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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Zum Wegwerfen. Warum das Geschäftsmodell der großen Textilkonzerne in die Mülltüte gehört
Datum: 13. Juni 2019 um 10:03 Uhr
Rubrik: Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik, Ökonomie, Gedenktage/Jahrestage
Verantwortlich: Redaktion
Die irische Billigbekleidungskette Primark begeht heute ihr 50-jähriges Firmenjubiläum. Kein Grund zum Feiern. Als Wegbereiter der „schnellen Mode“ hat der Konzern maßgeblich dazu beigetragen, dass Schuhe, Röcke und Hosen zum Massenkonsumartikel verkommen sind und ihre Produktion schlimmen Schaden für Mensch, Gesellschaft und Natur anrichtet. Leiden müssen darunter vor allem die Ausgebeuteten in den „Armenhäusern“ der Welt, die entrechtet, schutzlos und zu Hungerlöhnen in den Fabriken Asiens und Afrikas die Sneaker der westlichen Wohlstandsteenies zusammennähen. Eine Studie der Christlichen Initiative Romero zeigt das Elend am Beispiel Sri Lankas auf. Von Ralf Wurzbacher.
Herzlichen Glückwunsch! Der irische Bekleidungsdiscounter Primark wird 50. Am 13. Juni 1969 erblickte die erste der weltweit inzwischen bald 400 Filialen in Dublin unter dem Namen Penneys das Licht der Welt. Wenn das kein Anlass ist, Danke zu sagen. Danke für: das T-Shirt zu 2,50 Euro, das kurze Schwarze zu acht Euro oder die Herrenjeans zu 14 Euro. Danke dafür, dass Einkaufen keine lästige Pflicht mehr, sondern mit dem Shoppen zum tollsten Hobby geworden ist. Danke für alle Teenies, die ihr Taschengeld heute für Klamotten verpulvern, die morgen schon wieder out sind. Deshalb Danke auch für monströse Müllberge, chemieverseuchte Böden, faserdurchtränkte Ozeane, zig Millionen Tonnen Treibhausgase und vieles mehr, was sich mit Geld gar nicht bezahlen lässt – schon gar nicht mit kleinem.
Nicht in Feierlaune ob des runden Firmenjubiläums ist die Christliche Initiative Romero (CIR). Am Dienstag legte der Menschenrechtsverein aus Münster eine Art Schwarzbuch Primark vor. Auf knapp 80 Seiten breitet das „Dossier Fast Fashion“ ein gewaltiges Sündenregister aus, angefangen mit den erbärmlichen Produktions-, Lohn- und Arbeitsbedingungen, unter denen der Konzern in Fernost seine „Wegwerfmode“ fertigen lässt, über seine auf schnellen und maximalen Profit ausgerichtete Einkaufspolitik bis hin zu den ökologischen Verheerungen, die die westliche Textilindustrie global und insbesondere in den „Armenhäusern“ dieser Welt anrichtet.
„Achtung vor dem Menschen“?
Man erinnert sich: Nach dem Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza in Sabhar in Bangladesh vor sechs Jahren, bei dem über 1.100 Menschen zu Tode kamen, war in der Branche hektische Betriebsamkeit ausgebrochen. In der Folge versprach eine Reihe US-amerikanischer und europäischer Unternehmen, die ihre Schuhe und Kleider von Auftragnehmern aus der Region produzieren lassen, sich stärker für die Einhaltung grundlegender Menschen- und Beschäftigtenrechte auf allen Stufen der Lieferketten zu engagieren. In Deutschland wurde mit viel Tamtam das „Bündnis für nachhaltige Textilien“ aus der Taufe gehoben. Dieses soll darüber wachen, dass beim Kleidernähen mit Mensch und Umwelt vereinbare Standards eingehalten werden, dass faire Löhne gezahlt, Regeln zu Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit beachtet werden, dass sich Arbeiterinnen und Arbeiter in Gewerkschaften organisieren und Tarifverhandlungen geführt werden können.
Auch Primark hat sich eine ganze Latte an Selbstverpflichtungen auferlegt, zumal der Konzern in der Vergangenheit schon wiederholt für unrühmliche Schlagzeilen gesorgt hatte. Beispielsweise wurde ruchbar, dass Zulieferer in Myanmar ihre Näherinnen mit Hungerlöhnen abgespeist hatten oder dass in indischen Fabriken Kinder ausgebeutet wurden. Es gilt also einiges gutzumachen. Unter der Rubrik „Unsere Ethik“ auf der Webseite des Unternehmens heißt es dann auch reichlich verheißungsvoll: „Die Produkte für Primark werden mit Achtung vor dem Menschen und der Umwelt hergestellt.“ Jede Produktionsstätte müsse sich „vor jeglicher Erteilung eines Auftrags zur Einhaltung international anerkannter Standards verpflichten“. Deren dauerhafte Beachtung kontrolliere „unser Team für ethischen Handel und ökologische Nachhaltigkeit, eine Gruppe von über 100 Experten in unseren Hauptbeschaffungsländern“. Außerdem rühmt sich Primark damit, an mehreren Initiativen beteiligt zu sein, die sich für existenzsichernde Löhne einsetzen.
Verhaltenskodex für die Galerie
Aber was sind all die schönen Vorsätze wert? Die CIR-Partnerorganisation Shramabhimani Kendraya (Würde der Arbeit) hat insgesamt 76 Arbeiterinnen und Arbeiter in zehn Fabriken in Sri Lanka dazu interviewt, was sie an Geld verdienen, wie lange sie dafür arbeiten müssen und welche Zustände in Sachen Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz und Vereinigungsfreiheit bestehen. Das Ergebnis: In keiner der untersuchten Produktionsstätten werde der Verhaltenskodex eingehalten, den Primark seinen Herstellern auferlege. Die Löhne und das Ausmaß an Überstunden wären „teils illegal“, und anders als immer wieder behauptet, trage der Konzern durch sein Einkaufsverhalten die Hauptschuld für die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen. Beispielhaft wird in der Studie eine Näherin der Fabrik Triple Safety in Narammala im Westen des Landes zitiert: „Ich würde diese Arbeit keinem empfehlen. (…) Wir können nicht einmal die Lebensmittel kaufen, die wir brauchen.“
Nach geltender Rechtslage des südasiatischen Inselstaats dürfen Frauen maximal 45 reguläre Stunden und in Ausnahmefällen höchstens zwölf Überstunden pro Woche tätig sein. Gemäß der Erhebung schieben die Näherinnen aber mitunter 80 Stunden und mehr Dienst. So müssen Betroffene bei Paradise Toys in Mabola nahe Colombo 64 Arbeitsstunden und 19 Überstunden schuften, um einen Monatslohn von 120 Euro zu erreichen. Der Betrag liegt zwar über dem offiziellen Mindestlohn von 79 Euro. Dieser reicht aber nicht einmal ansatzweise für einen auskömmlichen Lebensunterhalt. Nach Angaben der „Asia Floor Wage Alliance“ müsste ein existenzsichernder Lohn in Sri Lanka mindestens 296 Euro betragen.
Überstunden zum Überleben
Das Abreißen von Überstunden wird so zu einer Frage des Überlebens. 46 Prozent der Befragten verdienen in der regulären Arbeitszeit nicht mal den kümmerlichen Mindestlohn. In der Mehrheit gaben die Befragten an, dass sie das Geld bräuchten, um Grundbedürfnisse wie Lebensmittel und Bildung für sich und ihre Familie befriedigen zu können. Unter den 76 Arbeiterinnen und Arbeitern leisteten 82 Prozent wöchentlich mehr als zehn Stunden Extraarbeit, um irgendwie über die Runden zu kommen. Häufig gibt es dafür nicht einmal Zuschläge. Lediglich für die Buchführung werde nach acht Stunden ausgestempelt und danach zum gleichen Lohn weitergearbeitet, schreiben die Studienautoren.
Humaner wird mit den Menschen immer dann umgesprungen, wenn die Auftraggeber ihre Auditoren zur Stippvisite schicken, um vor Ort zu prüfen, ob alles nach Plan, Ordnung und im Einklang mit „ethischen“ Grundsätzen vonstattengeht. Dann müsse plötzlich weniger malocht werden und würden die Beschäftigten besser behandelt. Allerdings folgten auf die vorübergehenden Erleichterungen „keine nachhaltigen Veränderungen“. Soll heißen: Kaum sind die Firmenvertreter zur Tür hinaus, ist der Umgang wieder so rau und roh wie üblich. Bisweilen würden zwar die „übermäßig vielen Überstunden reduziert, dafür jedoch anschließend die Zielvorgaben erhöht“.
Job macht krank
Die Befragung habe „schwerwiegende Arbeitsrechtsverletzungen“ bei den Lieferanten offenbart, erfährt man in der Studie. „Verstöße gegen Rechtsvorschriften über die Beschränkung von Überstunden, obligatorische Überstunden, gewerkschaftsfeindliche Diskriminierung und mangelnde Arbeitssicherheit“ wären nur einige der gängigen Verfehlungen. Viele der Betroffenen klagten zudem über Rückenschmerzen vom ganztägigen Arbeiten im Stehen – nur zum Mittagessen dürften sie sich setzen. Auch das gehört zu den Schattenseiten der schillernden Modewelt. Wie die Autoren festhalten, leidet knapp die Hälfte aller weltweit 60 Millionen Beschäftigten in der Textilfertigung an arbeitsbedingten Krankheiten.
An einigen der zehn untersuchten Standorte lässt nach Auskunft der Befragten auch der Moderiese C&A fertigen. Allerdings bestreitet das Unternehmen, mit den Fabriken Timex in Wattala und Kadawatha zusammenzuarbeiten, während Primark sogar in drei Fällen eine Geschäftsbeziehung mit den aufgeführten Unternehmen negiert. Sagen die Betroffenen die Unwahrheit, wovon nicht auszugehen ist, oder spielen die Verantwortlichen Versteck? Laut Studie wäre eine mögliche Erklärung die, „dass es sich um eine Unterauftragsvergabe handelt“. Offenbar arbeiten die Zulieferer selbst mit Subunternehmen zusammen, die unter dem Radar der Öffentlichkeit für die Modelabels die Drecksarbeit machen. Und sobald die Sache auffliegt, heißt es dann, man habe davon nichts gewusst und die Schuld träfe andere. Dann wird das schwarze Schaf geopfert und schwups erhält der nächstbeste Betrieb den Auftrag.
„Flucht“ nach Afrika
Dieselbe Masche greift immer auch dann, wenn sich ein Unglücksfall ereignet, bei dem Menschen ihr Leben lassen. Schuld sind dann immer die anderen: die Zulieferer oder die örtlichen Behörden mit ihren laxen Bauvorschriften und laschen Kontrollen. Die weltweit operierenden Konzerne sind in der Regel fein raus. Mitunter bleiben ein paar Flecken am Saubermann-Image zurück. Aber das wäscht sich rasch wieder raus, weil Konsumenten ziemlich vergesslich sind. Und droht ein Schauplatz doch einmal längerfristig zum Publicitygau zu geraten, bleibt immer noch die „Flucht“ ins nächste Billiglohnland. Nach der Katastrophe von Rana Plaza haben sich etliche Hersteller aus Bangladesch nach Afrika davongemacht. Dort, vorneweg in Äthiopien, lässt sich noch deutlich „kostengünstiger“ produzieren. Das Land kennt keinen Mindestlohn und Berichten zufolge werden in der Textilbranche Einstiegsentgelte von 26 Dollar pro Monat gezahlt.
Das deckt sich mit dem, was das CIR-Dossier zu den Einkaufspraktiken festhält. Wie seine Mitbewerber schaue der Konzern bei der Auswahl der Fabriken „nur auf Preis, Zeit und vielleicht noch Qualität“. Die ethischen Ziele, die man sich groß auf die Fahnen schreibe, spielten dagegen keine Rolle. Treiber der Entwicklung ist dabei das Geschäftsmodell der „schnellen Mode“ (Fast Fashion). Beim Pendant zum Fast Food à la McDonald`s oder Burger King zählt nur mehr das, was den Profithunger der Bekleider durch immer wieder neue Modeticks und endlosen Nachschub an „Verfallsware“ zu stillen verspricht – bei einem Maximum an Opfern für Mensch und Natur.
Fatale Ökobilanz
Anbieter wie H&M, Esprit, ASOS oder Zalando bringen heutzutage im Monatstakt neue Kollektionen auf den Markt, um die Kundschaft mit immer neuen Reizen bei Konsumlaune zu halten. H&M erneuert sein Sortiment jährlich zwölf bis 16 Mal, Zara sogar bis zu 24 Mal. Das Tempo zieht sich durch sämtliche Produktionsphasen und sorgt dafür, dass immer mehr Aufträge in immer kürzerer Zeit durch die Lieferanten abzuarbeiten sind. Der hohe Zeit- und Preisdruck werde dann an die Arbeiterinnen und Arbeiter weitergegeben, „die dann Überstunden machen und zu einem Hungerlohn arbeiten müssen“, beklagte Isabell Ullrich, CIR-Referentin für Kleidung, in einer Pressemitteilung.
Aber Besserung ist nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil: In den Jahren 2000 bis 2015 hat sich die Anzahl der Kleidungskäufe im weltweiten Maßstab von 50 auf etwa 100 Milliarden verdoppelt. Bei anhaltender Dynamik könnten im Jahr 2050 nach Ansicht von Experten 160 Millionen Tonnen Textilien über den Ladentisch gehen, fast dreimal so viel wie heute. Fatal ist das vor allem für die Umwelt: Die Modeindustrie verbraucht schon heute pro Jahr 179 Milliarden Kubikmeter Wasser, fast das Doppelte von dem, was der Bodensee fasst. Dazu kommen laut CIR 98 Millionen Tonnen Erdöl, 1.458 Millionen Tonnen Treibhausgase, 85 Millionen Hektar Land, 43 Millionen Tonnen Chemikalien und 522 Millionen Kilogramm Mikrofasern in den Meeren.
Produzieren für die Tonne
Befeuert wird der Irrsinn durch den anhaltenden und sich weiter verfestigenden Trend zum Wegwerfen. Die Studie liefert dazu eindrückliche Zahlen: Im Jahr 2000 wurde ein Kleidungsstück im weltweiten Mittel 200 Mal getragen, 2015 nur noch 163 Mal. Von durchschnittlich 95 Kleidungsstücken im deutschen Kleiderschrank finden 20 Prozent nie Verwendung. Jeder Deutsche kauft im Schnitt 60 neue Kleidungsstücke jährlich und trägt diese halb so lange wie vor 15 Jahren. Gleichwohl sind die entsprechenden Haushaltsausgaben zwischen 2000 und 2016 bloß um 0,1 Prozent gestiegen.
Bezahlen muss all das kein anderer als der Billiglöhner im fernen Asien oder Afrika: mit Armut, mit Krankheit, mit Perspektivlosigkeit. Und solange sich mit dem Elend von Millionen Menschen Rendite machen lässt und die pervertierte Wachstums- und Konsumökonomie kein Halten kennt, werden auch die Bekleidungslabel in den kapitalistischen Zentren so weitermachen wie bisher. Ohne politische Regulierung, etwa einen gesetzlichen Zwang zur Zahlung auskömmlicher, fairer Löhne in den Produktionsländern, und ohne Sanktionen bis hin zum Produktionsverbot wird sich an den bedrückenden Zuständen nichts ändern. CIR-Referentin Ullrich fordert in diesem Zusammenhang ein „Sorgfaltspflichtengesetz“, um Arbeitsrechtsverletzungen in Zukunft zu verhindern.
Ende der Scheinheiligkeit
Auf keinen Fall werden es irgendwelche Selbstverpflichtungen auf Basis von Goodwill und Freiwilligkeit richten. Aus dem deutschen „Textilbündnis“ nehmen sechs Jahre nach Rana Plaza immer mehr Unternehmen Reißaus. Der lose Zusammenschluss sei „von der Zeit der Sonntagsreden in die Phase der Verbindlichkeit übergegangen“, schrieb vor zehn Monaten das Handelsblatt. Hatten die Mitglieder zunächst nur verbindliche Ziele zu definieren, müssen sie nun belegen, wie weit sie diese erreicht haben und dies in sogenannten „Roadmaps“ dokumentieren. Offenbar haben die Konzerne da nicht viel vorzuweisen, weshalb sich der Kreis der Beteiligten immer mehr lichtet.
Auch mit besagten Initiativen für eine faire Bezahlung, bei denen Primark mitmischt, ist es nicht weit her. Die Kampagne Saubere Kleidung zog unlängst Bilanz: Beim irischen Konzern wie auch bei Zalando und H&M gebe es keinerlei Hinweise, dass auch nur irgendeinem Arbeiter ein existenzsichernder Lohn gezahlt werde. Warm anziehen muss sich von den Verantwortlichen deshalb keiner.
Titelbild: Erhan Inga/shutterstock.com
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