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Titel: Politbarometer sieht SPD weiter im Tief: 28 Prozent zu 48 Prozent für CDU/CSU bei der “Sonntagsfrage”. Ist dieses Dauertief ein Rätsel?
Datum: 18. Januar 2004 um 17:59 Uhr
Rubrik: Soziale Gerechtigkeit, SPD, Wahlen
Verantwortlich: Albrecht Müller
Für Sozialdemokraten und wohl auch für die SPD-Führung ist die Tatsache, dass die SPD unter der 30 Prozent Marke hängen bleibt, bedrückend. Hat man doch zumindest bei der SPD-Spitze gehofft, die Durchsetzung des Reformpakets der Agenda 2010 würde sich auch in verbesserten Umfragewerten niederschlagen. Diese Hoffnung war eigentlich nicht verständlich. Das Verharren der SPD auf niedrigem Niveau ist erklärbar; nicht verständlich ist – ohne genaues Hinsehen – das hohe Niveau der CDU/CSU.
Die SPD ist das Opfer
Unter der Rubrik “Veröffentlichungen der Herausgeber” finden Sie unter dem Datum vom 27. Mai 2002 einen Beitrag mit dem Titel “Sozialdemokraten haben sich als gestaltende Kraft verabschiedet”. Dieser Beitrag behandelt die Entwicklung in der europäischen Sozialdemokratie und den Verlust der Macht in den meisten Ländern Europas. Er hat seitdem nicht an Aktualität eingebüßt.
In Stichworten hier noch einige ergänzende Anmerkungen zu den Ursachen der aktuellen schlechten Werte für die SPD und die guten für die Union, wie sie im Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen vom 16.1.04 wieder einmal belegt werden:
Zunächst der Hinweis auf eine Reihe von Ereignissen und Entscheidungen der SPD-Führung, die ihr Wählerpotential und vor allem aber ihre engeren Anhänger, Mitglieder und Multiplikatoren irritieren und sogar davon treiben, wie die sinkende Mitgliederzahl belegt:
Die bei den Umfragen gleichzeitig erkennbare Neigung, es für gleichgültig zu halten, wer regiert (nur noch 34% sehen einen großen Unterschied), ist die andere Konsequenz aus der Unzufriedenheit mit der Richtung der Politik und ihrer mangelnden Professionalität.
Die Wahl 2002 hatte die SPD zusammen mit den Grünen auch deshalb noch einmal gewonnen, weil sie glaubhaft Front machte gegen die Beteiligung am Krieg im Irak und weil sie im Bereich des Sozialen andere Akzente gesetzt hatte als die Union. Die SPD hat damit die Vertreter der Arbeitnehmerschaft und die gewerkschaftlich organisierten und interessierten Wähler auf ihre Seite gebracht. Der zuletzt erwähnte Grund für den damaligen Erfolg ist mit der Agenda 2010 in weitem Maße verspielt worden. Jetzt läuft die SPD-Führung Gefahr, auch noch ihr Potential bei den Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die skeptisch sind gegenüber militärischen Interventionen als einem Mittel zur Lösung von internationalen Konflikten, zu verspielen. Viele verstehen nicht, warum sich die Bundesregierung jetzt im Irak doch noch beteiligen will und warum sie ihren Widerstand gegen eine Beteiligung der NATO im Irak aufzugeben scheint. Als argloser Betrachter gewinnt man den Eindruck, die SPD-Führung legt es geradezu darauf an, die kommenden Europawahlen (13.6.04), die Landtagswahlen in Hamburg (29.2.04), in Thüringen (13.6.04), im Saarland (5.9.04), in Brandenburg (19.9.04), in Sachsen (19.9.04) und die wichtige Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen (26.9.04) usw. zu verlieren.
Wenn die SPD-Spitze wieder Wahlen gewinnen will, dann muss sie ihren Kurs korrigieren:
Sie muss klare friedenspolitische Akzente setzen, der Bundeskanzler hat eine so tolle Chance, Wortführer eines unabhängigen Europa, des alten Europa, zu sein und zu bleiben. Hier geht es nicht um Fragen des Images sondern um handfeste Fragen der Gestaltung der internationalen Ordnung in Konkurrenz zu den Ideologien der jetzigen Führung der Vereinigten Staaten von Amerika. Hier könnte sich Gerhard Schröder wirklich einen Namen machen, nachhaltig und glaubwürdig. Stattdessen gibt man der Union die Möglichkeit, ein Einschwenken der Bundesregierung auf die Linie der CDU/CSU festzustellen.
Sie müsste deutlich und klar und offensiv das Scheitern der seit nunmehr zwanzig Jahren praktizierten neoliberalen Rezepte feststellen. Dies festzustellen wäre für sie nicht einfach, weil sie sich in den letzten vier Jahren auf diese Ideologie eingelassen hat. Aber es bleibt der SPD-Führung in der Sache und auch propagandistisch gar keine andere Wahl. In der Sache nicht, weil die neoliberale Ideologie uns immer tiefer in ökonomische Schwierigkeiten bringt, propagandistisch hat sie keine andere Wahl als die Umkehr, weil sie im heutigen Zustand nur als das kopierende Anhängsel der konservativen Kräfte in Deutschland erscheint. Und weil sie mit „halben Sachen“ in der Auseinandersetzung mit Solbes und der Mehrheit der EU-Kommission um die Auslegung der Maastricht-Kriterien nicht die nötige Offensivität entfalten kann.
Sie müsste klare soziale Akzente setzen, sich aus der Klammer des neoliberalen Reformgeredes lösen, sie müsste die Stärken unseres bisherigen Sozialstaatsmodell und auch die Stärken unserer Volkswirtschaft betonen, statt sich wie bisher immer einen Strukturreformbedarf einreden zulassen, und sie müsste sich für eine gerechtere Verteilung der Einkommen einsetzen. Die Selbstbedienung vieler Unternehmensleitungen ist inzwischen so skandalös, dass eine SPD an diesem Thema nicht mehr vorbeigehen und es bei verbalen Kritiken nicht belassen kann.
Sie müsste vor allem offensiver sein gegenüber der Opposition. Heute ist bei vielen Wählerinnen und Wählern ja gar nicht mehr klar, wo der Unterschied zwischen SPD auf der einen Seite und CDU/CSU und FDP auf der andern Seite liegt (siehe oben). Es ist zu verstehen, dass in der jetzigen Konstellation der Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat Kompromisse notwendig sind. Aber gerade wenn das so ist, muss man ja das eigene Profil schärfen und zeigen und darf nicht vorher schon die Kompromisse in der Formulierung der eigenen Position gemacht haben. Für einen offensiveren Umgang spricht auch ein banaler fast schon biologischer Tatbestand. Wer sich im Umgang mit dem politischen Gegner so sanft gibt, wie das die SPD zur Zeit tut, der erscheint nicht stark, der erscheint schwach und unsicher. Außerdem ebnet man damit den Grünen den Weg zu schwarz-grünen Bündnissen. Denn wer mag ihnen diese Bündnisse noch übel nehmen, wenn sich ihr bisheriger Partner vom neuen Partner kaum noch unterscheiden will.
Das sehr gute Abschneiden der CDU/CSU bei den Umfragen kann man zum Teil mit dieser mangelnden Angriffslust der SPD erklären. Ansonsten hat dies viel mit der Stärke der Union in Verbänden und Medien zu tun. Gerhard Schröder hatte es bei der Bundestagswahl 1998 geschafft, die Medienbarriere zu überwinden, die es für die SPD seit Jahren gibt – von FAZ bis Bild, in nahezu allen Regionalblättern, entgegen landläufiger falscher Vorstellungen auch in den meisten elektronischen Medien; selbst früher einmal kritische Medien wie Zeit und Spiegel sind inzwischen in den meisten gesellschaftspolitischen Fragen auf der Seite des konservativen Mainstream – gegen Sozialstaatlichkeit, für Einschnitte ins soziale Netz, gegen Gewerkschaften und ihre angebliche Macht im Staat. Diese Medienbarriere 1998 zu überwinden war ein beachtlicher Erfolg, der viel mit Gerhard Schröders Neuigkeitswert und dem Ausgelaufensein des Modells Kohl zu tun hatte. Reproduzierbar ist das nicht. Die Medienbarriere steht und hilft der Union, es sei denn, die SPD vermag wieder Multiplikatoren zu mobilisieren, die ihr über die Barriere helfen. Siehe oben.
Für das gute Abschneiden der CDU/CSU bei Umfragen bundesweit und z. B. auch für die guten Aussichten, die ihr für die Bürgerschaftswahl in Hamburg vorhergesagt werden, obwohl die dort regierende Koalition mit dem Desaster um Schill alles andere als ein Glanzstück abgeliefert hat, spricht auch noch eine andere Erwägung, die sich aus der obigen Analyse ergibt: Während die SPD Anhänger durch den Anpassungskurs ihrer Parteiführung entmutigt sind, fühlen sich die CDU/CSU-Anhänger und dort die besonders Eifrigen aus den konservativen Milieus des gewerblichen und freiberuflichen Mittelstands und der Wirtschaft vom Einschwenken der SPD bestätigt und in besonderer Weise motiviert. Wir haben es also, was die Motivation betrifft, mit einer Asymmetrie zu tun, die voll zu Lasten der SPD geht.
Wenn sie ihren Kurs nicht ändert, wird das vor uns liegende Wahljahr für sie und alle, die etwas von Machtbalance und Machtkontrolle halten, zum Desaster.
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