Heute unter anderem zu folgenden Themen: Kontroverse Flassbeck/Hüther; wie geschmiert; FDP-Steuerkonzept; Vertuschung an der Wall Street; Steuerfahnder-Affäre; Rituale der Business-Elite; Milliardenzuschüsse für Kurzarbeit; Mindestlöhne nicht kontrolliert; Re-Taylorisierung der Arbeitswelt; von der Leyen gegen Ausnahmen bei der Rente mit 67; Renten der Top-Manager steigen; Privatisierung von Krankenhäusern; Gorleben war nie geeignet; Geheimberater des EU-Präsidenten; Missbrauchsdebatte; FDP-Politiker wollen keine schweizer Konten haben; Journalismus als Verunglimpfung; wer darf zu Mutti auf den Schoß? (RS/WL)
Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
- Flassbeck vs. Hüther
- Hedgefonds schmieren überall
- FDP-Steuerkonzept
- Vertuschung an Wall Street: Fall Magnetar
- Bankentribunal
- Liechtenstein höhlt Steuerabkommen aus
- Steuerfahnder-Affäre in Hessen: Aufklärung kommt nicht voran
- Die fiesen Rituale der Business-Elite
- Neue Milliardenzuschüsse für die Kurzarbeit
- Mindestlöhne sind nicht kontrollierbar
- Neues Jahr, Neuer Job
- Stumpfsinn 2.0 – Über die Re-Taylorisierung der Arbeitswelt
- Dein Feind der Sozialschmarotzer
- Rente mit 67: Von der Leyen gegen Ausnahmen
- Renten der Topmanager steigen massiv
- Universitätsklinikum Marburg: Oberärzte schlagen Alarm
- Protest gegen Postmarktliberalisierung
- Atommüll-Endlager: Gorleben war nie geeignet
- Scharfe Kritik an teuren “Geheimberatern” der EU
- Das Kind begehrt, aber nicht den Erwachsenen
- Sahra Wagenknecht im Tagesschau-Porträt: “Hummer für alle”
- FDP-Politiker dementieren Schweiz-Konten
- Afghanistan-Krieg
- AM zu Kroatien-Kommentar
- Phorms-Schule vor dem Aus
- Zu guter Letzt: Wer darf zu Mutti auf dem Schoß?
- Flassbeck vs. Hüther
Eine hochinteressante Debatte zwischen Heiner Flasbeck (UNCTAD) und Michael Hüther (Institut der deutschen Wirtschaft) über die Exportabhängigkeit Deutschlands und die Rolle der Löhne läuft in der Online-Ausgabe des britischen Economist.
Quelle: The Economist
- Hedgefonds schmieren überall
Dunkle Wolken über der Wall Street: Die Finanzmarktreform kommt. In letzter Minute versuchen die Hedgefonds, das Ruder herumzureißen. Wie? Indem sie jede Menge Geld in verschiedene Taschen fließen lassen.
Das Gewitter der Finanzmarktreform droht und die Wall Street rüstet sich.
Denn auf dem Börsenparkett und an den Traderdesks, in den Büros der Großbanken, Investmenthäuser und Hedgefonds hält man gar nichts von den Plänen, die Washington seit Monaten schmiedet. Dem Durchschnittsbürger mag längst klar sein, dass die Deregulierung der Märkte in den Jahren seit Ronald Reagan das Unheil der jüngsten Krise erst möglich gemacht haben, doch die Wall Street will davon nichts wissen. Man wünscht trotz der milliardenschweren Fehler der Vergangenheit keine neuen Regeln, man will weiter ungehindert Geschäfte machen können.
Und damit Washington das möglich macht, damit sich die Politik nicht allzu tief einmischt, greift man vorsichtshalber umso tiefer in die eigenen Taschen. Vor allem aus dem Hedgefonds-Bereich sind die politischen Spenden in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Seit der Supreme Court als höchster amerikanischer Gerichtshof vor einigen Wochen Wahlspendenbegrenzungen für Unternehmen für verfassungswidrig erklärte, gibt es jetzt gar keine Grenzen mehr.
Den größten Reibach haben bisher die Republikaner gemacht, doch zuletzt ließen es sich auch die Demokraten – die immerhin das Sagen haben – gut bezahlen.
Quelle: n-tv
Passend dazu:
Werner Rügemer: Susanne Klatten
Susanne Klatten ist seit ihrem 20. Lebensjahr und mit heute geschätzten 8 oder auch 9 Milliarden Euro Privatvermögen die reichste Frau Deutschlands. Noch längst nicht 50 Jahre alt ist sie bereits Trägerin des Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland und des Verdienstordens des Freistaats Bayern. Worum hat sie sich verdient gemacht, was hat sie geleistet?
Die reichste Frau Deutschlands ist nicht dafür bekannt, dass sie in ihren Unternehmen die Demokratie fördert oder sich Gedanken über die Opfer ihres Reichtums macht. Aber sie fördert Politik, was bekanntlich, auch in der Familie Quandt, nicht dasselbe wie Demokratie sein muß. Sie macht es mit Pflicht zur Herkunft, mit nüchternem unternehmerischem Kalkül, in der Modernität des Modells Quandt. Die sündig-unschuldige Susanne ist Deutschlands größte Einzel-Bespenderin politischer Parteien. Sie bespendete die christianisierte Ostfrau Angela Merkel für den Wahlkampf 2005 mit immerhin 120.000 Euro. Die zwei kapitaldienlichsten Parteien bespendete sie zwischen 2002 und 2008 mit immerhin 845.000 Euro, 610.000 Euro für die CDU und 235.000 für die FDP. Ziemlich viel, nicht wahr? Einerseits. Andererseits ist das gerade mal ein Achtel der sieben Millionen, die die reichste Frau Deutschlands für einen Kurzzeit-Gigolo zahlte. Damit sich keiner über die Verhältnisse täuscht, die hier herrschen bzw. frauschen.
Quelle: Neue Rheinische Zeitung
- FDP-Steuerkonzept
- Liberale rudern zurück
Angesichts der riesigen Haushaltslöcher werden die Einnahmeverluste um 3 Milliarden auf 16 Milliarden reduziert.
Quelle: FR
- Im Irrtum, aber standhaft
Die Kritik an der FDP lenkt ab von der eigentlichen Debatte: Kann der Staat wirklich auf Einnahmen von 19 oder 16 Milliarden Euro verzichten, wenn Gemeinden Schwimmbäder und Theater schließen und das Geld fehlt, um die Schlaglöcher in den Straßen zu stopfen? Wären die Milliarden nicht besser in Kindergärten und Büchereien, in Forschung, eine moderne Infrastruktur oder eine angemessene Ausrüstung der Bundeswehr angelegt?
Irreführend, weil falsch ist die Polemik, die Liberalen legten in der Finanzpolitik eine Kehrtwende hin. Dafür müssten sie sich verabschieden von der Illusion, mit Steuersenkungen Haushaltdefizite bekämpfen und das Wachstum ankurbeln zu können. Das ist erkennbar nicht der Fall. Leider hält die FDP stand.
Quelle: FR
- FDP stellt Sonntagszuschläge infrage
Bei Steuerkonzepten aller Art lohnt ein Blick ins Kleingedruckte: Nicht der Tarifverlauf und die Steuersätze allein bestimmen, wie hoch die Belastung sein wird. Entscheidend ist auch, welches Einkommen überhaupt versteuert werden muss. Mit Änderungen in diesem Punkt will die FDP offenbar die von ihr gewünschte Steuerentlastung finanzieren.
In ihrem Konzept, das als Antrag zum Bundesparteitag Ende April vorliegt, steht jedoch klar und eindeutig: “Die FDP stellt grundsätzlich alle Ausnahmen von der Steuerpflicht zur Diskussion.” Dazu gehört dann auch eine der wichtigsten Steuervergünstigungen für Arbeitnehmer, nämlich die Steuerfreiheit der Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge: Streicht man einer Krankenschwester diesen Steuervorteil, dann dürfte der Einkommensverlust durch die niedrigeren Steuersätze der FDP häufig nicht kompensiert werden. Im Gegenteil: Für viele Betroffene dürfte die Steuerlast unterm Strich sogar steigen.
Sehr bedenklich aus Sicht der Arbeitnehmer ist ein weiterer Punkt: Die FDP will die Absetzbarkeit von Werbungskosten grundsätzlich pauschalieren, und zwar bei zwei Prozent der Bruttoeinkünfte. Das stellt für viele Steuerzahler gegenüber der derzeitigen Rechtslage eine Verschlechterung dar: Denn der heutige Arbeitnehmerpauschbetrag von einheitlich 920 Euro wird im FDP-Konzept erst bei einem Jahresbrutto von 46 000 Euro erreicht. Alle Steuerzahler mit geringeren Bezügen zahlen also drauf.
Quelle: FR
- Vertuschung an Wall Street: Fall Magnetar
Vergangene Woche fand vor der Financial Crisis Inquiry Commission des US-Kongress eine Parade von Koryphäen des Finanzsektors statt. Ihr Mantra lautete: Niemand hat die Krise kommen sehen. Das Ziel schien zu sein, alle zu überzeugen, dass die Krise eine Naturkatastrophe war, um es mit Worten von Tim Geithner, dem US-Finanzminister kurz auszudrücken. Das will sich James Kwak aber nicht gefallen lassen. In einem lesenswerten Artikel in The Baseline Scenario setzt er sich mit der Frage auseinander, ob die Finanzkrise das Produkt eines bewussten, vorsätzlichen Verhaltens war oder eine unvorhergesehene und unvorhersehbare Naturkatastrophe.
Die Krise ist passiert, weil die Banken unregulierte Finanzmärkte wollten und sie auch bekommen haben. Es hat sich herausgestellt, dass sie nicht so schlau sind, wie sie dachten. Sie haben es verbockt. Und das war kein Unfall ohne Schuld, lautet Kwak’s Fazit.
Quelle: acemaxx-analytics
- Bankentribunal
Die seit fast zwei Jahren andauernde Finanzkrise hat die Weltwirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Unter den Folgekosten, vor allem den erheblich gestiegenen Staatsschulden, werden die meisten Länder noch jahrzehntelang leiden. Die Banken und Versicherungen, die diese Katastrophe angerichtet haben, wurden in Deutschland bislang nicht zur Verantwortung gezogen. Unglaublich! Beispiel Hypo Real Estate: Mit rund 100 Milliarden Euro rettete die Bundesregierung diese Bank. 100 Milliarden Euro Steuergelder! Doch anders als beim kleinen Metallbetrieb wurde die Bank fast ohne Gegenleistung der Gläubiger gerettet. Deren Forderungen landeten beim Steuerzahler. Allen voran die Allianz mit Forderungen von 5,6 Milliarden und die Münchner Rück mit fast 4,4 Milliarden Euro. Die Allianz meldet nun einen Jahresgewinn von 4,3 Milliarden und die Münchner Rück von 2,6 Milliarden Euro. Und die Deutsche Bank verdiente letztes Jahr 5 Milliarden.
Quelle: Neue Rheinische Zeitung
- Liechtenstein höhlt Steuerabkommen aus
Gravierende Einschränkung auf Wunsch der Schweiz: Liechtenstein will bei der Aufklärung von Steuerflucht nicht helfen, wenn Datenklau vorliegt.
Quelle: SZ
- Steuerfahnder-Affäre in Hessen: Aufklärung kommt nicht voran
Rund zwei Monate hat es seit der Einsetzung des Untersuchungsausschusses zur Steuerfahnder-Affäre gedauert, bis die hessische Landesregierung den Fraktionen nun die angeforderten Akten bereitstellen will – Verzögerungstaktik oder normal schwerfällige Regierungsbürokratie?
Fest steht: Die parlamentarische Aufklärung der Affäre ist noch keinen Schritt vorangekommen. Die vier Steuerfahnder waren mit vorsätzlich falschen Gutachten zwangspensioniert worden, nachdem sie gegen Großsteuerhinterzieher und im CDU-Schwarzgeldskandal ermittelt hatten.
Quelle: FR
- Die fiesen Rituale der Business-Elite
Über die Hälfte des deutschen Top-Managements stammt aus dem winzigen 0,5-Prozent-Segment der reichsten deutschen Familien…und benimmt sich auch so.
Die “Verachtungskultur von oben”, die eine Direktorin von Siemens einmal in einer Podiumsdiskussion beklagte, kommt “unten” an. Neun von zehn deutschen Arbeitnehmern fühlen sich laut einer Gallup-Umfrage emotional mit ihrer Firma nicht verbunden, sieben von zehn beklagen, am Arbeitsplatz “nicht als Mensch” behandelt zu werden.
Die Innovationsfeindlichkeit dieser Strukturen wird durch die grotesken Rekrutierungsmechanismen auf Führungsebene noch verstärkt.
Wenn wir in der Wirtschaft wirklich etwas bewegen wollen, brauchen wir eine Kulturrevolution auch innerhalb der Unternehmen. Wir sollten uns nicht länger dem Menschenbild selbstherrlicher “Leistungsträger” unterwerfen, die Mitarbeiter unterhalb bestimmter Gehaltsgrenzen als Dispositionsmasse betrachten, und ihren Hass gegen die “Verlierer” immer unverhüllter auch in die politische Sphäre einbringen.
Quelle: Spiegel Online
- Neue Milliardenzuschüsse für die Kurzarbeit
Arbeitsministerin Ursula von der Leyen will die Jobs in der Wirtschaft über die Krise retten. Die Kurzarbeit bleibt deswegen bis Mitte 2012 sozialabgabenfrei.
Nach dem Entwurf, der dem Handelsblatt vorliegt, soll die Bundesagentur (BA) bis Mitte 2012 neben dem Kurzarbeitergeld ab dem siebten Monat Kurzarbeit die Sozialabgaben voll erstatten. Eigentlich sollte diese im vergangenen Sommer auf dem Höhepunkt der Krise geschaffene Regelung 2010 auslaufen. Dies hätte dazu geführt, dass sich die Kurzarbeit ab 2011 für die Betriebe um rund ein Drittel verteuert hätte. Viele Betriebe hätten deshalb auf Kurzarbeit verzichtet.
Quelle: Zeit Online
- Mindestlöhne sind nicht kontrollierbar
In neun Branchen in Deutschland gelten mittlerweile Mindestlöhne. Doch die sind für Arbeitgeber durch einfache Tricks umgehbar. Und der prüfenden Behörde fehle Personal, kritisiert die Gewerkschaft IG BAU. “Wenn die Mindestlöhne effizient überwacht werden sollen, führt an zusätzlichem Personal kein Weg vorbei”, sagte Klaus Wiesehügel, Bundesvorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. Allein im Baugewerbe habe man es jährlich mit rund 60.000 Baustellen zu tun und täglich würden bis zu vier Millionen Gebäude geputzt. Während man auf dem Bau vor allem über Arbeitszeiten trickse, geschehe es bei den Gebäudereinigern über die Fläche. “Beschäftigte bekommen einen neuen Arbeitsvertrag, die zu reinigende Fläche wird größer, obwohl es nicht zu schaffen ist”, erklärt Peter Riedel, Fachreferent für die Gebäudereinigung bei der IG BAU.
Quelle: Tageszeitung
- Neues Jahr, Neuer Job
Die Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Die schwarz-gelbe Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag beschlossen, diese Entwicklung weiter zu forcieren. Das Arbeitsministerium soll diese Pläne nun verwirklichen. Von der Leyen schickt sich an, als Arbeitsministerin das zu tun, was sie als Familienministerin verhindern wollte: Sie erhöht den Druck auf die Lohnabhängigen. Ihr Gesetz würde reguläre Arbeitsverhältnisse auf breiter Front verhindern, zerstückelte Erwerbsbiographien wären die Folge – mit erheblich negativen Auswirkungen auf die spätere Höhe der Rente. Kein Wunder, dass niemand Kinder kriegen will! Oder besser gesagt: Ihr Handeln als Arbeitsministerin entlarvt rückwirkend ihre Familienglücksrhetorik als abgeschmackte Ideologie. Kinder kriegen sollen die Leute natürlich weiterhin, oberster Maßstab dabei ist aber das Wohlergehen »unserer« Wirtschaft. Der Widerspruch im Handeln der Systemfunktionäre liegt also tatsächlich auf der Hand, man könnte sich einfach mit der Wiedergabe der Fakten begnügen und den Proteststurm abwarten. Es passiert aber nichts. Die ersten Reaktionen der sozialdemokratischen Opposition und der mit ihr assoziierten Gewerkschaften auf die Gesetzesvorhaben beschränkten sich auf Ermahnungen, den Kündigungsschutz nicht auszuhöhlen. Darin klingt bereits die Bereitschaft an, bei der Ausgestaltung des Gesetzes konstruktiv mitzuwirken.
Quelle: Jungle World
- Stumpfsinn 2.0 – Über die Re-Taylorisierung der Arbeitswelt
Den Anfang machte die Automobil-Industrie. Mit dem Bau der A-Klasse stellte Daimler 1997 die Fertigung in seinem Rastatter Werk komplett um. Hatte die Belegschaft die E-Klasse noch abseits vom Fließband in Teams mit Arbeitsschritten bis zu einer Dauer von drei Stunden gefertigt, so schaffte das Management nun die Montage-Boxen ab und kehrte zum Ein-Linien-System mit Arbeitstakten von knapp über einer Minute zurück. „Re-Taylorisierung“ nennen Industrie-Soziologen diesen Prozess, also die Rückkehr zu der extrem durchformalisierten Arbeitsteilung, die der US-amerikanische Ingenieur Frederick Taylor in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelt hatte.
Für dieses Rollback gibt es mehrere Gründe.
Quelle: WDR5 Politikum [PDF – 70 KB]
- Dein Feind der Sozialschmarotzer
Peter Sloterdijk möchte die Sozialsysteme abschaffen, Guido Westerwelle bewertet die Hartz-IV-Reformen als Einladung zu spätrömischer Dekadenz. Dass die Unterschichten des Müßiggangs verdächtigt werden, hat eine lange Tradition. Der Erwerbstätige hat ein schweres Los. Er wird jeden Morgen vom Wecker geweckt und hat auf dem Weg zur Arbeit nur einen Gedanken: »Wann ist endlich Feierabend?« Er will den Tag nicht gelebt haben. Dazu die quälende Vorstellung, dass Arbeitslose sich gerade der Wollust hingeben, Kaffee, Zeitung, Radio, Philosophieren, Spielen, ein Buch, in der Sonne Liegen … Genug! Kaum hatte Guido Westerwelle (FDP) die spätrömische Dekadenz angeprangert, legte die Bild-Zeitung gegen »Hartz-IV-Abzocker« los. Dass 72 Prozent der Bevölkerung Arbeitslose zur Arbeit zwingen wollen und fast 40 Prozent der Linkswähler Westerwelle zustimmen, spiegelt die Entbehrung wider. Man erträgt nicht, dass jemand »Lohn« bezieht, ohne zu arbeiten, also das erreicht hat, wovon alle träumen. Der Jude soll sogar ohne Arbeit »reich« geworden sein, hieß es. Medien, Politiker, Schädelmesser, die ganze Versammlung politischer Ideologen lässt kein gutes Haar an Arbeitslosen. Im Prinzip geht das seit 3 000 Jahren so. In »Werke und Tage« schreibt Hesiod, der Dichter bäuerlichen Lebens: »Der ist den Göttern und Menschen verhasst, der ohne zu wirken hinlebt; gleicht er doch den faulnichtsnutzigen Drohnen.« Die Ökonomie basierte auch 700 Jahre vor Christus schon auf dem Diebstahl von Arbeitszeit. Das eitle Leben der Adligen hing davon ab, was die Geknechteten für sie pflanzten und werkten. Aristoteles merkte zynisch an, mit Bauern lasse sich gut Demokratie machen, denn »weil sie arm sind und arbeiten müssen, haben sie kaum die Muße, an Versammlungen teilzunehmen«. Die Herrschaften waren also Schmarotzer, und ihr Einfall, Unterschichten des Müßiggangs zu verdächtigen, ist einfach genial.
Quelle: Jungle World
- Rente mit 67: Von der Leyen gegen Ausnahmen
Schwere körperliche Arbeit spricht für Bundesarbeitsministerin von der Leyen nicht gegen die Rente mit 67. Man könne ja den Job wechseln.
Quelle: Focus.de
Passend dazu:
- Renten der Topmanager steigen massiv
Bei den gesetzlichen Renten stehen im laufenden und wohl auch im kommenden Jahr Nullrunden an. Nicht so bei den Topmanagern. Die Konzerne stocken deren Pensionsbeiträge teils zweistellig auf.
Quelle: FR
- Universitätsklinikum Marburg: Oberärzte schlagen Alarm
Die Kindermediziner der Uniklinik Marburg fürchten um die Sicherheit ihrer Patienten. Die Personaldecke werde immer dünner. In einem Brandbrief informieren sie die Geschäftsleitung über die akute Lage. Nach der Privatisierung vor vier Jahren habe eine “massive Leistungserweiterung im Intensivbereich” stattgefunden, ist in dem Brief der Oberärzte zu lesen. Das spiegele sich aber nicht in einer größeren Personalausstattung wider. “In absehbarer Zukunft” sei die Klinik “nicht mehr in der Lage, den aktuellen hohen Standard bezüglich Patientenversorgung und Patientensicherheit unter Einhaltung arbeitsrechtlicher Vorgaben zu gewährleisten.” Ein großes Problem sehen die Oberärzte in der hohen Fluktuation. Immer mehr Kollegen verließen Marburg wegen der schlechten Arbeits- und Weiterbildungsbedingungen. Innerhalb von zwei Jahren hätten aus diesem Grund zehn Fachärzte und acht Ärzte in Weiterbildung gekündigt. “Diese mussten weitestgehend durch junge Assistenzärzte ohne Berufserfahrungen ersetzt werden.”
Quelle: FR
- UNI Global Union: Hunderte versammeln sich in Brüssel um gegen die Postmarktliberalisierung zu protestieren
Postbeschäftigte, Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften, Abgeordnete zum Europäischen Parlament und beunruhigte Bügerinnen und Bürger versammelten sich heute vor dem Europäischen Parlament in Brüssel im Rahmen einer Demonstration um ein Ende der Postmarktliberalisierung zu fordern.
Quelle: Presseportal
- Atommüll-Endlager: Gorleben war nie geeignet
Der Salzstock im niedersächsischen Gorleben ist nicht als Atommüll-Endlager geeignet. Das belegen Akten aus Bundes- und Landesbehörden, die die Umweltorganisation Greenpeace im Internet zugänglich machte
Quelle: FR
- Scharfe Kritik an teuren “Geheimberatern” der EU
Als ob der EU-Apparat nicht ohnehin schon aufgebläht genug wäre: Wie Martin Ehrenhauser (Liste Martin) jetzt aufdeckte, kostet ein öffentlich weitgehend unbekannter Beraterstab des Kommissionspräsidenten mehr als vier Millionen Euro pro Jahr. Die Kosten für das Gremium sind seit 2004 um satte 50 Prozent gestiegen.
Ob Barroso immer gut beraten wird? Denn unter den „Experten“ scheint auch ein Ex-Manager der Pleite-Bank Lehman Brothers auf.
Europa-Abgeordneter Ehrenhauser: „Dass hochbezahlte Manager nur für Spesenersatz beraten, ist mir neu. Es liegt der Verdacht nahe, dass es sich hier um ein Lobbyinggremium handelt. Es braucht volle Transparenz.“ Denn bei Bedarf werde vor Sitzungen sogar die Anonymität garantiert.
Quelle: heute.at
- Das Kind begehrt, aber nicht den Erwachsenen
Immer neue Enthüllungen schockieren die deutsche Öffentlichkeit. Ist zur Missbrauchsdebatte schon alles gesagt? Zehn Thesen von Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch.
Quelle: der Freitag
- Sahra Wagenknecht im Tagesschau-Porträt: “Hummer für alle”
Erst wird in Nordrhein-Westfalen gewählt, und dann will sie sich wählen lassen: Im Mai kandidiert Sahra Wagenknecht für das Amt der stellvertretenden Vorsitzenden ihrer Partei Die Linke. Sie gilt als deutsche Vorzeigekommunistin. Im tagesschau.de-Videochat stellt sich Wagenknecht heute Ihren Fragen.
Quelle: Tagesschau.de
Anmerkung WL: Mit einem längeren Beitrag über Sahra Wagenknecht wirbt Tagesschau.de für einen Videochat. Dabei wird Wagenknecht in einer Weise denunziert, wie das gerade die Tagesschau bei keinem anderen Politikerin und keiner anderen Politiker wagen würde. Man kann diesen Beitrag nur noch als bösartig bezeichnen. Es wird angedeutet, Wagenknecht habe Goethes Faust nur deshalb auswendig gelernt, weil „kein anderes Kind mit ihr spielen will“, es wird gefragt, ob für sie „Politik als Ersatz für Psychotheratpie“ sei, ihre Überzeugung, dass es eine Alternative zur kapitalistischen Gesellschaft gebe, halte sie nicht davon ab, „gerne Hummer zu essen“ usw. usf. Es werden im Stil der Bild-Zeitung Gerüchte über ihr Privatleben kolportiert.
Mit keiner Silbe wird auch nur ein sachliches Argument angeführt, es geht nahezu ausschließlich um persönliche Diffamierung. Man muss mit den Ansichten von Sahra Wagenknecht nicht übereinstimmen, aber dieser Beitrag ist Journalismus der untersten Schublade.
Das einzig Positive ist, dass dieser von Tagesschau-Aktuell-Redaktion akzeptierte Beitrag belegt, wie tief das intellektuelle und journalistische Niveau gesunken ist und wie groß die Angst vor einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit Wagenknechts Positionen sein muss.
Vielleicht schauen sich den Chat einfach einmal selber an.
- FDP-Politiker dementieren Schweiz-Konten
Die FDP-Landespolitiker, die auf einer Steuerdaten-CD genannt sein sollen, haben dementiert, Konten in der Schweiz zu haben. Justizminister Ulrich Goll, Landtags-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke und Ex-Wirtschaftsminister Walter Döring stellten Strafanzeigen wegen übler Nachrede und Verleumdung.
Quelle: SWR
Anmerkung WL: Noch ist nichts bewiesen. Aber der baden-württembergische Justizminister könnte die Angelegenheit sofort aufklären, wenn er zustimmen würde, dass das Land Baden-Württemberg die angebotene CD nutzen würde. So bleibt der Verdacht, dass die eigenen Konten in der Schweiz das Motiv dafür war, dass Baden-Württemberg nicht wie andere Länder verfahren ist, die die Bankdaten aufgekauft haben.
- Afghanistan-Krieg
- Jürgen Todenhöfer: Es gibt keinen guten Krieg
Mit der Trauerfeier für die am Karfreitag in Afghanistan getöteten Bundeswehrsoldaten sind die Risiken des deutschen Einsatzes in Afghanistan noch einmal deutlich geworden. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in der Kirche von Selsingen den Einsatz deutscher Soldaten am Hindukusch begründet. Unsere Soldaten kämpften in Afghanistan, um zu verhindern, dass Terroristen uns in Deutschland träfen, so die Kanzlerin. Doch reicht diese Begründung aus? Stimmt sie überhaupt?
Quelle: DLF Audio
- Interview zur Lage in Afghanistan: “Man kann sich nicht mehr durchlügen”
Das Wort Krieg gilt unter Politikern als heikel, wenn es um den Afghanistan-Einsatz geht. Es schrecke die Wähler ab, erklärt der Friedensforscher Wolfgang Zellner im Gespräch mit tagesschau.de. Doch angesichts der angespannten Lage im Land könnten sich die Politiker nicht weiter durchlügen.
Quelle: Tagesschau.de
- Durchsichtige Ablenkungsmanöver
Weil er selbst keinen Umgang mit dem Wort “Krieg” findet, greift SPD-Chef Sigmar Gabriel jetzt die Bundesregierung dafür an. Es sei in Ordnung, sagt er, wenn Bürger und Soldaten in Bezug auf Afghanistan von Krieg sprächen. Doch die Politiker dürften dies nicht. Denn dann müssten sie Afghanistan völkerrechtlich korrekt den Krieg erklären. Gabriel fürchtet, dass das Kriegswort unnötige Aufregung bei denen schürt, die sich um Afghanistan bislang nicht groß geschert haben – viele SPD-Wähler zum Beispiel. Guttenberg und auch Merkel dagegen wollen durch ihre Abstraktionsformeln – “verstehe jeden, der sagt …” – die Soldaten und auch die Wähler besänftigen, indem sie eine vermeintlich ehrliche Anerkennung der Lage, eine Art kantigen Realismus zur Schau tragen. – Schön wäre, wenn die SPD wie die Koalition ihre linguistischen Ablenkungsmanöver aufgäben und eigene Lösungen für Afghanistan diskutierten.
Quelle: TAZ
- Anmerkungen Albrecht Müllers zum Kommentar beim Hinweis Nr. 16 Kroatien betreffend
Es tut mir leid, dass ich widersprechen muss. Ich sehe die Sache in wichtigen Aspekten anders:
- Erstens: Die hohe Zahl von Veteranen ist zwar absurd, aber es ist trotz allem kein Stoff für eine Komödie. Dafür haben diese Kriege viel zu viele Menschen malträtiert – physisch, seelisch und auf allen Seiten.
- Zweitens: Ich kenne eine Reihe von Kroaten (wie auch Bosnier, Slowenen und Serben), die in diesen Kriegen waren – und seelisch gebrochen sind. Mein äußerst sympathischer und gar nicht nationalistisch überheblicher Nachbar in meinem Ferienort spricht gar nicht darüber, weil ihn der Krieg immer noch schrecklich verfolgt. Ein anderer guter Bekannter, selbst Kroate und mit einer Serbin verheiratet, spricht wenig darüber und dann sehr differenziert. Überhaupt nicht nationalistisch und auch nichts vertuschend. Er ignoriert nichts und ist auch ein Kroate. Andere tun das – aber man kann im Blick auf das Ganze nicht nur sie sehen. Ich habe bisher oft „die Serben“ gegen pauschale Urteile verteidigt. „Die Kroaten“ verdienen den gleichen Schutz vor Pauschalurteilen.
- Drittens: Ich stelle mir Kroatien sehr wohl als Mitglied der EU und dann auch der Euro-Zone vor. Trotz aller Probleme. Diese werden jedenfalls nicht größer sein, sondern kleiner als bei Rumänien, Bulgarien und einigen baltischen Staaten, und übrigens auch kleiner als bei Polen.
- Phorms-Schule vor dem Aus
Die Kölner Filiale der Privatschulkette Phorms kämpft ums Überleben. Einige Eltern haben ihre Kinder schon von der Schule genommen, andere zittern. Phorms hüllt sich in Schweigen.
Nun auch Köln. Für Hannover konnte Phorms kürzlich einen neuen Schulträger finden (taz berichtete), in Köln hängen Schüler und Eltern dagegen im wahrsten Sinne des Wortes in der Luft – Phorms verweist auf vertrauliche Gespräche. An der Schule herrscht Verzweiflung.
Als erster Schulbetreiber wollte Phorms mit Unterricht Rendite erwirtschaften. Grundschulen als Markenprodukt, Klassen als Cash-Cow – bis dato undenkbar in Deutschland. Mit kleinen Lerngruppen, englischsprachigen Pädagogen und interaktiven Smartboard statt Schiefertafel umwarb Phorms die bildungsbewusste Mittelschicht. In Berlin, München, Frankfurt, Hannover, Hamburg und Köln schossen Grundschulen aus dem Boden. Phorms fühlte sich wie ein großer Konzern, schuf in kurzer Zeit ein ganzes Geflecht an Tochtergesellschaften, die zur Finanzierung mit Schulden überladen wurden. Sogar für die Expansion nach Afrika gab es eine eigene GmbH.
Jetzt strauchelt das Geschäftsmodell Grundschule.
Quelle: taz
- Zu guter Letzt: Wer darf zu Mutti auf dem Schoß?
Quelle: WDR