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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Hinweise des Tages
Datum: 20. April 2010 um 9:12 Uhr
Rubrik: Hinweise des Tages
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Heute unter anderem zu folgenden Themen: Bankenrettung treibt Staatsschulden; Goldman Sachs-Betrug weitet sich aus; Asche und Exportüberschuss; Airlines buhlen um Staatshilfe; 4,7% weniger Beschäftigte im Verarbeitenden Gewerbe; der Markt hat immer Recht; Vorteile der Industriepolitik; Hartz IV-Jugendliche; Griechenland als Ausrede; Berliner S-Bahn entgleist; Propaganda für die Bundeswehr; NRW-Wahl; Auslandsberichte; Liberalismus; 5 Jahre Benedikt. (WL)
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Anmerkung WL: Bitte merken Sie sich diese Zahl von 98 Milliarden für die Stützung der Finanzinstitute, Sie werden sie für ihre Argumentation dringend gebrauchen, wenn es bald heißen wird, für den Schuldenabbau müssten die Sozialausgaben gekürzt werden.
Anmerkung Orlando Pascheit: Vielleicht präsentiert uns die US-Börsenaufsicht dann auch einige interessante Telefonate und e-mails der Deutschen Bank.
Anmerkung Orlando Pascheit: Sicherlich ist es richtig, wenn Markus Sievers fordert, dass die Regierungen die Finanzmärkte regulieren, die Aufsicht stärken, mehr Eigenkapital von Banken verlangen und riskante Geschäfte besteuern müssen. Aber stimmt seine Diagnose, dass Spekulanten auf den deregulierten Märkten ganz legal ihre gefährliche Gier befriedigen konnten. Verweist der Fall Goldman Sachs nicht darauf, dass in diesen deregulierten Märkten illegale, kriminelle Geschäfte die Regel waren. Kein Mensch beschreibt Drogenmärkte als deregulierte Märkte, auf denen ganz legal eine gefährliche Gier befriedigen könnte. Es kann nicht schaden, die Finanzmärkte verstärkt aus dieser Perspektive zu betrachten.
Anmerkung WL: Der Schaden, den Firmen erleiten, dadurch dass ihre Mitarbeiter nicht ihren Geschäften nachgehen können, dürfte vermutlich erheblich höher liegen. Auch die wirtschaftlichen Einbußen durch den kalten Winter dürften größer sein. Da sollen also jetzt Konjunkturprogramme beendet werden und es soll ein massives Konsolidierungsprogramm gefahren werden, aber wenn nun ein Wirtschaftszweig Einbußen hat, dann soll sofort staatliche Unterstützung gewährt werden. Das ist Klientelpolitik, aber keine Wirtschaftspolitik.
Anmerkung Orlando Pascheit: Da war doch was: die Auftragslage bessert sich, Exporte steigen wieder?
Anmerkung H.F.: Das ist ein Skandal ersten Ranges, gerade vor dem Hintergrund des Goldman/Sachs Skandals. Das ist unser Spitzenpersonal.
Anmerkung Orlando Pascheit: Die Sache ist nur, dass die Empfehlungen Dani Rodriks in Europa kaum eine Chance auf Realisation haben. Zumindest vor dem Hintergrund dessen, was europäische Industriepolitik heute ausschließt, z.B. Kredite und Subventionen, sind z.B. den Bestrebungen Gordon Browns, Großbritannien „wieder“ zu industrialisieren, Grenzen gesetzt. In der EU hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass Industriepolitik sich auf die Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen beschränken solle. “Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die notwendigen Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie gewährleistet sind”, heißt es seit dem Vertrag von Maastricht in Artikel 157. Der Zusatz verdeutlicht: “Dieser Titel bietet keine Grundlage dafür, dass die Gemeinschaft irgendeine Maßnahme einführt, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen könnte.” Einer selektiven interventionistischen Industriepolitik der Nationalstaaten wird damit wenig Raum zugestanden. Selbst wenn angeschlagenen Konzerne dem Ruin gerettet werden sollen, bedarf es der Zustimmung durch die EU (siehe z.B. Opel). Das ist nun beileibe kein Diktat irgendwelcher europäischer Institutionen, sondern deutscher Mainstream, wie der Sachverständigenrat (2009) trefflich formuliert: “Im Rahmen der Industriepolitik gilt es, von strukturkonservierenden Maßnahmen ebenso weitgehend abzusehen wie von einem Versuch der Identifikation und Förderung von aussichtsreichen Produkten oder Sektoren durch den Staat. … Es kann aus ökonomischer Sicht nach wie vor nicht darum gehen, dass der Staat den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren durch die eigene planerische Festlegung von Prioritäten außer Kraft setzt.” Das mögen die USA, China bzw. die aufstrebenden asiatischen Schwellenländer anders sehen und handhaben, wir bleiben treue Anhänger der reinen Lehre: Der Markt ist klüger als der Staat.
Natürlich ist die US-amerikanische Industriepolitik nicht perfekt, der Niedergang der einst führenden Automobilindustrie zeigt es. Auch ist in Deutschland nicht alles im Argen, der Aufstieg der deutschen Umweltindustrie ist durchaus ein Beispiel erfolgreicher Industriepolitik, die aber nur im Schlepptau von Umweltpolitikmöglich war und immer durch marktradikale Hardliner und den Widerstand mächtiger Lobbyisten veralteter Produktionsmodelle bedroht ist. Machtlos ist aber z.B. die deutsche Solarindustrie, wenn chinesische Hersteller von Solarzellen bzw. -modulen durch traditionelle, nationale Industriepolitik wie Subventionen, Kredite usw. gepusht werden.
Anmerkung WL: Nun muss also Griechenland auch noch als Ausrede für die mangelnde Bereitschaft der Bundesregierung, den Arbeitslosen und den Kommunen zu helfen, herhalten.
Anmerkung Orlando Pascheit: Erfreulich, dass der neue Präsident des Bundeskartellamts das geplante Zerschlagungsgesetz unterstützt. Allmählich merkt die Wirtschaft, dass Brüderle es ernst meint. “Die Regelung widerspricht unserer Wettbewerbsordnung und ist wegen des eklatanten Eingriffs in die unternehmerische Freiheit verfassungsrechtlich bedenklich”, so unlängst der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands BDI, Werner Schnappauf. Mundt bestätigt übrigens, dass der Gesetzentwurf ausdrücklich vorsieht, “dass regulierte Bereiche – etwa Bahn, Post, Telekommunikation – ausgenommen sind.”
Dazu passt:
Der Militärberater der Kanzlerin
Trotz wachsender Kritik hält die deutsche Kanzlerin an einem wegen seiner Rechtsaußen-Kontakte umstrittenen Militärberater fest. Oberst Erich Vad, der seit mehreren Jahren eine militärpolitische Schlüsselstelle im Bundeskanzleramt innehat, ist in der Vergangenheit mehrfach vor bekannten rechtslastigen Organisationen aufgetreten. Zudem hat er das “negative und verengte Bild von der Wehrmacht” beklagt, das heutzutage vorherrsche. Vad, der sagt, dass Angela Merkel seinen Ratschlägen “meistens folgt”, soll jetzt zum General befördert werden. Wie eine vor kurzem veröffentlichte Studie über die Einstellungen von Studierenden an den beiden Bundeswehr-Universitäten zeigt, finden rechtslastige Ansichten dort erhebliche Zustimmung. Über zehn Prozent des studierenden Offiziers-Nachwuchses befürworten etwa Einschränkungen der parlamentarischen Demokratie. Militärexperten bringen rechtsgerichtete Haltungen in der Bundeswehr inklusive ihrer Offiziere mit der Ausrichtung auf weltweite Kampfeinsätze in Verbindung. Wie Analysen zeigen, geht diese Ausrichtung mit einer Orientierung der militärischen Grundausbildung an Vorschriften und Taktiken der Wehrmacht einher.
Quelle: German Foreign Policy
Anmerkung unseres Lesers G.K.: Siehe auch den NachDenkSeiten-Beitrag “Bundeswehr: Marsch in die Vergangenheit”.
Anmerkung WL: Der NRW-DGB-Vorsitzende und Schattenminister Guntram Schneider schätzt also die innovative Arbeit des NRW-Innovationsministers Pinkwart. Nach seiner Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung beim Forum Kommunalfinanzen nun ein weiterer Fehltritt. Pinkwart steht an vorderster Front der Einführung der „unternehmerischen Hochschule“, die gleichfalls wiederum am Schreibtisch der Bertelsmann Stiftung entworfen wurde. Der NRW-Landeschef des DGB nimmt nicht einmal zur Kenntnis, was die Gewerkschaften zur Hochschulpolitik zu sagen haben. Schneider hat entweder jegliches politische Gespür verloren oder er hat einfach die Seite gewechselt. Nun hat schon die Herausforderin Hannelore Kraft bei den Studiengebühren eine Kehrtwende gemacht und deren sofortigen Streichung eine Absage erteilt, jetzt tritt ihr Schattenminister auch noch Pinkwart bei, der die Studiengebühren in NRW eingeführt hat. Diese Lavieren zeigt nur, dass die SPD einen standhaften Koalitionspartner bräuchte.
Anmerkung: Einige Zitate aus dem Papier:
“Gender Mainstreaming etwa, hat seine Ursprünge im Marxismus, ist totalitären Charakters und schränkt die Freiheit radikal ein, auch wenn sie vorgeblich ein mehr an Gerechtigkeit verspricht.”
“Die massive Förderung finanzieller als auch propagandistischer Art von Kinderkrippen für Babys und Kleinstkinder. Dies ist ein klassisches Ziel linker, sozialistischer, marxistischer Politik zur Zerstörung der Keimzelle bourgeoiser Gesellschaften: der Familie.”
“Die Katastrophen des letzten Jahrhunderts gründeten auf gottlosen Ideologien, sei es der braune oder der rote Sozialismus.”
“Zunehmend wichtig wird die Betonung des „C[hristlich]” auch angesichts der Herausforderungen durch Zuwanderung, Überfremdung und die Gefahren des Islam.”
“Strom aus deutschen Atomkraftwerken ist sicher, CO2-arm und preiswert.”
“Deutschland ist kein Einwanderungsland. Die Politik ist aufgerufen, die Einwanderung dahingehend zu steuern, dass nur gut ausgebildete Fachkräfte zuwandern dürfen, die unser Land auch als ihre neue Heimat annehmen und hier gemäß unseren Wertvorstellungen leben und arbeiten wollen. Zuwanderung in die Sozialsysteme muss ein Riegel vorgeschoben werden.”
“Die Folgen der Überfremdung sind inzwischen stark spürbar. Sie kosten die Gesellschaft nicht nur Milliarden sondern sie gefährden auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt, das Miteinander, die Sicherheit und letztendlich auch den Wohlstand sowie unsere Werteordnung.”
“Hieraus folgt eine konsequente Ablehnung muslimischer Elemente in der Öffentlichkeit.”
“Insbesondere Moscheebauvereine, islamistische-, links- und rechtsextremistische Gruppen und Fraktionen aller Art sind streng zu beobachten.”
“Deshalb sprechen wir uns auch gegen eine Reichen- und Erbschaftssteuer aus, da der ehrlich erworbene Verdienst in einer Leistungsträgergesellschaft nicht bestraft werden sollte. Ebenso ist es für uns unvereinbar in einer freien und sozialen Marktwirtschaftsform einen gesetzlichen und flächendeckenden Mindestlohn einzuführen.”
“Nationale Symbolik sollte wieder ein unerlässlicher Teil des öffentlichen Lebens werden.Nach dem „schwarz-rot-goldenen“ Freudentaumel etwa bei der Fußballweltmeisterschaft wurde spätestens deutlich, dass sich der überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung nach einem unverkrampften und gesteigerten Umgang mit nationaler Symbolik geradezu sehnt.”
“In Zeiten des weltpolitischen Engagements in denen unsere Soldaten politisch gewollt und nicht zu vergessen parlamentarisch mandatiert unsere Freiheit am Hindukusch und anderswo verteidigen, muss die Arbeit der Bundeswehr entsprechend gewürdigt werden.”
“Der Begriff einer deutschen Leitkultur oder auch die gesellschaftlichen Normen der deutschen Mehrheitsgesellschaft müssen wieder diskutiert und entstigmatisiert werden.”
So denkt also der politische Nachwuchs der CDU. Unterschiede zu rechtsradikalen Parteien sind da kaum noch auszumachen.
Anmerkung Orlando Pascheit: Sollte sich auf der Insel tatsächlich etwas tun? Wir sollten genau hinschauen, immerhin bildete Großbritannien in der deutschen und europäischen Politik oft eine Art Frühindikator für das, was angesagt war. Denken wir nur an die Vorbildfunktion von Margaret Thatcher für Schwarz/Gelb unter Kohl oder von Tony Blair für Rot/Grün unter Schröder. Die NZZ meint, dass keiner der drei Kandidaten Blößen zeigte. Allerdings begründete Cameron mehr als ungeschickt die Notwendigkeit von Atomwaffen ohne Unterschied mit der möglichen Bedrohungen durch den Iran und China. Leider berichtete die hiesige Berichterstattung kaum über die inhaltlichen Positionen in der Diskussion. Nick Cleggs erfolgreicher Auftritt stärkt die Liberaldemokraten als dritte Kraft, falls es zu einem so genannten “hung parliament” kommen sollte, bei dem es keine Mehrheit gibt. – Inzwischen haben die Liberaldemokraten (Liberal Democrats) in allen Umfragen kräftig aufgeholt. Laut einer BPIX-Umfrage erreichten sie in der Wählergunst sogar 32 Prozent, gefolgt von den oppositionellen Konservativen mit 31 und der bislang regierenden Labour-Partei mit 28 Prozent. Als Koalition präferierten die Befragten einen Lib-Lab-Pact.
Als Erbe der Liberalen Partei, die in der Vergangenheit 26 britische Premierminister stellte, aber seit 1922 aber nicht mehr an der Macht war, fusioniert die Partei 1988 mit der Social Democratic Party. Die Liberaldemokraten treten für die im Rahmen der Terrorismusbekämpfung eingeschränkten Bürgerrechte ein, sie plädieren für einen Verzicht auf Atomwaffen, lehnten in der Vergangenheit den Irakkrieg ab und äußerten Kritik am Einsatz in Afghanistan. Sie unterscheiden sich deutlich von unseren Liberalen und sprechen sie sich für eine Stärkung des öffentlichen Dienstes und für Steuererhöhungen aus. Zentraler Kritikpunkt ist die stark angewachsene Ungleichheit. – Clegg ist ein überzeugter Europäer. Nicht nur seine Zeit als Europaparlamentarier dürfte ihn geprägt haben, sondern auch seine persönliche Situation als Enkel einer russischen Aristokratin, Sohn einer Holländerin und Ehegatte einer Spanierin.
Anmerkung Orlando Pascheit: Offensichtlich sind die isländischen Eliten als Neulinge im Geschäft gescheitert und haben die Kuh, die sie melken wollten, versehentlich geschlachtet. Da ist man in anderen Ländern mit finanzkapitalistischer Tradition im Plündern geschickter.
Aus dem Anhang des Artikels: Der US-Intellektuelle Noam Chomsky hat kürzlich in einer Rede eindringlich vor der Tea-Party-Bewegung gewarnt. Sich über diese Bewegung lustig zu machen, sei ein «ernster Fehler», wurde Chomsky im US-Magazin «The Progressive» zitiert. «Ich bin alt genug, um eine Anzahl Hitler-Reden am Radio gehört zu haben», so Chomsky, und er erinnere sich auch an den jubelnden Mob. Er sehe, wie sich in den USA die dunklen Wolken des Faschismus zusammenzögen; einen solchen Grad an Wut und Angst, wie er ihn unter manchen US-AmerikanerInnen beobachte, habe er in seinem ganzen Leben noch nie erlebt, so der 81-Jährige. Er könne die Reaktion dieser Menschen verstehen: Seit dreißig Jahren würden die Realeinkommen bestenfalls stagnieren – unter anderem eine Konsequenz aus dem vor dreißig Jahren getroffenen Entscheid, die Wirtschaft auf den Finanzmarkt auszurichten. Und selbst nach der maßgeblich vom Finanzplatz ausgelösten jüngsten Wirtschaftskrise verteidige der Staat diesen: «Die institutionellen Verbrechen des Staatskapitalismus», so Chomsky, hätten die Entrüstung und den Zorn jener Menschen ausgelöst, die im Abseits stünden.
Anmerkung WL: Was soll man nun von der Erklärung des israelischen Verteidigungsministers halten, der sich für ein Ende der Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten ausgesprochen hat. Sein Land müsse sich darüber im Klaren sein, “dass die Welt nicht weitere Jahrzehnte lang dulden werde, das Israel über ein anderes Volk herrscht. So etwas gibt es nirgendwo sonst in der Welt”, erklärte er in einem Interview.
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