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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Der Wahlausgang in NRW
Datum: 7. Mai 2010 um 9:27 Uhr
Rubrik: DIE LINKE, SPD, Wahlen
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Es widerspräche unserer Wertschätzung unserer nordrhein-westfälischen Leserinnen und Leser, Ihnen als mündige und kritische Bürgerinnen und Bürger eine Wahlempfehlung für den kommenden Sonntag zu geben. Wir konnten Ihnen mit unseren Einträgen auf den NachDenkSeiten bestenfalls Argumente für Ihr persönliches Für und Wider bei Ihrer Stimmabgabe anbieten.
Wir bitten Sie allerdings, dass Sie zur Wahl gehen, damit nicht wie bei der letzten Wahl 2005 weniger als zwei Drittel der Wahlberechtigten die Zusammensetzung des Düsseldorfer Landtages bestimmen und nicht wieder weniger als vier Prozent – soviel Prozent der Wahlberechtigten haben FDP gewählt – über die Politik im größten Bundesland wesentlich entscheiden können.
Was wir allerdings tun wollen, das ist, Ihnen unsere Einschätzung über den Wahlausgang zu geben. Sie haben es dann mit Ihrer Stimme selbst in der Hand, unsere Voraussage zu widerlegen. Wolfgang Lieb
Es wird ein langer Wahlabend
Für alle, die am Ergebnis der Landtagswahl interessiert sind, dürfte es am Sonntag ein langer Abend werden, bis die tatsächliche Zahl der Parlamentssitze feststeht und ob eine und vor allem welche regierungsfähige Mehrheit zustande kommt, dürfte auch am Ende noch völlig offen sein.
Die Unsicherheit über die Zahl der Parlamentssitze, die sich aus dem Wahlergebnis für die einzelnen Parteien ergeben, ist im NRW-Wahlrecht begründet. Dieses sieht einen höheren Wahlkreissitzanteil als in jedem anderen Bundesland vor, nämlich mehr als 70 Prozent. Dieser hohe Prozentsatz an Direktmandaten macht Überhangmandate zur Regel. Zwar ist die Mindestzahl der Parlamentssitze auf 181 reduziert worden, davon werden 128 Mandate in Einerwahlkreisen nach relativer Mehrheitswahl und die restlichen je nach dem Stimmenanteil der Parteien nach Listen vergeben. Erstmals bei einer Landtagswahl in NRW gibt es zwei Stimmen, eine Erststimme für den Direktkandidaten und eine Zweitstimme für eine Partei.
Die Zahl der Überhangmandate erhöht sich vor allem deshalb, weil die großen Parteien in den letzten Jahren immer weniger Stimmen erhalten, aber mit relativer (kleiner) Mehrheit ein Direktmandat erringen. So kann ein Kandidat oder eine Kandidatin schon mit 30 Prozent einen Parlamentsitz erringen. Die Zahl der Ausgleichsmandate kann also erst errechnet werden, wenn in allen Wahlkreisen klar ist, wer die relative Mehrheit erreicht hat. Dann erst steht fest wie viele Aussgleichsmandate anfallen, damit der Stimmenanteil der einzelnen Parteien sich mathematisch in der Zahl der Sitze abgebildet wird. Die Zahl von 181 Sitzen im Düsseldorfer Landtag kann also weit überschritten werden.
Es ist zu erwarten, dass insbesondere die CDU vom Stimmensplitting der FDP-Wähler profitieren wird und dass die SPD sich nicht so stark auf die Erststimmen von Zweitstimmen-Wähler/innen der Grünen und der LINKE verlassen kann. In NRW werden jedoch – anders als bisher beim Bund – alle Überhangmandate (der durch relative Mehrheit direkt Gewählten) ausgeglichen. Der tatsächliche Wählerwille gegenüber den Parteien, der sich in der Zweitstimme ausgedrückt wird also nicht – wie das z.B. in Schleswig-Holstein geschehen ist – verfälscht.
Wackelpartie für die LINKE
Der zweite Grund, warum es einen langen Wahlabend geben könnte, liegt in der Frage, ob die erstmals antretende LINKE über die Fünf-Prozent-Klausel kommt.
Der Trend der Umfrageergebnisse für die Linkspartei ist in den letzten Monaten rückläufig. Während ihr die Umfragen im letzten Jahr noch ein zweistelliges Ergebnis zutrauten, sagen die jüngsten Erhebungen nur noch Werte um oder knapp über 5 Prozent voraus.
Nun war es zwar bei anderen Wahlen so, dass die Linke tatsächlich meist besser abgeschnitten hat, als vorher in Umfragen ermittelt wurde, aber vermutlich hat der krankheitsbedingte Rückzug von Oskar Lafontaine vom Parteivorsitz der Linken die Strahlkraft dieser Partei gerade im Westen ein Stück Weit eingebüßt. Die Förderschullehrerin Bärbel Beuermann und der ver.di-Bezirksvorsitzende Wolfgang Zimmermann konnten als Spitzenkandidaten nur geringe Publizität erreichen. Das lag natürlich auch an der Medienbarriere. „Muss Bärbel Beuermann nackt einen Molotowcocktail auf die Düsseldorfer Staatskanzlei werfen?“ titelte Telepolis einen Bericht über das Verschweigen der Kandidaten in den Medien. Außerdem wurde etwa die Forderung nach einer Entkriminalisierung der „weichen“ illegalen Drogen, wie in den Niederlanden, in der Öffentlichkeit genüsslich und polemisch ausgeschlachtet. Die Forderung im Wahlprogramm nach einer „Überführung der Energiekonzerne RWE und E.ON in öffentliche Hand und ihre demokratische Kontrolle“ wurde als Vorschlag von „kommunistischen Wirrköpfen“ (Rüttgers) abgetan. Zudem gab es innere Rangeleien in dieser Partei, die Schlagzeilen machten.
Hannelore Kraft hat den DGB-Landesvorsitzenden in ihr Schattenkabinett geholt und es dadurch geschafft, enttäuschte Gewerkschafter wieder stärker an die SPD zu binden. Außerdem hat sie durch die Verweigerung einer kompletten Absage an die Linke Hoffnungen bei jenen geweckt, die sonst aus Protest diese Partei gewählt hätten.
Der Einzug ins Parlament des größten Bundeslandes könnte für DIE LINKE also knapp werden und es könnte bis in den späten Abend dauern, bis Klarheit besteht.
Neuauflage von Schwarz-Gelb unwahrscheinlich
Sollte die Linke an der 5-Prozentklausel scheitern, dann würde es am Ende dieses Abends noch spannend. Die Koalitionsmöglichkeiten wären dann Schwarz-Gelb, Schwarz-Grün oder eine große Koalition unter Führung der CDU mit der SPD.
Dass es zu einer Neuauflage von Schwarz-Gelb käme, ist am unwahrscheinlichsten. Rüttgers wird erhebliche Einbußen hinnehmen müssen. Das ist auf den bundesweiten Trend für die CDU zurückzuführen, der vor allem von Berlin bestimmt wird aber auch auf die Vielzahl der Affären, die aus dem Inneren der NRW-CDU angezettelt worden sind.
Wenn die Linke außen vor bleibt, könnte es zu einer ganz knappen Mehrheit mit 45 bis 46% für Rüttgers und Pinkwart ausreichen. Weil es weniger Ausgleichsmandate gäbe, wenn die Linke außen vor bliebe, könnte Schwarz-Gelb eine äußerst knappen Mehrheit der Parlamentssitze schaffen.
Zu einer Fortsetzung von Schwarz-Gelb dürfte es aber wohl kaum kommen. Die FDP ist in der Tendenz deutlich abgesagt. Hatte sie im letzten Jahr fast durchweg zweistellige Werte, so hat neben der CDU vor allem auch die FDP aufgrund des „Fehlstarts“ der neuen Bundesregierung deutlich an Zustimmung verloren. Auch die unglaubwürdige Steuersenkungskampagne und die erkennbar gewordene Klientelpolitik der FDP (Senkung der Mehrwertsteuer für Hoteliers) vor allem aber auch die Attacken von Westerwelle auf den Sozialstaat („spätrömische Dekadenz“), haben die Werte für die FDP in kurzer Zeit fast halbiert.
Interessant dürfte eigentlich nur noch sein, wie viele CDU-Wähler ihre Zweitstimme der FDP „verleihen“, um die derzeit regierende Koalition zu sichern. Solche Stimmen gingen jedoch zu Lasten der CDU und ergäben ein Nullsummenspiel.
Sicher ist, dass dem derzeitigen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers Schwarz-Gelb am liebsten wäre, dann könnte er nämlich auch in Zukunft öffentlich weiter als „soziales Gewissen“ oder gar als „Arbeiterführer“ auftreten und am Kabinettstisch (unter Koalitionszwang) knallharte FDP-Positionen absegnen.
Dieses Doppelspiel würde mit keiner anderen Koalition so gut gelingen, da würde seinen konservativen und wirtschaftsliberalen Positionen viel erkennbarer werden – was vor allem im Ruhrgebiet nicht so gut ankommt.
Kommt die Linke ins Parlament, wird Schwarz-Gelb unmöglich
Es mag paradox erscheinen, aber eine Fortsetzung von Schwarz-Gelb wäre unmöglich, wenn die Partei DIE LINKE in den nordrhein-westfälischen Landtag einziehen würde. Dann hätten Rüttgers und Pinkwart auf keinen Fall eine Regierungsmehrheit. Der Einzug der Linken würde also so oder so zu einer neuen Koalitionsbildung führen müssen, sei es Schwarz-Grün oder sei es eine große Koalition von CDU und SPD. Die FDP hat Jamaika selbst ausgeschlossen.
Das Paradoxe dabei wäre, dass die CDU mit ihrer zentralen Wahlthema, nämlich das Schüren von Ängsten gegen Rot-Rot-Grün, die Linke selbst ins Zentrum der Wahlauseinandersetzung gestellt hat und ihr dadurch mehr Aufmerksamkeit verschaffte als es diese Partei selbst hätte schaffen können. Noch gestern hat Rüttgers in einer als persönlichem Brief an alle Haushalte gestaltete Postwurfsendung die „Bedrohung“ durch die Linkspartei als wichtigstes Argument für eine Stimmabgabe für die CDU gebraucht. „Zum ersten Mal droht unserem Land eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei“, heißt es dort.
Die Wahrscheinlichste Koalition ist Schwarz-Grün
Unabhängig davon, ob die Linke im Düsseldorfer Parlament vertreten sein wird oder nicht, ist die wahrscheinlichste Koalition Schwarz-Grün. Die Grünen haben im letzten halben Jahr bei den Umfragen in der Tendenz deutlich zugelegt und lagen stabil über 10 Prozent. Zusammen könnten diese beiden Parteien zumindest eine Mehrheit der Parlamentssitze erreichen.
Weder Jürgen Rüttgers, noch „everybody`s darling“ Sylvia Löhrmann (die Spitzenkandidatin der Grünen) schlossen ein solches Experiment im Industrieland NRW aus.
Gemessen an ihren Wahlprogrammen sind CDU und Grüne zwar in vielen Punkten geradezu kontrovers – vor allem in der Schul- und Energiepolitik. Doch erstens ist ja Jürgen Rüttgers für seine Anpassungsfähigkeit bekannt und zweitens hat man ja in Hamburg und im Saarland gesehen, wie kompromissfähig die Grünen selbst bei ihrem „Markenkern“ sind. Und im Übrigen ist es durchaus denkbar, dass die CDU bei der Entscheidung zwischen der Beibehaltung des dreigliedrigen Schulsystems und einem möglichen Kompromiss mit der von den Grünen propagierten „Vielfaltsschule von unten“ auf eine Volksbefragung wie in Hamburg setzt. Atomkraftwerke spielen in NRW ohnehin keine Rolle, weil es keine mehr gibt, und über das umstrittene Kohlekraftwerk in Datteln entscheiden sowieso letztlich die Gerichte.
Schwarz-Grüne Erfahrungen gab es in NRW schon in vielen Städten und Landschaftsverbänden. Sicherlich gibt es in der Bildungs-, Sozial-, Umwelt- und Arbeitsmarktpolitik mehr programmatische Gemeinsamkeiten der Grünen mit der SPD. Doch im kollektiven Gedächtnis vieler Grünenpolitiker sitzen nach wie vor die Demütigungen im Nacken, die sie unter Wolfgang Clement und Peer Steinbrück in einer Koalition mit der SPD einstecken mussten. Widerstände von der „Basis“ der Grünen gegen ein Zusammengehen mit Rüttgers wären sicherlich zu erwarten, aber sie wären – wie in Hamburg und im Saarland – überwindbar.
Auch die Führung in der Bundespartei der Grünen würde kaum dagegen arbeiten, eröffnete sich doch damit für diese Partei auch eine neue Machtoption in Berlin.
Rot-Grün alleine würde bei einem Einzug der Linken ins Parlament ohnehin keine eigene Mehrheit erreichen und ohne die Linke wäre eine Mehrheit von SPD und Grünen gegenüber Schwarz-Gelb hauchdünn. In vielen Fragen der Energie- und Industriepolitik käme es zudem in dieser Koalition zu tiefgreifenden Belastungsproben mit der SPD-intern nach wie vor einflussreichen und gut organisierten „Kohlefraktion“. Die CDU erscheint vielen Grünen auf diesen Politikfeldern „flexibler“ als die SPD.
Rot-Grün nicht ausgeschlossen
Dennoch sollte Rot-Grün (ohne die Linke im Parlament) die Nase vorne haben, könnte es zu einer Koalition vor allem deshalb kommen, weil es in der SPD große Vorbehalte gegen eine große Koalition mit der CDU gibt. Nach Umfragen wird auch in der Bevölkerung eine rot-grünes Bündnis favorisiert. Bei den Abgeordneten der SPD aus den ländlichen Wahlkreisen, wo die Sozialdemokraten seit vielen Jahren in Opposition zu den „Schwarzen“ stehen gibt es jedoch starke Abgrenzungstendenzen. Hinzu kommt, dass es viele in der SPD gibt, die die bittere Erfahrung noch in Erinnerung haben, dass eine große Koalition den Sozialdemokraten das Wasser abgräbt. 23 Prozent bei der Bundestagswahl, das schlechteste Wahlergebnis nach dem Krieg, war eine Ohrfeige, die noch brennt.
Buhlen um eine Koalition mit der CDU
Trotz dieser Vorbehalte spricht Vieles dafür, dass die SPD insgeheim gegen die Grünen um eine Koalition mit der CDU buhlen wird. Das stärkt – nebenbei – die Verhandlungsmacht der CDU in den zu erwartenden Koalitionsgesprächen mit SPD und Grünen und wird bei diesen beiden Parteien „die Preise senken“.
In der SPD könnte es eine Koalition zwischen dem rechten Wirtschaftsflügel und Gewerkschaften (DGB, IG BCE und auch IG Metall) für eine große Koalition geben. Vor allem die Machtpragmatiker in diesen Kreisen rechnen sich dabei eine Chance aus, über den Bundesrat wieder am Berliner Kabinettstisch mitspielen zu können. Diese Hoffnung ist bis in die Spitze des DGB weitverbreitet. Wie weit die Kompromissbereitschaft der Gewerkschaften geht, belegt der SPD-Schattenarbeitsminister und DGB-Landesvorsitzende, Guntram Schneider, der sogar öffentlich die innovative Arbeit des FDP-Hardliners Andreas Pinkwart rühmte.
Auch in der CDU dürfte es keine Widerstände gegen ein Zusammengehen mit der SPD geben. Der CDU-Bundesvorsitzende Angelika Merkel dürfte es angesichts der „disziplinierten“ Sozialdemokraten in ihrem vorigen Kabinett ganz Recht sein, wenn das politische Gewicht der FDP ein Stück weit abnimmt.
Rot-Rot-Grün wird es nicht geben
Zu einer rot-rot-grünen Koalition wird es nicht kommen. Da würde der rechte Flügel der SPD niemals mitmachen. Es würde zu „hessischen Verhältnissen“ kommen, nur dass in NRW die Rechte noch einflussreicher ist als im hessischen Landesverband. Hannelore Kraft dürfte zwar besser abschneiden, als viele erwartet haben, sie wird aber nicht als strahlende Gewinnerin – wie damals Andrea Ypsilanti – wahrgenommen, die die Partei insgesamt mitziehen könnte. Vielleicht wird man mit der Linken sprechen, aber allenfalls als Warnschuss an die CDU.
Im Übrigen gäbe es, so wie die Presselandschaft auch in NRW gestrickt ist, geradezu ein Trommelfeuer gegen die Spitzenkandidatin Hannelore Kraft und viele Genossen bis hinein in die Spitze der Bundespartei, würden ihr die Unterstützung entziehen, im Gegenteil sie würden Widerstand schüren.
Fazit:
Anmerkung: Wenn ich mich geirrt haben sollte, werde ich am Montag Abbitte leisten.
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