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Titel: Bolsonaros geheime Amazonas-Pläne und sein katastrophaler Auftritt vor den Vereinten Nationen als Strohmann Donald Trumps

Datum: 25. September 2019 um 15:51 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Länderberichte, PR, Umweltpolitik
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„Wird Bolsonaro vor der UNO reden? Holen Sie Ihre Kinder aus dem Wohnzimmer, weg vom Fernseher, und flüchten Sie in den Keller!“. Mit diesen ironischen Worten warnte der einflussreiche brasilianische Fernseh-Kommentator Bob Fernandes bereits am 19. September vor dem programmierten Eklat: der angekündigten Eröffnungsrede der diesjährigen 74. Vollversammlung der Vereinten Nationen durch den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.

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Seit den Gründungstagen der UN um 1945 steht laut Statuten jedem amtierenden brasilianischen Präsidenten das Vorrecht zu, die Eröffnungsrede zur Generalversammlung zu halten. Seitdem setzte sich der Eindruck durch, dass diese Tradition höchstwahrscheinlich dem Umstand zu verdanken ist, dass in den Gründungstagen der UN Winston Churchill – als Vertreter des Vereinigten Königreichs – und Josef Stalin – als damaliger Staatschef der UdSSR – Brasilien als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates ablehnten, dem Land jedoch eine Art Trostpreis zugestanden, der Brasiliens Ansehen etwas respektierlich ausschmücken sollte. Eine andere Theorie besagt, die Ehrung Brasiliens als Zeremonienmeister der Vollversammlung sei seiner Teilnahme an der Ausarbeitung der friedlichen Lösung bei der Schaffung des Staates Israel zuzuschreiben; eine Version, der Bolsonaro-Freund Benjamin Netanyahu sofort applaudieren würde.

Steve Bannon „berät“ Bolsonaros Rede, die USA bekommen Amazonien

Dass Bolsonaro überhaupt auftreten würde, war mindestens zwei Wochen lang in Brasilien bezweifelt worden, da der seit Januar regierende, rechtsextreme, ehemalige Hauptmann der Fallschirmjäger sich einer erneuten Operation als angebliche Spätfolge eines umstrittenen Messerangriffs von 2018 unterziehen musste. Seine Ärzte wollten ihn nicht reisen lassen, doch er schwor, „notfalls im Rollstuhl – den Auftritt lasse ich mir nicht nehmen!”.

Allerdings ging seinem UN-Auftritt mindestens eine auffällige Reise seines Außenministers Ernesto Araújo voraus. Der junge Araújo entstammt ultrarechten Juristen und Militärsfamilien, leugnet den Klimawandel und ist Anhänger der “Terraplanisten”, also jener Verschwörungstheoretiker, die die Mehrheit in der brasilianischen Regierung bilden und predigen, die Erde sei nicht rund, sondern flach.

Anlass von Araújos dritter Reise in die USA seit seinem Amtsantritt war zum einen ein „strategischer Dialog” mit US-Außenminister Mike Pompeo. Auf einer Pressekonferenz von Mitte September gaben beide öffentlich bekannt, Brasilien und die USA würden das von katastrophalen Bränden heimgesuchte Amazonien gemeinsam „entwickeln”. Die medial ausgeschlachtete Erklärung sollte offenbar als Schuss vor den Bug der Amazonien-besorgten EU-Staatschefs Angela Merkel und Emmanuel Macron verstanden werden.

Zum anderen diente der Aufenthalt des Außenministers in Washington einer wahrlich skurrilen Mission: der politischen und stilistischen Vorbereitung von Bolsonaros UN-Rede in Zusammenarbeit mit Donald Trumps ehemaligem Chefstrategen und rechtsradikalem Aktivisten Steve Bannon. Brasilianische Medien hinterfragten das Ziel des Treffens mit Bannon, erhielten jedoch als Antwort, es habe sich um ein „privates Abendessen” gehandelt; in der brasilianischen Botschaft.

Der Hintergrund: Bolsonaros geplante Rede vor der UN-Generalversammlung wurde von der Trump-Administration und ihren Sicherheitskreisen als eine Art „Lackmus-Test der Diplomatie“ gewertet. Die Amazonas-Brände hatten das brasilianische Regime auf die ersten Seiten der globalen Leitmedien katapultiert. Hinter vorgehaltener Hand wurde daher geflüstert, „äußerste Vorsicht“ beim Gebrauch der hämmernden Ausdrucksweise des Regimechefs, mit seiner Ablehnung von Klimawandel-Beweisen und seiner Forderung nach „Entwicklung“ des Amazonien-Regenwaldes. Der geübte Altright Bannon sollte offenbar der Rede ein salonfähiges Dekor verleihen oder, gar im Gegenteil, scharfe geopolitische Munition mit hoher Einschlagskraft liefern. Nach dem Echo auf Bolsonaros Rede zu urteilen, war Bannons Beratung vergebliche Mühe oder umgekehrt ein Volltreffer, jedoch mit verheerenden Folgen.

“Letzte Chance verpasst, geachtet zu werden …“

Celso Amorim – Lulas langjähriger, international anerkannter Außenminister – prognostizierte beispiellose Scham für Bolsonaros Auftritt. Und er behielt leider Recht. Der Rede war eine diplomatische Zumutung und gezielte Provokation vorausgegangen, nämlich der Antrag Ernesto Araújos auf Akkreditierung von Juan Guaidós „Botschaftern“ Carlos Vecchio und Isadora Guevara im Namen der brasilianischen UN-Delegation.

Doch dann trat Bolsonaro auf die Redner-Tribüne. „Jair Bolsonaro hatte noch nicht einmal die Hälfte seiner Rede hinter sich und meine WhatsApp-, Signal- und E-Mail-Adressen wurden bereits von Diplomaten und Vertretern internationaler Organisationen bombardiert“, schrieb Jamil Chede vom Nachrichtenportal UOL. „Sie waren allesamt schockiert von dem, was sie hörten. Eine besonders harte Botschaft erhielt ich jedoch von einem der Gipfelvertreter der UN: ´Er (Bolsonaro) hat gerade seine letzte Chance verpasst, respektiert zu werden´, protestierte er. In einer anderen Nachricht fragte ein Vermittler: ´Gibt es etwas Extremeres als diese Weltanschauung?´. Während er sprach, durchstreifte die offizielle UN-Kamera den Plenarsaal, doch nur, um verschlossene und verspannte Gesichter zu registrieren, darunter das von Bundeskanzlerin Angela Merkel”.

Leandro Fortes von der brasilianischen Vereinigung „Journalisten für Demokratie“ forderte:

„Über diese infame Rede von Jair Messias Bolsonaro bei der Eröffnung der Generalversammlung der UN muss noch viel gesagt werden. Es gibt aber keinen Umweg um die Kernfrage: Wir haben einen unqualifizierten Regierungschef. Es ist daher eine zivilisatorische, parteiübergreifende und jetzt, glaube ich, eine planetarische Dringlichkeit geworden, ihn von der Macht zu entfernen.“

Nicht nur der brasilianische Mainstream empörte sich über den Auftritt Bolsonaros. Das internationale Presse-Echo war vernichtend. „Ich bin mir nicht sicher, ob brasilianische Diplomaten selbst in ihren schlimmsten Albträumen sich eine Rede von Bolsonaro auf #UNGA (UN-Generalversammlung) vorgestellt haben, die so arrogant, so voller Galle und wirklich verhängnisvoll für Brasiliens Platz in der Welt ist. #MeDaPenaPorBrasil – Mir tut es für Brasilien leid“, twitterte Tom Phillips, Lateinamerika-Korrespondent des Londoner Guardian.

Die spanische El País kritisierte Bolsonaros “ultranationalistischen Diskurs”. Die französische Le Monde empörte sich über seinen Angriff auf den indigenen Führer Raoni, den er beschuldigte, “von Ausländern manipuliert” worden zu sein. Die Washington Post hinterfragte seine Ablehnung von Amazonas-Bränden, obwohl Beweise für seine “internationale Verurteilung” im letzten Monat vorlagen. Die Rede Bolsonaros war ein Rundumschlag gegen die internationalen Institutionen, die brasilianischen Indianer, den „Sozialismus“, die Regierungen der Arbeiterpartei, Kuba, Venezuela, China – doch in jedem Absatz eine lächerliche Danksagung „an Gott“, die USA und Donald Trump.

Die Rede begann mit einer Attacke auf die Vereinten Nationen. Die UN vertreten keine globalen Interessen, sondern seien ein Raum souveräner Nationen. “Wir sind nicht hier, um Nationalitäten im Namen globaler Interessen aufzugeben”, polterte der Hauptmann a.D. Militarismus, Gott, Komplimente an die Polizei und Drohungen ersetzten Begriffe wie Zivilgesellschaft, demokratischer Raum, Vielfalt, Multilateralismus und das internationale System. Anstatt sich zu Umweltzielen zu verpflichten, ging Bolsonaro zum Angriff über und lehnte die These ab, der Amazonas sei ein Weltkulturerbe. Ohne Namen zu nennen, spielte er auf den „kolonialistischen Geist” Frankreichs an und maßte sich die infame Lüge an, Amazonien sei „praktisch unberührt”.

„Bolsonaro überraschte auch mit seiner Entschuldigung für die (vergangenen) Diktaturen Südamerikas, diesmal ohne Namen. Erfahrene brasilianische Botschafter haben zugegeben, dass das, was er auf der UN-Bühne getan hat, in der demokratischen Ära beispiellos ist … Er begründete den Staatsstreich von 1964 und andere Diktaturen in der Region …“, prangerte Jamil Chede an.

Unter Berufung auf die angebliche Rolle Kubas unterstellte er, die Insel hätte “versucht, die Regierung Brasiliens und anderer Länder zu stürzen. „Zivilisten und Militärs wurden getötet und viele hatten ihren Ruf zerstört. Aber wir haben diesen Krieg gewonnen …“, stotterte Bolsonaro und bespuckte die UN, die ihn für seine Inschutznahme von Diktaturen kritisiert hatte. Ein UN-Vertreter rief dazwischen: „Ich kann nicht glauben, was ich höre!”.

Bolsonaro hielt eine Kriegsrede, gespickt mit Kampfparolen und rückwärtigen Anfeindungen aus den 1960er und 1970er Jahren. Der grelle und lautstarke Auftritt sollte offenbar als Nebelwand zur Verbergung des Wesentlichen dienen: das geplante, skrupellose Überrollen Amazoniens, seiner Menschen und seiner Umwelt.

Die Geheimpläne für Amazonien

Jüngst geleakte, vertrauliche Dokumente und Tonaufzeichnungen belegen Bolsonaros Plan, Amazonas „gegen Chinesen, NGOs und die katholische Kirche” zwangsvoll zu besiedeln. Seit Februar diskutiert das Bolsonaro-Regime insgeheim den größten Besiedlungs- und Entwicklungsplan im Amazonasgebiet seit der Militärdiktatur. Einzelheiten sind Studien des von Militärs kommandierten Staatssekretariats für strategische Angelegenheiten zu entnehmen. Die Militärs arbeiten an einem sogenannten Projekt Barão de Rio Branco, das von einem pensionierten Oberst koordiniert wird und unter dem Vorwand, die Region zu entwickeln und die Nordgrenze des Landes zu schützen, an den alten militärischen Traum von der Besiedlung Amazoniens anknüpft.

Die Nachrichten-Plattform The Intercept Brasil erhielt Zugang zu vertraulichen Dokumenten und Tonaufzeichnungen mit Hinweisen auf Anreize für Großunternehmen und die Anlockung nicht-indigener, weißer Bevölkerungsteile in das Amazonasgebiet. Das Dokument zeigt, dass die Regierung die Erze, das Wasserkraftpotential und das Ackerland der Hochebene von Guyana, die zwischen Amapá, Roraima und Nordpará und Amazonas liegen, als „Reichtum“ ansieht. “Alles praktisch unerforscht”, “weit weg von Zentralbrasilien”, “und von der Küste (sic) bis zum Reichtum des Nordens”, sagt eine Folie.

Die Planungen sehen mittelfristig drei Hauptwerke vor, allesamt im Bundesstaat Pará: ein Wasserkraftwerk in Oriximiná, eine Brücke über den Amazonas in der Stadt Óbidos und die Verlängerung der Fernstraße BR-163 in das nördliche Nachbarland Suriname. Ziel sei „die Integration der nördlichen Amazonas-Mulde von Pará an der Staatsgrenze mit dem produktiven Zentrum des Staates und des übrigen Brasilien“. Die äußerst verarmte und bevölkerungsarme Region wird von mehreren Flüssen durchströmt und ist schwer zugänglich.

In dem Plan wird die BR-163, deren Bau in den 1970er Jahren begonnen wurde, bis zur Nordgrenze Brasiliens verlängert. Sie verbindet die Wasserstraßen und schneidet den Amazonas in Suriname mit dem sogenannten „Kraftzentrum“ des Landes. Wirtschaftspolitisches Ziel sei es, die Sojaproduktion des Mittleren Westens transportfähig zu machen und eine bisherige „Wüstenregion“ zu integrieren, so der Sonderbeauftragte für strategische Angelegenheiten, General Maynard Santa Rosa.

Der Militär a.D., der paranoide Verschwörungstheorien vertritt, wonach die Umweltschützer und die katholische Kirche Amazonien von Brasilien „abtrennen und neue Staatsgebiete gründen“ wollen und dass die brasilianischen Staatsgrenzen im hohen Norden wegen „Bevölkerungsknappheit” gefährdet sind. Da die ehemalige niederländische Kolonie Suriname seit Jahren intensiv mit chinesischen Investitionen gefördert wird, aber auch etlichen tausend Chinesen die Ansiedlung anbot, sehen brasilianische Militärs hinter jedem Amazonas-Baum den leibhaftigen Teufel. Gipfel des konspirativen Seemannsgarns ist: „die chinesische Invasion Amazoniens“. Die Verschwörungstheorie passt bestens in den geopolitischen Kampfplan des State Department und des Pentagon.

Titelbild: BW Press/shutterstock.com


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