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Titel: Die nur scheinbar naive Weltsicht der Annegret Kramp-Karrenbauer
Datum: 26. August 2019 um 12:20 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufrüstung, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Medienkritik, Militäreinsätze/Kriege, PR
Verantwortlich: Tobias Riegel
Vorgetäuschte Naivität, Verkürzungen und mutmaßliche Verdrehungen – mit diesen Stilmitteln präsentiert sich die CDU-Chefin und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in einem großen aktuellen Interview. Das Handeln der Politikerin ist nachvollziehbar, aber die von den Medien bereitete unkritische Bühne ist skandalös. Von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Die kontroverse These von einem „Aufrüstungsmatriarchat“, bei dem Soldaten nicht mehr von offensichtlichen Kriegstreibern, sondern „von naiv-unbedarft aussehenden Damen mittleren Alters in die Kampfeinsätze geschickt“ würden, vertritt Leo Ensel in einem aktuellen Text. Als wollte die CDU-Chefin und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) dieses Gedankenspiel belegen, hat sie sich in einem großen aktuellen Interview mit dem Deutschlandfunk (DLF) vorgetäuschter Naivität, massiver Verkürzungen und mutmaßlicher Verdrehungen bedient. Diese verharmlosenden und nur scheinbar „unbedarften“ Stilmittel wendet sie bei allen zentralen Themen wie Kampfeinsätze, Rüstung und Verhältnis zur AfD an.
Der DLF bereitet ihr für diese Selbstdarstellung die passende unkritische Bühne – von einem solch sanften journalistischen Umgang können Politiker der LINKEN nur träumen. Natürlich böte fast jede Antwort AKKs Ansatzpunkte für kritisches Nachfragen – doch der öffentlich-rechtliche Sender lässt die CDU-Vorsitzende ein ums andere Mal gewähren. Das Handeln der Politikerin ist darum zwar unangenehm, aber nachvollziehbar – der Skandal ist eher die Zahmheit der Medien.
Die Bundeswehr auf einem guten „Pfad“?
So darf AKK unwidersprochen behaupten, bei der Verabschiedung Ursula von der Leyens sei „einmal in der Gesamtschau deutlich geworden“, wie „groß die Trendwende ist, die die Bundeswehr unter ihrer Leitung auch seit 2014 eingeleitet hat und wie dieser Pfad vorgezeichnet ist, der jetzt eben konsequent und noch schneller als bisher auch umgesetzt werden muss“. So funktioniert mutmaßliche Geschichtsklitterung, wenn die Journalisten nicht auf die zahlreichen Skandale während der Amtszeit von der Leyens hinweisen – und darauf, dass aus diesen Gründen keineswegs von einem „Pfad“ zu sprechen ist, der „jetzt eben konsequent und noch schneller als bisher auch umgesetzt werden muss“.
Das Stilmittel der nur vorgetäuschten Naivität wendet AKK bei den Themen Auslandseinsätze, Rüstung und USA an – auch das ist der Politikerin nur möglich, weil keine kritischen Nachfragen folgen. Dass AKK und die CDU den Bundeswehreinsatz im Irak fortsetzen möchten, ist kein Geheimnis:
„Das heißt, wir stehen vor der Situation, dass wir aus meiner Sicht ein neues Mandat aufsetzen müssen, denn das will ich vorwegschicken, ich bin der festen Überzeugung, dass wir auch weiter in der Region präsent sein sollten und uns engagieren sollten.“
Wie ein Auslandseinsatz verlängert werden soll
Warum aber sollten „wir“ uns dort „engagieren“? AKK formuliert das so:
„Jetzt sehen wir, dass mit Blick auf das Thema Luftaufklärung diese Luftaufklärung und die hoch spezialisierten Auswerter, die wir stellen, deswegen gebraucht werden, um die letzten Schlupflöcher der IS-Terroristen in weit entlegenen Gebieten ausfindig machen zu können.“
Denn der IS sei “nicht so durchgreifend geschlagen“ wie angenommen:
„(…) und auch durch die Tatsache, dass der IS, und das ist eine Erkenntnis aus der Region, sich durchaus schneller wieder erholt und nicht so durchgreifend geschlagen ist, wie man das vielleicht noch vor einem Jahr gedacht hat, dass diese Erkenntnisse jetzt eben auch noch mal dazukommen und deswegen muss man die Lage jetzt aus meiner Sicht eben auch noch mal bewerten.“
Der Mythos von der „multilateralen“ NATO
Diese, wie gesagt, vorgetäuscht naiven und zudem höchst ungenauen Äußerungen müssten der Politikerin von kritischen Journalisten eigentlich um die Ohren gehauen werden – gerade, wenn es um Fragen von Leben und Tod geht. Doch der DLF enttäuscht hier ebenso wie bei den Themen Rüstung und USA. Auch beim Thema NATO kommt wieder die Strategie der scheinbaren Unwissenheit zum Zuge, etwa wenn dem eindeutig von den USA dominierten „Verteidigungsbündnis“ ein „multilateraler“ Charakter unterstellt wird:
„Dann ist die NATO natürlich auch ein Ausdruck von Multilateralismus, denn es ist nicht nur die Beziehung bilateral zu den Vereinigten Staaten, sondern es ist ein Bündnis von vielen Ländern.“
Dieser falsche Mythos von der Gleichberechtigung unter den NATO-Mitgliedern wird anschließend für Rüstungs-Werbung missbraucht:
„Wir können nicht auf der einen Seite sagen, wir sind für Multilateralismus, wir sind dafür, dass Vereinbarungen und Verträge, die man geschlossen hat, auch eingehalten werden, und auf der anderen Seite, dort, wo wir das getan haben, diese Vereinbarungen dann einfach zur Seite legen.“
Der Mythos von der „deutsch-amerikanischen Freundschaft“
Auf den Hinweis, dass zur Erfüllung der NATO-Rüstung in den nächsten Jahren „Dutzende von Milliarden beim Finanzminister eingefordert“ werden müssen, sagt die CDU-Chefin lapidar: „Das ist in der Tat so. Diese 1,5 Prozent sind ja keine Erfindung jetzt nur des Verteidigungsministeriums.“ Zusätzlich darf AKK zur moralischen Unterfütterung der Aufrüstung den längst entlarvten Mythos einer „deutsch-amerikanischen Freundschaft“ aufwärmen:
„Man darf nie vergessen, dass ein Teil unserer Sicherheit eben vor allen Dingen gewährleistet wird durch die NATO und dort insbesondere auch durch die transatlantische Freundschaft und die transatlantischen Beziehungen, und das ist tiefer und geht weiter als die aktuellen Einlassungen des amerikanischen Präsidenten.“
Die AfD und AKKs Pseudo-Naivität
Eine angebliche Naivität schützt AKK mutmaßlich auch beim Thema AfD vor: Nun, da das Kind längst in den Brunnen gefallen ist, fordert die CDU-Chefin, „eben auch noch mal zu schauen oder zu sehen, was sind die Gründe von Bürgerinnen und Bürgern, die AfD zu unterstützen“. Hoffnung auf eine wirksame Anti-AfD-Strategie der CDU sollte man sich angesichts des Interviews jedenfalls nicht machen – zumal eine Anti-AfD-Strategie vor allem soziale Ausgaben forcieren müsste, was mit der CDU mutmaßlich nicht zu machen ist. Dementsprechend verschwurbelt klingen AKKs Einlassungen dazu:
„Bei der Auseinandersetzung der AfD gilt es sehr grundsätzlich,
dass es in diesem Bestand derjenigen, die die AfD unterstützen und stark machen, eben auch die Gruppe derjenigen gibt, die von Verlustängsten geplagt sind oder wirkliche soziale oder wirtschaftliche Probleme haben, und das ist genau die Gruppe, bei der sozusagen die CDU auch mit ihrer Politik wirklich auch überzeugen kann.“
Für die Normalisierung des Militärischen
Besondere Momente als Verteidigungsministerin seien das Gelöbnis zum 20. Juli und der große Zapfenstreich zur Verabschiedung von Ursula von der Leyen gewesen, sagt AKK im Interview. Allgemein scheint sie dem Militärischen einen größeren Platz im öffentlichen Raum reservieren zu wollen. Zu dieser „Normalisierung“ der Bundeswehr gegenüber der Öffentlichkeit gehört auch der infame Plan der Deutschen Bahn, Uniformträger künftig gratis zu befördern. Jens Berger hat zu diesem Vorgang bereits geschrieben:
„So zahlt der Bürger ein Projekt, das offenkundig vor allem als PR-Kampagne für die CDU-Vorsitzende und neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer lanciert wurde.“
Als Fazit sei ein Artikel von Albrecht Müller zur Berufung AKKs und von der Leyens zitiert, der diesen Moment als das bezeichnet, was er ist: ein schwarzer Tag:
„Gestern ist von der Leyen zur Kommissionspräsidentin der Europäischen Union gewählt worden. Und gleichzeitig wurde bekannt, dass Kramp-Karrenbauer die Nachfolgerin als Verteidigungsministerin werden soll. Das ist zusammengenommen der fundamentale Beleg der Militarisierung der Europäischen Union und Deutschlands. Deshalb ist der 16. Juli 2019 ein wirklich schwarzer Tag.”
Titelbild: Shutterstock / Foto-berlin.net
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