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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Wäre doch Stefan Raab auf dem attac-Bankentribunal gestürzt …
Datum: 13. April 2010 um 9:20 Uhr
Rubrik: Finanzkrise, Medien und Medienanalyse, Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen
Verantwortlich: Wolfgang Lieb
… dann wäre in den deutschen Medien mit Sicherheit das attac-Bankentribunal wenigstens nebenbei erwähnt worden. Eine vorläufige Analyse des Medienechos. Wolfgang Lieb
Das attac-Bankentribunal war immerhin eine Veranstaltung mit ausverkaufter Volksbühne in Berlin, die auch in zahlreichen anderen Städten über Videoleinwände übertragen wurde. Und es ging um ein tief greifendes Thema, nämlich um die Analyse der Ursachen der schwersten Krise seit mindestens achtzig Jahren und um die Frage, wer dafür Verantwortung trägt und wie ein derartiger Kollaps künftig verhindert werden könnte.
Natürlich ist attac nicht der Nabel der Welt, aber schon der Versuch von überwiegend ehrenamtlich Engagierten eine breitere Debatte über die Finanzkrise mit dem Bankentribunal anzustoßen, hätte jedenfalls auch mediale Aufmerksamkeit und im Sinne der Meinungsvielfalt eine sachliche Berichterstattung über die auf dem Bankentribunal vorgetragenen Inhalte verdient.
Man stelle sich nur mal für einen Moment die Schlagzeilen und das Ausmaß der Berichterstattung vor, wenn sich Stefan Raab auf dem Bankentribunal durch einen Sturz verletzt hätte. Gar nicht daran zu denken, welcher Presswirbel entfacht worden wäre, wenn am Rande des Tribunals vor der Berliner Volksbühne wirklich nur rein zufällig ein Auto in Flammen aufgegangen wäre. Wetten, dass, dass selbst die BILD-Zeitung eingestiegen wäre. (Natürlich nur, um den Verdacht eines linksradikalen Umsturzes zu schüren.)
Die Welt, die FAZ haben bisher das abgelaufene Tribunal keiner Zeile Wert befunden.
dpa hatte ein Foto mit Transparenten von attac vor dem Kanzleramt angeboten. Eine Meldung von Deutschlands größter Nachrichtenagentur habe ich im Internet trotz langer Suche nicht entdeckt.
Die ARD hat das Tribunal in der Abendschau von rbb als ein Lokalereignis mit einem 2.53-Minuten-Filmchen gewürdigt. Mit einer geradezu ärgerlichen Anmoderation, nach der „wir alle, die wir unsere Fernseher auf Pump kaufen“ an der Bankenkrise schuld seien. Bei ARD tageschau.de blieb meine Suchanfrage genauso erfolglos wie beim ZDF.
Laut infonitor Medienanalyse und Medienresonanzanlayse gab es in der Zeit vom 16. März bis 12. April 2010 insgesamt 84 Artikel in 50 Quellen. die Frankfurter Rundschau Printausgabe berichtete 11-mal und die FR-Online-Ausgabe 8-mal, Neues Deutschland 4-mal, taz.de und Tagesspiegel je 3-mal, Süddeutsche.de, stern.de, Spiegel Online, die junge Welt und 5 erfasste Lokalzeitungen 2-mal, Financial Times Deutschland, Zeit Online, Nürnberger Zeitung und eine Reihe Regionalzeitungen 1-mal.
Das war die ganze Ausbeute.
Die FTD titelt „Beinahe ein Freispruch für Ackermann“. Sie berichtet über die große Wut des Publikums, nennt einige Anklagepunkte, bekundet Mitleid mit Wolfgang Kaden, dem früheren Chef des „Manager Magazins“, und auf dem Tribunal „Pflichtverteidiger“ des Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann. Der Autor des Beitrags zeigt sich erstaunt über den letztlich milden Urteilsspruch: „Es dürfte Deutsche-Bank-Aktionäre geben, die ein solches Urteil gern unterschreiben.“
Ähnlich auch der Tenor auf stern.de: „Wie Attac plötzlich feige wurde“. Niemand sei schuldig oder freigesprochen worden und das sei eine „große Peinlichkeit für Attac“. Immerhin attestierte die Autorin Theresa Breuer eine auf „sehr hohem Niveau geführte Debatte“, um dann letztlich doch wieder nur das Stereotyp von der „altlinken Polemik“ auszupacken.
Auch die taz („Zur Strafe Karl Marx lesen“), zeigt sich erstaunt, dass keine Strafe ausgesprochen wurde, sondern nur ein dickes Bündel von Empfehlungen zur Reform der Finanz- und Sozialpolitik. Und das, obwohl die taz-Redaktionskollegin Ulrike Herrmann als „Richterin“ auf dem Tribunal eine glänzende Rolle abgab.
Wohl in vorauseilender Ausgewogenheit bietet die taz auch noch ein Interview mit dem früheren Chefredakteur des Manager-Magazins, Wolfgang Kaden, in dem er ein Demokratieversagen schlichtweg als Nonsens erklärt und Merkel, Steinbrück unterstützt von Ackermann dafür lobt, dass sie Schlimmeres verhindert hätten.
Die Süddeutsche Zeitung kritisiert schon in der Einleitung die mangelnde „Objektivität“. (Ach, wenn sie das doch auch täte, wenn sie über Bankenkongresse berichtet oder unkommentiert Experten zitiert, deren Interessenbezug offenkundig ist.) Statt Argumente der Ankläger zu entkräften, kommt das wohlfeile Totschlagsargument, dass die Anklage immer wieder in „altlinke Verschwörungstheorien abzurutschen“ drohte. Mehr war wohl im Wirtschaftsteil der SZ nicht zu erwarten, wo der „alt-neoliberale“ Marc Beise die Redaktionslinie vorgibt, die selbstverständlich als „objektiv“ gilt.
Der Berliner Tagesspiegel und mit demselben Beitrag auch Zeit Online sprechen der Veranstaltung schon mit der Bezeichnung „Show-Tribunal“ das Attribut von seriöser Aufklärung ab. Miriam Schröder merkt nicht einmal, dass sie damit ihren eigenen Kollegen, Harald Schumann, der nun wirklich nur Fakten auftischte, als Show-Man in die Pfanne haut. Die Artikelschreiberin kommt nicht ohne die Falschmeldung aus, dass das Durchschnittsalter „geschätzt bei 60 Jahren“ liege.
Selbst wenn das eine Tatsache wäre, würde das die Meinung dieser älteren Menschen abwerten? Hat die Autorin jemals über eine Parteiversammlung berichtet und sich dabei über den Altersdurchschnitt mokiert?
Immerhin anerkennt der Beitrag, dass das Tribunal viel mit „demokratischer Kontrolle“ zu tun habe und diese eigentlich ins Parlament gehöre.
Der Spiegel („Sprüche statt Aufklärung“) wirft sich in gewohnt arrogante und zugleich staatstragende Pose und reklamiert – natürlich dank eigener Einsicht – ein Regelwerk, das die Spekulationsexzesse der Banken wirksam zu unterbinden helfe. Das aber nur, um dann herablassend dem Tribunal jede „differenzierte Analyse“ abzusprechen. Auch der Autor Michael Kröger tut Versuche, die Finanzkrise in größere Zusammenhänge zu stellen, als „Verschwörung“ ab. Auf dem Tribunal vorgetragene Fakten oder Argumente gelten ihm pauschal als „Mutmaßungen“ und „Unterstellungen“. Besonders eitel erweist sich der Autor, wenn er in die Rolle des sachlich über den Dingen stehenden Spiegel-Redakteurs schlüpft und seine persönlichen Einwände gegen die Finanzindustrie vorträgt. Einwände, die von vielen Teilnehmern des Tribunals längst weitaus differenzierter vorgetragen wurden, die der Schreiber aber offenbar entweder nicht gehört oder nicht verstanden hat. Selbstverständlich geht Kröger davon aus, dass nur an den von ihm genannten Krisenursachen eine „fruchtbare Diskussion“ einsetzen könne. Doch daran habe die überwiegende Mehrheit der Versammlung ja kein Interesse gehabt. Dabei zeigt dieser Beitrag nur umgekehrt, dass der Autor an der Versammlung kein Interesse hatte, sonst hätte er sich ja womöglich mit den zahllosen kritischen Argumenten auseinandersetzen müssen.
Einzig und allein die Frankfurter Rundschau bemühte sich um eine Einordnung der Veranstaltung vor und stellte sie in den Zusammenhang der früheren zivilgesellschaftlichen Tribunale, also des Russel-Tribunals über den Krieg in Vietnam im Jahre 1966. Die FR referierte auch die wichtigsten Aussagen des abschließenden Urteils.
Die FR hatte als „Medienpartner“ des Tribunals schon im Vorfeld mehrere längere Beiträge von Mitwirkenden am Tribunal veröffentlicht und als einzige Tageszeitung auf diese Veranstaltung mehrfach aufmerksam gemacht.
Bemerkenswert sind allerdings die teilweise wirklich bösartigen Kommentare gegen dieses Engagement der FR und gegen die Veranstalter in der Kommentarfunktion.
Das Blatt Neues Deutschland und die „junge Welt“ schilderten nicht nur Eindrücke und nicht nur beteiligte Personen, sondern nachrichtlich über vorgetragene Argumente und das ND schloss sich dem Urteil des Wirtschaftsethikers Friedhelm Hengsbach an, der in dem Tribunal einen „Beitrag zur polit-ökonomischen Alphabetisierung“ sah.
Bemerkenswert ist, dass die Nürnberger Nachrichten, wenigstens bei den in Nürnberg bei der Liveübertagung versammelten hereingeschaut haben.
Auch in den Blogs gab es sowohl im Vorfeld als auch an den Veranstaltungstagen überraschend wenig Resonanz. Infonitor verzeichnete gerade einmal 111 Artikel, dabei zählen die NachDenkSeiten schon zu den Top 5-Quellen. Das ist ein Beleg dafür, dass selbst die Blogger, die oft als alternative Informationsquelle genannt werden, tatsächlich keine mächtige Stimme der Gegenaufklärung sind bzw. sich ziemlich wenig um alternative politische Informationen kümmern.
Über Twitter gingen 472 Beiträge mit allerdings über zweihunderttausend sog. Followers, also potenziellen Lesern oder Nachrichten (aber was besagt das schon). Dabei war allerdings attac selbst der Hauptvermittler zum Tribunal.
Das war es aber auch schon, was ich – nach ziemlich intensiver Suche auch mit Unterstützung unserer Leserinnen und Leser – an Berichterstattung über das attac-Bankentribunal gefunden habe.
Das Medienecho auf diese „zivilgesellschaftliche Anklage“ ist also eher schwach und vor allem fast durchweg abwertend kritisch – jedenfalls wann man es mit den medialen Lauffeuern vergleicht, das – um nur ein einziges Beispiel zu nennen – etwa das Karl-Bräuer-Institut des Steuerzahlerbundes mit der falschen Behauptung entzündet, Hartz IV-Bezieher bezögen mehr Einkommen als viele Arbeitnehmer in mehreren Wirtschaftszweigen. Wenn das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) oder die Herren Raffelhüschen oder Rürup oder sonstige „Experten“ ihre interessengeleiteten Positionen in den Medien verkünden dürfen, würde man sich eine vergleichbar kritische Haltung nur allzu gerne wünschen. Über einen Auftritt von Herrn Sarrazin am Abend der Eröffnung des attac-Tribunals berichtete am Samstagmorgen der Tagespiegel auf Seite eins und eher mit Sensationslust als mit kritischer Distanz.
Aber beim Bankentribunal von attac wurden ja überwiegend nur Mindermeinungen vertreten und da konnte es sich die veröffentlichte Mehrheitsmeinung leicht machen, diese entweder gleich ganz tot zu schweigen oder allenfalls darüber herzufallen. Die Positionen die öffentlich nur von Minderheiten vertreten werden, selbst wenn sie der Meinung der durch Umfragen erhobenen großen Mehrheit der Bevölkerung entsprechen, gelten eben in den Mainstreammedien eben als verschwörerisch oder ihnen werden abwertende Etiketten wie „altlinks“ oder tendenziös angeheftet. Albrecht Müller hat ein ganzes Buch darüber geschrieben, wie diese Meinungsmache funktioniert. Die wichtigste Aufgabe der sog. Vierten Gewalt in einer Demokratie, nämlich Meinungsvielfalt herzustellen, um über einen möglichst vielfältigen öffentlichen Diskurs die Qualität der politischen Entscheidungen zu verbessern, wird erst gar nicht angenommen. Die Berichterstattung über das Bankentribunal ist ein Beleg für das Ergebnis der Medienanlyse von Arlt und Storz wonach das journalistische Verhalten gegenüber der regierenden Politik und gegenüber Vertretern der Wirtschaft überwiegend nur als „devot“ bezeichnet werden kann. Devotheit gegenüber den politisch und wirtschaftlich Mächtigen – und das gerade von den „Wachhunden“ und von den Vermittlern der öffentlichen und damit politischen Meinungsbildung – ist ein Armutszeugnis für eine lebendige Demokratie. Bei der Analyse und der Bekämpfung der Ursachen der Finanzkrise ist die Verweigerung einer kritischen Berichterstattung geradezu lebensgefährlich.
Man muss zugestehen, dass das Themenfeld das sich das Tribunal vorgenommen hat, viel zu groß und komplex ist, als dass man es in eineinhalb Tagen trotz größter Disziplin vernünftig durchackern könnte. Da wäre eine Konzentration auf weniger Themen sicherlich hilfreicher gewesen. Auch war der Anspruch vielleicht ein wenig zu hoch, das attac-Bankentribunal in eine Reihe mit den Russel-Tribunalen zu stellen und vielleicht haben sich manche Journalisten deshalb so herblassend geäußert.
Dennoch kommt attac das Verdienst zu, dass wenigstens der Versuch unternommen wurde, eine kritische öffentliche Debatte anzustoßen.
Leider ist es bei uns ja nicht so, wie in Island, wo vom Parlament eine unabhängige Kommission eingesetzt wurde, die nun einen 2.300 Seiten umfassenden Bericht über die „extreme Nachlässigkeit“ der politischen Führung gegenüber der Finanzkrise vorlegte, der nun reisenden Absatz findet und sogar öffentlich verlesen wird.
In der ärmsten Stadt Deutschlands, in Berlin, fühlen sich fast zwei Drittel (63%) von den Auswirkungen der Finanzkrise nicht berührt. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn ein Sturz eines Spassmacher wie Stefan Raab als Aufmacher in die Schlagzeilen gehoben wird, die sich auftürmende Schuldenlast und ihre konkreten Auswirkungen auf Kindertagesstätten, Schwimmbäder, Theater oder Verkehrsbetriebe aber nicht in einen Zusammenhang mit der Finanzkrise gestellt werden dürfen, weil das ja verschwörerisch argumentiert wäre.
Es bleibt nur, dass die Menschen die Angelegenheit selbst in Hand nehmen. Nach dem Bankentribunal in Berlin geht es in Hamburg am 15.04. gleich weiter: Demonstration zur HSH NORDBANK Problematik in Hamburg.
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