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Titel: Verschuldungskrisen in der EU – eine Herausforderung für alle Mitgliedstaaten

Datum: 30. April 2010 um 9:09 Uhr
Rubrik: Finanzkrise, Schulden - Sparen, Wettbewerbsfähigkeit
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Die Verschuldungskrise Griechenlands ist im Hinblick auf die Ungleichgewichte in der EU die Spitze eines Eisberges. Die Art, wie die EU Griechenland helfen wird, dürfte ihr Verhalten in künftigen Krisenfällen vorprägen. Dessen sind sich die Akteure bewusst. Von Joseph Fischer*

Selbstverständlich muss Griechenland auch selber einen entscheidenden Beitrag zur Überwindung der Schuldenkrise leisten. Diskutiert wird auch eine weitergehende Forderung, die darauf hinauslaufen würde, Griechenland jede Hilfe zu verweigern. Ein Staatsbankrot wäre dann nicht zu vermeiden.

Das würde nicht nur die ökonomische Stabilität, sondern auch das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der EU grundlegend beschädigen. Die Gläubiger Griechenlands, vor allem europäische Banken, müssten erneut hohe Summen abschreiben. Eine zweite Finanzmarktkrise in kurzer Zeitfolge ließe sich dann nur schwer eindämmen – mit dramatischen Folgen für Wachstum und Beschäftigung in der EU.

Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion würde in jedem Falle von Anfang an ein nicht beherrschbares Chaos auslösen. Eine abgeschlagene Währung eines bankrotten, relativ kleinen Landes kann keine Geldfunktion erfüllen.

D.h. die EU-Länder haben alle ein Interesse daran, einen ökonomischen Zusammenbruch Griechenlands abzuwenden. Diesem Ziel dienen die Kredithilfen, die von der EU und dem IWF in Aussicht gestellt wurden. Der erkennbare Kreditbedarf Griechenlands steigt fast täglich dramatisch an. Jetzt ist schnelles Handeln unbedingt nötig.

Spätestens hier stellt sich die Frage, ob Griechenland gleichzeitig relativ hohe Zinsen zahlen, die Schulden abbauen und bei einem extremen Sparkurs auch noch seine internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessern kann. Das ist mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht der Fall. Damit befassen sich die EU-Länder bisher nicht.

Bisher lehnen es die EU- Partnerländer ab, mehr als Kredithilfen für Griechenland zu leisten. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Einem Partnerland aus einer weitgehend selbstverschuldeten Krise mit Milliardenbeträgen zu helfen, ist unpopulär. Lavieren ist daher immer noch fester Bestandteil der deutschen Verhandlungsposition. Der Bundesfinanzminister vermittelt immer noch den Eindruck, es gehe bei den Hilfen nur um Bürgschaften und voraussichtlich nicht um Steuergelder. Ein Kuriosum ist in diesem Zusammenhang die Erwartung der Bundesregierung, dass sie für eine deutsche Kredithilfe an Griechenland einen höheren Zins erhielte, als sie selber für eine entsprechende Anleihe auf den Finanzmärkten zahlen müsste.

Gestützt wird die restriktive Haltung der EU-Länder durch die EU-Verträge. Entstehen Ungleichgewichte, greift die EU erst dann – mit Sanktionen – ein, wenn ein Mitgliedstaat die Schuldenschwellen von 3% des BIP bei der Neuverschuldung und von 60% des BIP beim Schuldenstand überschreitet. Dieses Instrument greift zu spät und ist in der Regel nicht effektiv genug. So wird niemand in finanziellen Sanktionen einen Beitrag zur Lösung der Verschuldungskrise Griechenlands sehen.

Krisen ließen sich eher vermeiden, wenn die EU früher gemeinsam handeln könnte. Das setzte voraus, dass die EU-Mitgliedstaaten ihre Autonomie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu Gunsten einer effektiveren Koordinierung lockern würden. Dazu fehlt die Bereitschaft. Das geht so weit, dass die Mitgliedstaaten es vorziehen, den IWF mit Griechenland die Auflagen zu den Kredithilfen aushandeln zu lassen, statt EU-intern derart in die Politik eines Mitgliedstaates einzugreifen.

Neben den Kredithilfen ist also eine effektive Zusammenarbeit der EU-Länder vor allem im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik die zweite Voraussetzung dafür, Krisen zu vermeiden und im aktuellen Fall zu helfen.

Zu Beginn der Gespräche über die Hilfen für Griechenland hat die französische Wirtschafts- und Finanzministerin, Frau Christine Lagarde, einen Stein ins Wasser geworfen. Sie machte Deutschland wegen seiner relativ niedrigen Inlandsnachfrage, insbesondere der niedrigen Lohnstückkosten, und seiner Jahr für Jahr hohen Leistungsbilanzüberschüsse mit verantwortlich für die Wachstumsschwäche der Defizitländer in der EU und insoweit auch für die Verschuldungskrise Griechenlands. Die Reaktion in Deutschland war reflexartig und lief auf die Empfehlung hinaus, die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse als vorbildlich
zu betrachten. Wichtige Tatbestände blieben unerwähnt.

Einem Leistungsbilanzüberschuss stehen zwangsläufig Defizite der Partnerländer in gleicher Höhe gegenüber. Tatsächlich liegt die Vermutung nahe, dass die Schwäche der Inlandsnachfrage in Deutschland zu den Exporterfolgen beiträgt. Der ständige Hinweis auf die Folgen der Globalisierung löste Ängste aus und machte die Forderung, wir müssten den Gürtel enger schnallen, glaubwürdig. Dabei bleibt unerwähnt, dass Leistungsbilanzüberschüsse eine Schwäche der Inlandsnachfrage in der Regel nicht ausgleichen können. Von vorbildlich kann also keine Rede sein.

Im Hinblick auf die Nachfrageseite wirken positive Salden expansiv und negative Salden kontraktiv. Bei der Güterversorgung sind die Effekte umgekehrt verteilt. Ein Land mit Importüberschüssen bezieht mehr Güter von einem Land mit Exportüberschüssen als es dorthin exportiert; es hat insoweit die Chance durch den Import von Investitionsgüten, mit Hilfe des Partnerlandes sein Produktionspotential auszubauen. Das Exportüberschussland „spart“ für den schwächeren Partner und verzichtet auf sofortigen Konsum oder Investitionen in entsprechender Höhe.

Kein Land kann ein Interesse daran haben, dauerhaft einen hohen – negativen oder positiven – Leistungsbilanzsaldo zu erzielen.

Zusammengefasst heißt das:

  • Zu den Kredithilfen für Griechenland gibt es keine realistische Alternative.
  • Es ist eine zentrale Aufgabe der EU, die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedstaaten abzubauen und damit auch Griechenland zu helfen.
  • Die Koordinierungsinstrumente der EU haben versagt. Sie erfassen Fehlentwicklungen zu spät und sind nicht effektiv genug.
  • Entscheidend wird sein, inwieweit es gelingt, die Wirtschafts- und Finanzpolitik der EU-Länder besser zu koordinieren.

Anfang der 60er Jahre hat R. A. Mundell die Grundlage für die Theorie der optimalen Währungsräume geschaffen. Sein Einfluss auf die tatsächlichen währungspolitischen Parzellierungs- und Integrationsbestrebungen war wohl gering. Ein Ergebnis der Theorie ist beachtenswert: Die Mitglieder eines Währungsraumes müssen die Ergebnisse des Marktprozesses entweder hinnehmen oder die Lösung von Regionalproblemen, als gemeinsame Aufgabe betrachten, die mit strukturpolitischen Maßnahmen zu bewältigen ist.

* Der Autor, Dr. Josef Fischer, war Staatssekretär im Ministerium für Wirtschdaft und Arbeit des Landes NRW.


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