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Titel: “Wir werden verarscht, was das Zeug hält“

Datum: 25. Mai 2019 um 11:45 Uhr
Rubrik: Energiepolitik, Interviews, Umweltpolitik
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Ist Wasserstoff der Energieträger der Zukunft? Ja, meint Autor Timm Koch. Im NachDenkSeiten-Interview führt Koch aus, warum Wasserstoff als Energiespender eine echte Alternative sein kann und geht zugleich scharf mit der aktuellen Klimapolitik ins Gericht. Eine Politik, die sich tatsächlich an den Interessen der Umwelt und dem Wohl der Menschen orientiere, finde nicht statt, weil tatsächlicher Umweltschutz den Interessen „äußerst mächtiger Institutionen“ entgegenstehe.
Von Marcus Klöckner.

Herr Koch, Bundeskanzlerin Merkel wurde lange als Kanzlerin gefeiert, die etwas für das Klima tut. Zu Recht?

Merkel wurde in den Medien als Klimakanzlerin bezeichnet. So tituliere ich sie auch – allerdings mit Gänsefüßchen, denn die sind angebracht. Wäre die Lage nicht so ernst, könnte man in lautes Lachen ausbrechen.

Wie ist das zu verstehen?

Ich erinnere an Merkels Reise nach Brasilien im Jahre 2015 und ihre Ethanol-Deals zum Wohle des E10-Kraftstoffs.

Und?

Da fällt am Amazonas der Regenwald, damit bei uns die Autos Alkohol tanken, der aus Zuckerrohr destilliert wird. Das freut die Mineralölkartelle, die das Geschäft kontrollieren, ebenso wie die Agrokartelle à la Bayer-Monsanto, welche die Pestizide beisteuern. Ganz sicher profitiert nicht unser Klima und noch weniger die Artenvielfalt oder die Umwelt. Bei „Bio“-Sprit, „Bio“-Diesel und „Bio“-Gas sind wir ganz schnell beim Thema Wasserstoff angekommen. Den braucht man nämlich für die sogenannte Ammoniaksynthese nach dem Haber-Bosch-Verfahren.

Das klingt kompliziert.

Ja, Zeit für etwas Chemieunterricht, aber das, was ich jetzt anführe, ist wichtig, man muss es verstehen.

Gut, klären Sie uns auf.

Bei der Ammoniaksynthese nach dem Haber-Bosch-Verfahren verbindet sich Wasserstoff mit dem atmosphärischen Stickstoff, der knapp achtzig Prozent unserer Luft ausmacht. Aus Ammoniak wird Kunstdünger gewonnen. Den kippt man dann auf die Felder, damit die Monokulturen sprießen können. Etwa die Hälfte des weltweit produzierten Wasserstoffs wird für die Ammoniaksynthese verbraucht.

Wo ist jetzt das Problem?

Bei dem Wasserstoff handelt es sich keinesfalls um den sogenannten „grünen“ Wasserstoff, der per Elektrolyse aus regenerativen Energiequellen wie etwa Wind, Sonne oder Wasserkraft gewonnen wird. Vielmehr entsteht er zum allergrößten Teil per Kohle-, Erdgas- oder Erdölreformation. Man zwackt ihn also diesen Kohlenwasserstoffen ab und erzeugt dabei Unmengen an CO2.

Die Förderung von Energiepflanzen…

…, sei es nun heimischer Mais oder Raps oder indonesische Ölpalmen oder brasilianisches Zuckerrohr ist daher klimatechnisch ein absoluter Irrsinn, für skrupellose Geschäftemacher indes hochinteressant. Das ist nur ein Aspekt von vielen. Sämtliche Verfehlungen der kläglichen „Klimakanzlerin“ aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Interviews sprengen.

Sie sind darüber erzürnt?

Ja, bin ich. Denn für das Zeug, das uns als „Bio“ verkauft wird, sterben ganz real die Orang-Utans genauso wie unsere Vogel- und Insektenwelt – und zwar ohne dass sich hierfür das Klima erst wandeln muss. Wer jetzt noch Zweifel an Merkels Versagen hegt, der denke einfach an die unwürdigen Szenen rund um den Hambacher Forst, wo die Regierung ihre Schergen auf die Klimaschützer hetzte oder an ihr Engagement für die Nordstream-Pipelines, jene gigantischen Schläuche für den Kohlenwasserstoff Erdgas, bei dessen Verbrennung immense Mengen CO2 entstehen. – Selbst wenn die Klimabilanz von Erdgas immer noch besser als die von Kohle ist – Zero-Emission sieht anders aus.

Was hätte Merkel tun sollen, um tatsächlich etwas für das Klima zu tun?

Den Kohleausstieg auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben, war wohl schon mal keine so gute Idee. Auch ist das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) handwerklich schlecht gemacht. Wenn an einem windigen Tag die Sonne scheint, wird der Strom für Schleuderpreise ins Ausland exportiert. Teilweise zahlen wir den Nachbarländern sogar Geld dafür, dass sie ihn abnehmen. Windräder werden aus dem Wind gedreht oder „abgeregelt“. Dieser Strom wird vom deutschen Verbraucher natürlich trotzdem bezahlt. Deshalb ist Elektrizität bei uns ja so teuer. Uns wird dabei vorgegaukelt, Ökostrom könne nicht oder nur sehr schlecht gespeichert werden. Deshalb bräuchten wir die Braunkohlekraftwerke, die in Wahrheit mit ihrem dreckigen Strom die Netze verstopfen. Stichwort Grundlastlüge. Wenn auf der anderen Seite Player wie Greenpeace Energy hingehen und mittels Elektrolyseur auf Power-to-Gas setzen, also beispielsweise Windstrom in Form von Wasserstoff speichern, müssen sie den so teuer bezahlen, als wären sie Endverbraucher. Auch die Fixierung staatlicher Förderung auf die elenden Akku-Autos muss ein Ende haben. Die Batterietechnologie wird niemals in der Lage sein, die Sonne aus – sagen wir einmal – der Sahara zu „ernten“, um sie ins energiehungrige Europa zu schippern. Die Wasserstofftechnologie ist nach heutigem Stand der Technik aber durchaus dazu in der Lage.

Sie möchten, dass diese Technologie gefördert wird?

Absolut. Was wir brauchen, ist eine industrielle Massenfertigung von PEM-Brennstoffzellen und PEM-Elektrolyseuren. Hier brauchen wir gezielte staatliche Förderungen. Momentan sind wir im Begriff, unseren technologischen Vorsprung auf diesem Gebiet an Japan, Süd-Korea und China zu verlieren. Was das für die Arbeitsplätze der Zukunft bedeutet, kann sich jeder unschwer vorstellen.

Derzeit reden alle von Elektroautos. Das scheint die Zukunft. E-Mobilität gleich saubere Umwelt, heißt es. Oder ist das falsch?

Ein Brennstoffzellenauto ist ein Elektroauto. Die Brennstoffzelle erzeugt elektrischen Strom. Wenn dieser emissionsfrei gewonnen wurde, so gewinnen wir eine saubere Umwelt und damit die Zukunft. Denkbar wäre ein in die Wägen integriertes System: Solarzelle-Elektrolyseur-Brennstoffzelle. Der Elektrolyseur könnte auch beim Bremsvorgang anspringen und so Strom in Wasserstoff umwandeln. Man tankt bis zu einem gewissen Maß also nur noch Wasser.

Die Mineralölkartelle dürften darüber aber nicht erfreut sein?

Natürlich nicht. Durch Wasserstoff haben wir die Chance, die Macht der Fossilkartelle zu brechen und uns aus der Abhängigkeit von diesen Kriminellen zu befreien. Dann wird es Zeit für eine historische und juristische Aufarbeitung deren Verbrechen an Mensch und Natur.

Aber was stört Sie jetzt an den E-Autos?

Die Schweinereien, mit denen man an die nötigen Rohstoffe für die Hochvoltbatterien kommt, werden achselzuckend hingenommen. Elon Musk benimmt sich im Kongo wie ein König Luitpold 2.0. Der Rest von der Bande, allen voran Herr Diess von VW, ist kaum besser. Das Akku-Auto erinnert mich ein bisschen an die Sache mit dem Grünen Punkt. Hier zahlt der Verbraucher für das Versprechen, dass seine Plastikverpackungen recycelt werden. In Wahrheit wird unser Müll aber einfach als Rohstoff umdeklariert und nach Malaysia oder sonst ein verarmtes Land geschafft, um dann dort ins Meer gekippt zu werden. Anstatt ernsthaft die Probleme der menschlichen Gattung anzugehen, werden wir – entschuldigen Sie die drastische Wortwahl – verarscht, was das Zeug hält.

Sie sehen in der Verwendung von Wasserstoff unsere Zukunft. Können Sie bitte unsere Leser, die mit der Thematik nicht vertraut sind, an sie heranführen. Was genau ist Wasserstoff?

Wasserstoff steht mit dem Buchstaben H (Hydrogen) an prominenter, erster Stelle in unserem Periodensystem. Im Normalfall besitzt er neben dem Proton nämlich nur ein einziges Elektron. Er ist so reaktionsfreudig, dass er in seiner Reinform in der Natur nicht atomar vorkommt, weil er mit sich selbst reagiert und so das berühmte H2 Molekül bildet, das wir unter anderem von der Verbindung H2O (Wasser) her kennen. Man schätzt, dass etwa 75% der Materie unseres Universums aus Wasserstoff bestehen. Wahrscheinlich hat bereits Paracelsus den Stoff im 16. Jahrhundert entdeckt. Seitdem fasziniert er wegen seiner vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten die Wissenschaft.

Warum sollte Wasserstoff als Treibstoff verwendet werden?

„Wasser ist die Kohle der Zukunft“, schrieb Jules Verne bereits 1874 in seinem Buch DIE GEHEIMNISVOLLE INSEL. „Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.“ Treffender hätte ich es nicht formulieren können. Diese Zukunft, die der französische Vorreiter des Science-Fiction-Romans visualisierte, hat soeben begonnen.

Wie ist der Stand der Entwicklung?

Technisch gesehen könnten wir schon heute loslegen mit unserem Weg in die Wasserstoffgesellschaft. Vor allem die Forschungen von Professor Peter Wasserscheid an den LOHC (liquid organic hydrogen carrier)-Verfahren haben uns einen großen Schritt nach vorne gebracht. Hierin wird Wasserstoff per Katalyse chemisch in ein Wärmeträgeröl eingelagert und kann umgekehrt per Katalyse dort auch wieder herausgezaubert werden. Diese Substanz lässt sich im Pfandflaschensystem immer wieder verwenden, ist weder explosiv noch leicht entzündlich und birgt den riesigen Vorteil, dass wir mit ihr die bestehende Infrastruktur aus Tankern, Pipelines, Tankstellen, etc. nutzen könnten. Wasserscheid und sein Team wurden mit ihrem Projekt 2018 für den Deutschen Zukunftspreis nominiert. Pünktlich zum Beginn der Kattowitz-Klimakonferenz hat der Ex-Lakai vom Gasprom-Mann Gerhard Schröder, Bundespräsident Walter Steinmeier, ihm den Preis nicht verliehen.

Vor welchen Problemen stehen diejenigen, die Wasserstoff breitflächig verwendet sehen möchten?

Der für die Gesellschaft wünschenswerte Effekt einer Dezentralisierung des Energiesektors ist Gift für die Konzerne. Wenn jedermann den Sonnenstrom auf seinem Dach per Elektrolyseur in Form von Wasserstoff speichern kann, um ihn bei Bedarf rückzuverstromen, sein Haus damit heizt oder sein Auto damit betankt, werden auch dem Staat die Einnahmen aus der Mineralölsteuer genauso fehlen wie die Abgaben auf Elektrizität. Das Interesse der Weltgemeinschaft, den Klimawandel zu stoppen und zukünftigen Generationen eine Welt zu hinterlassen, in der ein Leben, wie wir es kennen, auch weiterhin möglich ist, steht also diametral gegen die Interessen einiger äußerst mächtiger Institutionen.

Welche Herausforderungen gibt es noch?

Geopolitisch gesehen werden Staaten wie Russland oder Saudi-Arabien, die ihr Wirtschaftsmodell fast vollständig auf die Ausbeutung fossiler Energieträger ausgerichtet haben, in schwere Turbulenzen geraten, wenn das auf dem Pariser Klimaschutzgipfel erklärte Ziel einer Zero-Emission-Welt Wirklichkeit wird. Es ist zu überlegen, wie diese Staaten mitgenommen werden können in die neue Zeit. Die Produktion „grünen“ Wasserstoffs kann auch hier Teil der Lösung sein. Das energiehungrige Europa wird nicht in der Lage sein, seinen Bedarf aus eigener Kraft mit Erneuerbaren zu decken. Die „Verspargelung“ unserer Landschaften ist ja jetzt bereits hart am Limit. Russland mit seinen großen Flüssen und die Arabische Halbinsel mit ihrer Sonne können da sehr von Hilfe sein.

Sie sehen im Wasserstoff eine echte Alternative. Aber: Wie realistisch ist es, dass diese Technologie irgendwann tatsächlich so zum Einsatz kommt, wie Sie es sich vorstellen?

ch bin überzeugt, dies ist keine Frage des Ob, sondern des Wann. Die Menschheit hat begriffen, dass wir nicht weitermachen können wie gehabt. Mit der Wasserstofftechnologie können wir alle Bequemlichkeiten erhalten, die uns bisher die fossile Energie beschert hat. Denken wir nur einmal daran, dass Airbus bereits im Jahr 2000 fertige Pläne für das Projekt „Cryoplane“ hat anfertigen lassen. Flugzeugdüsen mögen Wasserstoff lieber als Kerosin, weil er absolut sauber verbrennt. „Cryoplane“ sollte als Treibstoff auf – 253°C heruntergekühlten Flüssigwasserstoff in seinen Tanks transportieren. Wegen des hohen Tankvolumens würden 30% Abstriche an entweder der Passagierzahl oder der Reichweite fällig werden. Dafür könnte man dann hinfliegen, wohin man wollte, ohne das Klima zu belasten. Die heutigen Flieger blasen ja tragischerweise ihr schädliches Kohlendioxid genau dorthin, wo es am meisten wehtut: in unsere Atmosphäre! „Cryoplane“ verschwand in den Schubladen mit dem Argument, dass auf absehbare Zeit nicht genügend „grüner“ Wasserstoff verfügbar sein würde, damit das Projekt klimatechnisch Sinn mache. Je mehr Aufklärung wir in der Bevölkerung erreichen, desto realistischer wird Jule Vernes Vision der Wasserstoffzukunft.

Von welchem Zeitraum reden wir überhaupt?

Wenn wir an den rasant verlaufenen Siegeszug des Smartphones auf unserer globalisierten Welt denken, sehen wir, wie schnell sich eine technische Entwicklung durchsetzen kann, wenn alle an einem Strang ziehen. Die Zukunft ist jedenfalls noch nicht geschrieben. The future is unwritten. Je schneller wir den Weltenbrand austreten, desto besser.

Sie befassen sich immer wieder mit unserer Umwelt. Wie dramatisch ist die Lage auf unserem Planeten?

Wir leben in einer Zeit, in der kriminelle Industriesyndikate mit ihren politischen Helferlein die Lebensgrundlagen von Mensch, Tier, Pflanze und Pilz systematisch zerstören. Allein wenn ich das Wort „Milliardär“ höre, werde ich aggressiv. Diese schädlichen Individuen mit ihrer Profitgier sind ein Problem. Wasserstoff allein wird nicht ausreichen, ihrem Treiben ein Ende zu setzen. Wie wäre es mit einer globalen 100%-Steuer auf Vermögen von – sagen wir mal – über einer Million Dollar? Mehr braucht ja wohl niemand zum Leben. – Das wäre doch mal einen Versuch wert, um so die Ausbeutung unserer Ressourcen, der Mitmenschen und der Tiere einzudämmen. Diese Steuer durchzusetzen wäre mal eine lohnenswerte Aufgabe für die UNO. Mit dem so erwirtschafteten Geld könnte man eine Menge Bäume pflanzen und vielen Menschen Zugang zur Wasserstofftechnologie ermöglichen. Ich bin überzeugt, die überwältigende Mehrheit der Menschheit fände diese Idee gut.

Lesetipp: Koch, Timm: Das Supermolekül. Wie wir mit Wasserstoff die Zukunft erobern. Westend Verlag. 2. Mai 2019. 176 Seiten. 18 Euro.


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