz der Sozialdemokraten, Norbert Walter-Borjans, könnte Gabriels Wechsel zum Autoverband auf viel Widerspruch innerhalb der Partei stoßen. „Ja, das wird Menschen stören. Da bin ich sicher“, sagte der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister der Zeitung „Bild“. Sollte sein Parteifreund an die VDA-Spitze rücken, könnte das innerhalb der SPD zu „Konfrontationen“ führen. […]
    Der Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi attackierte Gabriel über den Kurznachrichtendienst Twitter. Er verstehe, dass man mit 60 Jahren nicht in Rente gehen wolle, schrieb De Masi in Anspielung auf Gabriels Alter. „Aber gäbe es nicht viele gute Möglichkeiten, etwas für dieses Land zu tun, ohne das eigene Telefonbuch an die Autoindustrie zu verscherbeln? Das schafft kein Vertrauen in Politiker.“
    Quelle: FAZ

    Anmerkung JK: Vorsitzender der Atlantikbrücke, möglicher Präsident des Automobilverbandes VDA. Da fällt einem nichts mehr ein. Wobei Gabriel eigentlich nur die Zustände in diesem Land repräsentiert. Wann gab es eigentlich zuletzt einen führenden Politiker in Deutschland, der seine Position später nicht zur persönlichen Bereicherung benutzt hat?

  6. CDU-Staatssekretär wechselt in Immobilienwirtschaft
    „Die Durchlässigkeit von Politik und Wirtschaft leben“ – so erklärt der CDU-Staatssekretär Wittke seinen Wechsel aus dem Wirtschaftsministerium in die Immobilienwirtschaft.
    Quelle: Handelsblatt
  7. 370.000 Personen fallen aus der Arbeitslosenstatistik
    Die Zahl der Arbeitslosen im weiteren Sinne ist nach Angaben der Bundesregierung um rund 370.000 Personen höher als in der offiziellen Arbeitslosenzahl ausgewiesen. Das geht aus der Antwort des Arbeitsministeriums auf eine kleine Anfrage der Grünen-Fraktion hervor, die unserer Redaktion vorliegt.
    „Im Dezember 2018 wurden 2.582.000 Personen in der Arbeitslosigkeit im weiteren Sinne gezählt, davon waren 2.210.000 Arbeitslose und 372.000 Personen in Aktivierungsmaßnahmen oder von der Sonderregelung für Ältere erfasst“, heißt es in der Antwort. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) rechnet Erwerbslose im Alter von über 58 Jahren aus der Arbeitslosenstatistik heraus. Dies waren allein unter den Langzeitarbeitslosen, die das Arbeitslosengeld II erhalten, Ende vergangenen Jahres 170.000 ältere Personen, heißt es in der Antwort. Ihre Zahl ist demnach seit 2013 ebenso deutlich gestiegen wie die Zahl der Arbeitslosengeld-II-Bezieher in Aktivierungsmaßnahmen.
    Quelle: RP Online

    Anmerkung Christian Reimann: Das fällt den “Experten” der Grünen aber spät auf – die Linke weist seit vielen Jahren auf diese Schönrechnerei hin: Tatsächliche Arbeitslosigkeit. Schlimmer noch: In den vergangenen Jahren wurde die Methode der Statistik-Erhebung verändert. D.h,. bei Anwendung älterer Berechnungsmethoden würde die Arbeitslosigkeit sogar noch erheblich weiter ansteigen. Interessant dazu auch: Der Arbeitsmarkt und die vielen Zahlen: Von (halb)offiziellen Arbeitslosen über Flüchtlinge im statistischen Niemandsland bis zu dauerhaft im Grundsicherungssystem Eingeschlossenen.

  8. Boom bei befristeten Verträgen
    Etwa 45 Prozent aller Neueinstellungen sind laut dem Deutschen Gewerkschaftsbund befristet. Über drei Millionen Menschen haben einen befristeten Job. Die Große Koalition hat angekündigt, die Befristung einzuschränken. Bisher ist nichts geschehen.
    Ungefähr 80 Menschen sehen in einer Berliner Kneipe einen kleinen Film über eine Demo: Da protestieren Beschäftigte aus dem Bildungsbereich gegen befristete Arbeitsverträge.
    Doch der Unmut geht durch viele Branchen. Alle Stühle sind besetzt bei diesem Info-Abend in der Kneipe. Organsiert hat ihn die Berliner Kampagne „Outsourcing und Befristung verbieten“. Die meisten Aktivisten der Kampagne kommen aus dem öffentlichen Dienst oder von Unternehmen, die für das Land Berlin arbeiten. Sie haben sich zusammengeschlossen, auch um sich gegen die Befristung von Arbeitsverträgen zu wehren. Und das ist kein reines Hauptstadt-Problem. Im September 2019 meldete der DGB, dass mittlerweile bundesweit rund 45 Prozent aller Neueinstellungen befristet seien.
    Quelle: Deutschlandfunk Kultur
  9. H&M-Chef warnt vor Konsumscham
    Die Schätzungen variieren zwischen acht und zehn Prozent: So hoch wird der Anteil der globalen CO2-Emissionen taxiert, der auf die Modeindustrie entfällt. Deren Geschäftsmodell war in den vergangenen Jahren nicht sonderlich nachhaltig: Wie lange die Kleidung getragen werden kann, bestimmt der Trend, nicht die Haltbarkeit.
    Für die Branche könnte das zu einem Problem werden, sollten die Modeketten in den Fokus von Klimaaktivisten und Medien geraten, warnt H&M-Chef Karl-Johan Persson in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur “Bloomberg”. Viele der jüngsten Proteste funktionierten nach dem Muster “hört auf Dinge zu tun, hört auf zu konsumieren, hört auf zu fliegen”.
    Quelle: Spiegel Online

    Anmerkung JK: Die Textilindustrie gehört zu den Industriezweigen, die mit die höchste Luft- und Abwasserverschmutzung über die gesamte Produktionskette von den Grundstoffen bis zur fertigen Kleidung verursacht. Die sogenannte “Fast Fashion” ist das Geschäftsmodell vieler Unternehmen. Herausragendes Beispiel ist das Modelabel Primark oder eben H&M, aber auch der gesamte Internetversandhandel, als repräsentatives Beispiel sei hier Amazon genannt, lebt davon. Diese Unternehmen bzw. deren superreiche Eigentümer werden sich nicht ohne weiteres ihre Renditequelle wegnehmen lassen.

    Gerade an der Textilindustrie zeigen sich die Folgen des von den Neoliberalen so hochgehaltenen Freihandels. Durch die Verlagerung der Bekleidungsfertigung in asiatische oder südamerikanische „Sweat Shops“ mit fast immer ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, gingen in den USA und Europa hunderttausende Jobs verloren. Die Herstellung von Billigkleidung ist in diesem Ausmaß auch nur möglich, da die realen Kosten nicht in die Preise der Kleidung eingeht, wenn etwa die Produzenten von laschen Arbeitsschutz- und Umweltschutzauflagen in den Billiglohnländern oder zu niedrigen Transportkosten profitieren.

    Dazu: Billigkleidung: Wenn Mode als Plastikmüll endet
    Immer mehr Billigkleidung wird gekauft und wieder entsorgt. Das stellt Altkleidersammler zunehmend vor Probleme: Denn die vielen Billig- und Plastikklamotten lassen sich schlecht recyceln, wie BR-Recherchen zeigen.
    In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Textilproduktion weltweit verdoppelt. Die Tragedauer von Kleidung hingegen hat sich deutlich verkürzt. In Deutschland landen jährlich über eine Million Tonnen Altkleider im Container, und es werden jedes Jahr mehr. Gute Aussichten für Altkleidersammler – könnte man meinen. Die Realität sieht jedoch anders aus.
    Abnehmende Qualität und immer mehr Billigware machen den Kleidersammlern das Leben schwer. Das Problem hat einen Namen: Fast Fashion. 24 Kollektionen und mehr produzieren manche Labels pro Jahr – Kleidung, die irgendwann bei den Altkleidersammlern landet. Für die bedeutet das: immer mehr Ware muss eingesammelt, gesichtet und gelagert werden.
    Quelle: BR

  10. Europa als Vorbild für Vermögensbesteuerung in den USA? Besser nicht!
    In den USA wird gern auf die gescheiterten Vermögensteuern in verschiedenen Europäischen Ländern verwiesen. Die Ungleichheitsforscher Gabriel Zucman und Emmanuel Saez erklären, warum sich die US-Politik nicht dadurch von einer stärkeren Besteuerung großer Vermögen abhalten lassen sollte. Von ihren Argumenten könnten wir auch in Europa lernen.
    Während in den 1990er Jahren noch 12 OECD-Staaten Vermögensteuern erhoben sind es heute nur noch drei – Norwegen, die Schweiz und Spanien. Auch in Deutschland wird seit 1997 die Vermögensteuer nicht mehr erhoben, auch wenn mittlerweile sogar in der SPD wieder über eine Wiedereinführung diskutiert wird.
    In den USA wird derzeit eine hitzige Debatte um Vermögensteuern geführt. Die demokratischen Präsidentschaftskandidat*innen Elizabeth Warren und Bernie Sanders haben weitreichende Pläne für eine Besteuerung der Superreichen vorgelegt. Ein neues Buch der Verteilungs- und Steuerpolitikforscher Emmanuel Saez und Gabriel Zucman unterfüttert diese Debatte mit neuen Daten und Argumenten für eine stärkere Vermögensbesteuerung.
    Quelle: verteilungsfrage.org
  11. Ist die Rente mit 70 gerecht?
    Angesichts niedriger Geburtenraten und steigender Lebenserwartung bedeutet das Beharren auf gleichbleibenden Rentenansprüchen und einer Beibehaltung des jetzigen Renteneintrittsalters, dass die jüngere Generation massiv finanziell belastet wird – also eine noch stärkere Umverteilung von jung zu alt als bisher stattfindet. Die Forderung der Bundesbank nach einer Erhöhung des Renteneintrittsalters auf fast 70 Jahre hat diese Woche für viel Aufregung und Empörung gesorgt. Dabei wird dieser Anstieg noch nicht einmal ausreichen, um die gesetzliche Rente zu sichern.
    Das vielleicht drängendste Problem für viele Menschen, die in den kommenden zehn bis 20 Jahren in Rente gehen werden, ist die drohende Altersarmut, deren Anstieg meine Kollegen am DIW Berlin wiederholt berechnet und belegt haben. So ist das gesetzliche Rentenniveau von 48 Prozent des Durchschnittslohns bereits heute – auch im Vergleich zu vielen ähnlichen Ländern – ungewöhnlich niedrig. Zudem erwerben viele Menschen während ihres Erwerbslebens immer weniger Rentenansprüche, da sie geringe Löhne haben, in Teilzeit tätig sind oder nicht durchgehend erwerbstätig sind.
    Quelle: Marcel Fratzscher in Zeit Online

    Anmerkung unseres Lesers G.S.: von Fratscher gehen immer so unterschiedliche Botschaften aus. Ich glaube, er “vergißt” an dieser Stelle den Produktivitätsfortschritt in seine Überlegungen mit einzubeziehen

    Anmerkung Christian Reimann: Dieser Professor hat es leicht, ein höheres Renteneintrittsalter zu fordern. Nach Eintritt in den Ruhestand, darf und wird er wohl weiter forschend, schreibend und Vorträge haltend tätig sein. Aber das kann wohl kaum von Belegschaften u.a. im Pflege- oder Dachdeckerbereich abverlangt werden.

    Ansonsten viel Geschwätz z.B. von der „steigenden Lebenserwartung“. Bitte lesen Sie dazu auch Manipulation mit der „Lebenserwartung“ in der Rentendiskussion.

    Auch um drohender Alterarmut vorzubeugen, wäre es besser, die Konsequenz aus der gescheiterten Privatisierung des Rentensystems umzusetzen, die Albrecht Müller bereits seit einigen Jahren vertritt: Konzentration aller Mittel auf die gesetzliche Rente.

  12. Rentner protestieren gegen doppelte Beiträge
    Millionen Menschen mit betrieblicher Altersvorsorge stehen vor einem Problem: Direktversicherte sollen von ihrer Lebensversicherung Krankenkassenbeiträge abführen, obwohl sie während ihrer Berufsjahre schon für ihr volles Gehalt Sozialabgaben gezahlt haben. Die Betroffenen sprechen von Enteignung. (…)
    Rund acht Milliarden Euro wären nötig, um zu beenden, was Direktversicherungsgeschädigte als Enteignung betrachten. Zu welchen Anteilen diese Summe aus Steuermitteln finanziert oder von den Krankenkassen erbracht werden sollte – darüber streiten sich die Bundestagsfraktionen. Und so lange, so fürchten die Betroffenen, ändert sich für sie erstmal nichts.
    Quelle: Deutschlandfunk
  13. Volkssouveränität auf dem Abstellgleis
    Demokratie als Regierungsform bedarf weit mehr als Wahlen und Parlamentarismus. Sie erfordert als verwirklichte Herrschaft des Volkes die Umsetzung des Prinzips der Volkssouveränität: Das Volk lenkt und kontrolliert durch sein demokratisches Gesetzgebungsverfahren die von ihm eingesetzten Funktionärsapparate der Regierung, Verwaltung und Justiz. Das Volk als Träger und der Nationalstaat als administrativer Rahmen von Volkssouveränität werden jedoch seit einigen Jahren grundsätzlich infrage gestellt.[1] Ein Gastbeitrag von Henry Mattheß. (…)
    Für das Betreiben regionaler Wirtschaftskreisläufe als Alternative zur nicht zukunftsfähigen Globalisierung stellt der Nationalstaat eine praktikable administrative Ebene dar, auf welcher vor allem auch demokratische Entscheidung und Kontrolle nach dem Prinzip der Volkssouveränität gewährleistet werden könnte. Beides fehlt im EU-Staatenbund systembedingt vollkommen und erst recht in einem hypothetischen Weltstaat.
    Warum gerade supranationale Ebenen zu “besseren”, demokratischeren Entscheidungen führen sollen, bleibt das Geheimnis ihrer Verfechter. Die politische Praxis lehrt, dass mit zunehmender Entfernung der Entscheider von der Basis, diese leichter beeinflussbar und schwerer kontrollierbar werden. Nationalstaaten sind nicht historisch überholt, sondern sie sind umfassend zu demokratisieren, um notwendige internationale Lösungen zu befördern.
    Wer Volk und Nationalstaat abschaffen will, muss sich fragen lassen, mit welchem Träger und in welchem Rahmen Demokratie nach dem Prinzip der Volkssouveränität dann verwirklicht werden soll? Mit Verweis auf drängende, globale Probleme sind nicht wenige der Ansicht, auf das immer noch Theorie gebliebene Konzept von Volkssouveränität – als einer wirklichen Demokratie – verzichten zu können, oder gar zu müssen.
    Quelle: Norbert Häring
  14. Narkosemittel: Propofol wird knapp
    In der Engpassliste des BfArM taucht das wichtige Narkosemittel Propofol derzeit nicht auf. Trotzdem schlagen Klinikapotheker Alarm. Anbieter und Behörde hingegen sehen keinen Grund, zu dramatisieren.
    Geht den Kliniken der Propofol-Nachschub aus? Die Tageszeitung „Die Welt“ zitierte in einem Bericht am Freitag den Vorsitzenden des Bundesverbands Deutscher Krankenhausapotheker Rudolf Bernhard, wonach die Versorgungslage bereits „wirklich sehr dramatisch ist“. Von den beiden großen Anbietern des wichtigen Narkosemittels – B. Braun und Fresenius – soll vor allem das nordhessische Familienunternehmen momentan nicht lieferfähig sein.
    Quelle: Ärztezeitung

    Anmerkung unseres Lesers S.N.: Merkwürdig, dass es immer wieder zu Engpässen bei Medikamenten kommt (siehe hier): Angeblich tendiert “der Markt” immer zu einem Gleichgewicht und “der Wettbewerb” sorgt dafür, dass es immer ausreichend Angebot gibt. Oder sorgen Markt und Wettbewerb womöglich dafür, dass die Produktion aus Europa in Länder verlagert wird, die nur unter Ausbeutung von Umwelt und Arbeitnehmern am billigsten produzieren können? Selbst wenn unseren Regierenden Umwelt das egal sein sollte, müssten sie doch zumindest sehen, dass globale Lieferketten auch die Liefersicherheit massiv beeinträchtigen. Wie nur wird es aussehen, wenn echte Handelskonflikte oder gar militärische Auseinandersetzungen irgendwo unterwegs diese Lieferketten komplett lahmlegen? Auch eine nationale Lagerhaltung für Medikamente wird das Problem nicht ganz lösen, weil bestimmte Medikamente nicht lange haltbar sind oder aber z.B. sich die Lager bei einer Epidemie schneller leeren, als geplant.

  15. Before Deadly Crashes, Boeing Pushed for Law That Undercut Oversight
    With a few short paragraphs tucked into 463 pages of legislation last year, Boeing scored one of its biggest lobbying wins: a law that undercuts the government’s role in approving the design of new airplanes.
    For years, the government had been handing over more responsibility to manufacturers as a way to reduce bureaucracy. But those paragraphs cemented the industry’s power, allowing manufacturers to challenge regulators over safety disputes and making it difficult for the government to usurp companies’ authority.
    Although the law applies broadly to the industry, Boeing, the nation’s dominant aerospace manufacturer, is the biggest beneficiary. An examination by The New York Times, based on interviews with more than 50 regulators, industry executives, congressional staff members and lobbyists, as well as drafts of the bill and federal documents, found that Boeing and its allies helped craft the legislation to their liking, shaping the language of the law and overcoming criticism from regulators.
    In a stark warning as the bill was being written, the Federal Aviation Administration said that it would “not be in the best interest of safety.”
    A labor group representing agency inspectors raised concerns that the rules would turn the F.A.A. into a “rubber stamp” that would only be able to intervene after a plane crashed “and people are killed,” according to internal union documents reviewed by The Times.
    Quelle: New York Times
  16. Schönheit und Schandfleck
    Die ehemalige jugoslawische Teilrepublik Montenegro liegt am südöstlichen Rand Europas, hat keine Rohstoffe, kaum Industrie, wenig Chancen der EU beizutreten – und setzt deshalb auf den Adria-Tourismus als Wirtschaftsfaktor. Doch der droht das Land zu zerstören.
    Quelle: Spiegel Online
  17. 70% of millennials say they’d vote for a socialist
    Young Americans continue to lose faith in capitalism and embrace socialism, according to a new YouGov/Victims of Communism Memorial Foundation survey of more than 2,000 Americans 16 years and older. […]
    The big picture: 50% of millennials and 51% of Generation Z have a somewhat or very unfavorable view of capitalism — increases of 8 and 6 percentage points from last year. Meanwhile, the share of millennials who say they are “extremely likely” to vote for a candidate who identifies as a socialist doubled.
    Quelle: Axios
  18. Axel Springer: Üppige Vorstandsboni trotz Sparkurs
    In den fünf Jahren zwischen 2014 und 2018 entlohnte Axel Springer seine Vorstände (inkl. Pensionszusagen) mit insgesamt 115,6 Millionen Euro. Noch nicht enthalten sind in der genannten Summe Bonuszahlungen über Aktienoptionsprogramme (im Fachjargon Long-Term Incentive Plan), die Springer aufgelegt hat. Die Auszahlung ist an eine Reihe von Bedingungen gekoppelt. Am wichtigsten ist der Anstieg der Marktkapitalisierung (also des Aktienkurses). Da der Kurs der Aktie wegen des Angebots von KKR deutlich nach oben gegangen ist, hat Springer im Halbjahresfinanzbericht 39,4 Millionen Euro an Aufwand für Boni erfasst. 35,2 Millionen Euro davon für den Vorstand.
    Quelle: Kress


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