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Titel: Eine andere Sicht auf die alliierte Luftbrücke. Zur 70-Jahr-Feier.

Datum: 12. Mai 2019 um 11:45 Uhr
Rubrik: Gedenktage/Jahrestage, Innen- und Gesellschaftspolitik, Strategien der Meinungsmache
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Vermutlich haben die meisten NachDenkSeiten-Leserinnen und -Leser wie bisher auch ich eine andere Sicht von der Alliierten Luftbrücke und ihren Hintergründen als der Autor des folgenden Stücks, der Journalist Klaus-Detlef Haas. Was er schreibt, macht nachdenklich. So zum Beispiel die zitierte Aussage des späteren US-Außenministers Dulles. Interessant ist auch, dass der Autor von „Die Kehrseite der USA“, L. L. Matthias, die Sicht unseres Autors bestätigt. Nebenbei: Falls Sie dieses Buch nicht kennen, unbedingt nachholen. Albrecht Müller.

Hier der Text zur Beendigung Luftbrücke und zu den heutigen Feierlichkeiten:

Ich bin am 22. Januar 1949 geboren worden. Unter der Luftbrücke. Das Krankenhaus, in dem ich das Licht dieser aerodynamischen Welt erblickte, lag unter der Einflugschneise der „Rosinenbomber“ auf deren Weg zum Flughafen Berlin-Tempelhof.

Auf dem Gelände des legendären Aerodroms findet am 12. Mai 2019 eine große Feier statt – aus Anlass des 70. Jahrestages der Beendigung der Luftbrücke. So lauten etliche Mitteilungen (unter anderem in der online-Ausgabe der Berliner Zeitung vom 5. Mai 2019). Die Hauptstadt (jedenfalls aber eine große Zahl von Politikern, Medienvertretern und VIPs) erwarte ein großes Fest. Luftbrückendenkmäler würden nachempfunden; eine Allee der Alliierten repräsentiere die westlichen Schutzmächte – von USA, Großbritannien und Frankreich über Kanada, Südafrika bis Australien und Neuseeland. Helden der Luftbrücke wie Gail Halverson mit seinen 98 Jahren und Künstler wie Andrej Hermlin mit seinem Swing Dance Orchestra seien aufgeboten. 50.000 Gäste seien zu erwarten. Die Kosten des Festes bezifferte Senatssprecher Julian Mieth auf eine Million Euro.

Um was zu feiern? Das Ende der Luftbrücke? Das bei Amerikanern und Briten „Airlift“ genannte politische Transportunternehmen dauerte vom 25. Juni 1948 bis 6. Oktober (!) 1949. Was tatsächlich am 12. Mai 1949 beendet wurde, ist die Blockade der Westsektoren von Berlin, begonnen durch die sowjetische Besatzungsmacht am 24. Juni 1948. Dieses Gleichsetzen oder Verwechseln von Blockade und Luftbrücke ist nur der kleinere Teil dessen, was von Medien und Politikern über die damaligen Ereignisse in die Welt gesetzt, aufgebauscht oder verschwiegen wurde beziehungsweise bis heute wird. Die historischen, politischen und finanziellen Umstände der Jahre 1945 bis 1949, die in wesentlichen Fragen bis heute nachwirken, werden fast gänzlich unerörtert gelassen beziehungsweise einseitig dargelegt; zugunsten der Westalliierten, zum Nachteil der Russen – aus aktueller offizieller Sicht von hoher politischer wie propagandistischer Bedeutung.

Gemeinhin wurde und wird der Eindruck erweckt, die Berliner Westsektoren seien zu Wasser und zu Lande abgeriegelt, der Zugang ins Umland sowie nach Ostberlin versperrt worden.

Die Umstände meiner Geburt zeigen ein anderes Bild, in einigen Aspekten ein gänzlich unterschiedenes. Mein Vater fuhr meine hochschwangere Mutter mit dem Opel Wanderer meines Großvaters binnen weniger Minuten die dreieinhalb Kilometer von unserem Zuhause in Berlin-Baumschulenweg, sowjetischer Sektor, ins Krankenhaus, amerikanischer Sektor. Zwei Wochen zuvor hatte mein Vater diese Tour schon einmal unternommen; probehalber. Keinerlei Beanstandung, keinerlei Kontrolle; nicht durch den Russen, nicht durch den Ami. Genauso unbeobachtet und unbehindert verlief die Rückfahrt. Nahezu unbeschwert, zumindest in dieser Hinsicht, stiegen meine künftigen Eltern am 21. Januar 1949 in den Opel Wanderer. Was war denn nun die Berlin-Blockade?

Vor deren offiziellem Beginn kam es in der Nacht vom 31. März zum 1. April 1948 zu einem dramatischen Ereignis im Zusammenhang mit der künftig als erste Berlin-Krise bezeichneten schweren Auseinandersetzung zwischen den Alliierten. Nach über zweieinhalb Jahren normalem Zugverkehr zwischen Berlin und der britischen beziehungsweise US-amerikanischen Zone in Westdeutschland stoppten in dieser Nacht sowjetische Offiziere einen britischen Militärzug bei Marienborn; nach über zwanzig Stunden wurde er zu seinem Ausgangsbahnhof Berlin-Charlottenburg zurückgeschickt. Der australische Journalist Wilfred G. Burchett, selbst Insasse des Zuges, nannte das den “Beginn der Ereignisse, die zur Blockade von Berlin und zur Gegenblockade der sowjetischen Besatzungszone führten”. (Wilfred G. Burchett: “Der kalte Krieg in Deutschland”, übers. von Elisabeth Rompe-Baumgarten, Berlin (Ost) 1950, S. 36ff.)

Dem Vorfall ging die strategische politische Kehrtwende der Westmächte gegenüber ihrem früheren Alliierten, der Sowjetunion, voraus. Die Rede des ehemaligen britischen Premiers Winston Churchill am 6. März 1946 am Westminster College in Fulton, Missouri, USA, gilt gemeinhin als Eröffnung des Kalten Krieges; Churchill lieferte dazu das politische und das ideologische Konzept. In der Folge gingen die Westalliierten Schritt für Schritt von den Festlegungen nicht zuletzt der Potsdamer Konferenz 1945 ab, die ein politisch und wirtschaftlich einheitliches Nachkriegsdeutschland unter Verwaltung der vier Großmächte vorsah. Über einen längeren Zeitraum haben vor allem die USA und Großbritannien im Zusammenwirken mit deutschen Großindustriellen und Finanzmagnaten wie mit deutschen Politikern, so Konrad Adenauer (CDU) oder Kurt Schumacher (SPD), Voraussetzungen dafür geschaffen, einen westdeutschen Separatstaat zu schaffen. Knapp zehn Monate nach Churchills Rede wurde am 1. Januar 1947 die sogenannte Bizone als zunächst wirtschaftliche beziehungsweise wirtschaftspolitische Vereinigung der US-amerikanischen und der britischen Zone in Deutschland geschaffen; im März 1948 einigten sich die drei Westmächte in London auf den Zusammenschluß der Bizone mit der französischen Zone Deutschlands zur sogenannten Trizone, unbestritten und so auch angelegt, den Vorläufer der Bundesrepublik Deutschland, die dann im September 1949 gegründet wurde. Die Politik der Sowjetunion war, entsprechend alliierten Abkommen, auf die Schaffung eines politisch und wirtschaftlich einheitlichen, antifaschistischen und, was später eine große Rolle spielen sollte, entmilitarisierten Deutschland gerichtet. Das so entstandene Zerwürfnis zwischen den ehemaligen Verbündeten des Zweiten Weltkriegs musste sich konsequenterweise in gegensätzlichen politischen Prämissen und konträrer Praxis der Arbeit im Alliierten Kontrollrat zeigen, dessen Sitz in Berlin war. In mehreren Sitzungen der Außenminister der Alliierten in London wurde die Problematik erörtert. Es kam zu keiner Einigung. Berlin wurde zum Spielball alliierter Widersprüche. Sie zeigten sich vor allem und beispielhaft im Kampf um die unterschiedlich interpretierten Rechte des Zugangs zu und von Berlin. Behinderungen, auch Schikanen, gab es auf beiden Seiten; neben allem Kalkül spielten auch Emotionen eine Rolle.

Aus zunächst transportpolitischen, dann direkt politischen Querelen wurden massive gegenseitige Behinderungen – alles vor dem Hintergrund der Vorbereitung eines westdeutschen Staates und, damit engstens verbunden, einer Währungsreform. Zweifelsohne bedurfte es der Regelung des Finanzwesens; trotz langsamer wirtschaftlicher Erholung, vor allem im Westen – noch immer galt die Reichsmark. Eine alle vier Besatzungszonen einbeziehende Lösung der Währungsfrage wäre politisch wie ökonomisch sinnvoll gewesen; Deutschland war immer noch ein Wirtschaftsgebiet. Doch die Strategie der Westmächte ließ das nicht zu: Nach der Einführung der D-Mark in der Trizone am 21. Juni 1948 war drei Tage später diese neue Währung auch die für Westberlin. Deutschland war de facto gespalten. Die Sowjetunion reagierte am gleichen Tag mit der Sperrung der Land-, Wasser- und Schienenwege zwischen den Westsektoren Berlins und Westdeutschland.

Es kam zu Engpässen in der Versorgung der Westberliner Bevölkerung. Doch, wenn auch gelegentlich kontrolliert, hatte sie Zugang ins Brandenburger Umland und nach Ostberlin, ja, sie war sogar durch den Osten dazu aufgefordert – auch sich zu versorgen. Im Westen dagegen wurde die auch “airlift” genannte Luftbrücke installiert; zweifellos eine planerische und fliegerische Meisterleistung. Doch eine 2,2 Millionen zählende Bevölkerung kann nicht mit allem aus der Luft versorgt werden; zumal der volle Leistungsumfang des Transports erst drei Monate nach seinem Beginn erreicht wurde. So hatte die Luftbrücke außer der Versorgung vor allem eine enorme propagandistische Bedeutung, die bis heute anhält. Zumeist und bis heute herrscht das Bild eines völlig abgeriegelten Stadtteils vor, einer hungernden und frierenden Bevölkerung.

Der spätere US-Außenminister John Foster Dulles sagte im Januar 1949 in kleinem Kreis in Paris: “Zu jeder Zeit hätte man die Situation in Berlin klären können […] Die gegenwärtige Lage ist jedoch für die USA aus propagandistischen Gründen sehr vorteilhaft. Dabei gewinnen wir das Ansehen, die Bevölkerung von Berlin vor dem Hungertod bewahrt zu haben, die Russen aber erhalten die ganze Schuld wegen ihrer Sperrmaßnahmen.“ (Zitiert in George S. Wheeler: „Die amerikanische Politik in Deutschland (1945-1950)“, Berlin (Ost) 1958, S. 223) Sehr deutlich wird auch L. L. Matthias: „Einen sehr willkommenen Anlaß, die öffentliche Meinung der Welt gegen die Russen zu mobilisieren, bot die Berliner Blockade […] Es war ganz offenbar, daß Truman, Acheson und General Clay die Blockade absichtlich verlängert hatten, um einen Zwischenfall zu einem welthistorischen Ereignis aufzublasen und die Last der Verantwortung, die auf den Schultern der Russen lag, zu vervielfachen.” (L. L. Matthias: Die Kehrseite der USA, Reinbek bei Hamburg 1971, S. 146ff.) Die Reihe solcher Propagandaleistungen der USA oder Briten, hilfreich begleitet von deutschen Medien, lässt sich mühelos ergänzen und bis in die Gegenwart verfolgen.

Mag das Fest der Luftbrücke auch andere Akzente setzen. Westberlin ist nicht abgeriegelt gewesen. Ich kann das beweisen.

Klaus-Detlef Haas


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