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Titel: »Ich weiß nicht, wann ich Propaganda betrieben haben soll«
Datum: 28. Juni 2019 um 10:57 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Interviews
Verantwortlich: Redaktion
Gegen den deutsch-türkischen Schauspieler und AKP-Kritiker Ercan Özçelik liegt ein Haftbefehl wegen angeblicher »Propaganda für eine Terrororganisation« in der Türkei vor. Angezeigt wurde er von einem Denunzianten. Flo Osrainik hat ihn für die NachDenkSeiten interviewt.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Der in Berlin lebende Özçelik, bekannt aus Fernsehfilmen und als Tatort-Kommissar Bülent Îsi, erfuhr durch Zufall, dass ein Haftbefehl in der Türkei gegen ihn vorliegt. Dabei wollte sich der Schauspieler im türkischen Konsulat nur erkundigen, warum seine blaue Karte – die Karte räumt ehemaligen Staatsbürgern weiterhin besondere Staatsbürgerrechte ein – ungültig wäre. Seitdem war der 1966 in der Türkei geborene Özçelik nicht mehr in seinem Geburtsland. Auch zur Beerdigung seiner Mutter ist er aus Vorsicht vor einem Zugriff nicht nach Istanbul gereist, wie er bei einem Gespräch in München verriet. Die AKP-Regierung kritisierte er dabei scharf.
Herr Özçelik, Sie werden in der Türkei per Haftbefehl gesucht. Können Sie kurz erklären, wie Sie davon erfuhren?
Ich erfuhr vom Generalkonsulat der Türkei in Berlin von dem Haftbefehl gegen mich. Genauere Auskunft erteilte man mir allerdings erst nach beharrlichem Nachfragen, weshalb meine Mavi Kart annulliert wurde. Das war im Oktober 2018. Über einen Rechtsanwalt fand ich später heraus, dass hinter diesem Haftbefehl der Vorwurf der Terrorismus-Propaganda steckt. Das war auch der Grund für die Ungültigkeit meiner Karte.
Wie kam es zu dem Haftbefehl, was wirft Ihnen die türkische Justiz vor?
Der Haftbefehl kam durch einen Teilnehmer meines Schauspiel-Workshops in Istanbul im Jahr 2016 zustande, der vermutlich einer der unzähligen Spione ist, die das Regime auf kulturelle Veranstaltungen ansetzt, um sie auszuspähen oder zu kontrollieren. Es stellte sich später auch heraus, dass dieser Teilnehmer ein aktives AKP-Mitglied ist.
Die türkische Justiz wirft mir nun anhand der Dialog-Aussagen im Rahmen zweier Gruppenchats über WhatsApp und Facebook – diese haben meine Mitarbeiter für den Workshop eingerichtet – vor, »Propaganda für eine terroristische Organisation« betrieben zu haben. Allerdings wüsste ich nicht, wann ich Propaganda betrieben haben soll. Ich habe gegenüber dem AKP-Spion im WhatsApp-Chat lediglich Kritik, an der aus meiner Sicht verbrecherischen AKP-Politik, aufgrund von Fakten, die auch allgemein bekannt sind, geäußert.
Was können Sie zu den Vorwürfen sagen?
Die Vorwürfe, Propaganda für eine bestimmte Terrororganisation gemacht zu haben, sind eine glatte Unterstellung, weil ich keine Namen einer Organisation in den Mund nahm, außer eben von der regierenden AKP, deren Politik ich verurteilt habe.
Der von der Staatsanwaltschaft erhobene Vorwurf ist schlicht erfunden und konstruiert, um repressiv gegen mich vorzugehen, da ich regimekritische Dinge gesagt habe. Um Kritiker »auszuschalten«, wurden die »Terrorismus-Gesetze« eingeführt. Eigentlich soll das Gesetz die kriminellen Handlungen der AKP-Regierung legitimieren. Mit anderen Worten: Das ist eine probate Masche, die in anderen Fällen schon mehrmals angewendet wurde. Es sitzen ja zum Beispiel unzählige Journalisten im Rahmen dieser Gesetzgebung im Gefängnis. Damit möchte man von den eigenen Verbrechen, die im Innern oder auch im benachbarten Syrien begangen werden, ablenken.
Die Handlungen dieses Regimes möchte ich hier aber nicht weiter ausführen, zahlreiche Fakten sind ja allgemein bekannt; etwa die Ausbildung und Finanzierung der islamistischen Terroristen von der sogenannten »Freien Syrischen Armee« in Ausbildungscamps in der Türkei, mit der das Regime heute unschuldige Kurden in Syrien bekämpft. Oder aufgedeckte Waffenlieferungen an Terroristen in Syrien. Auch werden die in Kämpfen verletzten islamistischen Terroristen von der Front in Syrien direkt in die Osttürkei gebracht, um sie dort medizinisch zu behandeln und dann wieder in das Kampfgebiet zu bringen. Das denke ich mir ja nicht aus, das haben oppositionelle Medien in der Türkei recherchiert und die türkische Opposition erwähnt das immer wieder mit Nachdruck. Im Internet sind auch Videoaufnahmen darüber zu finden, falls sie nicht schon gelöscht wurden. Die Tageszeitung Cumhuriyet veröffentlichte einige dieser Verbrechen, etwa die Waffenlieferung. Can Dündar, der damalige Chefredakteur, wurde deswegen verhaftet und ist später nach Deutschland geflohen.
Diese angebliche Terroristenjagd ist im Grunde doch nur eine Ablenkung von den eigenen terroristischen Handlungen. So drückt es in etwa auch die Opposition aus. Das Regime macht seinen Gegnern Vorwürfe und erfindet oder konstruiert falsche Tatsachen.
Nun sollen Sie im Chat mit dem Kursteilnehmer ja geschrieben haben, dass die Regierung von Präsident Erdoğan einen Putsch verdient hätte, weshalb Sie angezeigt wurden. Die AKP wurde gewählt und die Türkei hat in der Vergangenheit negative Erfahrungen mit, auch vom Westen unterstützten, Militärputschen gemacht. Wie haben Sie das gemeint, was wussten Sie von den Vorgängen um den Putsch oder anders gefragt, sollten nicht die Wähler entscheiden, schließlich legitimieren die Menschenrechte den Aufstand nur als letztes Mittel?
Was ich dem Denunzianten gegenüber damals spontan sagte, entstand aus der Hoffnung, diesen Despoten und seine AKP-Politik loszuwerden, weil sie meiner Meinung nach so viel zerstört haben in diesem Land. Sie spalten bis heute. Darunter leiden die Zusammengehörigkeit der Ethnien, die Pluralität und Freiheit, die Toleranz sowie der gesellschaftliche Friede, aber auch die Menschenrechte, ein höflicher Umgang miteinander und die Demokratie an sich – das wurde teilweise zerstört.
Oppositionelle Medien vermuten, dass hinter dem sogenannten Putsch vom 15. Juli 2016 die AKP-Regierung selbst steckt, weil sie auf dem Weg zu ihrem Ziel, einem »Osmanischen Großreich«, einen Wendepunkt einleiten wollte, um ihre Sache zu beschleunigen. Demnach sollen sogar Informationen vom türkischen Geheimdienst vorliegen, nach denen man vom Putsch wusste, aber nicht eingriff. Auch die Opposition hat das unmittelbar nach dem Putsch hinterfragt. Während die Opposition das Parlament, das bombardiert wurde, während des Putsches verteidigte, sollen AKP-Mitglieder rechtzeitig in staatlichen Schutzräumen untergebracht worden sein.
Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu sagte über den in der Folge verhängten Ausnahmezustand, dass das jetzt ein »echter Putsch«, zwar zivil, weil per Gesetz verhängt, aber ein Putsch sei. Es gibt auch den Vorwurf, dass die Regierung den Putsch in Zusammenarbeit mit der terroristischen FETÖ koordiniert habe. Es gab ja eine jahrelange gesellschaftspolitische Zusammenarbeit zwischen der AKP und der Gülen-Bewegung. Das wird also von der Opposition und oppositionellen Medien über den Putsch infrage gestellt, soweit ich das zusammenfassen kann. Das möchte ich auch so stehen lassen. Aber egal wer putscht: Ein Putsch ist ein Putsch ist ein Putsch.
Wie fällt die Resonanz in Ihrem Fall bisher aus? Was haben Sie unternommen, wieso tut sich Ihrer Meinung nach nicht mehr?
Die Resonanz bei den Leitmedien und in der Politik auf meine Anfragen ist schwach. Ich weiß nicht, warum das so ist. Womöglich ist es Desinteresse oder wie soll man es deuten, wenn das Büro des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier oder auch Cem Özdemir von den Grünen, die ja stets das Demokratiedefizit in der Türkei bemängeln, nicht reagieren? Ist es aus Angst, ins Visier des Despoten zu geraten oder stehen zu viele Deals und Waffengeschäfte mit dem Bündnispartner Türkei auf dem Spiel? Das wären in jedem Fall fundamentale Gründe, um nichts gegen das Vorgehen der AKP-Regierung zu unternehmen.
Bisher kam es ja zu ähnlichen Fällen mit Journalisten und Oppositionellen im In- und Ausland. Was raten Ihre Anwälte und wie schätzen Sie Ihre Situation ein?
Als verantwortungsbewusster Mensch nehme ich meine Pflichten wahr und versuche das Vorgehen gegen mich, die politisch motivierten Gründe dafür, publik zu machen. Auch in der Hoffnung, mich zu schützen und andere Menschen vor den Gefahren zu warnen. Rechtsanwalt Memet Kiliç riet mir, zum eigenen Schutz an die Öffentlichkeit zu gehen. Das fand ich plausibel. Meine Person schätze ich in gewisser Weise als gefährdet ein, da ich durch Film und Fernsehen in der Öffentlichkeit stehe und mir aktive Regimekritik erlaube. Damit habe ich mich wohl zur Zielscheibe gemacht.
Ich denke, dass der deutsche Staat und die deutsche Regierung verpflichtet sind, ihre Bürger zu schützen und hoffe, dass sie meine Person vor dieser politischen Willkür bewahren können, auch indem sie sehr genau beobachten, was die AKP-Leute hier in Deutschland treiben.
In der Türkei, aber auch über die Grenzen hinweg, herrscht eine gewisse Verunsicherung. Man befürchtet, sich gegenüber der religiös-nationalistischen Regierung aus AKP und MHP sowie dem Präsident Erdoğan falsch zu äußern, auf eine Liste gesetzt, denunziert oder verhaftet zu werden. Schnell wird dann der oft willkürlich verwendete Terrorismusvorwurf oder jener der Präsidentenbeleidigung erhoben. Ist dem so oder wie bewerten Sie die gegenwärtige politische Situation und Stimmung in der Türkei?
Kurz gesagt: Ja, dem ist so. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Angst, Korruption und Vetternwirtschaft, Repression oder Gewalt sind die Haupthandlungen des Regimes gegenüber der Opposition. Damit soll das Ausland auch indirekt beeindruckt werden. Das ist wie in einem Kinofilm, der nach Syd Fields, einem Meister des Drehbuchschreibens, in etwa so aufgebaut wäre: Der Protagonist und Held wäre hier die Opposition, der Antagonist und Bösewicht das Regime. Um den Erfolg des Helden zu verhindern, versucht der Antagonist die Stimmung in der oppositionellen Bevölkerung mit allen Mitteln zu vergiften, indem man Angst und Schrecken verbreitet und dabei sogar über Leichen geht. Nun befinden wir uns aktuell im Hauptteil der Geschichte. Der Ausgang ist aber noch offen, da es mit den Repressionen vorerst weitergeht. Diese Maßnahmen scheinen zumindest für die Träumer eines islamistisch geprägten »Großosmanischen Reichs« die einzigen Mittel, um an der Macht zu bleiben.
Allerdings bemerken diese Träumer langsam, dass es in ihren eigenen Reihen zu bröckeln beginnt, weil ihr erklärter Gegner, die Opposition, den Weg des geringsten Widerstands geht. Es ist schon fast meditativ anmutend, wie die demokratische Opposition auf tägliche Morddrohungen, perfide Fallen und Wahlbetrug reagiert. Es scheint sich ein ambivalentes Verhältnis zwischen Regierung und Opposition zu entwickeln: Je länger die Opposition friedlich bleibt, desto gewalttätiger wird das machtbesessene Regime gegenüber seinen Gegnern, und umso mehr bröckelt auch die Anhängerschaft der AKP, weil die Gewalt nicht erwidert wird. Es könnte der Anfang vom Abstieg des Despoten sein.
Es geht ja nicht nur um Ideologien und auch nicht darum, wer Recht oder Unrecht hat, sondern es geht um massenhafte Berufsverbote, willkürliche Inhaftierungen, Mord an Kurden und Opponenten, ethnische Säuberungen in Syrien und die Zusammenarbeit mit islamistischen Terroristen. Es geht um Menschenrechtsverstöße und um mögliche Kriege in Nahost, die zu einer weltweiten Katastrophe führen können. Und trotz der Gefahren bleibt die türkische Opposition, die in etwa 50 % der Bevölkerung ausmacht, erstaunlich friedlich, da man sich eben nicht auf dieses verbrecherische Niveau reduzieren und Blutvergießen vermeiden möchte.
Können Sie den Kurs der Bundesregierung gegenüber Ankara nachvollziehen, überwiegen womöglich andere Interessen oder was würden Sie von der deutschen Politik in Sachen Bürgerrechten im Umgang mit der türkischen Regierung erwarten?
Von den Leitmedien und der Politik hier in Deutschland wünschte ich mir insgesamt mehr Mut und Engagement, etwa in Form von Solidaritätsbekundungen gegenüber der Opposition in der Türkei. Und zwar solange, bis wieder Demokratie und Ruhe einkehren.
Vielen Dank für Ihre Zeit.
Titelbild: Ercan Oezcelik 2019 © Cristian Mihaila Photography
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