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Titel: Die Sanktionen gegen Russland müssen nun fallen – Nur die SPD hat es noch nicht verstanden
Datum: 12. Juni 2019 um 13:08 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Verantwortlich: Tobias Riegel
Der Vorstoß gegen die antirussischen Sanktionen von Sachsen und Thüringen ist zu begrüßen: Die Gräben zwischen Deutschland und Russland müssen überbrückt werden. Dafür müssen auch die medial konstruierten Beschränkungen im Umgang mit Russland offensiv abgestreift werden. Die Reaktionen aus der Politik sind teils heuchlerisch – und einmal mehr verpasst die SPD ein wichtiges Thema. Von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Die Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland gehören sofort aufgehoben: Sie beruhen auf verzerrenden politisch-militärischen Tatsachenbehauptungen und – wie fast alle Wirtschaftssanktionen – erreichen sie nicht das offiziell verkündete Ziel der Maßnahmen. Darum ist der Vorstoß der Ministerpräsidenten von Sachsen (Michael Kretschmer/CDU) und Thüringen (Bodo Ramelow/LINKE) gegen die Sanktionen sehr zu begrüßen.
Reaktionen: „Wahlkampfmanöver“, „Geschäftemacherei“, „AfD-Position“
Und ja, es gibt einen weiteren (guten) Grund, die Sanktionen aufzuheben: Sie fügen der deutschen Wirtschaft Schaden zu. Dieser Aspekt wird von den Befürwortern der Sanktionen nun besonders betont: Um die „guten Geschäfte“ nicht zu gefährden, würden von den Sanktions-Kritikern moralische Prinzipien verraten, wie teils indirekt angedeutet werden soll. Ebenfalls medial nach vorne gestellt wird eine „Parallelität“ zwischen Kretschmer und Ramelow einerseits und der AfD andererseits, da die Partei ebenfalls ein Ende der Sanktionen fordere. Dritter dominierender Aspekt der Berichterstattung ist die Diffamierung des Vorstoßes als durchschaubares Wahlkampfmanöver.
Weitgehende Einigkeit besteht in der Analyse, dass man mit der Forderung nach Entspannung mit Russland viele Wähler ansprechen kann. Die Sanktions-Befürworter sehen in diesen Wünschen nach Annäherung wiederum einen Grund für eine pädagogische Offensive, um die Bürger vor den eigenen Ansichten zu „beschützen”. Einzelnes Personal von CDU und LINKE hat dagegen nun endlich das Potenzial entdeckt, das für ihre Parteien in einem (öffentlichen) Zugehen auf Russland besteht. Es ist nur folgerichtig, dass man es nicht mehr der AfD überlässt, bei diesem wichtigen Thema positive Akzente zu setzen.
Tragisch: SPD verspielt noch immer ihr Erbe der Ostpolitik
Einmal mehr verpasst es aber die SPD, auf ureigenem Terrain konsequent zu punkten – nämlich auf jenem der Ostpolitik. Es gibt eine starke politisch-mediale Propaganda, die die Gräben zu Russland tief halten möchte. Einzelne Personen bei CDU und LINKE trauen sich nun endlich, die Fesseln dieser bevormundenden Meinungsmache zu ignorieren und sie dadurch abzustreifen.
Die SPD will jedoch die Zeichen der Zeit noch immer nicht akzeptieren. So sagte etwa der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs den „Tagesthemen“, er finde es „billig“, dass nun der Wahlkampf genutzt würde, um „die Haltung der EU und Deutschlands zu sprengen“. Hat man die aktuellen Wählerpräferenzen im Kopf und die gute SPD-Tradition der Ost-Entspannung, so kann man über diese selbstzerstörerische Haltung vor wichtigen Wahlen nur den Kopf schütteln. Man fragt sich: Wem gehört bei diesem Thema die Loyalität der SPD-Führung? Dem Erfolg der Partei und dem Weltfrieden offensichtlich nicht. Denn die SPD nähert sich durch die Verweigerung einer klaren Position gefährlich den problematischen Standpunkten grüner Politiker an. So verteidigt etwa Jürgen Trittin aktuell die Sanktionen:
„Diese Handelsbeschränkungen sind die richtige Reaktion auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die militärischen Operationen in der Ostukraine.“
Genug der warmen Worte: Bürger wollen Kontra gegen antirussische Kampagnen
Am weitesten wagte sich für die SPD noch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig vor, die der dpa sagte, sie rate bei den Debatten über Russland zu mehr Besonnenheit. Fast 80 Prozent der Bürger in MV befürworteten trotz der schwierigen internationalen Lage den Ausbau der Zusammenarbeit mit Russland. „Wir müssen wegkommen von einer Schwarz-Weiß-Diskussion. Was wir brauchen, sind kontinuierliche Zusammenarbeit und kritischer Dialog.“ Das geht zwar in die richtige Richtung – den meisten Bürgern geht diese Art von lauwarmer und devoter Schüchternheit aber gegen den Strich. Schwesig stellt es doch selber fest: Die Russland-Sympathien in ihrem Bundesland sind überwältigend, die Bürger erwarten von der Politik, dass sie sich endlich gegen die antirussischen Kampagnen (hörbar und spürbar) zur Wehr setzen.
Das offensive Bekenntnis zu einer Entspannung gegenüber Russland wäre eines der wenigen verbliebenen Felder mit Wählerpotenzial für die SPD, wie die NachDenkSeiten etwa hier thematisiert haben. Zumal es auch in der CDU Gegenwind gegen den Vorstoß gibt.
Der AfD das Feld der Russland-Freundschaft abnehmen
Die AfD hat die medial konstruierten Beschränkungen gegenüber Russland gar nicht erst akzeptiert, was ihr große (unverdiente) Sympathien bei Wählern bescherte – „unverdient“, weil die AfD keinen Eigenbeitrag leisten musste: Sie musste sich einfach nur der irrationalen Russenfeindschaft nicht anschließen, die alle anderen Parteien erfasst hat – in Teilen sogar die LINKE. Diese angeblichen Sympathien für Russland bei der AfD überdecken zum einen teils die zahlreichen negativen Aspekte der Partei. Zum anderen werden diese Avancen von russischer Seite nicht unbedingt begrüßt, wie die NachDenkSeiten etwa hier oder hier beschrieben haben.
Genutzt hat der AfD sicher auch, dass die Partei auf arrogante Bürgerbeschimpfungen verzichtet hat, wenn die Umfragen mal wieder einen Wunsch der Menschen nach Ausgleich mit Russland offenbart haben. Diese Arroganz gegenüber einer weit verbreiteten Sichtweise und die Diffamierung dieser Sichtweise als „unreif“ oder auch als „geschäftstüchig“ ist aktuell erneut zu verzeichnen: Die Debatte um die Sanktionen wird zudem medial genutzt, um einen angeblichen „neuen Ost-West-Konflikt“ zu beschwören, etwa hier oder hier.
Medien: Empörende Fern-Psychologie zu „den Ostdeutschen“
Manche Redaktionen üben sich auch in Fern-Psychologie gegenüber „den Ostdeutschen“. Ein besonders empörendes Beispiel dafür liefert etwa der „Deutschlandfunk“, der Ostdeutschland fast schon als verlorenes Terrain beschreibt, das trotz „Aufbaumilliarden“ moralisch einfach nicht vom Fleck kommt:
„Auch wenn der Westen mit seinen Aufbaumilliarden noch immer glaubt, den Osten auf Westniveau angleichen zu können, so wird gerade in diesem Wahljahr klarer als je zuvor: Der Osten Deutschlands profiliert sich seit drei Jahrzehnten als Avantgarde – sei es in der Überalterung, den satt zweistelligen Erfolgen einer rechtspopulistischen Partei, dem Vertrauensverlust gegenüber den etablierten Parteien.“
Der Ruf nach dem starken Mann sei im Osten Deutschlands „kein außergewöhnlicher“, fährt der Beitrag fort. Und auch nicht der Blick nach Osten auf der Suche nach Konzepten für die Zukunft:
„Skrupellose Machtpolitiker und Nationalisten wie Putin oder Orban können in einer Region, in der die Westbindung Deutschlands und die Wahrung der Menschenrechte einer signifikanten Minderheit wenig gelten, leicht zu Vorbildern werden.“
Wer hat eigentlich die „Anti-Terror-Operation“ in der Ost-Ukraine begonnen?
Um die Sanktionen zu retten, wird nun gebetsmühlenartig darauf verwiesen, Russland habe „den Krieg in der Ost-Ukraine angefangen“. Das entspricht nicht der Wahrheit. Es waren nicht einmal die von Russland unterstützten „Volksrepubliken“, die 2014 die militärische Eskalation begonnen haben: Es war die Ukraine, die Truppen in den Osten geschickt hat – als Bestrafung dafür, dass die jetzigen „Volksrepubliken“ als Reaktion auf den Putsch in Kiew einen eigenen „Maidan“ starten wollten. Diesen „Anti-Terror-Einsatz“ beschreibt etwa die „Süddeutsche Zeitung“ in einer Chronik:
„6. April 2014: Prorussische Separatisten besetzen in mehreren Städten der Ostukraine Verwaltungsgebäude. In Donezk rufen sie eine “unabhängige Volksrepublik” aus.
13. April 2014: Kiew entsendet reguläre Truppen sowie Freiwilligenverbände für eine als “Anti-Terror-Einsatz” deklarierte Militäroffensive in die Ostukraine.“
Sanktionen werfen Licht auf Moral des Westens
Die Verteidigung der Sanktionen gegen Russland wirft immer wieder ein grelles Licht auf ein politisch-moralisches Missverhältnis in der medialen Gewichtung: Wie kann man die unblutige Sezession der Krim hysterisch als „Besatzung“ geißeln, aber dazu schweigen, dass westliche Soldaten, Waffen und Verbündete sowie westliche Propaganda ganz aktuell verschiedene große Kriege absichern? Allein der Blick auf die westliche Politik im Nahen Osten müsste ausreichen, um den Russland-Sanktionen die moralischen Fundamente zu nehmen. Durch diesen Vergleich wird nicht das eine Verbrechen mit dem anderen gerechtfertigt – statt dessen werden dadurch die medial verzerrten Relationen zwischen Ereignissen wieder vom Kopf auf die Füße gestellt.
Titelbild: MagMac83 / Shutterstock
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