Startseite - Zurück - Drucken
NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Die Rolle der Bertelsmann Stiftung beim Abbau des Sozialstaates und der Demokratie oder: Wenn ein Konzern Politik stiftet – zum gemeinen Nutzen?
Datum: 15. April 2010 um 12:46 Uhr
Rubrik: Lobbyismus und politische Korruption, Markt und Staat, Medienkonzentration, Vermachtung der Medien
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
Ein Referat von Dr. Wolfgang Lieb, Köln beim NachDenkTreff der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
Dienstag, den 13. April 2010, im ver.di-Haus Dortmund
Die Bertelsmann AG ist der größte Oligopolist der veröffentlichten Meinung in Deutschland. Die Zeitungen, Zeitschriften, Fernseh- und Radiosender und nicht zuletzt die Verlage des Konzerns beeinflussen nicht nur die Meinungsbildung sondern auch die gesamte Stimmungslage und die Befindlichkeiten in Deutschland. Schon diese Medienmacht alleine stellt eine Bedrohung für die Meinungsvielfalt in Deutschland dar.
Die Bertelsmann AG mit Hauptsitz in Gütersloh ist der größte europäische Medienkonzern. Mit einem Umsatz von 16,1 Milliarden Euro und weit über 100.000 Beschäftigten in mehr als 60 Ländern ist Bertelsmann das fünftgrößte Medienunternehmen weltweit. Bertelsmann ist zwar nicht das nach Umsatz größte Unternehmen in Deutschland, aber durch seine Medienmacht gepaart mit der Mission der Bertelsmann Stiftung – auf die ich gleich zu sprechen komme – das gesellschaftlich und politisch wirkungsmächtigste.
Das Familienunternehmen Mohn begann vor drei Generationen mit Büchern und später Schallplatten, baute Leseringe auf, kaufte in den letzten Jahrzehnten Großdruckereien und Verlage und stieg ins Funk-, Fernseh- Film- und Musikgeschäft ein. Radiostationen, Filmproduktion, Rechtehandel, Medien- und Kommunikationsdienstleistungen sowie Immobilien- und Finanzfirmen.
Ein kurzer Überblick über den Konzern:
Zu ihr gehören in Deutschland neben den unter dem Namen Bertelsmann erscheinenden Verlagen, etwa die Deutsche Verlags-Anstalt, der Heyne Verlag, Kösel, der Luchterhand Literaturverlag, Goldmann, Kösel, Siedler und viele andere mehr. Weitere Verlage wie die Verlagsgruppe Ullstein Heyne List wurden von der Springer AG abgekauft.
Das Flaggschiff der RTL Group im Radiobereich ist RTL in Frankreich, insgesamt gehören der RTL Group 32 Stationen in Europa komplett oder anteilig. Der weltweit arbeitende Produktionsbereich Fremantle Media ist einer der größten internationalen Produzenten außerhalb der USA.
Nach firmeneigenem Bekunden schalten mehr als 200 Millionen Zuschauer in ganz Europa täglich die Fernsehsender der RTL Group ein: RTL Television, Super RTL, VOX oder N -TV in Deutschland, M6 in Frankreich, Five in Großbritannien, Antena 3 in Spanien, RTL 4 in den Niederlanden, RTL TVI in Belgien und RTL Klub in Ungarn ein – um nur wenige zu nennen.
Nur als Nebenbemerkung: Auch die öffentlich-rechtlichen Sender sind mit Bertelsmann verbandelt. So ist zum Beispiel der ehemalige stellvertretender Chefredakteur des ZDF und früher Leiter der Hauptredaktion Aktuelles und heutige Leiter des Washingtoner ZDF-Studios, Klaus-Peter Siegloch im Kuratorium der Bertelsmann Stiftung. Auch der frühere ZDF Intendant Dieter Stolte, der z.B. 1999 eine kritische Reportage über die Rolle Bertelsmanns im Dritten Reich verhinderte, gehörte noch während seiner Amtszeit dem Kuratorium an. Der Nachfolger von Nikolaus Brender als Chefredakteur des ZDF, Peter Frey, ist „Fellow“ des von Bertelsmann getragenen „Centrums für angewandte Politikforschung“ (CAP).
Unter dem Stichwort „Moderner Staat“ bietet Arvato sämtliche Servicemodule für das Management von Kunden- bzw. Bürgerbeziehungen zur öffentlichen Hand aus einer Hand an. Arvato managt z.B. in Großbritannien schon ganze Kommunen, erhebt Gebühren und zieht Steuern ein. Mit dem Projekt „Würzburg integriert!“ fiel 2007 der Startschuss für die Zusammenarbeit von Arvato und öffentlicher Verwaltung in Deutschland. Mit diesem Pilotprojekt sollen die Servicequalität verbessert und Verwaltungsabläufe beschleunigt werden.
Bertelsmann Stiftung
Über die Meinungsmacht des Konzerns hinaus übt Bertelsmann hinaus eine politische Gestaltungsmacht aus, die weit über den Einfluss von Verbänden, Kirchen, Gewerkschaften, ja sogar von Parteien hinausgeht – und das geschieht durch die Bertelsmann Stiftung.
Der Firmenpatriarch Reinhard Mohn hat die Stiftung 1977 gegründet und ihr 76,9% der Anteile an der Bertelsmann AG übertragen.
Die Bertelsmann Stiftung ist die reichste Stiftung in Deutschland. Seit ihrer Gründung hat sie bisher rund 666 Millionen Euro in über 700 Projekte investiert und insgesamt rund 728 Millionen Euro für ihre Form der „gemeinnützige Arbeit“ zur Verfügung gestellt. Im Geschäftsjahr 2007 hat sie aus Erträgen der Bertelsmann AG 72 Millionen Euro erhalten, aufgrund von Kooperationen und Erträgen aus der Vermögensverwaltung verfügte die Bertelsmann Stiftung über ein Volumen von knapp 84 Millionen Euro. Allein für die Bildungsaktivitäten standen 2006 knapp elfeinhalb Millionen Euro zur Verfügung. [1] (Fußnote: Alle Zahlen aus dem Jahresbericht 2007 [PDF – 3.6 MB])
Mit über 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die bis zu 100 Projekte betreuen, hat sich die Stiftung seit den 90er Jahren zu einem führenden deutschen Think-tanks entwickelt.
Um Synergieeffekte zu erzielen, arbeitet die Bertelsmann Stiftung unter anderem mit der Heinz Nixdorf Stiftung, Körber-Stiftung, der VolkswagenStiftung, der Gemeinnützige Hertie-Stiftung, der Ludwig-Erhard-Stiftung und der Robert Bosch Stiftung zusammen.
Die Mission
„Eigentum verpflichtet“ nennt Reinhard Mohn als Motiv für die Gründung seiner Stiftung. Doch so ganz altruistisch motiviert dürfte die Übertragung von über dreiviertel der Kapitalanteile an der Bertelsmann AG an eine Stiftung nicht gewesen sein. Man liegt gewiss nicht falsch mit der Vermutung, dass Reinhard Mohn dadurch, dass er dieses Kapital „gestiftet“ hat, hohe Summen an Erbschafts- und/oder Schenkungssteuer „gespart“ hat. Zudem sind die jährlichen Dividendezahlungen des Konzerns an die „gemeinnützige“ Bertelsmann Stiftung steuerbegünstigt und die Vermutung dürfte nicht unbegründet sein, dass ein Gutteil des Etats der Stiftung über Steuerminderungen finanziert wird. Der Fiskus fördert also die Aktivitäten der Stiftung mit.
Dabei ist es keineswegs so, dass die Ziele des Konzerns von den Zielen der gemeinnützigen Stiftung unabhängig sind.
Reinhard Mohn sieht seine Stiftung als „Garant der Unternehmenskontinuität des Hauses Bertelsmann“. Die Mohns beherrschen sowohl den Konzern wie dessen Stiftung und haben nicht ohne Grund bislang einen Börsengang vermieden. Die Konzernmatriarchin Liz Mohn und ihre Berater haben nach dem Rückzug des Patriarchen Reinhard Mohn in der Stiftung wie im Konzern das Sagen.
Der Göttinger Soziologe und Kenner der internationalen Stiftungslandschaft, Frank Adloff, kritisiert wohl nicht zu unrecht, dass für solche Zwecke, für die die Stiftung steht, „die Steuerbefreiung für gemeinnützige Stiftungen nicht gedacht“ sei. [2] Denn die Bertelsmann Stiftung ist – entgegen dem Anschein, den sie zu erwecken versucht – eben keine neutrale Einrichtung zu uneigennützigen Zwecken.
Man kann Reinhard Mohn nicht einmal vorwerfen, dass er mit seiner „Mission“ hinter dem Berg hält. Jeder kann die Botschaften im Internet etwa auf der Website der Bertelsmann Stiftung oder in Mohns Buch „Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers“ [3] nachlesen. Der Bertelsmann-Firmenpatriarch legte auch in zahlreichen Schriften seine Weltanschauung ausgiebig dar.
Mohn und mit ihm die Bertelsmann Stiftung vertreten eine Art deutschen Sonderweg in die wirtschaftsliberal globalisierte Welt,
Und immer geht es deshalb auch um ein Zurückdrängen des Staates, eine Verringerung der Staatsquote und – als Mittel dazu – um die Senkung der Steuerlast.
„Es ist ein Segen, dass uns das Geld ausgeht. Anders kriegen wir das notwendige Umdenken nicht in Gang“, sagte Reinhard Mohn schon 1996 in einem Stern-Interview
Im Hinblick auf diese Mission ist die Stiftung – wie Harald Schumann im Tagesspiegel schrieb – eine „Macht ohne Mandat“.
Unter dem Pathos der „Gemeinwohlverpflichtung“ oder der Losung „Wir helfen der Politik, dem Staat und der Gesellschaft, Lösungen für die Zukunft zu finden“ (R. Mohn) gibt es kaum ein politisches Feld von Bedeutung, wo die Stiftung mit ihren Handreichungen nicht ihre Lösungsangebote macht.
Das Spektrum der Projekte reicht vom Kindergarten über die Schule bis zur Hochschule und weiter bis ins Arbeitsrecht. Bertelsmann macht Vorschläge zur Bewältigung des demografischen Wandels, zur Integration von Migranten, zur Altersvorsorge, zur Reform des Föderalismus, zur Familienpolitik, zur Gesundheitspolitik, zur Politik in Europa, zur transatlantischen Kooperation und zur globalen Durchsetzung der von Mohn für richtig befundenen Prinzipien. Bertelsmann bietet seine Dienstleistungen zum „modernen Regieren“ an und sieht in der öffentlichen Verwaltung gleichzeitig ein gewinnträchtiges Geschäftsfeld für die Konzerntochter Arvato.
Die Bertelsmann will „Motor“ für Reformen auf allen diesen Feldern sein.
Von der so genannten Reformpolitik (also etwa der Agenda 2010 oder den Hartz-Gesetzen [4]), über die demografische Entwicklung, die Kommunal-, die Gesundheits-, die Finanz-, die Schul-, ja sogar die Außen- und Verteidigungspolitik bis hin zur Altersvorsorge oder zum Bibliothekswesen und dem Wissensportal wissen.de oder bis zum Familiengipfel Überall bietet die Stiftung ihre „Lösungen für die Zukunft“ an. Vom Bundespräsidenten, über die Bundeskanzler und die Bundes- und vor allem Landesministerien, bis hin zur Kommunal- oder Finanzverwaltung überall dient Bertelsmann seine Vorschläge an. Bertelsmann hat Politiker wie den Europaparlamentarier Elmar Brok auf der pay-roll. Brok ist Europabeaufragter des Vorstandes der Bertelsmann AG [5] und Senior Vice President Media Development. [6] [7]
Die Bertelsmann Stiftung hat es vermocht, ein enges personelles und organisatorisches Netzwerk zu einflussreichen Personen aus Kultur, Wissenschaft und Politik bis zu den Bundespräsidenten, vor allem zu Roman Herzog und Horst Köhler, zu flechten. Bei Bertelsmann absolvierten Schröder, Fischer, Merkel pünktlich ihre Antrittsbesuche.
Und es ist ja nicht unter der Decke geblieben, dass die beiden „Grande Dames“ des deutschen Medienwesens Liz Mohn und Friede Springer in freundschaftlicher Verbundenheit zu Angela Merkel stehen.
Von der Stiftung stammt die Idee eines europäischen Außenministers und sie nimmt sich auch der europäischen Militärpolitik im Sinne der Verteidigung europäischer „Interessen“ an.
Bertelsmann lädt zusammen mit dem österreichischen Bundeskanzler zum Salzburger Dialog.
Bertelsmann organisierte die 30 Millionen-Kampagne „Du bist Deutschland“ mit.
Sicher, Bertelsmann stand nicht allein, da waren die Arbeitgeberverbände, da war die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, da war der BürgerKonvent und wie die zahllos gewordenen, vom großen Geld finanzierten PR-Agenturen auch alle heißen mögen.
Aber keine dieser Institutionen war so wirkmächtig wie die Bertelsmann Stiftung.
Was noch entscheidender ist, die Lösungskonzepte werden auf allen Ebenen, von zahllosen öffentlichen oder halböffentlichen Institutionen, von Regierungen und Parlamenten und von fast allen Parteien von der FDP, über die CDU oder die SPD bis zu den Grünen im Sinne des herrschenden Modernisierungsdenkens begierig aufgegriffen.
Bertelsmann liefert zahllose Angebote vor allem für die Schulen:
Angefangen vom Projekt „Bildungswege in der Informationsgesellschaft (BIG 2006)“, über Gesundheitserziehung, die Initiative „Notebooks im Schulranzen“, der Förderung der Musikkultur bei Kindern, dem Projekt „Wirtschaft in der Schule“, der „Toolbox Bildung“ bis zu den Projekten „Eigenverantwortliche Schule und Qualitätsvergleich in Bildungsregionen“. Unter dem Titel „SEIS macht Schule“ entwickelte die Bertelsmann Stiftung den Schulen ein Selbstevaluations- und Steuerungsinstrument, das den (Zitat) „Entwicklungsprozess einer Schule zielgerichtet, effizient, systemisch und nachhaltig“ voranbringen soll. Ein Netzwerk von weit über 1000 sog. innovativen Schulen in 16 Bundesländern ist schon aufgebaut. Das Projekt soll künftig ohne Unterstützung der Stiftung fortgeführt werden.
Bertelsmann bietet neue Steuerungsmodelle etwa für öffentliche Bibliotheken, den „Bibliothekindex“, die „Bibliothek 2007“ und last but not least baut die Stiftung eine Deutsche Internetbibliothek auf.
Bertelsmann legt Studien zum demografischen Wandel vor. Das Ergebnis ist immer das Gleiche, die sozialen Sicherungssysteme bluten angesichts der Überalterung aus, private Vorsorge ist die Rettung.
Die Stiftung führte etwa am 20. November 2006 in Berlin zusammen mit dem Internationalen Währungsfond IWF hochrangig besetzte Symposien über die Situation der öffentlichen Finanzen durch. Ergebnis: Wir brauchen eine Neuverschuldung von Null, etwas anderes kann sich niemand mehr leisten.
Die Bertelsmann Stiftung verfolgt die Idee eines Niedriglohnsektors, sie war an der Ausgestaltung des früheren Bündnisses für Arbeit, der Agenda 2010 und von Hartz IV wenn auch nur indirekt, aber doch prägend beteiligt [8]). Die Bertelsmann Stiftung war sozusagen die „unsichtbare Vierte“ im Bündnis für Arbeit, wie es das Handelsblatt einmal formuliert hat.
Mit dem wesentlich von der Stiftung getragenen „Centrum für angewandte Politikforschung“ (CAP) mit seinem Direktor und ehemaligen Bertelsmann-Vorstandsmitglied Werner Weidenfeld verschaffte sich Bertelsmann weiteres internationales Renommee. Wenn Bertelsmann lädt, kann sich kaum noch einer widersetzen bis hin zum ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan.
Nahezu alle Aktivitäten stehen im Dienste des Bertelsmannschen Verständnisses von der Förderung des „Gemeinwohls“ und das heißt konkret zur Förderung des „gesellschaftlichen Wandels“ und von „Reformen“ in allen gesellschaftlichen Bereichen.
Besonders engagiert ist die Bertelsmann Stiftung auf dem Feld der Hochschulpolitik. Hochschulen werden von Reinhard Mohn – richtigerweise – als „Schlüssel zur Gesellschaftsreform“ angesehen wird. Besonders engagiert ist die Bertelsmann Stiftung auf dem Feld der Hochschulpolitik. Hochschulen werden von Reinhard Mohn – richtigerweise – als „Schlüssel zur Gesellschaftsreform“ angesehen wird.
Mohn war einer der Gründungsväter und bis vor einigen Jahren der Hauptsponsor der 1983 gegründeten ersten deutschen Privaten Universität Witten-Herdecke. Sie sollte „Stachel im Fleisch“ der staatlichen Hochschulen sein.
Witten-Herdecke schaffte es nie so richtig finanziell auf die Beine zu kommen und wäre der Privaten Uni der Staat nicht zur Seite gesprungen wäre sie schon längst Pleite gegangen. Anfang des Jahres stand sie wieder einmal mehr kurz vor der Insolvenz.
Reinhard Mohn hat offenbar im Laufe der Zeit erkannt, dass der Weg zur Reform des Hochschulsystems über die Gründung privater Hochschulen nicht erfolgversprechend ist, weil sich nicht ausreichend private Geldgeber finden lassen. Viel effizienter erschien ihm daher der Weg, die weitgehend staatlich finanzierten Hochschulen wie private Unternehmen in den Wettbewerb zu schicken und über die Konkurrenz um Studiengebühren und ergänzende private oder auch öffentliche Drittmittel das Hochschulsystem steuern zu lassen.
Diese Erkenntnis haben Reinhard Mohn und seine Berater wohl veranlasst 1994 das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) zu gründen.
Klugerweise nahm das CHE die damals ohne jeden Apparat und ohne großen institutionellen Einfluss auf die Hochschulpolitik agierende, aber umso standesbewusstere Hochschulrektorenkonferenz (HRK) mit ins Boot.
So veröffentlichten das CHE und die HRK ihre hochschulreformerischen Lösungskonzepte unter einem gemeinsamen Kopfbogen und so verschaffte sich Bertelsmann ein einigermaßen unverdächtiges Entree in die Hochschulen vor allem über die Hochschulleitungen.
Nach eigener Darstellung handelt es sich beim „CHE“ um eine unabhängige »Denkfabrik« mit einem jährlichen Budget von über 2 Millionen Euro, das überwiegend von der Bertelsmann Stiftung finanziert wird.
Zur „Marke“ CHE gehören inzwischen zwei Gesellschaften, das gemeinnützige Centrum für Hochschulentwicklung (gGmbH) als „Reformwerkstatt für das deutsche Hochschulwesen“ und in die CHE Consult GmbH, als private Beratungsgesellschaft für Hochschulen, Wissenschaftseinrichtungen, Ministerien oder Stiftungen.
Dies alles gemäß der Bertelsmannschen „Überzeugung, dass Wettbewerb“ und „die Prinzipien unternehmerischen Handelns zum Aufbau einer zukunftsfähigen Gesellschaft“ die wichtigsten Merkmale sind. Indem „die Grundsätze unternehmerischer, leistungsgerechter Gestaltung in allen Lebensbereichen zur Anwendung gebracht werden“, soll das Regieren besser werden, und das wiederum alles stets nach dem Prinzip „so wenig Staat wie möglich“.
Das CHE hat sich bislang als einer der antriebsstärksten „Reformmotoren“ der Bertelsmann Stiftung erwiesen. Auch bei den Hochschulreformen geht es Bertelsmann um die Mission von weniger Staat, mehr Wettbewerb, unternehmerische Leitungsstrukturen und mehr betriebswirtschaftliche Effizienz.
Wenn man so argumentiert wie ich, wird einem von Vielen, die die Bertelsmann Stiftung nach wie vor als ein dem Gemeinwohl verpflichtetes Unternehmen betrachten und die das eine oder andere Projekt für durchaus hilfreich halten, vorgehalten, man sei ein „Verschwörungstheoretiker“.
Lassen Sie mich deshalb einmal konkret belegen, wie eine solche „Verschwörung“ abläuft:
Die Entstehungsgeschichte des „Hochschulfreiheitsgesetzes“ in Nordrhein-Westfalen ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich die Politik und der Staat aus ihrer Verantwortung für ein zentrales Feld der Zukunftsgestaltung zurück ziehen und dem Druck einer privaten Lobbyorganisationen nachgeben und sich zur verlängerten Werkbank des „Centrums für Hochschulentwicklung“ degradieren lassen.
Schaut man nämlich einmal genauer hin, woher das im HFG in Gesetzesform gegossene Konzept vom Rückzug des Staates zugunsten einer unternehmerischen Hochschule stammt, so stößt man auf die sog. „Governance Struktur“ des „New Public Management“-Modells das vom bertelsmannschen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), dem „Stifterverband für die deutsche Wissenschaft“ und der OECD seit geraumer Zeit der Politik angedient, um nicht zu sagen aufgenötigt wird.
Das lässt sich beim nordrhein-westfälischen „Hochschulfreiheitsgesetz“ sogar schwarz auf weiß belegen. Und das will ich Ihnen kurz demonstrieren.
Ich muss mich dabei der Kürze wegen auf zwei Beispiele beschränken, die jedoch eine zentrale Bedeutung für den Paradigmenwechsel vom humboldtschen Universitätsideal zur „unternehmerischen Hochschule“ haben, nämlich
Ende 2005 veröffentlichte der Gütersloher Think-Tank – so wörtlich – „Zehn CHE-Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz für Nordrhein-Westfalen“ [PDF – 95 KB].
In diesen „Anforderungen“ finden sich teilweise sogar bis in den Wortlaut hinein die Formulierungen wieder, die der nordrhein-westfälische „Innovationsminister“ Pinkwart, ohne jede politische Debatte in seiner Partei, geschweige denn im Landtag kurze Zeit später auf einer Pressekonferenz am 25. Januar 2006 als seine eigenen „Eckpunkte des geplanten Hochschulfreiheitsgesetzes“ [PDF – 87 KB] vorstellte …
Entstaatlichung
CHE: (Zehn Anforderungen… 15.12.05)
„Es geht dabei insbesondere um die Möglichkeit einer Stärkung der körperschaftlichen Seite der Hochschulen bei gleichzeitiger Minderung ihrer Eigenschaft als staatlicher Einrichtung…“Pinkwart: (Eckpunkte HFG … 25.01.06)
„Die Hochschulen werden als Körperschaften des öffentlichen Rechts verselbstständigt und sind künftig keine staatlichen Einrichtungen mehr.“Regierungsentwurf (30.05.06)
„Die Universitäten und Fachhochschulen sollen ihren Doppelcharakter als Körperschaften und zugleich staatliche Einrichtungen verlieren und als Körperschaften des öffentlichen Rechts verselbständigt werden.“
Hochschulrat
CHE: (Zehn Anforderungen… 15.12.05)
In verschiedenen Bundesländern ist bereits ein Modell eingeführt worden, in dem Kompetenzen vom Staat auf einen Hochschulrat übertragen worden sind, wobei die Wahl des Rektors und die Verabschiedung der Grundordnung unabdingbar dazu gehören. Der Hochschulrat muss hierdurch zu einem insbesondere in strategischen Fragen wichtigen Entscheidungsorgan werden. Die Mitglieder des Hochschulrats sollten extern bestellt werden.Pinkwart: (Eckpunkte HFG … 25.01.06)
Der Hochschulrat tritt als neues Organ an die Stelle des Kuratoriums und besteht mindestens zur Hälfte aus Mitgliedern von außerhalb der Hochschule. Der Vorsitzende muss stets von außen kommen… Der Hochschulrat entscheidet über die strategische Ausrichtung der Hochschule und nimmt die Fachaufsicht wahr. Er beschließt über den Hochschulentwicklungs-plan und die von den Hochschulen mit dem Land ausgehandelte Zielvereinbarung.
An Stelle des Ministeriums oder des Parlaments als rahmensteuernde Aufsichtsorgane wird der „unternehmerischen“ Hochschule, wie bei einem in Form einer Aktiengesellschaft konstituierten Wirtschaftsunternehmen, eine Art Aufsichtsrat dem Management der Hochschule als „Fachaufsicht“ gegenübergestellt.
Nur wenige Tage nachdem Pinkwart seine Eckwerte vorgelegt hat, liefert des CHE ein Zeugnis :
CHE begrüßt Eckpunkte für NRW-„Hochschulfreiheitsgesetz“, sieht aber noch Entwicklungspotenziale [PDF – 143 KB]
Das CHE bewertet die Eckpunkte überwiegend positiv, sieht aber nochweitere Potenziale. Die Bewertung erfolgte vor dem Hintergrund der vom CHE Ende 2005 vorgelegten „Zehn CHE-Anforderungen an ein Hoch-schulfreiheitsgesetz in NRW“.
CHE-Leiter Detlef Müller-Böling erklärt: „Es ist zu wünschen, dass die allermeisten der von Minister Pinkwart angekündigten Regelungen tatsächlich Gesetz werden. In einigen Punkten erscheinen Modifikationen sinnvoll und der eine oder andere Punkt, der sich in den Eckpunkten bislang nicht findet, kann in dem Gesetz ja durchaus noch angesprochen werden. Mutige Ankündigungen müssen nun zu einem noch mutigeren Gesetz führen.“
Vergleicht man die Eckpunkte von Minister Pinkwart mit den „Zehn Anforderungen an ein Hochschulfreiheitsgesetz“, die das CHE Ende 2005 formuliert hat, so ist festzustellen:
1. Rechtsform der Hochschulen freigeben.
Diese Forderung wird erfüllt, indem Hochschulen als Körperschaften öffentlichen Rechts oder durch ein Stiftungsmodell von ihrer Eigenschaft als staatlicher Einrichtung befreit werden(…)
8. Governance-Strukturen flexibilisieren.
Dieser Forderung wird in erheblichem Umfang Rechnung getragen. Die Schaffung verschiedener Optionen für Führungsmodelle einschließlich eines erweiterten Präsidiums und insbesondere eines an die Stelle des Kuratoriums tretenden, überwiegend extern besetzten Hochschulrates mit strategischen Kompetenzen. Er wählt zudem den vom Senat zu bestätigenden Rektor bzw. Präsidenten wie auch den Kanzler bzw. Vizepräsidenten. … Richtig ist auch, dass hier Externe gewählt werden können. Dem Hochschulrat sollte dabei aber in jedem Falle die Entscheidung über die Grundordnung, über den Hochschulentwicklungsplan und über die Zielvereinbarung obliegen(…)
Die Eckpunkte enthalten insoweit sehr gute Ansätze und Zielaussagen. Jetzt müssen sie in einigen Aspekten ergänzt und dann mutig und umsichtig in Gesetzesform gegossen werden.
Mit Verlaub, hier drückt sich eine Anmaßung einer durch nichts als durch das nötige Geld legitimierten privaten Interessensgruppe gegenüber dem Staat, der Regierung und dem Parlament aus, die nach demokratischen Maßstäben nicht mehr hinnehmbar sein sollte. Die Politik wird geradezu zum Befehlsempfänger von Bertelsmann degradiert.
Aber damit immer noch nicht genug:
Nachdem das HFG verabschiedet worden ist, wird das CHE vom Ministerium beauftragt, die Hochschulen auch noch bei der Umsetzung zu begleiten:
Ministerium unterstützt Hochschulen auf Weg in die Eigenverantwortung – CHE mit Begleitung beauftragt
Pressemitteilung v. 13.11.2006
Das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) in Gütersloh wird über einen Zeitraum von 18 Monaten die Umsetzung des Hochschulfreiheitsgesetzes begleiten und auswerten. Das gab Innovationsminister Prof. Andreas Pinkwart am heutigen Montag in Düsseldorf bekannt. “Staat und Hochschulen müssen ihre neuen Rollen finden und annehmen. Dies wollen wir von unabhängigen Experten begleiten lassen, damit alle von guten Beispielen lernen und mögliche Startschwierigkeiten schnell beheben können”, sagte Pinkwart.
Das hätte ich mir früher einmal als Staatssekretär erlauben sollen, nämlich die Hochschulen bei der Umsetzung eines Gesetzes zum „Erfolg“ zu führen. Der Untergang der Freiheit von Wissenschaft und Forschung und damit der Epoche der Aufklärung wäre von den Hochschulen beschworen worden.
Aber wenn nun einer der mächtigsten und politisch einflussreichsten Konzerne den Hochschulen sagt, was sie zu tun haben, dann scheint das von den Hochschulen ganz selbstverständlich und ohne Murren hingenommen zu werden.
Das CHE ist quasi in das Kompetenzvakuum eines fehlenden Bundeshochschulministeriums gestoßen und füllt die in unserer Verfassung nicht vorgesehene Rolle eines Bundeshochschulministeriums aus – ein informelles Ministerium, das allerdings nicht dem Parlament sondern nur der Bertelsmann Stiftung rechenschaftspflichtig ist. Der Autor des Buches „Hinter der Fassade des Medienimperiums“ Frank Böckelmann, nennt das „eine Privatisierung der Politik“.
Die neoliberale Bewegung hat nicht nur die Wirtschafts- und Sozialpolitik, sondern auch die Hochschulen besetzt und den „größten Umbruch“ seit den preußischen Hochschulreformen herbeigeführt. Das Zerstörungswerk folgte dem gleichen Drehbuch wie beim Abbau des Sozialstaates, bei der Deregulierung des Arbeitsmarktes oder bei der Privatisierung der öffentlichen Einrichtung der Daseinsvorsorge. Einer gezielten Verarmung des Staates und der damit notwendig einhergehenden Verschlechterung der öffentlichen Leistungen folgten Kampagnen der Miesmache über das in den letzten Jahrzehnten willentlich und wissentlich abgewirtschaftete staatliche Angebot. Das Heils-Versprechen war, der Markt kann alles besser…
Methoden der „Überzeugungsarbeit“
Die Methoden, die Bertelsmann und das CHE für ihre „Überzeugungsarbeit“ einsetzen sind im Großen und Ganzen immer dieselben: Gutachten, Konferenzen, Umfragen und besonders beliebt sind Rankings und Benchmarks.
So veranstaltet die Stiftung seit Jahren ein sog. Standort-Ranking und regelmäßig landet Deutschland als Schlusslicht. Und regelmäßig ist die Schlussfolgerung, Deutschland braucht weniger Staat, eine Senkung der Staatsquote, einen Umbau des Sozialstaats, niedrigere Löhne und vor allem niedrigere Lohnnebenkosten, Deregulierung und vor allem weniger Kündigungsschutz.
Überall dort, wo kein Markt besteht und damit das Steuerungsinstrument des Wettbewerbs eigentlich gar nicht funktioniert, also vor allem im öffentlichen Sektor, etwa auch bei den Hochschulen, musste die Bertelsmann Stiftung wettbewerbliche Steuerungsinstrumente erst noch einführen. Da dienen als Fiktion für den Marktwettbewerb Rankings und Benchmarks.
Das CHE hat so in Deutschland die Hochschulrankings hoffähig gemacht.
Bertelsmann veranstaltet das größte Hochschulranking im deutschsprachigen Raum. (Die Schweizer Rektorenkonferenz und die österreichischen Hochschulen beteiligen sich allerdings inzwischen nicht mehr.)
Zusätzlich zum Hochschulranking gibt es noch ein CHE-ForschungsRanking, ein CHE-LänderRanking und sogar noch ein CHE-AlumniRanking.
Das eigentliche Steuerungsinstrument der Rankings ist, dass durch die quantitativen, indikatorengestützten Vergleiche ein Konformitäts- und Anpassungsdruck auf alle Hochschulen ausgeübt wird.
Dies alles gemäß der Bertelsmannschen „Überzeugung, dass Wettbewerb“ und „die Prinzipien unternehmerischen Handelns zum Aufbau einer zukunftsfähigen Gesellschaft“ die wichtigsten Merkmale sind. Indem „die Grundsätze unternehmerischer, leistungsgerechter Gestaltung in allen Lebensbereichen zur Anwendung gebracht werden“, soll das Regieren besser werden, und das wiederum alles stets nach dem Prinzip „so wenig Staat wie möglich“.
„Wir müssen lernen, dass wir in der Bürgergesellschaft selbst Verantwortung tragen“ schrieb Reinhard Mohn zum 30-jährigen Jubiläum seiner Stiftung.
Privatisierung der Politik
Manche halten die Kritik am Einfluss von Bertelsmann für überzogen oder tun sie gar als Verschwörungstheorie ab.
Etwa weil sie einwenden, die Bertelsmann Stiftung habe doch nichts mit der Unternehmenspolitik Bertelsmann AG und schon gar nichts mit den von diesem Konzern beherrschten oder beeinflussten Medien zu tun.
Natürlich ist es nach wie vor richtig, dass Bertelsmann die Gesetze nicht selber verabschiedet, sondern dass diese von der Exekutive vorgelegt und vom Parlament verabschiedet werden. Aber über die Meinungsmacht und über die personellen Netzwerke wird der „Reformmotor“ Bertelsmann zur eigenständigen politischen Antriebskraft, der auch außerhalb der Parlamente eine Art Eliten-Konsens schafft – und dabei nebenbei auch noch ein positives Image für den Konzern erzielt.
Es ist das Recht eines jeden Unternehmers, der meint, etwas zur Verbesserung der Gesellschaft beitragen zu können, eine Stiftung zu gründen und Themen bearbeiten zu lassen. Dass sich dabei Gleichgesinnte treffen, wird jeweils unvermeidlich sein. Es ist auch das gute Recht einer jeden Regierung, denjenigen mit einer Politikberatung zu beauftragen, der ihr politisch sympathisch ist.
Doch wer öffentliche Aufgaben erfüllt, Gesetze verändern will, die in Gestaltungsrechte und Lebenschancen von Millionen Bürgern eingreift, der muss sich der öffentlichen Auseinandersetzung stellen. Die Mitwirkenden müssen ihre gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Ziele offen legen, die Öffentlichkeit muss den Prozess nachvollziehen und erkennen können, wer welchen Einfluss ausübt und welche Konsequenzen das Vorgehen hat.
Das geradezu paradoxe am Verhalten der Bertelsmann Stiftung ist, dass sie zwar überall nach Wettbewerb ruft, diesen Wettbewerb aber bei sich selbst konsequent verhindert.
Das, nicht nur indem sie „ausschließlich operativ“ arbeitet, d.h. nur ihre von ihr selbst initiierten Projekte fördert und keine Projektanträge von außerhalb zulässt, also wissenschaftlichen Pluralismus satzungsmäßig ausschließt, sondern indem sie darüber hinaus sich vor keinem Parlament und keinem Rechnungshof, ja nicht einmal vor einem Aufsichtsrat, der wenigstens unterschiedliche Interessen von Kapitalanlegern vertreten könnte, für den Einsatz ihrer Gelder und die damit verfolgten Ziele rechtfertigen muss.
Die Netzwerkarbeit und Projektentwicklung der Bertelsmann Stiftung ist so angelegt, dass sich die Akteure gar nicht mehr mit Gegenmeinungen und Kritik auseinandersetzen, dass sie Kritik in einer Haltung der Selbstgewissheit an sich abprallen lassen und so auftreten, als hätten sie die Richtigkeit und Wahrheit ihrer Konzepte von vorneherein und zweifelsfrei erkannt. Dieses Ausmerzen von fachlichen Gegenstimmen, demokratischer Willensbildung und umfassender Bürgeraufklärung, das ist für mich das Gefährliche und der demokratiefeindliche Kern, dieser zugestandenermaßen perfekten Netzwerkarbeit,
Nicht dass man die Argumente Andersdenkender übernehmen müsste, aber Kritik wahrzunehmen und sich damit auseinander zusetzen ist etwas anderes, als sie totzuschweigen bzw. über seinen Einfluss über die Medien einfach mundtot zu machen.
Das Spektrum der Öffentlichen Meinung und der Politik wurde so nicht etwa erweitert, sondern im Gegenteil verengt und in einer Weise kanalisiert, wie es offen ausgewiesene Interessengruppen – wie z.B. Industrieverbände oder PR-Organisationen, wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft – kaum zu erreichen vermögen.
Unter dem Zwang der leeren öffentlichen Kassen und unter dem beschönigenden Etikett eines „zivilgesellschaftlichen Engagements“ greift der Staat die „gemeinnützigen“ Dienstleistungen privater Think-tanks nur allzu gerne auf.
Ja noch mehr, er zieht sich aus seiner Verantwortung immer mehr zurück und überlässt wichtige gesellschaftliche Bereiche wie etwa die Bildung oder die Hochschule gleich ganz den Selbsthilfekräften bürgerschaftlichen Engagements.
Aus dieser „zivilgesellschaftlichen“ Staats- und Gesellschaftsvorstellung speist sich die Idee von der „selbständigen Schule“ oder der „Entlassung“ der Hochschule aus der staatlichen Verantwortung.
Dazu Liz Mohn: „Der anonyme Wohlfahrtsstaat hat ausgedient, an seine Stelle tritt der soziale Staat, der vom bürgerschaftlichen Engagement und vom solidarischen Verhalten aller lebt. Dass möglichst viele verantwortungsvoll ihr Können in den Dienst der Gemeinschaft stellen, das macht diesen Staat auf Dauer lebensfähig“, das schrieb Liz Mohn am 5.12. 2006 in einem Gastkommentar zum „Tag des Ehrenamtes“ in der Financial Times Deutschland.
Ist es die innere Distanzierung der Redaktion oder eher Stolz, wenn die FTD in einer Unterzeile zu diesem Beitrag von Liz Mohn darauf hinweist: „Das Unternehmen Bertelsmann ist über den Verlag Gruner + Jahr an der FTD beteiligt“?
Wirtschaftsmacht statt demokratisch legitimierter Macht
Die Rollenverteilung der unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen bei ihrem „Dienst an der Gemeinschaft“ ergibt sich dabei ziemlich naturwüchsig daraus, was eben der Einzelne mit seinem bürgerschaftlichen Engagement zu leisten vermag.
Diejenigen, die nicht so viel Geld und Vermögen haben, machen Sozialarbeit, also Altenpflege oder Übungsleiter im Sportverein, die Vermögenden vergeben Forschungsaufträge oder Stiftungslehrstühle oder sie stiften gleich ganze Denkfabriken und prägen damit den Gang der Wissenschaft oder den gesellschaftlichen Diskurs und bestimmen so die gesellschaftliche und die politische Weiterentwicklung.
Die letztgenannte „zivilgesellschaftliche“ Macht stützt sich ausschließlich auf Reichtum und Vermögen. Darauf, dass eben zum Beispiel der Bertelsmann-Konzern und seine Stiftung mehr Geld hat als jede andere private und staatliche Institution, Expertisen und Gutachten erstellen zu lassen, Kongresse zu veranstalten, Studien zu machen, um die Mission ihres Stifters zu verbreiten.
Demokratisch legitimierte Macht im Staate wird so mehr und mehr durch Wirtschaftsmacht zurückgedrängt, ja sogar teilweise schon ersetzt.
Aus privaten Netzwerken und Souffleuren der Macht werden tatsächliche Machthaber. So hat sich inzwischen eine private institutionelle Macht des Reichtums herausgebildet, die streng hierarchisch organisiert ihren Einfluss über das gesamte politische System ausdehnt und die Machtverteilung zwischen Parteien, Parlamenten und Exekutive unterwandert und gleichzeitig die öffentliche Meinung prägt.
Systemwechsel von der Demokratie zur Herrschaft des großen Geldes
Diese Art von „Zivilgesellschaft“ befördert nicht nur die zunehmende materielle Ungleichheit zwischen Arm und Reich, sondern dieser Weg schließt – anders als das im Modell des Mehrheitsprinzip in der Demokratie vorgesehen ist – vor allem die große Mehrheit der weniger wohlhabenden Bevölkerung mehr und mehr von der politischen Teilhabe und von der Gestaltung ihrer gesellschaftlichen Zukunft aus.
Die Timokratie – eine Herrschaft der Besitzenden – droht die Demokratie abzulösen.
Und dieser schleichende Systemwechsel vom demokratischen Wohlfahrtsstaat zur Herrschaft des großen Geldes, wird sogar noch mit dem Pathos von „mehr Freiheit“ vorangetrieben.
Anmerkung: Lesen Sie ausführlicher zur Rolle der Bertelsmann AG und der Bertelsmann Stiftung in Albrecht Müllers Buch Meinungsmache.
Lassen Sie mich abschließend noch ein Bemerkung über die Kooperation des DGB mit der Bertelsmann Stiftung im Zusammenhang mit einem Progrmm für eine nachhaltige kommunale Haushalts- und Finanzpolitik machen.
Ich kann nicht begreifen, dass der NRW-DGB und sein Vorsitzender mit dieser Zusammenarbeit der Bertelsmann Stiftung auch unter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Glaubwürdigkeit verschafft. Dies ist angesichts der von diesem neoliberalen Think-Tank – wenn auch häufig unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit – vertretenen wirtschaftspolitischen Positionen, die sich in aller Regel gegen wohlbegründete gewerkschaftliche Interessen richten, nicht zu verstehen. Offenbar hat der NRW-DGB-Vorsitzende immer noch nicht erkannt, dass die Gewerkschaften angesichts des übermächtigen Einflusses gerade der Bertelsmann Stiftung auf die „Reform“-Politik – von Hartz über die Privatisierung der Daseinsvorsorge bis zur ökonomistischen Umgestaltung des Bildungswesens – mit dem Rücken zur Wand stehen, so dass es nicht im Interesse der Arbeitnehmer liegen kann, mit Bertelsmann gemeinsam getragene Foren durchzuführen und dadurch einem der mächtigsten neoliberalen Think-Tanks den Anschein von Neutralität und Glaubwürdigkeit auch für die Arbeitnehmerschaft zu verleihen.
Es ist doch darüber hinaus kein Geheimnis, dass Bertelsmann mit seinen Positionen zur Reform des öffentlichen Dienstes auch massive kommerzielle Interessen verfolgt. So will etwa die Bertelsmann-Tochter arvato ihre privaten „Government Services“ auf kommunale Dienstleistungen ausdehnen und den Bürgern „im Auftrag der politischen Institutionen umfangreiche Verwaltungsaufgaben anbieten“. Solchen kommerziellen Interessen ein gewerkschaftliches Forum zu bieten, hat wenig mit einer kritischen oder pluralistischen Auseinandersetzung mit Gegenpositionen zu tun.
Angesichts der eindeutigen Positionierung der Bertelsmann Stiftung, wonach „Wettbewerb und die Prinzipien unternehmerischen Handelns die wichtigsten Merkmale“ zur Reform der Gesellschaft sind und die demokratisch legitimierte Verantwortung des Staates so weit wie möglich zurück gedrängt werden soll, ist es mehr als naiv, wenn der NRW-DGB-Vorsitzende schreibt, er wolle „über ein Netzwerk möglichst viele gesellschaftliche Gruppen vereinen, um gemeinsam die politische Kraft zu entfalten, die notwendig ist, eine Entschuldungsstrategie für Kommunen zu realisieren…“ und mit der Bertelsmann Stiftung „ein Stück des Weges gemeinsam gehen“.
Bei einer Kooperation mit der Bertelsmann Stiftung geht es nicht darum, dass gesellschaftliche Gruppen auf gewerkschaftliche Ziele „vereint“ werden könnten. Hinter dieser Stiftung steht keine irgendwie demokratisch legitimierte gesellschaftliche Gruppe, dahinter steht eine private institutionelle Macht des Reichtums, die streng hierarchisch organisiert ihren Einfluss über das gesamte politische System ausdehnt, unter dem beschönigenden Etikett eines »zivilgesellschaftlichen Engagements« die demokratisch legitimierte Machtverteilung zwischen Verbänden, Parteien, Parlamenten und Exekutive unterwandert und gleichzeitig mit der Medienmacht des Bertelsmann Konzerns die öffentliche Meinung prägt.
[«1] Alle Zahlen aus dem Jahresbericht 2007
[«2] Harald Schumann, Macht ohne Mandat, Tagesspiegel vom 25. September 2006
[«3] C. Bertelsmann Verlag 2003
[«4] Siehe Helga Spindler, „War auch die Hartz-Reform ein Bertelsmann-Projekt? einen guten Beitrag in Jens Wernicke, Torsten Bultmann (Hg.) Netzwerk der Macht – Bertelsmann, Marburg 2007, S. 279ff.
[«5] Hajo Friedrich, Das Parlament
[«6] Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.01.2005, Nr. 9 / Seite 33.
[«8] Siehe Helga Spindler, „War auch die Hartz-Reform ein Bertelsmann-Projekt? einen guten Beitrag in Jens Wernicke, Torsten Bultmann (Hg.) Netzwerk der Macht – Bertelsmann, Marburg 2007, S. 279ff.
Hauptadresse: http://www.nachdenkseiten.de/
Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=5228