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Titel: Bibel, Mammon & Regime Change – Der evangelikale Feldzug in Lateinamerika – Teil 1: das Fußvolk und die Milliardäre

Datum: 9. Juni 2019 um 11:45 Uhr
Rubrik: Kirchen/Religionen, Länderberichte, Rechte Gefahr, Strategien der Meinungsmache
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Im Jahr 2018 wurden in Lateinamerika drei Präsidenten mit überwältigender Unterstützung und zig Millionen Stimmen evangelikaler Kirchen und Sekten gewählt. In Brasilien der rechtsradikale Jair Bolsonaro, in Costa Rica der Fernseh-Prediger Fabricio Alvarado und in Mexiko selbst der Mitte-Links-Kandidat Andrés Manuel López Obrador, mit Beteiligung der evangelikal dominierten Partido Encuentro Social (Partei der Sozialen Begegnung). Ein Bericht von Frederico Füllgraf.

Eines steht fest und ist Gegenstand vielfacher Untersuchungen und Überraschungen: Die Präsenz evangelikaler Kirchen im politischen Leben der verschiedenen lateinamerikanischen Länder hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Zu den Hintergründen und Erklärungen gehört zweifellos der abnehmende Einfluss der Katholischen Kirche. In Lateinamerika verlassen stündlich 400 Menschen die seit der Conquista nahezu hegemonial wirkende Kirche Roms.

Erklärten sich im Jahr 2007 immerhin 66 Prozent aller Chilenen als praktizierende Katholiken, waren es nach Erhebungen der Katholischen Universität Chiles und des Meinungsforschungsinstituts GfK Adimark aus dem Jahr 2017 nur noch 59 Prozent. In Guatemala definieren sich bereits 30 Prozent der Bevölkerung als evangelisch. Nach Angaben des brasilianischen Instituts für Geographie und Statistik (IBGE) waren nach der jüngsten Volkszählung von 2010 von den insgesamt 210 Millionen Einwohnern des Landes etwa 42,3 Millionen – also 22,2 Prozent der Bevölkerung – Mitglieder evangelikaler Kirchen und Sekten.

„Brasilien ist die Avantgarde des globalen Trends der christlichen Pfingstler-Gemeinde” und „das Epizentrum des Weltchristentums, mit der größten evangelikalen Bevölkerung”, alarmiert Andrew Chesnut in seinem Buch Born Again in Brazil: The Pentecostal Boom and the Pathogens of Poverty. Hielte sich dieser Trend stabil, wäre bis spätestens 2050 die Hälfte aller Brasilianer evangelisch. Ganz zu schweigen von den USA: In einigen Landesgegenden erreicht das Hoch evangelikaler Sekten eine explosionsartige Expansion um die 1.000 Prozent im Jahr.

Sind einige der Ursachen – Priester-Nachwuchs-Krise, mangelnde seelsorgerische und soziale Betreuung, Sexualskandale – für die Abwanderung von der katholischen Kirche verständlich, so sind die Hintergründe des Trends höchst umstritten und der rechtsradikal ausgerichtete Vormarsch der Evangelikalen in der Politik eine eklatante Bedrohung der Demokratie.

Nach Angaben vom August 2018 zählt die Evangelische Parlamentarische Front (FPE) in der brasilianischen Abgeordnetenkammer 182 Parlamentarier, darunter 82 militante Evangelikale, die 23 Bundesstaaten und 19 unterschiedliche evangelische Konfessionen vertreten. Sie stimmten für den Sturz von Präsidentin Dilma Rousseff und für eine ultrakonservative Agenda, wie zum Beispiel gegen die Abtreibung, für die Freigabe von Waffen, gegen die Rechte sexueller Minderheiten und für die Herabsetzung des Straffälligkeitsalters von 18 auf 15, in Mordfällen sogar auf 14 Jahre.

Die „Theologie der Prosperität“

Die Pfingstler – oder neopentekostalischen (Neu-Pfingstler)-Kirchen – berufen sich auf den biblischen Propheten Maleachi des 5. oder 4. vorchristlichen Jahrhunderts, der im ihm zugeschriebenen Buch des hebräischen Tanach gepredigt hat: „Bringe den ganzen Zehnten in das Schatzhaus, damit in meinem Haus Speise ist, und beweise es mir, spricht der Herr der Heerscharen. Es sei denn, ich öffne dir die Fenster des Himmels und gieße einen Segen über dich, bis es keinen Platz mehr zum Sammeln gibt “(Maleachi 3:10). Daraus leiteten die in den USA angesiedelten Gründungskirchen der Evangelikalen eine sogenannte „Theologie des Wohlstands“ oder der „Prosperität“ ab.

Während der Heilungserweckungen in den 1950er Jahren erlangte die Wohlstands-Theologie in den USA Berühmtheit, obwohl Wissenschaftler ihre Ursprünge mit der New Thought Movement in Verbindung brachten. In den 1990er und 2000er Jahren wurde sie von einflussreichen Führern der Charismatischen Bewegung angenommen und von christlichen Missionaren auf der ganzen Welt gefördert, was zum Bau von Megakirchen – wie dem im Jahr 2014 in São Paulo, im Beisein der damaligen Präsidentin Dilma Russeff eingeweihten Tempel Salomons mit einem Fassungsvermögen von 10.000 Menschen – führte.

Motor der evangelikalen Kirchen ist die Abgabe des sogenannten Zehnten. Zu den Kulten gehören im Allgemeinen zwei Predigten, von denen eine auf Spenden und Wohlstand – vor allem biblischer Legitimierung der Spende – ausgerichtet ist, gefolgt von einer weiteren nach der Spendensammlung. Pastoren verabreichen dem gespendeten Geld ihren Segen, in einigen Fällen müssen die Gläubigen ihre Spenden während des Gebets über den Kopf halten. Während des Gottesdienstes bleibt der kranken Gemeinde auch etwas Zeit zum Gebet.

Sodann werden die Versammelten dazu ermutigt, laut ausgesprochene, positive Litaneien über Aspekte ihres Lebens zu machen, die sie verbessern möchten. Diese Aussagen, die als „positive Geständnisse“ bekannt sind, sollen auf wundersame Weise diese Aspekte verändern, wenn sie im Glauben gesprochen werden. Die Kirchen ermutigen die Menschen auch dazu, „ohne Grenzen zu leben” und „Optimismus zu pflegen“. Der US-amerikanische Prediger T. D. Jakes, Pastor einer nicht konfessionellen Megakirche, argumentiert gar, Armut sei ein „Hindernis für das christliche Leben“. Vielmehr sei es einfacher, positive Auswirkungen auf die Gesellschaft zu haben, wenn der Gläubige finanziellen „Einfluss“ hat. Diesen Einfluss haben jedoch nur wenige, nämlich die Kirchenfürsten selbst, emsig nachgeahmt vom niederen Klerus, den Pastoren.

„Religion war schon immer eine lukrative Angelegenheit”: die betrügerischen Bischöfe

So begann ein Bericht der amerikanischen Zeitschrift Forbes vom Januar 2013 über die sogenannten Gründungsbischöfe der größten evangelischen Kirchen Brasiliens. Auf Platz 1 der Rangliste den reichsten Kirchenfürsten war der selbsternannte und im US-amerikanischen Florida lebende Bischof Edir Macedo genannt, der nach damaligen Angaben bereits ein Vermögen von rund 2,0 Milliarden Reais (umgerechnet 700 Millionen Dollar) besaß, jedoch schon zwei Jahre später weitere 500 Millionen Dollar dazugewonnen hatte und zur auserlesenen Community der Welt-Milliardäre zählte. Namhafte Kollegen wie die Bischöfe Valdemiro Santiago (150 Millionen Dollar) und Silas Malafaia (100 Millionen) rangierten in dieser Statistik zwar unter ferner liefen, gehörten jedoch eindeutig zur brasilianischen Geld-Elite.

Doch wie entstanden diese spektakulären Vermögen? „Bischof“ Edir Macedo ist ein vielsagendes Beispiel. Macedo ist Gründer und CEO der brasilianischen „Universalen Kirche des Reiches Gottes“ – kurz „Universal“ genannt – die auch Tempel in den USA, in nahezu allen Ländern Lateinamerikas, in Portugal und Afrika betreibt. Macedo ist mit Abstand der reichste Pastor in Brasilien. Doch Macedo ist ständig in Skandale verwickelt, hauptsächlich wegen Vorwürfen, dass seine „Universal“ Milliarden Dollar an Spenden für wohltätige Zwecke unterschlagen hätte.

Es gab auch offizielle Anklagen der brasilianischen Staatsanwaltschaft wegen Betrugs und Geldwäsche. Im Jahr 1992 saß Macedo wegen Scharlatanismus sogar elf Tage hinter Gittern. Selbstverständlich hat der Bischof in der Vergangenheit sämtliche Vorwürfe in Brasilien zurückgewiesen, wurde jedoch weiterhin von der US-Justiz und den venezolanischen Behörden strafrechtlich angeklagt.

Als evangelikaler Autor hat Macedo bisher mehr als 10 Millionen Bücher verkauft, in denen er eine Generalabrechnung mit der Katholischen Kirche und den weitverbreiteten brasilianischen Afro-Kultreligionen betreibt. Zum Privateigentum des Bischofs gehören die Zeitung Folha Universal (Auflage: zwischen 2,5 Millionen und 3,0 Millionen Exemplare), der Nachrichtensender Record News, Musiklabel-Unternehmen, hochmoderne Immobilien und ein privater Bombardier Global Express XRS-Jet (Marktwert: 45 Millionen US-Dollar).

Dennoch gelang es Macedo, seine Anhänger-Schar im Laufe der Jahre bei der Stange zu halten. Macedos „Universal“ ist die größte und mächtigste Spenden-Kirche Lateinamerikas und sein politisches Einflussmittel ist Rede Record, der zweitgrößte private Fernsehsender Brasiliens, der während der Präsidentschaftswahlen von 2018 Partei für den rechtsradikalen Kandidaten Jair Bolsonaro ergriff und nach dessen Amtsübernahme als sein inoffizielles Sprachrohr agiert.

Selten wird jedoch in Europa darüber gesprochen, wie die eigentliche Geschichte der Evangelikalen vor 50 Jahren in Lateinamerika begann. Im folgenden Teil II dieses Artikels wird den Anfängen, von vorn nach hinten aufgerollt, auf die Spur gegangen: dem Nelson-Rockefeller-Report 1969, der der Regierung Richard Nixon die massive Entsendung US-amerikanischer Missionare und die Gründung von Kirchen-Filialen und fundamentalistischer evangelikaler Sekten als ideologische Waffe gegen die katholisch inspirierte Theologie der Befreiung empfahl.

Titelbild: Alf Ribeiro/shutterstock.com


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